Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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William Lovell an Rosa

Roger Place.

Ich habe ansehnliche Summen gewonnen, und ich denke bald damit England zu verlassen. Es ist nichts leichter, als eine Rolle in der Welt zu spielen und es gibt tausend Arten sich interessant zu machen. Man riß sich nach mir, weil ich mir in London einen sonderbaren italienischen Namen gegeben hatte und immer viele Seltsamkeiten von mir vermuten ließ; ich erzählte zuweilen einigen Freunden abenteuerliche Bruchstücke aus einer erdichteten Geschichte, die es dann nicht unterließen, sie andern wieder unter dem Siegel der Verschwiegenheit anzuvertrauen. Man war in allen Familien neugierig, mich kennenzulernen, in vielen Gesellschaften gab ich den Ton an und entschied, wenn streitige Fälle vorkamen. Man fand mich ungemein klug, weil ich ein paarmal etwas gesagt hatte, was ich selbst nicht verstand, man dachte darüber nach, und es gab mir selbst Stoff zum Spekulieren. Es läßt sich für und gegen jede Idee in der Welt sprechen, und es ist daher gar keine Kunst, mit jedermann zu streiten, und da ich nach meiner Überzeugung immer der Skeptiker sein muß, und ihn manchmal noch mehr spiele, als ich es bin, so wird es mir leicht, selbst den Gescheitesten scheinbar zu besiegen. Frauenzimmern besonders gefiel ich ungemein, erstlich, weil ich blaß und krank aussahe, dann weil sie mich für einen Fremden und für eine Art von Atheisten hielten. Sie mögen nichts in der Welt so gern bewundern, als wovor sie sich fürchten, ja Furcht und Bewunderung ist bei ihnen einerlei. Sie boten immer ihren ganzen Verstand auf, um eben die Gedanken zu äußern, die ich meinte, und stets trafen sie auf ganz verschiedene. Ihr Verstand besteht überhaupt mehr in Schlauheit als Überlegung; sie überlegen, nachdem sie einen Schluß gemacht haben, und ihre Philosophie ist aus Eigensinn entstanden, und wird daher immer mit Hartnäckigkeit verteidigt. Sie kennen die Menschen nie, die sie lieben, weil sie sich keine der Bemerkungen, die sie über diese gemacht haben, eingestehn, und kein Wesen ist daher so leicht zu hintergehn, als ein verliebtes Weib. Wen sie hassen, kennen sie bis auf seine verstecktesten Züge, ja sie kennen ihn besser, als er sich selbst, sie finden seine vorzüglichsten Schwachheiten heraus und beweisen daraus augenscheinlich, daß aus ihnen zugleich das fließe, was die übrigen Menschen an einem solchen gut und lobenswürdig nennen. Wenn sie neue Gedanken in ihren Kopf aufnehmen, so besteht ihr Denken darin, daß sie selbst ihre vorigen Gedanken überlisten und sie dann despotisch vertreiben, ohne sie nachher auch nur der Mühe wert zu halten, darüber zu sprechen, und wer das Unglück hat, diese Ideen grade zu äußern, den halten sie unter allen Einfältigen für den Einfältigsten. In jedem Lustrum wechseln sie mit einigen Hauptgedanken, die sich ganz verschieden organisieren, je nachdem sie heiraten, oder ledig bleiben; je älter sie werden, je mehr beleidigt man sie durch Nachlässigkeiten und um so weniger durch wirkliche Beleidigungen: aber selbst in der höchsten Vertraulichkeit, selbst in der aufrichtigsten Stimmung kann man es nie dahin bringen, daß ein Weib gegen einen Mann ganz aufrichtig sei, denn das Gefühl verläßt sie nie, daß die Männer ein fremdartiges Tiergeschlecht sind, und diese verletzen durch ihre Unbeholfenheit ihren feinern Sinn auch unaufhörlich. Wer bis in sein zwanzigstes Jahr nur untern Weibern lebte, müßte nachher alle Männer betrügen können.

Wie komme ich aber zu dieser weitläuftigen Charakteristik? – Nichts kam mir in den Gesellschaften so abgeschmackt vor, als das Drängen der jungen und alten Männer, um bei Tische neben irgendeinem weiblichen Geschöpfe zu sitzen, wie sie sich dann glücklich priesen und affektierten, als wenn dies ihnen mehr als alles gälte. Wenn man dies Geschlecht erst gekannt und genossen hat, so kann man durch diese Ziererei ganz schwermütig werden. – Aber unser Leben läuft in einer ewigen Affektation fort, und wer sie nicht mitmacht, den nennen die übrigen einen affektierten Narren.

Manche unter den vorzüglichsten Schönheiten hätten mich vielleicht gar geheiratet, wenn ich hätte darauf schwören wollen, daß ich entweder bald sterben oder zeitlebens so närrisch bleiben würde. Keins von beiden war mein Wille, und ich ließ mich daher gar nicht in nähere Traktaten ein.

Ich war endlich des Gewühls müde und reiste ab. Ich konnte es nicht unterlassen, Roger Place zu besuchen, den Ort, wo Mortimer mit Amalien wohnt: von hier erhalten Sie diesen Brief. Es trieb mich fast wider meinen Willen hieher, und nun will ich Amalien noch einigemal sehn und dann abreisen.

Sie geht alle Morgen mit Mortimer spazieren, denn es ist eine angenehme Allee vor ihrem Hause, die sich in einen schönen Wald verliert; dann trinken sie Tee. Amalie ist recht heiter und Mortimer hat sich ganz umgeändert, er kommt mir weit menschlicher oder vielmehr weiblicher vor. Amalie sieht älter und verständiger aus. Ich habe einigemal des Abends unter den rauschenden Bäumen gelegen und nach ihren Fenstern hinaufgesehn. Ich war gestern in Versuchung, hineinzusteigen. Mein Herz kocht Haß und Wut gegen Mortimer, und doch wüßt ich jetzt grade nicht warum. Aber ich hatte Amalien nicht vergessen, ich log es nur mir und andern, und Mortimer, der meine Liebe gegen sie so tief verachtete, hätte sie mir nicht entreißen sollen! – O und was ist es denn mehr? Würde ich ihrer nicht ebenso wie Emiliens überdrüssig werden? – Doch nein, denn diese habe ich nie geliebt.

Es ist eine sehr häßliche Aufwärterin im Hause, diese will ich zu sprechen suchen; es müßte sonderbar kommen, wenn ich sie nicht auf meine Seite brächte. Wenn ich erst die genauern Umstände weiß; so läßt sich auf diese vielleicht ein kluger Plan gründen.

Ob Amalie auch zu den Weibern gehört, von denen ich vorher sprach? Ich habe sie damals zu sehr geliebt, um sie zu beobachten und damals haßt und liebt ich die Menschen überhaupt noch, ohne sie vorher zu kennen. Jeder Mensch hat eine Periode im Leben, in der Liebe und Freundschaft mit der Selbstliebe zusammenfallen; von beiden weiß er sich dann keine Gründe anzugeben.

Leben Sie wohl und grüßen Sie Andrea. –

 

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William Lovell an Rosa

Roger Place.

Es gibt Stunden im Leben, Rosa, in denen Zufälle zusammentreten, so kindisch wunderbar aneinandergereiht, daß wir die Welt umher auf einzelne Augenblicke für ein Hirngespinst halten müssen. Ich bin noch immer in dieser Stimmung, wenn ich an alles zurückdenke; es kommt mir oft in der Welt nichts so seltsam vor, als daß irgendein Zufall mit einem früheren zusammenhängt, so daß wir oft wirklich auf die Idee von dem geführt werden, was die Menschen gewöhnlich Schicksal nennen.

Ich habe nämlich in jener häßlichen Aufwärterin, von der ich Ihnen sagte, eine alte Bekannte wiedergefunden. Ich suchte sie auf, und wir waren bald miteinander vertraut, sie nannte meinen wahren Namen, und ich erschrak. Es war, als wenn ein böser Genius aus ihr sprach, der mich nun meinen Feinden verraten würde. Ich betrachtete sie genauer, und konnte mich doch durchaus nicht erinnern, sie irgendwo gesehn zu haben. – Endlich entdeckte sie sich mir, und o Himmel! – es war niemand anders, als die Comtesse Blainville!

Lange wollte ich es nicht glauben. Die Blainville, jenes junge, lebhafte, reizende Weib – und hier stand ein Ungeheuer vor mir, von Pockengruben entstellt, einäugig, mit allen möglichen Widrigkeiten reichlich ausgestattet – und dennoch war sie es, selbst unter der groben Hülle lagen einige ihrer ehemaligen Züge, wie fern, verborgen.

Ihre Geschichte kann ich Ihnen mit wenigen Worten sagen. Der Graf Melun starb bald, nachdem er sie geheiratet hatte, sie ließ sich durch ihren Liebhaber, den Chevalier Valois, zu jeder Verschwendung verleiten; sie verließ mit ihm Paris und ging nach England, ihr Vermögen war bald vom Valois verspielt, sie ward krank, denn die Blattern offenbarten sich an ihr, der Chevalier erschoß sich, sie genas, aber ihre Schönheit, ihre Jugend war jetzt zugleich mit ihrem Vermögen dahin. Sie suchte Hülfe bei den Menschen, weil sie diese nicht kannte, und diese stießen sie verächtlich von sich, wie sie es auch in ihrer Stelle getan haben würde; zur drückendsten Armut erniedrigt, suchte sie endlich Dienste, und Amalie, hier in Roger Place, nahm sich ihrer an. Und hier muß ich sie nun treffen; meine beiden Geliebten in einem seltsamen Kontraste nebeneinander.

Ich habe ihr das strengste Stillschweigen gelobt, so wie sie mir: Mortimer, der sie einst so schön fand, weiß es nun nicht, daß sie in seinem Hause wohnt.

Es ist schauderhaft, wenn ich überlege, daß dies Ungeheuer doch schon damals verlarvt in dem schönen Weibe lag, das ich umarmte – bei jedem Weibe und Mädchen fällt mir jetzt der Gedanke ein: Die Alte, die mit grauen Haaren, abgefallen, mit roten Augen und auf einer Krücke vorüberhinkt, war auch einmal jung und hatte ihre Anbeter, sie dachte damals nicht daran, daß sie sich ändern könne; ihrem begeisterten Liebhaber fiel es nicht ein, über sich selbst zu lachen, denn er kannte die Gestalt nicht, gegen die er seine Deklamationen richtete. – O hinweg davon! – Aber was sind alle Freuden dieser Welt? – Es ist mir ein widriger Anblick, wenn ich ein Paar gehn sehe, das zärtlich gegeneinander tut. In der Kindheit wünschen wir uns Glasperlen, dann Liebe, dann Reichtum, dann Gesundheit, dann nur noch das Leben; auf jeder Station glauben wir weitergekommen zu sein und fahren doch im Kreise herum, so daß wir nie sagen können: jene Gegend liegt jetzt fern von mir.


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