Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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Eduard Burton an Mortimer

Bondly.

Ich schicke Ihnen hier einige Papiere, die Sie, wie ich glaube, mit Interesse lesen werden. Unsre neulichen herzlichen Gespräche geben mir ein Recht, nicht geheimnisvoll gegen Sie zu sein, ob ich Sie gleich ersuche, diese Blätter in keine andre Hände zu geben, denn sie sind von meinem Vater.

Vorn habe ich mehrere Bogen weggeschnitten, die, wie es scheint, zu Exerzitien in der Sprache gedient haben; zufällig hat er in diesem Buche dann für sich weitergeschrieben und so sind diese Geständnisse entstanden.

Auch in seiner Krankheit hat er noch daran geschrieben, er suchte das Buch selbst und ließ es sehr emsig suchen, weil er mir es geben wollte, aber es war nirgends zu finden. Jetzt hab ich es bei dem Aufräumen der Zimmer von ohngefähr unter dem Bette entdeckt, in welchem er starb. –

Schicken Sie es mir zurück, sobald Sie es geendigt haben.

 

7
Einlage des vorigen Briefes

In meinem sechszehnten
Jahre geschrieben.

Ja, ja, Herr Wilkens, ich habe Ihre Regeln recht gut verstanden, und vielleicht besser als Sie es glauben. Ihr ganzer Unterricht bezieht sich am Ende dahin, daß ich die Sprache zu meinem Nutzen gebrauchen lerne, und dann ist der Mensch gebildet. Habe ich mich nicht noch gestern an einem schwierigen Briefe üben müssen, in welchem eine gut angebrachte captatio benevolentiae gleich im Anfange mein Hauptaugenmerk sein mußte?

Ich bin seit gestern gegen jedermann, besonders gegen die Bedienten sehr auf meiner Hut, denn ich sehe in jedem freundlichen Gesichte, in jedem ehrerbietigen Gruß nur eine captatio benevolentiae; und gegen meinen Vater habe ich sie selbst auf die glücklichste Art benutzt, denn ich habe nun endlich die schöne goldene Uhr, nach der so lange mein Sinn trachtete. – Nur muß ich dafür sorgen, daß niemanden diese Betrachtungen über meine Lehrstunden in die Hände fallen.

Es ist aber, als wenn der Unterricht aller meiner Lehrer, ja selbst meines Vaters, nur dahin ginge, daß ich lügen und mit den Worten spielen lernte, wenigstens ist die kluge Schmeichelei gewiß die Poesie, die am unmittelbarsten auf die Seele wirkt. – Ich glaube, alle Komplimente, die meinem Vater gemacht werden, und die er zurückgibt, sind nur Repetitionen aus einem früheren Unterrichte.

Ich muß selbst die Probe an den Menschen machen, die mich umgeben, vorzüglich am Koch und am Gärtner. Wenn der Satz richtig ist, so hat vielleicht jedermann eine schwache Seite, die man ihm abgewinnen muß, um ihn nach Gefallen zu benutzen. Das wäre wenigstens ein sehr lustiges Leben, wenn mir plötzlich alle Trauben des Gartens, alle Leckerbissen der Küche, ja selbst alle Goldstücke meines Vaters zu Gebote ständen.

Der Schlüssel zur ganzen Welt könnte wohl gar nichts anders, als die gepriesene captatio benevolentiae sein.

Es muß aber doch Menschen geben, die auf dieselben Gedanken gefallen sind, und ich fürchte, mein Vater, und die mehresten alten Herren, die ihn besuchen, gehören zu diesen. Gegen diese müßte man denn wie gegen einen ausgelernten Schachspieler, sein Spiel maskieren, sich als unbefangen und dumm gutmütig ankündigen, und so ihre Aufmerksamkeit einschläfern. Ich will wenigstens gegen meinen Vater sehr auf meiner Hut sein, denn wenn man einmal die Spur eines Menschen entdeckt hat, so muß es leicht sein, ihm zu seinem versteckten Lager zu folgen.

Wenn Herr Wilkens nur nicht wieder darauf fällt, daß ich Verse machen soll, eine andre Art Lügen zu bauen, die ich verabscheue, weil sie zu gar nichts führt. Man sage mir doch ja nicht vor, daß Empfindungen diese trostlosen abgezirkelten Zeilen hervorbringen; ich habe schon manchen weinen sehen, aber nie auf eine ähnliche Art sprechen gehört. Ich begreife auch nicht, wie ich oder irgend jemand durch ein fingiertes Trauerspiel gerührt werden kann. – Diejenigen, die Tränen vergießen können, sind wohl wieder eine andere Art von Lügnern vor sich selber, so wie jene, die die herzbrechenden Verse niederschreiben konnten. – So leben wir vielleicht auf einer unterhaltenden abwechselnden Maskerade, auf der sich der am besten gefällt, der am unkenntlichsten bleibt, und lustig ist es, wenn selbst die Maskenhändler, unsere Geistlichen und unsere Lehrer, von ihren eigenen Larven hintergangen werden.

 

Zwei Jahre nachher.

Gottlob! daß ich endlich von meinen lästigen Lehrern befreiet bin! Nichts als Worte und Phrasen! Ich habe bei diesem Unterricht nur die Menschen kennengelernt, die ihn mir erteilten, die so schwach und blöde waren, daß sie es gar nicht bemerkten, wie sie von mir und meinem Eigensinne abhingen.

Nichts kann mich so sehr aufbringen, als die Unbeholfenheit im Menschen, jene Blindheit, in der sie nicht sehen, welche Talente zu ihrem Gebote stehen, und wie Fremde ihnen plötzlich Zügel und Gebiß anlegen, und aus einem freien Tiere ein dienstbares machen. Durch ein paar unbesonnene Streiche ist der Kammerdiener meines Vaters, der sonst ein gescheiter Mensch ist, so in mein Interesse verwickelt, daß er es jetzt gar nicht wagt, ehrlich oder gegen mich zu handeln. Der Verwalter ist der gutherzigste Narr von der Welt, aber er hält mich für einen noch größern, und dadurch habe ich sein unbedingtes Zutrauen gewonnen.

In der Sprache muß man sich gewisse Worte und Redensarten merken, die wie Zaubergesänge dazu dienen, eine gewisse Gattung von Leuten einzuschläfern. Auf jeden Menschen wirken Worte, nur muß man ihn etwas kennen, damit man die rechten nimmt, um sein Ohr zu bezaubern. Der Verwalter hört gern von Ehrlichkeit der Menschen reden, er liebt es, wenn man auf die Niederträchtigen schimpft; wenn ich dies tue, und die Worte mit einer gewissen Hitze ausspreche, so weiß er sich vor Freuden nicht zu lassen, und drückt mir in seinem Entzücken die Hände. Auf diese Art muß man den Schatz unserer Sprache studieren, um die wahre Art zu sprechen zu finden. Es fällt mir immer ein, daß die Menschen offenbar Narren sind, die so reden wollen, wie sie denken, die ganze Welt dadurch beleidigen, und sich nur Schaden stiften. Ich denke für mich und spreche für die andern, folglich muß ich nur sagen, was diese gern hören. Es wird auch niemand erwarten, daß ich die sogenannte Wahrheit rede, so wenig wie ich es von einem andern fordere, denn sonst müßte ich nie jemanden etwas Schmeichelhaftes sagen, so wenig wie ich von irgendeinem ein Kompliment bekommen würde. Die Sprache ist nur dazu erfunden, um etwas zu sagen, was man nicht denkt; und wie selten denkt man selbst ohne zu lügen!

Die sogenannten Wahrheitsfreunde sind daher Menschen, die ausgemachte Toren sind, die selbst nicht wissen, was sie wollen, oder sie sind eine andere Art von Lügnern. Sie haben sich in den Kopf gesetzt, daß in ihrer Wahrheitssagerei ihr Charakter bestehet, und sie sagen daher von sich und andern Leuten eine Menge Sachen, die sie wirklich nicht denken, sie wollen sich nur auf diese Art auszeichnen, und sich freiwillig verhaßt machen. Sie sehen nicht ein, daß unsere ganze Sprache schon für die Begriffe und Dinge, die sie bezeichnen soll, äußerst unpassend ist, daß schon diese die Unwahrheit sagt, und daß es daher unsere Pflicht ist, ihr nachzuhelfen.

Der Grund von allen unsern Künsten, von allen unsern Vergnügungen, von allem, was wir denken und träumen – was ist er anders als Unwahrheit? – Plane und Entwürfe, Tragödien und Lustspiele, Liebe und Haß, alles, alles ist nur eine Täuschung, die wir in uns selber erzeugen; unsere Sinne und unsere Phantasie hintergehen uns, unsere Vernunft muß daher falsche Schlüsse machen; alle Bücher, die geschrieben sind, sind nur Lügen, wovon die letzteren die ersteren in ihrer Blöße darstellen sollen; und doch soll ich den kleinen Teil meines Körpers, die Zunge, der Wahrheit widmen? Und wenn ich es wollte, wie kann ich es?

 

Ein Jahr nachher.

Mein Vater ist gestorben, und die ganze Welt wünscht mir Glück, mit Worten, die wie Kondolenzen gestellt sind. Viele suchen sich mir zu empfehlen, und manche darunter meine schwache Seite ausfindig zu machen. Die Menschen, die meinem Vater viel zu danken haben, ziehen sich ganz zurück, und tun, als wenn er nie auf der Erde gewesen wäre. Alle Weiber, die mich als Kind manchmal auf ihren Schoß genommen haben, präsentieren mir ihre Töchter, die sich mit allen Reizen aussteuern. Die Bedienten haben Pensionen und sind froh, selbst der Verwalter, dem etwas an seinem Gehalte zugelegt ist. – Wo sind denn nun die Menschen, die so viel fühlen wollten? Wer kann denn nun noch mit seinen Empfindungen prahlen? – Ein Bettler geht unten vorbei, den ich weinen sehe, weil mein Vater ihm wöchentlich etwas gab. Er weint, weil er fürchtet, daß er jetzt sein Einkommen einbüßen wird. – –Ich habe ihm etwas heruntergeschickt, und er geht mit einem frohen Gesichte fort; er weinte vielleicht bloß, um mein Mitleiden zu erregen.

Die Menschen sind gewiß nicht wert, daß man sie achtet, aber doch muß man sich die Mühe geben, mit ihnen zu leben. Ich will sie kennenlernen, um nicht von ihnen betrogen zu werden, denn wie kann ich dafür stehen, daß nicht irgendeinmal meine Eitelkeit, oder eine andre meiner Schwächen meine Vernunft verblendet?

Alles schmeichelt mir jetzt, selbst die Menschen, von denen ich weiß, daß sie mich nicht leiden können und mich verachten. Alle denken, wenn sie mich erblicken, an mein Vermögen, und alle Bücklinge und Erniedrigungen gelten diesem Begriff, der nur auf eine zufällige Weise mit mir selber zusammengefallen ist. Diese Vorstellung von meinem Reichtum beherrscht alle die Menschen, die in meine Atmosphäre geraten, und wohin ich trete, folgt mir diese Vortrefflichkeit nach. Ich kann es also niemand verargen, wenn er sein Vermögen und seine Herrschaft über die Gemüter zu vergrößern sucht, denn dadurch wird er im eigentlichsten Verstande Regent der Welt. Ein goldner Zauberstab bewaffnet seine Hand, der allen gebeut. Dies ist das einzige, was noch mehr wirkt, als alle möglichen Captationes benevolentiae.

Solange man bei recht vielen Leuten den Gedanken erzeugen kann, daß man ihnen wohl nützlich sein könnte, hat man viele Freunde. Alle sprechen von Aufopferung und hohen Tugenden, bloß um uns in eine solche heroische Stimmung zu versetzen. Diese Situation aber gibt zugleich Gelegenheit, sie auf mancherlei Art zu nutzen, und sie so zu verwickeln, daß sie am Ende schon froh sind, wenn sie nur aus den Netzen freigelassen werden.

Man lebt in der Gesellschaft wie ein Fremdling, der an eine wilde barbarische Küste verschlagen ist; er muß seine ganze Bedachtsamkeit, alle seine List zusammennehmen, um nicht der Rotte zu erliegen, die ihn mit tausendfachen Künsten bestürmt. Wenn man es vermeiden kann, daß das Leben ein Hasardspiel wird, so hat man schon gewonnen. Seltsam, daß alle zu gewinnen trachten, und manche doch die Karten nicht zu ihrem Vorteile mischen wollen! Für den Klügern muß es keinen Zufall geben.

 

Im zwanzigsten Jahre.

Der junge Lovell ist ein Narr, recht so, wie man sie immer in den Büchern findet. Ich habe das wunderbare Glück gehabt, ihn zu meinem Freunde zu machen. Er spricht gerade so wie die Dichter, die er sehr fleißig liest, und ich möchte wetten, er macht selber Verse. Er hat mir schon in den ersten Tagen alles anvertraut, und es ist schade, daß seine Geheimnisse so unbedeutend und kindisch sind. Sein Vater ist ebenfalls ein einfältiger Mensch, aber er scheint mir doch nicht ganz zu trauen; es mag wohl irgend etwas in meinen Mienen oder Gebärden liegen, was ich noch wegzuschaffen suchen muß. Unser Körper soll in allen unsern Wendungen mit unserer Sprache korrespondieren, und das ist dann die eigentliche Lebensart.

Freundschaft ist eines von den Worten, die im Leben am häufigsten genannt werden, und man muß ebensowohl Freunde als Kleider haben, und von ebenso verschiedener Art. Freunde, die mit uns spazierengehn, und uns Neuigkeiten erzählen; Freunde, die uns mit Leuten bekannt machen, mit denen wir gern in Konnexion kommen möchten; Freunde, die uns gegen andere loben, und uns Zutrauen erwerben; andere Freunde, von denen wir im gesellschaftlichen Gespräche manches lernen, was zu wissen nicht unnütz ist; Freunde, die für uns schwören; Freunde, die, wenn wir es so weit bringen können, und die Gelegenheit es erfordert, sich für uns totschlagen lassen. Aus dem Lovell könnte vielleicht einer von den letzten gemacht werden, denn er gibt mir selbst freiwillig alle die Fäden in die Hand, an denen er gelenkt werden kann. Ich halte es für eine Notwendigkeit, daß ich mich hüte, mich irgendeinem Menschen zu vertrauen, weil er in demselben Augenblicke über mir steht.

Lovell ist etwas jünger als ich, und er macht vielleicht noch dieselben Erfahrungen, die ich schon jetzt gesammelt habe. Das Alter ist bei gleich jungen Menschen oft sehr verschieden, und ich bin mir durch einen Zufall vielleicht selbst um viele Jahre vorausgeeilt; ich fühle wenigstens von dem Jugendlichen und Kindischen nichts in mir, das ich an den meisten Jünglingen und an Lovell so vorzüglich bemerke. Mich verleitet die Hitze nie, mich selbst zu vergessen; ich werde durch keine Erzählung in einen Enthusiasmus versetzt, der mir schaden könnte. Mein Blick richtet sich immer auf das große Gemälde des verworrenen menschlichen Lebens, und ich fühle, daß ich mich selbst zum Mittelpunkte machen, daß ich das Auge wieder auf mich selbst zurückwenden muß, um nicht zu schwindeln.

Jeder redet im Grunde eine Sprache, die von der des andern völlig verschieden ist. Ich kann also mich, meine Lage, und meinen Vorteil nur zur Regel meiner Denk- und Handelsweise machen, und alle Menschen treffen zusammen, und gehen einen Weg, weil alle von demselben Grundsatze ausgehn. Ein buntes Gewebe ist ausgespannt, an dem ein jeder nach seinen Kräften und Einsichten arbeitet, ein jeder hält das, was er darin tut, für das Notwendigste, und doch wäre der eine ohne den andern unnütz. Inwiefern mein Nachbar wirkt, kann ich nur erraten, und ich muß daher auf meine eigene Beschäftigung achtgeben.

Viele Menschen wissen gar nicht, was sie von den übrigen fordern sollen, und zu diesen gehört Lovell. In Gedanken macht er sehr große Prätensionen an meine Freundschaft. Ich fordre von den Menschen nicht mehr, als was sie mir leisten; und dies vorher zu wissen, ist der Kalkül meines Umgangs; je gewisser ich diesen rechne, je mehr kenne ich die Menschen, und das ganze übrige Wesen von Zuneigung und Wohlwollen, uneigennütziger Freundschaft, und reiner Liebe, ist nichts als poetische Fiktion, die mir gerade so vorkömmt, wie die Gedichte an die Diana und den Apollo in unsern Dichtern. – Wer sich daran erlustigen kann, dem gönne ich es recht gern, aber allen diesen Menschen, die im Ernste davon sprechen können, ist die Binde der Kindheit noch nicht von den Augen genommen. Diese sind nützliche Mobilien für den ältern und klügern, der sie auf eine gute Art anzustellen weiß.


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