Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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29
Willy an seinen Bruder Thomas

Rom.

Ich bin jetzt hier, Thomas, so Gott will, etwas besser dran, darum werde ich auch wohl noch eine Zeitlang hierbleiben. Mit meinem Herrn steh ich wieder auf einem recht guten Fuß, er hat mir alles ganz ordentlich abgebeten, und er ist seit etlichen Tagen weit freundlicher mit mir, als er zeit seines Lebens gewesen ist. Es ist gar nicht möglich, Thomas, daß man auf ihn recht böse sein kann, ich habe sogleich alles vergessen und vergeben. – Mir ist wieder ganz wohl und leicht, aber doch gar nicht so, wie im vorigen Jahre; ich reise doch sobald als möglich fort, ich kann nicht hierbleiben.

Sieh Thomas, die ganze Geschichte hat, so wie man zu sagen pflegt, ihren Haken. Mein Herr ist da vor dem Tore einem Mädchen gut, da wohn ich jetzt – ach, nein Thomas, glaube nichts Böses von mir. Ich kann wahrhaftig nicht dafür, daß ich es meinem Herrn versprochen habe, daß ich mich so sehr weit eingelassen habe. Ich stellte ihm alles ganz ordentlich und christlich vor, aber da half kein Reden und Ermahnen, er wußte mir auf alle meine Worte sehr schön Bescheid zu geben, so daß ich am Ende gar nicht mehr wußte, was ich sagen sollte, und wie ein alter Narre vor ihm stand, so weichherzig hatte er mich gemacht. Er sagte, daß er dem Mädchen so ganz wundersehr gut sei, daß er sterben würde, wenn ich ihm nicht den Gefallen täte, und, da konnt ich's denn nicht übers Herz bringen. Nun war mir die Freude auch noch etwas Neues, daß ich wieder gut Freund mit ihm war; das hat denn auch viel dabei getan.

Nun wohn ich hier vor dem einen Tore recht hübsch, aber zwischen lauter eingefallenen Häusern und alten Steindenkmalen, da hat man die vergängliche menschliche Eitelkeit und die Nichtigkeit aller Dinge recht vor Augen, und kann so ernsthafte Betrachtungen wie auf einem Kirchhofe anstellen. Aber ich weiß doch auch recht gut, daß es nicht ganz recht ist, und ich gräme mich in manchen Stunden recht sehr darüber, daß ich den Schritt getan habe; aber der Mensch ist doch ein gar zu schwaches Geschöpf, und denn bin ich meinem Herrn Lovell gar zu gut, als daß ich ihm was abschlagen könnte, wenn er mich so recht herzbrechend darum bittet. – Je nun, Gott muß ja bei so vielen Sachen ein wenig durch die Finger sehn, so mag er mir denn auch einmal von seiner Gnade etwas zukommen lassen.

Lebe wohl, lieber Bruder. Du hast mir lange nicht geschrieben, tu es doch nächstens einmal wieder, und sage mir Deine Bedenklichkeiten darüber, und wie man es ändern müßte. – Bis dahin lebe wohl.

 

30
William Lovell an Rosa

Rom.

Ich habe Ihnen seit einigen Tagen keine Nachrichten gegeben, weil ich so vielerlei einzurichten und zu besorgen hatte, daß mir wirklich keine Zeit übrigblieb.

Ich habe nach vielen Umständen meinen alten Willy beredet, in die benachbarte leerstehende Hütte neben Rosalinen einzuziehen; dort gilt er für meinen Vater, einen alten Venezianer, der hiehergekommen ist, um in Rom sein dürftiges Auskommen zu finden. Ich heiße Antonio. – Ich bin nun den größten Teil des Tages in einer gemeinen Tracht, die mich recht gut verstellt, bei Willy. Wir haben schon mit unsern Nachbarinnen Bekanntschaft gemacht, die gegen Leute, die so arm wie sie scheinen, außerordentlich zuvorkommend sind. So ist alles im schönsten Zuge, und ich verspreche mir den glücklichsten Fortgang.

Was das Mädchen närrisch ist! Sie hat nun schon viel mit mir gesprochen, und ist außerordentlich zutraulich und redselig. Sie ist von einer bezaubernden lebhaften Laune, und hat mich, wenn ich nicht sehr irre, gern. Doch ich zweifle noch, denn in nichts in der Welt irrt man so leicht.

Wenn ich ein Maler wäre, schickt ich Ihnen ihr Bild, und Sie sollten dann selbst entscheiden, ob ich wohl zu viel von ihr spreche. Wie versteinert betracht ich oft die reizendste Form, die je aus den Händen der schaffenden Natur ging, den sanften, zartgewölbten Busen, der sich manchmal bei einer häuslichen Beschäftigung halb enthüllt, den schönsten kleinen Fuß, der kaum im Gange die Erde berührt. –

So leb ich denn hier zwischen den Ruinen, entfernt von der Stadt und allen Menschen ein sonderbares, traumähnliches Leben. Einen großen Teil des Tages bin ich in der Hütte, und sehe Rosalinen im kleinen Garten arbeiten; ich sehe in der Ferne Leute, die stolz vorüberfahren und -reiten, und ich bedaure sie, denn sie kennen Rosalinen nicht; sie jagen mühsam nach Vergnügen, und denken nicht daran, daß die höchste Seligkeit hier in einer seitwärts gelegenen Hütte wohnt. Mittags und abends eß ich bei Rosalinen, das haben wir gleich am zweiten Tage miteinander richtig gemacht; wir sparen, wie die Alte bemerkte, beide dabei. – Ach, Rosa, wie wenig braucht der Mensch, um glücklich zu sein! Ich gebe, seitdem ich hier wohne, nicht den hundertsten Teil von meinem Gelde aus, und bin froh. – Daran denkt man so selten in jenem Taumel; – aber wie viel gehört auch wieder zum Glücke! – Würd ich diese dumpfe Eingeschränktheit ertragen, wenn mir Rosaline nicht diese Hütte zum Palaste machte? O jetzt versteh ich erst diesen so oft gebrauchten und gemißbrauchten Ausdruck.

Es tut mir leid, wenn ich fortgehen muß, um zu tun, als wenn ich irgendwo arbeitete. Einmal habe ich schon auf den einsamen Spaziergängen, die ich dann mache, die Alte getroffen, die in einem Korbe dürre Reiser sammelte. Ich muß mich also in acht nehmen, und ich kleide mich daher oft bei Willy um, und schleiche nach der Stadt.

Warum liebt sie mich nicht so, wie ich sie anbete? – Mein Leben ist ein rastloses Treiben ungestümer Wünsche, wie ein Wasserrad vom heftigen Strome umgewälzt, jetzt ist das unten, was eben noch oben war, und der Schaum der Wogen rauscht und wirbelt durcheinander, und macht den Blick des Betrachtenden schwindlicht.

 

31
Rosa an William Lovell

Tivoli.

Sie fangen an mit Ihrer Geschichte recht amüsant zu werden. Es ist ja alles so schön, wie man es nur im besten Romane verlangen kann. Ich wünsche Ihnen Glück, denn es ist gewiß, daß nichts uns unser trocknes, prosaisches Leben so poetisch macht, als irgendeine seltsame Situation, in die wir uns selber versetzen. Im Grunde besteht unser ganzes Leben nur aus solchen Situationen, und ich tadle Sie daher gar nicht, wenn Sie sich Ihre Empfindungen so lebhaft als möglich machen. Fahren Sie nur fort, ebenso aufrichtig gegen mich zu sein, als bisher, so werden mir Ihre Nachrichten viel Vergnügen machen. Sein Sie aber auch, wenn es irgend möglich ist, aufrichtig gegen sich selbst: denn sonst entsteht am Ende eine gewisse fade Leere, die man sich mit Enthusiasmus auszufüllen zwingt; dies sind die widrigsten Epochen des Lebens. Man quält sich dann, das Interesse noch an denselben Gegenständen zu finden, weil es uns scheint, als machten sie unsern Wert aus. Jede Illusion aber, die kein Vergnügen macht, muß man emsig vermeiden. Man sollte sich überhaupt von Jugend auf daran gewöhnen, die äußern Gegenstände um sich nur als Spiegel zu betrachten, in denen man sich selber wahrnimmt, um in keinem Augenblicke des Lebens von ihnen abzuhängen. Je mehr alles um uns her von uns abhängt, um so sklavischer es uns gehorcht, um so höher steht unser Verstand. Denn darin kann die Vernunft des Menschen unmöglich bestehen, seltsame Dinge zu erfinden, oder zu begreifen, sondern damit er durch sie ihm gleichgeschaffne Wesen nach seiner Willkür lenke. Auf die Art kann der kluge Mensch allen gebieten, mit denen er nahe oder fern in Verbindung steht. Die Herrschaft des Verstandes ist die unumschränkteste, und Rosaline wird gewiß bald unter dem Gebote meines verständigen Freundes stehn, wenn er sich nicht von ihr beherrschen läßt, und selbst seine Vernunft unterdrückt. Ich wünsche Ihnen Glück, um nie in diesen Fall zu kommen.

 

32
William Lovell an Rosa

Rom.

Es ist gewiß, daß man unter unschuldigen Menschen selbst wieder unschuldig wird. Jetzt kommen mir manche meiner Ideen zu gewagt vor, die mir sonst so natürlich schienen; ich bin hier in der kleinen Hütte demütiger, ja ich fühl es, daß ich ganz einer von den Menschen werden könnte, die ich mir bisher gar nicht deutlich denken konnte; die in einer engen dunkeln Stube geboren, nur so weit ihre Wünsche richten, als sie um sich sehen können; die mit einem Gebete erwachen und schlafen gehen, Märchen hören und im stillen überdenken, mit einem dumpfen, langsamen Fleiße eine Handarbeit lernen, und nichts so sehnlich als den Abend und die Schlafstunde erwarten. O Rosa, wenn man dies Leben näher kennenlernt, so verliert es sehr viel von seiner drückenden Beklemmung. Wir machen aus unserm Leben so gern ein ununterbrochnes Vergnügen, und suchen Unannehmlichkeiten mühsam auf, um die Freude durch den Kontrast zu würzen: bei diesen Menschen aber ist jedes unerwartete Vergnügen ein Weihnachtsfest, wie ein plötzlicher Sonnenblick an einem kalten Regentage scheint es hell und frisch in ihre Seele hinein. Ich werde mich künftig hüten, die Menschen mit dumpferem Sinne so sehr zu verachten.

Wenn ich in meinem kleinen Besitztume jetzt auf und ab gehe, über das Feld und nach der Stadt hinübersehe, Rosalinens Stimme von nebenan höre, und ich mich so recht ruhig und glücklich fühle, der Tag ohne Verdruß und Widerwillen sich schließt; so komme ich manchmal auf den Gedanken, in dieser Lage zu bleiben, hier ein Bauer zu werden, und das reinste, frischeste Glück des Lebens zu genießen. – Vielleicht bliebe ich hier immer froh und zufrieden – vielleicht! – ach, die Wünsche, die Neigungen des Menschen! – Welcher böse Genius hat diesem Bilde, als es vollendet war, so viel der widersprechenden Triebe beigemischt!

Doch hinweg davon. O Rosa, nennen Sie mir ein Schauspiel, das dem an Reiz gleichkäme, wenn sich eine schöne, unbefangne Seele mit jeder Stunde mehr entwickelt. Wir sind jetzt bekannter miteinander, ich und Rosaline, ich habe sie täglich gesehn und gesprochen, mein anscheinendes Unglück hat sie gerührt. – Sie ist so das reine Bild einer Mädchenseele, ohne die feinere Ausbildung, die die Erscheinung zugleich verschönert und entstellt. Da uns die Verschiedenheit des Standes kein Hindernis in den Weg gelegt hat, so sind wir auf einem recht vertrauten Fuße miteinander. – Wir sitzen oft im finstern Winkel, und sprechen über unser Schicksal, sie erzählt mir Familiengeschichten, oder wunderbare Märchen, die sie mit außerordentlicher Lebhaftigkeit vorträgt; dann singt sie wieder ein kleines Volkslied, und begleitet es mit den Tönen der Laute. – Es gibt keine Musik weiter, als diese kleinen, tändelnden, fast kindischen Lieder, die so gleichsam im simpeln Gang des Gesanges das Herz auf der Zunge tragen, und wo nicht Töne, wie ungeheure Wogen steigen und fallen, und sich in einen wilden Zug mischen, der kreischend sich durch alle Tonarten schleppt, und dann in ein Chor aller stürmenden Instrumente versinkt. Das Herz bleibt um so leerer, je voller das Ohr ist; die Seele kann nur diesen stillen Gesang so recht aus dem Grunde genießen, hier schwimmt sie mit dem silbernen Strome in ferne dunkle Gegenden hinunter, die leisesten Ahndungen erwachen in den Winkeln, und gehn still durch das Herz, und Rückerinnerung eines früheren Daseins, wunderbares Vorgefühl der Unsterblichkeit rührt die Seele an.

Wenn ich ihr gegenübersitze – o wie Feuer weht mich ihr Atem an! Ich habe ihr schon an den Busen stürzen wollen, und diese Reize mit unzähligen Küssen bedecken; ich träume oft so lebhaft vor mir hin, daß ich nachher ungewiß bin, ob ich es nicht schon getan habe. Es reißt mich eine unbekannte Kraft zu ihr hinüber, die Töne ihrer Laute klingen mir oft schmerzhaft im Kopfe nach – und bald, bald muß es sich ändern, oder ich verliere den Verstand.

Als ihre Mutter neulich schlafen gegangen war, und ich mit ihr vor der Türe saß, entdeckt ich ihr meine Liebe. Sie war gerührt und zärtlich, und sagte mir sehr naiv, daß sie schon einen Bräutigam habe, und mich daher nicht lieben dürfe, wenn sie auch herzlich gern wolle. Es ist ein armer Fischer, der jetzt einer kleinen Erbschaft wegen zu Fuße nach Kalabrien gegangen ist; sie beschrieb ihn mir sogleich, und gestand mir ganz unverhohlen, daß er so hübsch nicht sei, als ich.

Sie rührte mich, als sie mir die Einrichtung ihrer künftigen kleinen Wirtschaft beschrieb. Wie beschränkt sind die Wünsche dieser Menschen! Wenn ich an meine Verschwendung denke, wie ein weggeworfner oder verspielter Teil meines Vermögens dies herrliche Geschöpf glücklich machen würde! – Ich lerne viel in diesen Hütten, Rosa, ich glaube, ich lerne hier mehr ein Mensch sein, und mich für das Unglück der Menschen interessieren. – Und sie sollte hier für einen armseligen Schiffer aufgeblüht sein? Für einen Verworfenen, der sich vielleicht glücklich schätzen würde, wenn er mein Bedienter werden könnte? – Nimmermehr! – Dagegen muß ich Vorkehrungen treffen, und ich denke, das Beste ist schon geschehen. Wir nennen uns du. Gestern saß sie auf einem niedrigen Schemel, und schaukelte sich während dem Erzählen; plötzlich wollte sie fallen, ich fing sie auf, und fühlte die schöne Last in meinen Armen. Ich drückte sie an mich und sie wand sich verlegen und errötend von meinem ungestümen Busen.

Sie ist sich mit ihren dunkeln Trieben selbst ein Rätsel: sie kommt mir in manchen Augenblicken mit ihrer Unschuld wie eine heilige Priesterin, oder wie eine unverletzliche Gottheit vor; – und dann wieder die feurigen Augen! Der mutwillige Zug um den Mund! –

Ich habe neulich in der Ferne für mich ein paar schalkhafte italienische Liedchen gesungen, und ich ertappte sie gestern, wie sie eben, wie unwillkürlich, die ersten Takte griff, und den Anfang sang. – Plötzlich hielt sie inne, ward ohne zu lachen, rot, und legte die Laute fort, gleichsam wie eine gefährliche, nicht genug verschwiegene Freundin. – Ich kenne nichts Schöners, als diese ungeschminkte Natur zu studieren; o sie wird, sie muß die Meinige werden! – Stammelnd hab ich ihr die Ehe versprochen, und, das weiß Gott! wenigstens halb im Ernst. –

Soeben seh ich sie vor die Türe treten, ich gehe zu ihr; – leben Sie wohl.


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