Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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21
William Lovell an Rosa

Nottingham.

Wie mögen Sie in Rom und Tivoli leben? Ich denke kaum noch an meine Existenz, so bunt und verworren wirft sich alles übereinander. Ich fange Zufälle und Begebenheiten auf, ohne zu wissen, was ich mit ihnen tun soll.

Wenn ich aus meinem Herzen nur den innigen Widerwillen fortschaffen könnte, mit dem ich jede menschliche Gestalt betrachte, wenn ich den Neid unterdrücken könnte, gegen jedermann, der lächelt und froh ist! – Warum müssen sich Tausende unter den nichtswürdigen Menschen glücklich fühlen, und nur ich allein bin in mir selbst zu Boden getreten?

Sie sehn aus der Überschrift, daß ich nicht mehr in Bondly bin, alles ist mißlungen, ich bin in Verzweiflung. Eduard hat triumphiert und ich bin besiegt. – Doch nein, ich habe mich wenigstens an ihm gerächt.

Als ich in Bondly war, erwachte alles in mir, wie er die Güter meines Vaters gewiß auf eine unrechtmäßige Weise besitze, wie mir nun nichts übrig sei, als das unbedeutende Waterhall und das armselige Kensea. Der Haß stand verdoppelt in meiner Brust auf, wenn ich bedachte, daß dies derselbe Mensch sei, der immer so viel über Edelmut und Tugend geschwatzt habe. Es kam mir von neuem in den Sinn, wie mir von je alle Plane mißlangen, wie der heimtückische Mortimer mir nun Amalien entrissen hat, wie sie selbst mich so schnell vergessen konnte, der Eigensinn meines Vaters, die Niederträchtigkeit des alten Burton – o alles kam so frisch und neu in meine Seele, daß ich mit den Zähnen knirschte, daß ich wütend daran dachte, wie armselig es um mein eignes Herz aussehe, daß ich mir zürnend vornahm, mich endlich zu rächen, Bosheit gegen Bosheit zu setzen und durch einen großen Streich dem Kriege ein Ende zu machen. Wir können nichts anders tun, als siegen oder besiegt werden; die sogenannte Tugend ist nur Geschwätz und besteht meistenteils in Trägheit oder Einfalt, bei den andern ist sie erzwungen, oder hängt mit ihrem Vorteile zusammen; sie ist ebensogut ein Gewerbe, wie irgendein anderes.

Meine Liebschaft mit der abgeschmackten Emilie ging indessen immer ihren Gang fort. Durch meine zerstörte Zufriedenheit bin ich nun wenigstens manchem aberwitzigen Mädchen interessant; wahrlich, bei jedem Verlust ist doch immer noch irgendein Gewinn.

Nach jenem Abend, von dem ich Ihnen neulich erzählte, wußte sie nicht recht, wie sie sich mit mir nehmen solle, ihre Empfindsamkeit war etwas gestört, und ihr eigentliches Gefühl mehr in Bewegung gebracht. Aber sie empfand es jetzt, daß sie mir einzig angehöre, sie war leicht dahin zu bereden, daß sie mit mir entfliehen wolle, ja sie war auf dem Wege, es mir selber anzutragen, wenn ich es nicht getan hätte. Tag und Stunde ward festgesetzt, und sie war mit ihrem Plane und ihrer hohen Aufopferung außerordentlich zufrieden.

Ich glaubte schon in jeder Rücksicht sicher zu sein, und dennoch hatte mich ein Mensch im Schlosse erkannt, mein alter Bedienter Willy. Ohne daß ich es merkte, war er auf alle meine Bewegungen sehr aufmerksam, er beobachtete mich beständig und seine Blicke waren mir oft ängstlich. Die Liebe dieses Menschen hat mich von je verfolgt, und jetzt hat sie mich elend, ja unsinnig gemacht. Ich haßte Eduard aus dem tiefsten Herzen und dachte dabei unaufhörlich an meine Aufträge; unbemerkt, wie ich glaubte, schüttete ich an einem Morgen ein feines Gift in ein Glas mit Wein, um mich so zu rächen und alles wieder gutzumachen.

Bald darauf entsteht ein gewaltig Gelaufe im Hause, Türen werden zugeschlagen, man schreit laut nach Hülfe, ich werde endlich mit Gewalt von meinem Zimmer heruntergeschleppt – und Willy hat mich bemerkt, Eduard gewarnt, und endlich in einer Art von Verrückung und um zu beweisen, daß er recht habe, selbst den Wein getrunken. Er war schon halb ohne Bewußtsein, das Gift wirkte auf den alten schwachen Körper unmittelbar, das in dem stärkern, jugendlichern erst nach einigen Wochen seine Folgen gezeigt hätte. – Willy küßte meine Hände, weinte und klagte, ich war völlig betäubt. Er sank zu meinen Füßen nieder, und beschwur mich auf meine Seligkeit bedacht zu sein. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte und ward endlich gerührt. Ich weinte laut, und mir war zumute, wie einem Kinde. – Willys Bruder konnte sich über dessen Tod gar nicht zufriedengeben, er heulte laut und die Bedienten weinten mit ihm. Das ganze Zimmer ertönte vom Klaggeschrei, Eduard war nicht zugegen.

Aber bald versiegten meine Tränen, ein kalter Haß ging durch mein Herz und durch meine ganze Brust, ich sah mich mit gleichgültigem Auge um, ob nicht in jedem Winkel eine Furie stände, mit Schlangen in den Haaren. Ich wünschte sie alle herbei, und ich hätte mich vor keiner entsetzt. – Ich berechnete jetzt, wie lange der Schmerz wohl noch in allen diesen Menschen kämpfen würde, und es war interessant zu beobachten, wie nach und nach die gewöhnliche Trägheit zu jedem zurückkehrte. Sie erschienen mir nun wie unbeholfene Maschinen, die an groben Fäden bewegt werden, sie drehen die verschiedenen Gliedmaßen nach vorgeschriebenen Regeln, und setzen sich dann wieder in Ruhe. Keiner schien mir lebendig und ich ging kalt auf mein Zimmer zurück und konnte mich gar nicht davon überzeugen, daß Willy gestorben sei.

Und was ist denn das Leben, und was ist es denn mehr, wenn einer von ihnen sich um einige Tage früher in die Erde legt? Rafft Krieg und Pest nicht Tausende hinweg? Werden nicht Tausende Schlachtopfer ihrer Leidenschaften? Und wenn ich unversehends die Hand ausstrecke und plötzlich einer zu Boden stürzt, das sollte mich kümmern und mir Ruhe und Schlaf rauben? – Man sollte gar nichts in der Welt ernsthaft nehmen. Eine schreckliche Seuche kömmt mir vor wie ein ungeschickter Spieler, der unter dem Spiele die Schachfiguren mit dem Ärmel durcheinanderwirft. Man kann nur darüber lachen.

Am andern Tage kam Eduard auf mein Zimmer. O wie verhaßt war mir seine kalte, philosophische Miene, der mitleidige Blick, mit dem er mich von oben herab betrachtete! Wie zerreißen die Menschen unser Herz, die sich für edel und vollendet halten und nie etwas erfahren und gelitten haben! die in ihrer sichern Landheimat von den Wogen und Stürmen des Meers, von Schiffbruch und schrecklichen Gefahren, wie von Fabeln reden hören und lächelnd den Kopf schütteln! – Welche Geduld ist hier eisern genug, um nicht zu brechen? Man möchte bei einem solchen Anblicke rasend werden!

O ihr Sichern und Überzeugten! ihr richtet und wisset nicht, was ihr tut. Ihr würfelt mit plumpen Händen darum, was ihr gut und was ihr böse nennen wollt, ihr seid kalte und alberne Zuschauer, die eine Tragödie in einer Sprache spielen sehen, die sie nicht verstehen, und die sich nur zunicken und bedeutende Winke geben, um einer vor dem andern seine Unwissenheit zu verbergen.

Eduard sprach nur wenig mit mir, er spielte den gnädigen Herrn; es war mir lieb, daß er bald ging. Er verdiente nicht, daß ich ihm antwortete, und er bemerkte es recht gut, wie sehr ich ihn verachtete.

Es nahte sich die Nacht, in der ich mit Emilien entfliehen wollte. Ich war eben im Begriffe aus dem Fenster zu klettern, als sich die Türe eröffnete und Burton mit einer kleinen Laterne hereintrat. Er sagte mir, ich solle ihm folgen, weil ich in seinem Hause nicht mehr sicher sei. Wir gingen stillschweigend durch den Garten und er gab mir Papiere, die, wie ich nachher gesehen habe, viele sehr ansehnliche Wechsel waren. Hinter dem Garten liegt ein Wald und wir gingen auf einem schmalen gewundenen Fußsteige. Ich wartete immer darauf, daß Burton sprechen solle, aber er war heimtückisch und still. In meinem Innern war ich dürr und ausgestorben, und aus einer gewissen Furcht hätt ich ein paarmal die Stille beinahe durch ein lautes Gelächter unterbrochen.

Wir standen endlich still. Wir schwiegen und wie drückende Gewitterluft ängstigten mich diese Minuten. Ich suchte nach Gedanken, um das Gräßliche, das darin lag, zu verscheuchen – ich wollte fort, und verzögerte dann gern wieder den Moment der Trennung – es war eine von jenen seltsamen Pausen, in denen die Seele unschlüssig ist, ob sie über den Körper gebieten soll, in denen sie an ihrem Willen zweifelt und sich an der trägen Maschine nicht auf eine bedenkliche Probe stellen will.

Durch ein paar Worte unterbrach Eduard das Stillschweigen und ging zurück; er kehrte wieder um, als wenn er etwas vergessen hätte; dann ging er wieder, und eine große Träne preßte sich in mein Auge, eine Angst drängte fürchterlich aus der Brust zur Kehle hinauf; mir war, als wenn ich ersticken sollte. Ich ging einige Schritte und suchte durch meinen lauten Gang mein Schluchzen zu übertönen. – Ich sah zurück, er hatte die Laterne schon ausgelöscht, damit ich ihn nur desto früher aus dem Gesichte verlieren möchte.

Was empfand ich in diesem Augenblicke! – Rosa, Sie können es nicht begreifen. – Ich habe ihn noch vor einigen Jahren so innig geliebt, ich glaubte damals, daß es ihm eine Kleinigkeit sei, sein Leben für mich zu versprützen – und jetzt, in dieser Stunde meines Lebens, in der er wußte, daß er mich nie wiedersehen würde, jetzt ließ er mich gehen, ohne ein Wort zum Abschiede zu sagen, ohne meine Hand zu nehmen, ohne ein Lebewohl! Ich habe ihm so oft die Hand gedrückt, ohne daß er es verdiente, er hätte es ja wohl auch jetzt tun können, und wenn es auch nur Verstellung gewesen wäre.

Doch besser, daß es nicht geschehen ist. Ich war zu weich; hätt er nur ein gutes Wort gesagt, so wär ich ihm an die Brust gestürzt, und hätte ihm alles bekannt, ich wäre wieder in meine Kindheit zurückgesunken, ich hätte alle meine Erfahrungen abgeschworen; ich hätte ihm die Flucht Emiliens, und alles entdeckt, ich wäre in der gewaltigen Rührung vielleicht zugrunde gegangen. Er verdiente es nicht, wie sehr ich ihn liebte; alles kam mir zurück, was er mir einst gewesen war, und was ich von ihm gehofft hatte; – es war mir als wenn er mich riefe, und ich stand stille und wollte umkehren, aber es war nur der Schall des Windes im Forste.

Ich wußte immer noch nicht, ob ich nicht dennoch zurückgehen sollte; je weiter ich fortschritt, je ängstlicher klopfte mein Herz – ach und er hat sich nicht nach mir umgesehen, er hat nicht weiter an mich gedacht.

Ich war zweifelhaft, ob ich nach dem Orte hingehen sollte, wo Emilie auf mich wartete. Alles war mir jetzt zuwider. Ich hätte mich niederwerfen mögen, und weinen und sterben. Aber mein Haß kehrte endlich zurück. Sonderbar! daß er mich selbst auf den Weg nach Emilien hatte bringen müssen, den ich ohne ihn in der finstern Nacht vielleicht verfehlt hätte! – Sie hatte schon seit einer halben Stunde ängstlich auf mich gewartet, ich setzte mich in den Wagen, und wir fuhren davon.

Emilie hielt mich fest in ihren Armen; der Wind ging scharf, und ein feiner Regen trieb in den halboffenen Wagen hinein. Meine Lebensgeister waren erschöpft; ich schlief ein, und erwachte nur, als sich ein blasses Morgenrot am Himmel heraufzog.

Wie nüchtern kam mir die ganze Welt mit ihren Bergen, Wäldern und Menschen entgegen! Ich hatte angenehm geträumt, und die wirkliche Natur stand schroff und unbeholfen vor mir da; Emilie neben mir, mit ihrer affektierten hochbetrübten Miene. Wie ein bettelhaftes Winkeltheater kam mir die ganze Welt vor, oh! ich hätte aus ihr entlaufen mögen. – Und was würde mich noch auf dieser trüben Dunstkugel zurückhalten, wenn es nicht die Hoffnung wäre, Sie, Andrea und meine übrigen Freunde bald wiederzusehen? mich der unbekannten, geheimnisvollen Welt noch mehr zu nähern, und als der Schüler einer höhern Weisheit mit Recht jede irdische verachten zu können?

Ich bin mit Burtons Schwester unter fremden Namen hiehergereiset, und ich merke es sehr deutlich, daß sie es sich selber nicht gestehen will, daß sie sich nicht mehr so sehr für mich interessieret. Natürlicherweise! weil es wahrscheinlich, ja gewiß ist, daß ich gegen sie kälter geworden bin.

Leben Sie wohl. Sie werden diesen Brief mit einem frühern zu gleicher Zeit erhalten.

 

22
Eduard Burton an Mortimer

Bondly.

Wie ich mich jetzt hier einsam fühle, lieber Mortimer, kann ich Ihnen nicht beschreiben. Ich gehe oft noch in Gedanken nach dem Zimmer meiner Schwester, um sie dort anzutreffen; ich suche sie im Garten auf und weine. Ich fühle jetzt nicht mehr recht deutlich, warum ich lebe, denn alle Wesen, die mit mir in so naher Beziehung standen, sind mir entrissen. – Sollte ich auch meine Schwester niemals wiedersehen? – Wenn ich nur wüßte, wo ich sie suchen sollte, wenn nur nicht ein Fieber meinen Körper erschöpft hätte. – Und dann ist es ja ihr Wille gewesen, mich zu verlassen.

Oh! wie vielen Menschen habe ich Unrecht getan! War ich durch ein kränkendes, menschenfeindliches Mißtrauen nicht Ursache, daß der arme, geängstete Willy nach dem Gifte griff, um mich von seiner Unschuld zu überzeugen? Ich habe seitdem oft an den alten frommen Mann gedacht, und ich kann mich recht in seine Seele versetzen: halb wahnsinnig, aus Gram über Lovell, den er so innig liebte, in der schrecklichsten Verlegenheit, mich zu warnen, und doch seinen Herrn nicht zu verraten, überrascht und erschreckt durch meinen Argwohn – von allen Seiten gedrängt, greift er zerstreut und unwillkürlich nach dem Tode, um nur seinem Leben ein Ende, und seine Unschuld deutlich zu machen. – Hätt ich ihm nicht mit Liebe entgegengehen sollen, um seinen Jammer zu lindern? – Ach Mortimer, ich war es, der ihm die schrecklichste Minute seines Daseins erleben ließ; ich war schuld an seinem Tode.

Hab ich nicht durch eigne Schuld Lovells Seele verloren? Konnt ich ihn nicht vielleicht mir und sich selber wiedergeben? – Ich war gespannt, und mein Schmerz hatte mich so weit überwältigt, daß ich unmenschlich war. Durch meine Kälte habe ich meine Schwester von hier vertrieben; kein Mensch liebt mich, keiner fragt nach mir, alle fliehen weit von mir weg, um mich nur aus dem Gesichte zu verlieren.

Nein, Mortimer! ich will mich nie wieder so überraschen lassen. Ich will alle Menschen, ohne irgendeine Ausnahme, lieben, und mir so ihre Gegenliebe verdienen. Ach! wenn auch Schwächen und Gebrechen an ihnen sichtbar sind, sie sollen mich dadurch nicht wieder zurückstoßen, denn eben das sind ihre Kennzeichen, daß sie Menschen und meine Brüder sind. Warum wollen wir denn auch immer die Bessern und die Schlechtern voneinander sondern? Können wir es mit diesen schwachen irdischen Augen? Wenn wir sie alle lieben, so tun wir keinem Unrecht. – Müssen sie nicht alle in einer kurzen Zeit sterben und in Staub zerfallen? Wir sollten uns beständig in acht nehmen, keines dieser gebrechlichen Gebilde zu verletzen. Mögen sie doch lachen und uns hassen und verfolgen; – oh! ich will lieber von Tausenden betrogen werden, als einem Unrecht tun.

Könnt ich nur alles wieder gutmachen! Aber Lovell ist fort, und es ist zu spät. – Wir können unsere Übereilungen gewöhnlich nur bereuen; und eben das sollte uns bewegen, uns mehr vor ihnen in acht zu nehmen.


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