Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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18
Der Advokat Jackson an den Baron Burton

London.

Hochwohlgeborner Herr!

Ich bin den Befehlen, die mir Ew. Gnaden neulich zukommen ließen, auf das treulichste gefolgt. Soviel es von mir abhängen konnte, habe ich den Gang des Prozesses beschleunigt, und ich bin fest überzeugt, daß ich jetzt so viel getan habe, als nur in meinen Kräften stand. Dieselben werden auch Ihre neulichen Briefe allbereits zurückerhalten haben, so daß ich den Befehlen, die Sie mir erteilten, die genauste Folge geleistet habe.

Jetzt hat sich nun ein Vorfall ereignet, der den ganzen Prozeß in kurzer Zeit völlig beendigen könnte, aber leider zu Ew. Gnaden Nachteil. Neulich saß ich noch spät in der Nacht in einem Zimmer auf dem Lovellschen Landgute, das mir der Besitzer eingeräumt hat, um dort zu arbeiten. Man hat mir die Erlaubnis gegeben, alles zu durchsuchen, wo ich irgend nur Belege und Papiere zur Aufklärung der Sache zu finden hoffte. Ich hatte schon ganz, so wie mein Patron, die Hoffnung aufgegeben, die bewußten Dokumente, die die Bescheinigung der Bezahlung enthalten, jemals aufzufinden, ich hatte schon alles durchforscht, was mir zu meinem Endzwecke nur irgend merkwürdig schien. Jetzt geriet ich in der Nacht über eine Schublade, die ich schon oft aufgezogen habe, und entdecke in dieser einen verborgenen Kasten, ich öffne ihn mit zitternder Hand, und finde, daß mich meine Ahndung nicht betrogen hatte. Die bewußten wichtigen Dokumente sind nunmehr in meiner Hand.

Ich würde es für Ungerechtigkeit halten, wenn ich nunmehr sogleich den Prozeß zu Lovells Vorteil beendigte, wie es jetzt allerdings nur eine Kleinigkeit wäre. Ich glaubte, ich sei es Ew. Hochwohlgeboren schuldig, Denenselben zuvor wenigstens von dieser Begebenheit Nachricht zu erteilen, um zu erfahren, ob Sie nicht noch vielleicht neue und wichtige Gründe vorzubringen hätten, die nachher etwas von ihrer Kraft verlieren möchten: oder ob Dieselben nicht überhaupt zuvor die Dokumente in Augenschein nehmen wollten, um ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen. Ich darf sie aber auf keinen Fall der Post anvertrauen, und Ew. Gnaden haben mir, einen Boten zu senden, ausdrücklich untersagt: es bleibt mir also kein andrer Weg übrig, als Ew. Gnaden zu ersuchen, die Reise hieher selber zu machen, oder mich nach Bondly kommen zu lassen; oder ich könnte Ihnen auch auf dem halben Wege bis Nottingham entgegenkommen. Ganz, wie Sie es befehlen.

Bis ich das Glück gehabt habe, Ew. Gnaden persönlich zu sprechen, bleibt dieser ganze Vorfall übrigens ein Geheimnis.

Daß ich es nicht am Diensteifer habe fehlen lassen, wird ein so scharfsichtiger Beobachter, als Ew. Gnaden sind, gewiß nicht zu bemerken unterlassen haben; wie sehr ihn Dieselben werden zu schätzen wissen, dies zu erfahren, hängt von der ersten mündlichen Unterredung ab, der ich mit großen Erwartungen entgegensehe. – In der tiefsten Verehrung habe ich die Ehre mich zu nennen

Ew. Gnaden treuergebenster Diener
Jackson.

19
William Lovell an Rosa

Rom.

Sie fragten mich gestern, was mir fehle. – Was hilft es mir, wenn ich nicht ganz aufrichtig bin? – Ich will es Ihnen gestehen, daß ein Brief des jungen Burton mir allen Mut und alle Laune genommen hatte. Die Vergangenheit kam so freundlich auf mich zu, und war so glänzend, wie mit einem Heiligenschein umgeben. Sie werden sagen: Das ist sie immer, und zwar aus keinem andern Grunde, als weil sie Vergangenheit ist. Aber nein, es lag noch etwas anders darin, ein Etwas, das ich nicht beschreiben kann, und das ich um alles nicht noch einmal fühlen möchte.

Sie werden vielleicht die Erfahrung an sich gemacht haben, daß nichts uns so sehr demütigt, als wenn uns plötzlich über irgendeine Sache oder Person die Augen aufgetan werden, die wir bis dahin mit Enthusiasmus verehrt, ja fast angebetet haben. Der nüchterne Schwindel, der dann durch unsern Kopf fährt, die Nichtswürdigkeit, in der wir uns selbst erscheinen, alles dies und Reue und Mißbehagen, alle üble Launen in einem trüben Strome, alles stürzte auf mich zu, und ergriff mich und riß mich mit sich fort. – Alles, was ich empfunden und gedacht hatte, ging wie in einem alles verschlingenden Chaos unter; alle Kennzeichen, an denen ich mich unter den gewöhnlichen Menschen heraushob, gingen wie Lichter aus, und plötzlich verarmt, plötzlich zur Selbstverachtung hinabgesunken, war ich mir selbst zur Last, und Himmel und Erde lagen, wie die Mauern eines engen Gefängnisses, um mich.

Ich erinnerte mich jetzt der trübseligen Augenblicke, die mich so oft im heftigsten Taumel der Sinne ergriffen hatten; der widrigen Empfindungen, die so oft schon mein Herz zusammenzogen, so vieler Vorstellungen, die mich unablässig wie Gespenster verfolgt hatten. – Wozu bin ich so umständlich? Bloß um Ihnen zu zeigen, wie aufrichtig ich bin; ich weiß, Sie werden meine Schwäche verachten, aber dem Freunde muß man keine Torheit verbergen. Heilen Sie mich von meinen Albernheiten, und beweisen Sie dadurch, daß ich Ihnen nicht gleichgültig bin.

Doch ich eile zu einer Begebenheit, die wichtiger ist, und die mich im Grunde schon alles hat vergessen lassen. Ich durchstreifte in der Dämmerung die Stadt; mir fiel ein, wie sehr ich mich in meiner Kindheit und Jugend hiehergesehnt hatte; mit diesen Empfindungen begrüßte ich die Kirchen und Plätze, und verlor mich aus der belebten Stadt in die einsamen unangebauten Gegenden. So ging ich durch die stille Flur und geriet endlich an die Porta Capena, oder Sebastiana. Ich ging hindurch.

Träumend verfolgte ich meinen Weg. Da stand ich vor dem runden Grabmal der Cäcilia Metella, das schauerlich im Dunkel leuchtete; dahinter die vielfachen Ruinen, wie eine zerstörte Stadt, wo durch die Sträucher, die zwischen Fenster und Türen gewachsen waren, Wolken von Feuerwürmchen schwärmten. Hinter Hügeln versteckt lag eine kleine Hütte, in welcher die Fenster hell und freundlich brannten. Ich hatte einen unwiderstehlichen Trieb nach diesem Hause hin, und fand einen kleinen Fußsteig. – Die Töne einer Laute kamen mir silbern durch die stille Nacht entgegen, und ich wagte nicht, den Fuß hörbar aufzusetzen. Bäume flüsterten geheimnisvoll dazwischen, und vor dem Hause goß sich ein goldner Lichtstreif durch das kleine Fenster auf den grünen Rasen. Jetzt stand ich dicht vor dem Fenster, und sah in eine kleine, nett aufgeputzte Stube hinein. Eine alte Frau saß in einem abgenutzten Lehnstuhle, und schien zu schlummern; ihr Kopf, mit einem reinen weißen Tuche umwickelt, nickte von einer Seite zur andern. Auf einem niedrigen Fußschemmel saß ein Mädchen mit einer Laute; ich konnte nur das freundliche Gesicht sehen, die kastanienbraunen Locken, die unter einer Kopfbinde zurückgepreßt waren, die freundlichen hellen Augen, die frische Röte der Lippen –

Ich stand wie bezaubert, und vergaß ganz, wo ich war. Mein Ohr folgte den Tönen, und mein Auge jeder Bewegung des Mädchens. Ich sah wie in eine neue Welt hinein, und alles kam mir so schön und reizend vor, es schien mir das höchste Glück in dieser Hütte zu leben, und dem Saitenspiele des Mädchens zuzuhören, dem Geschwätze der Alten und den kleinen Grillen in den Wänden. – Das Mädchen stand auf, das Licht zu putzen, das heruntergebrannt war, und ich ging scheu zurück, denn sie trat dicht ans Fenster. – Der schlankeste Wuchs, die Umrisse, wie von dem Busen der Grazien entlehnt, sogar den weißesten Arm konnte ich noch auf meinem schnellen Rückzuge bemerken. – Ich wagte es nicht, näher zu kommen, und sah nur Schatten hin und her fahren und über den Rasen hinzittern.

Die Lautentöne waren jetzt verstummt, und als ich endlich wieder näher trat, sah ich eben die Alte durch eine kleine Tür in die angrenzende Kammer wanken. Das Mädchen stand mit herabrollenden Locken in der Mitte des Zimmers, und löste halbschläfrig das Busentuch auf. – O Rosa, ich habe bis jetzt noch gar kein Weib gesehn, ich habe nicht gewußt, was Schönheit ist; gehen Sie mit Ihren Antiken und Gemälden; diese lebendigen, schöngeschlungenen zarten Umrisse hat noch kein Maler darzustellen gewagt. – Plötzlich sah sie auf, wie aus einer Zerstreuung erwachend, und trat ans Fenster. In demselben Augenblicke taten sich Fensterladen vor, und das Licht und die herrliche Szene, die es beleuchtet hatte, verschwand.

Ich fuhr wie aus einem Traume auf; wie man im Bette nach dem Gegenstande faßt, von dem man geträumet hat, so sah ich mich betäubt nach allen Seiten um, sie zu entdecken. – Ich taumelte in die Stadt zurück, und träumte die ganze Nacht nur von dem schönen unbekannten Mädchen.

Heute am Morgen war mein erster Weg durch die Porta Capena. Es war mir schwer, die Häuser zu entdecken, so in Träumen verloren war ich gestern. Endlich fand ich sie auf. – Aber es war mir doch alles anders. Ein kleiner Garten, fast nicht größer, als mein Zimmer, ist neben dem Hause mit einem bäuerischen Staket umgeben, darin stand das Mädchen; ich kannte sie gleich wieder, und mein Herz schlug schon, noch ehe sie mein Auge sah. – Aber aller Verstand und alle Überlegung verließ mich, ich wagte es kaum, das göttliche Geschöpf zu grüßen; sie dankte fremd – warum lächelte sie mich nicht an? – Ihr Lächeln muß wohltun, wie die Frühlingssonne. – Sie war fort, als ich wieder umkehrte. – Ich habe keine Ruhe, ich werde heut am Abend wieder dort sein; wenn ich in der Gegend stehe, ist mir zumut, wie in meiner Kindheit, wenn ich die schönen und abenteuerlichen Märchen hörte, die die jugendliche Phantasie gänzlich aus dieser Welt entrücken. –

 

20
Emilie Burton an Amalie Wilmont

Bondly.

Meine Meinung, geliebte Freundin, meinen Rat wollen Sie haben? Wissen Sie auch, welche gefährliche Rolle Sie mir da zuteilen? Denn ohne Zweifel ist es gefährlich, beim wichtigsten Schritt des Lebens den Ratgeber spielen zu wollen, und wenn ich recht aus dem Herzen Ihnen schreiben soll, wie ich denke, so muß ich fürchten, Ihnen Schmerz zu erregen. Aber wahre Freunde sollen nur einen Busen und ein Herz haben, und darum will ich es wagen, zu Ihnen ganz wie zu mir selbst zu sprechen.

Liebste, ich habe längst für Sie dem Himmel im stillen gedankt, daß der charakterlose Lovell sich von Ihnen zurückgezogen, daß er Sie vergessen hat. Ihre Jugend, Ihre Unerfahrenheit und Wohlwollen hat Sie über ihn und Ihre Empfindungen getäuscht. Er ist ein Elender, der keine Liebe verdient, am wenigsten meiner Freundin zartes und treues Herz. Ja, Geliebte, sehn Sie Ihre Verblendung für ihn als Krankheit an, und tun Sie zu Ihrer willigen Genesung die letzten Schritte, wenn auch Ihr Herz noch etwas dabei leiden sollte. Mortimer ist gewiß ein edler Mann, der Sie wahrhaft liebt. Gehn Sie dreist einem sichern ruhigen Glück entgegen, und nach einiger Zeit werden Sie sich wundern, daß Sie jetzt nur irgend zweifeln konnten. Sehn wir doch auf das Spielzeug unserer Kindheit mit Lächeln hinab. Ja, Geliebte, nicht Ihre Empfindungen, aber den Gegenstand Ihrer Empfindungen werden Sie verachten lernen: wenigstens weiß ich gewiß, daß ich in Ihrer Lage so fühlen und handeln würde. Nun vergeben Sie mir aber auch aus vollem Herzen, wenn ich Sie irgend kränke, so wie ich aus vollem Herzen gesprochen habe.

 

21
Mortimer an Karl Wilmont

London.

Mit Erstaunen hab ich von Deiner Schwester gehört, daß Du schon wieder, und zwar von neuem nach Bondly gereist bist! O Du unsteter Landstreicher! Möchtest Du doch auch erst einen Ort gefunden haben, wo Du Lust bekämest, Dich anzusiedeln. So bist Du mir nun schon wieder entlaufen, ehe ich noch angefangen habe, Dich recht zu genießen.

Wünsche mir Glück, Karl, denn alles was ich wünschte, ist nun in Erfüllung gegangen. Deine Schwester hat sich plötzlich entschlossen, sie will die Meinige werden. Ich danke Gott, daß es endlich so weit gekommen ist. – Die Verlobung ist bei Deinen Eltern gestern gefeiert, und in einem Monate ohngefähr zieh ich nach dem kleinen Landgute in der Nähe von Southampton, und feire dann meine Hochzeit mit Amalien. – Ich versetze mich schon ganz in die stillen häuslichen Szenen, und erträume mir nicht das Glück aus einem Feenlande, sondern rechne nur auf ein kleines, irdisches Glück, und das wird mir nun gewiß nicht fehlen.

Mein Landhaus liegt angenehm, und hat umher die reizendsten Spaziergänge; ich will nun dort nach meinem Herumstreifen den ländlichen Freuden leben.

Was Deine Schwester so plötzlich bestimmt hat, weiß ich nicht. Meine ausdauernde Liebe, mein Gefühl, das sich immer gleich blieb, scheint sie endlich überzeugt zu haben, daß nur dies die wahre Liebe sei. – Ich habe Dir heute nichts mehr zu sagen. Lebe wohl.

 

22
Karl Wilmont an Mortimer

Bondly.

Ja wohl bin ich wieder Dir und der Stadt entlaufen. Aber ich verdiente auch wahrhaftig nicht den unbedeutendsten Blick von Emilien, wenn ich eine so schöne Gelegenheit ungenutzt gelassen hätte. – Du weißt, daß der alte Burton seines Prozesses wegen in London war: da er gerade einige Häuser in der Nachbarschaft besuchte, kam er auch zu uns. Er war außerordentlich vergnügt, und dann sind die Menschen gewöhnlich höflich und freundlich; er ließ sich mit mir in ein weitläuftiges Gespräch ein, und da ich ihm unter andern erzählte, ich hätte schon längst die schönen Seen in Northumberland besuchen wollen; so schlug er mir vor, es jetzt beim schönsten Frühlingswetter zu tun, und ihn bis Bondly zu begleiten. Ich versprach es, ohne mich zu bedenken, und mußte Wort halten; und so rollte ich schon am folgenden Morgen mit leichtem Herzen durch die Vorstadt von London.

Und wie vergnügt bin ich darüber, daß ich nicht ein so großer Narr gewesen bin, zurückzubleiben. Emilie freute sich sehr, als sie mich so unerwartet wiedersah. Wir haben viel miteinander gesprochen, wir sind sehr zärtlich gewesen, und es kömmt mir nun ganz närrisch vor, daß ich ordentlich wieder abreisen soll. Indessen darf ich doch nicht zu lange hierbleiben, um mir kein Dementi zu geben; ich muß sogar nach Northumberland reisen, um dem Vater und allen Menschen nicht wie ein Narr vorzukommen.

Wie manches in der Welt muß man nicht bloß andern Leuten zu Gefallen tun! – Indes mag auch dies unangenehme Geschäft noch vorübergehn, wie so viele andere; es ist hier schön, ich will die paar Tage, die ich hier zubringe, recht geizig genießen, und für die Zukunft den Himmel sorgen lassen. Denn wie es am Ende noch mit meiner Liebschaft ablaufen soll, kann ich wahrhaftig nicht einsehn.

Wer weiß aber, wie wunderbar sich manchmal alles fügt! – Ich habe Leute gekannt, die auf einen Gewinst, den sie im Lotto hofften, Schulden machten; sie waren weise, und ich will ihnen nachahmen. Und Du bist also mit meiner Schwester jetzt wirklich verheiratet? Ich wünsche Dir Glück aus vollem Herzen, und werde Euch nächstens auf Eurem angenehmen Landhause besuchen. Lebe wohl, Du gesetzter Mann, aus den Bergen in Northumberland erhältst Du wieder einen Brief von mir.


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