Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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42
Rosaline an Antonio

Siehst Du nun wohl, daß ich recht habe? Dafür will ich Dir nun auch das Lied so zierlich und schön abschreiben, als es mir nur immer möglich ist. –

Der Arme und die Liebe        
Es kam an einem Pilgerstab
    Wohl übers graue Meer
Ein Wandersmann ins Tal herab,
    Von fremden Landen her.

Erbarmt euch meiner, rief er aus,
    Ich komm aus fernem Land,
Verloren hab ich Gut und Haus,
    Antonio genannt.

Die Eltern starben mir schon lang,
    Ich war noch schwach und klein,
War ohne Gut, war ohne Rang,
    Und niemand dachte mein.

Da nahm ich diesen Wanderstab
    Und trat die Reise an,
Stieg hier ins frische Tal herab,
    Fleh euer Mitleid an. –

Da ging er wohl von Tür zu Tür,
    Ging hier und wieder dort,
Ward abgewiesen dort und hier,
    Und schlich sich weinend fort.

»Was suchst du in der Fremde Glück?
    Wir sind dir nicht verwandt!
Geh, wo du herkömmst, nur zurück,
    Bist nicht aus unserm Land. –

Genug der Freunde leiden Not,
    Der Landsmann sucht hier Trost,
Für sie wächst unser schönes Brot,
    Für sie der süße Most.«

Still und beschämt mit Ach und Oh!
    Schlich er die Straße hin,
Da ruft es sanft: Antonio!
    Ein Mädchen winkt ihn hin.

O nimm von meiner Armut an,
    Spricht sie mit frommen Sinn,
Ich gebe, was ich geben kann,
    Nimm alles, alles hin.

Lucindens großes Auge weint,
    Er dankt mit heißem Kuß,
Und sieh! die Liebenden vereint
    Ein rascher Tränenguß.

Ach nein, du bist mir nicht verwandt,
    Dennoch erbarm ich mich,
Und bist du gleich aus fremden Land,
    So lieb ich dennoch dich.

Die Liebe kennt nicht Vaterland,
    Sie macht uns alle gleich.
Ein jedes Herz ist ihr verwandt,
    Sie macht den Bettler reich!

Ich habe schon oft versucht, statt Lucinde Rosaline zu singen, allein es will nicht in den Takt passen. – Wir wollen heut abend einmal versuchen, ob wir das Lied nicht noch ein wenig abändern können. Du mußt mir helfen, denn Du weißt ja damit Bescheid. Ich lese Deine Verse alle Tage, und versteh sie jedesmal etwas besser. – O ich bin in manchen Stunden ordentlich stolz auf Dich, und daß Du unter den tausend, tausend Mädchen grade mich nur einzig und allein liebst. Und doch wieder nicht stolz, nur so froh, daß ich dann dem Himmel mit weinenden Augen danke, daß er es so gelenkt hat, daß Du mich aufgefunden hast. – – Warum meine Mutter nicht ganz so denken will, wie ich? Ich kann gar nicht begreifen, wie man etwas gegen Dich haben kann. Alle Menschen sollten so sein, wie Du, so wäre das die schönste Welt. – Adieu, und bleibe ja heut länger.

 

43
Antonio an Rosaline

Also heut, wirklich nun heut! – So ist denn doch endlich die zögernde Stunde herangeschlichen, die mich vollkommen glücklich machen soll. – O wie dank ich Dir! Aber Du wirst doch Wort halten? –

 

44
William Lovell an Rosa

Rom.

Es ist wunderbar, wie lange ich in dem Vorhofe der Seligkeit aufgehalten werde; tausend Zufälle vereinigen sich, um mich immer wieder von der höchsten Wonne zu entfernen. Rosaline ist mein, unbedingt mein. – Sie hatte sich neulich für meine Bitten erweicht, und mir versprochen, mich in der Nacht heimlich zu sich kommen zu lassen, aber die Mutter wurde krank, und sie mußte bei ihrem Bette wachen. Welche Nacht hatt ich! Die Sehnsucht regte sich mit allen ihren Gefühlen in mir, ich konnte nicht eine Minute schlafen, und doch auch nicht wachen. Ich lag in einer Art von Betäubung, in der sich Bilder auf Bilder drängten, und mein kleines Zimmer zum Tummelplatze der verworrensten Szenen machten. Es war eine Art von Fieberzustand, in welchem mir hundert Sachen einfielen, über die ich noch lange werde denken und träumen können.

 

45
William Lovell an Rosa

Rom.

Es ist um rasend zu werden! Alles ist dahin! Alle meine Ruhe, alle meine Liebe ist gänzlich, durchaus verloren! Ich kenne mich kaum wieder, ich verachte und hasse mich selbst, ob ich gleich nur auf den Zufall fluchen sollte. Denken Sie nur selbst, alles war bestimmt und fest gemacht, Rosaline war so zärtlich gegen mich, wie sie noch nie gewesen ist, sie war völlig davon überzeugt, daß ich sie heiraten wollte, und bei Gott, ich hätt es auch getan; sie hatte mir die gestrige Nacht zugesagt, und ich erwartete mit Ungeduld die Abendröte; ich konnte mir meine Phantasieen und Hoffnungen gar nicht als wirklich denken – o und sie sind es auch nun nicht geworden! Ich stehe hier wie ein Schulknabe, der seinen Lehrer fürchtet, ich bin beschämt und verworfen: gestern kam noch bei Tische ein alter Mann als Bote, der Pietros, des armseligen Fischers, des Bräutigams Zurückkunft ansagte. In wenigen Tagen wird er hiersein. Ich war wie vom Schlage getroffen, alle meine Sinne waren gelähmt, bleich, und wie aus der Ferne hört ich nur die genaueren Nachrichten, die der Schurke mitbrachte. Schon das verdammte Gesicht des Kerls, als er zur Türe hereintrat, kündigte mir nichts Gutes an. Es war eine von den Physiognomieen, die dazu gemacht sind, Unglücksbotschaften zu bringen.

Und dann die Freude der Mutter! Die stille Beschämung Rosalinens, die mir plötzlich durch die bloße Nachricht ganz abgewandt wurde! O mich wundert, daß ich nicht den Verstand verloren habe! Sie weicht mir seitdem ängstlich aus, sie ist kalt und fremde, und ich stehe auf demselben Punkte, auf dem ich mich am ersten Tage unsrer Bekanntschaft befand. – Ich könnte den Kerl ermorden, der sich so ungerufen zwischen uns drängt, und all mein Glück und meine schönen Träume vernichtet. – Warum hängen wir so oft von nichtswürdigen Zufälligkeiten ab! – Und nun jetzt, jetzt, da sich soeben alle meine Wünsche krönen wollten. – Wenn ich sie sehe, mit all ihren Reizen, und die Phantasie mir die heiligen, von keinem Blicke entweihten vor die Augen zaubert! Wenn ich mir das alles so ganz hingegeben denke, und nun geht sie mir vorüber, und kennt mich nicht, und heut abend war das letzte Ziel meines Glücks! – Ich könnte sie ergreifen, und im Gefühle der Begierde erwürgen, und wütend an ihrem Busen sterben. – Raten Sie mir, Rosa, was ist zu tun? Ich habe allen Verstand, alle Besinnung völlig verloren.

 

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William Lovell an Rosa

Rom.

Ich bin noch wie im Traume, es ist Nacht, indem ich Ihnen schreibe, und ich weiß noch immer nicht, was morgen geschehen wird. Seit einer Stunde bin ich von einer Reise zurückgekommen, ich bin müde und kann doch nicht schlafen. – Die Ankunft Pietros hatte mir mein Leben geraubt; ich wußte den Weg, den er kommen, und wann er anlangen würde. Ich ritt auf die Straße nach Neapel: bei Rosalinen schützte ich eine notwendige Arbeit vor, die ich in der Stadt zu Ende bringen müßte. Hinter Sezza liegt ein einzelnes einsames Haus, dort erwartete ich den Bösewicht, den ich schon im innersten Herzen haßte, noch ehe ich ihn gesehn hatte. Er wollte gestern abend dort ankommen, und kam nicht. Endlich tat sich nach Mitternacht die Tür auf, und er trat herein; er hatte noch gegenüber ein kleines Dorf besucht, und hatte sich jetzt bei unruhigem Wetter über den Fluß setzen lassen; dadurch war er so lange aufgehalten. – Nun ich ihn vor mir sah, erwachte mein Haß noch grimmiger. – Ein ganz gemeiner Mensch, der kaum sprechen kann, verdrießlich obendrein, und zwar deswegen, weil die gehoffte Erbschaft nicht so ansehnlich ist, als er erwartet hatte. Das widrigste Gemisch von bäurischem und schurkischem Wesen, schmutzig und gefräßig; dieses Tier ging jetzt dem Besitze der göttlichen Rosaline entgegen, von der er in seinem ganzen Leben nicht die kleinste ihrer Vortrefflichkeiten verstehen wird.

Er brach auf, weil er gern bald nach Rom wollte; es war Mondschein, und er fühlte sich noch frisch. Ich ritt dieselbe Straße, und stieg vom Pferde, um mit ihm zu sprechen. Der Schändliche sprach von Rosalinen, wie er von einem Mittagsessen sprach, ohne alle Teilnahme, er wolle sie bloß des ganz kleinen Vermögens wegen heiraten, das ihre Mutter besitze. Ich fragte, ob sie schön sei, und der Niederträchtige, dem meine Gesellschaft nicht gelegen sein mochte, brach in die gemeinsten und ekelhaftesten Zweideutigkeiten aus. Ich konnte mich nicht länger halten. Er schimpfte in pöbelhaften Ausdrücken und da ich ihm drohte, fühlte ich plötzlich die Faust des Nichtswürdigen an meiner Brust, indem er mit der andern Hand ein Messer zuckte. Da bewältigte ich mich nicht mehr, ich riß ihm den Dolch weg, verfehlte ihn aber und streifte ihn den Hals damit hinunter.

Die Nacht und der heutige Tag sind mir in einem ununterbrochenen Schwindel verflossen. Ich erwarte den Schurken in jeder Minute. – Ich hätte vielleicht einen Handel mit ihm treffen können, daß er weiter keine Ansprüche auf Rosalinen machen solle, wenn ich bei kaltem Blute gewesen wäre: ich weiß nun nicht, wie alles sich endigen wird. Warum hab ich den tückischen Bösewicht nicht ermordet, der meinem Leben drohte? Ich begreife diese Schwäche nicht, und dann ist es mir wieder lieber, daß es nicht geschehen ist.

Wäre Pietro nicht dazwischengekommen, so hätt ich Rosalinen geheiratet, wäre mit ihr nach England gezogen, und hätte ihr und der Natur gelebt. –

Wenn ich es noch tun könnte! Was hindert mich, mich der Mutter zu entdecken? Aber der Bräutigam: er wird nun vielleicht etwas länger bleiben, da ihn die Wunde wahrscheinlich am Gehen hindert, und diese paar Tage will ich noch in Rosalinens Gesellschaft genießen. – Ich bin zu müde, leben Sie wohl.

 

47
William Lovell an Rosa

Rom.

Ich habe mehrere Tage hindurch in einer Verworrenheit aller Begriffe und Empfindungen gelebt; ich mochte Ihnen nicht schreiben, weil ich zu träge war. Jetzt aber will ich Ihnen den Verfolg meiner Liebe melden, und ich bin auf Ihre Antwort äußerst begierig.

Ich habe soeben eine Flasche Cyperwein getrunken, und meine Hand zittert, indem ich schreibe; ich bin äußerst froh und zufrieden, und mir ist so leicht, daß ich bei jedem Absatze aus vollem Halse lachen muß. Willy sieht mich von der Seite mit mißtrauischen Augen an, und scheint dabei halb eingeschlafen. Das Leben ist das Allerlustigste und Lächerlichste, was man sich denken kann; alle Menschen tummeln sich wie klappernde Marionetten durcheinander, und werden an plumpen Drähten regiert, und sprechen von ihrem freien Willen. – Heut am Morgen kam die Nachricht von Pietros Tode; man hatte den Leichnam an der Landstraße gefunden, und ein Vorübergehender hatte ihn zufälligerweise erkannt. Sagen Sie, was Sie wollen, es ist nicht möglich, daß ich schuld an seinem Tode sein sollte, wenigstens kann ich es nicht glauben. An jener unbedeutenden Streifwunde kann unmöglich ein so rauher, eisenfester Mensch verbluten: und wenn es der Fall sein könnte, so hatte es der Schurke reichlich an mir verdient.

Es war ein groß Geheul im Hause, vorzüglich von der Alten; Rosaline grämte sich auch, aber ich bemerkte deutlich, wie sie sich im stillen von leisen Gedanken trösten ließ. Ich ging fort, weil mir die Szene zur Last fiel, und fand Nachmittag Rosalinen allein in Tränen gebadet. Die Alte war ausgegangen, und kam vor dem Abende nicht wieder. O wie sie schön war, als sie auf dem Fußschemel saß, und den Kopf auf den weißen Arm auf dem Sessel stützte! Wie sich die Umrisse aller Glieder aneinanderschmiegten, und das reizendste Bild, wie hingegossen, dalag! Ich vergaß alles, und verschlang die vereinigte Schönheit mit gierigen Blicken. Sie sank weinend in meine Arme, und ihre Tränen lockten die meinigen hervor. Ich fühlte ihr Herz klopfen, ich küßte sie, sie war ganz Schmerz, und ließ mich alles tun, was ich wollte. Meine Augen verschlangen die Reize, und sie sah mich seufzend an. O Rosa, ich werde von neuem trunken, wenn ich mich nur dieser Szene erinnre. – Wir sprachen von ihrem Unglücke, durch die Tränen war sie weicher geworden. – Bald wurden ihr meine Scherze zu dreist, sie stand auf und lief in ihre Kammer, ich folgte ihr nach. Sie bat, sie weinte von neuem, und drückte mich dann heftig in ihre Arme, indes ich mich damit beschäftigte, sie auszukleiden. Welche himmlische Reize entwickelten sich nach und nach unter meinen geschäftigen Händen! Die letzte Hülle sank, und sie stand nun nackt mit schamhafter Röte und brennendem Auge vor mir in einer grünen Dämmerung die mediceische Venus, indem vor dem Fenster das grüne Weinlaub zitterte, und einen Flimmerschein durch das Gemach warf. Wir sanken auf das Lager und ich war der Glücklichste der Menschen.

O mag alles um mich dunkel und ungewiß liegen, kein ander Gefühl gibt uns Befriedigung, kein Genuß des Geistes erquickt uns. Nur hier, hier versammlet sich alles, was durch unser ganzes Leben an Freuden und seligen Empfindungen zerstreut liegt. Nur dies ist der einzige Genuß, in welchem wir die kalte, wüste Leere in unserm Innern nicht bemerken; wir versinken in Wollust, und die hohen rauschenden Wogen schlagen über uns zusammen, dann liegen wir im Abgrunde der Seligkeit, von dieser Welt und von uns selber abgerissen. – Nein, nur für sie, für Rosalinen allein will ich jetzt leben; Pietro ist ausgeblieben, und ich nehme sie mit mir, ich hab es versprochen, nur ihr zu leben, und ich will ihr und mir mein Versprechen halten.

Alles dämmert vor meinen Augen, und ich sehe sie immer noch vor mir stehen, halb in sich geschmiegt, halb an mich gedrückt. Nein, keine andre Erinnerung verdient seit diesem Augenblicke einen Platz in meiner Seele – ich möchte zu ihr hinüberstürzen, aber die Mutter ist jetzt dort. – Über die elende Narrheit! daß es unsre sogenannte Tugend, unsre Lebensweise mit sich bringt, daß wir nicht so glücklich sein dürfen, als wir sein könnten! – Die Menschen haben ordentlich darauf studiert, alle ihre Freuden schon in der Geburt zu ersticken; da muß erst Hochzeit, Trauung gehalten werden, tausend unangenehme und widrige Sachen um sich her versammlet, Glückwünsche von alten Narren und Muhmen, damit ja das Allerhöchste, der himmlischste Genuß im Menschen zum niedrigsten und langweiligsten Spaße herabgewürdigt werde, damit wir uns ja auf keinen Augenblick von dieser jämmerlichen Erde entfernen, und aus ihrem Dunstkreise von Armseligkeiten mit den Flügeln der Wonne hinüberheben.

Sie hätten sie sehn sollen, Rosa, wie Scham und Wonne in den hellen Augen kämpften: wie sich mich zurückstoßen wollte, und doch nur fester an sich drückte; wie sie klagen wollte, und doch ihren Mund meinen wollüstigen Küssen darbot. – Nein, bis jetzt hab ich noch nie diesen Genuß empfunden; das Vergnügen an anderen Weibern ist nur wie ein Vorgefühl, eine Ahndung dieser Seligkeit. In den Armen der Blainville fühlt ich nur den Anfang des Rausches, und log mir eine Entzückung der Götter; Reue und Überdruß bemeisterten sich meiner sehr bald. Laura, Bianca und alle übrigen dieser Zunft sind verworfene Geschöpfe, die ihre Entzückungen heucheln, und nach dem Preise erhöhn. – Rosaline, Rosaline ist das einzige Weib in der Welt, die übrigen sind ihr nur gleichsam nachgebildet.

Ich fange jetzt wirklich an, schläfrig zu werden; die Traumbilder, die mich begrüßen wollen, tanzen schon jetzt um mich herum, und necken mich. Alle haben die entkleidete Rosaline in ihrer Mitte. – Ich werfe mich aufs Lager. Willy, seh ich, ist schon zu Bette gegangen; in Rom schlägt es drei Uhr. – Leben Sie recht wohl, lieber Rosa; ich beneide jetzt keinen Menschen, sondern bedaure sie alle. Noch nie hab ich mich so darüber gefreut, daß ich Lovell bin. –


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