Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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23
William Lovell an Rosa

London.

Ich bin wieder hier auf dem großen Tummelplatze einer dichtgedrängten, geräuschvollen Welt. Ich konnte unmöglich länger in Emiliens Gesellschaft bleiben, die mir mit ihrer aufdringlichen Liebe alle Laune verdarb. – Sie ist noch in Nottingham, und ich habe bei ihr eine notwendige Reise nach einer der nächsten Städte vorgegeben. Wenn sie erfährt, daß ich nicht dort bin, mag sie zu ihrem Bruder zurückkehren.

Der Haß und die Liebe der Menschen ist mir jetzt in einem gleich hohen Grade zuwider, es soll sich keiner um mich kümmern, so wie ich nach keinem zurücksehe, um ihn mit einem freundlichen oder verdrießlichen Gesichte zu betrachten. Für mich gibt es nichts Widrigers als das Aufdringen der Menschen, um mir ihre Freundschaft, ihre Liebe zu schenken; es sind Narren, die nicht wissen, was sie mit sich selber machen sollen, und daher andere Narren nötig haben, um mit ihnen aus Langeweile zu sympathisieren. Wie verächtlich ist die kindische Empfindsamkeit einer Emilie, die gleichsam seit Jahren darauf gewartet hat, um ihre tragische Aufopferung an den Mann zu bringen. Sollte ich nun ein so großer Tor sein, und ihre theatralische Affektation für Ernst nehmen, und mich wunder! wie sehr gerührt fühlen? – Man kann wirklich etwas Besseres tun, als jede Narrheit der Menschen mitmachen, und der ist der verächtlichste Tor, der diese Narrheiten abgeschmackt findet, und sich dennoch scheut sie als Kindereien zu behandeln. Sie weint jetzt vielleicht, und bald trocknet sie aus Langeweile ihre Tränen, dann ist sie böse auf mich, dann schämt sie sich vor sich selber, und dann hat sie mich vergessen.

Daß sie sich selbst auf einige Zeit ihr häusliches Glück zerstört hat, ist ihre eigene Schuld; daß sie sich nach dem Übereinkommen jetzt vor manchen Menschen schämen muß, kann mir zu keinem Vorwurfe gereichen. Ich übte eine Rolle an ihr, und sie kam mir mit einer andern entgegen, wir spielten mit vielem Ernste die Komposition eines schlechten Dichters, und jetzt tut es uns wieder leid, daß wir die Zeit so verdorben haben.

Ich bin indessen durch Kensea gereist, den Ort, wo ich jetzt eigentlich wohnen sollte. – Ein altes gotisches Gebäude steht hier in einer wüsten waldigen Gegend, der Garten ist verwildert, alle Bedienten sehen aus wie Barbaren, das ganze Haus hat ein kaltes unbequemes Ansehen, viele Fenster sind zerschlagen, die eine Mauer hat Risse. – Oh! mit welchem Widerwillen habe ich alles betrachtet! – Hier sollt ich leben, in einer dunkeln, langweiligen drückenden Einsamkeit? – Von der ganzen Welt abgerissen, wie ein vertriebener Bettler? einer scheuen Eule gleich, die vor dem lästigen Tageslichte endlich einen düstern Schlupfwinkel findet? – Nein, die ganze weite Welt steht mir freundlich offen, und ich kehre dem einsiedlerischen Schlosse verächtlich den Rücken. So wie ich hier leben würde, kann ich es allenthalben; und in einem fremden Lande, unter einem andern Klima würde mich selbst Sklaverei so hart nicht drücken, als das Leben hier.

Ich bin hier in London unter dem bunten Gewühle; ich spiele und mache ansehnliche Gewinste. Dies rasche und doch ungewisse Leben, in dem die Leidenschaften unaufhörlich in Bewegung gesetzt sind, hat einen großen Reiz für mich. Und welche lehrreiche Schule, um hier die Menschen erst völlig verachten zu lernen! – Wie der niedrigste Eigennutz, die kleinsten Begierden sich in den Gesichtern so hart und widrig abspiegeln! Wie jeder nur alles für sich hinraffen möchte, und dem Verlust und der Verzweiflung seines Nachbars gelassen zusieht. – Ich bin schon einigemal schwach genug gewesen, meinen Gewinst wieder zurückzugeben, um nur die Mienen der Niederträchtigen, die mir so unausstehlich waren, wieder aufzuheitern. Dann nennt man mich großmütig und edel. Oh, es ist um toll zu werden!

Lange werde ich es unter diesen Menschen nicht mehr aushalten, ich muß zu Ihnen zurück. Ich sehe Italien jetzt als mein Vaterland an, denn Andrea ist dort. Ich erstaune oft, mich hier unter diesen gemeinen Menschen zu finden, wenn ich an die wunderbare Welt denke, mit der er mich vertraut machte. Ich kann Ihnen die Empfindung nicht beschreiben, die mich zuweilen schon mitten in einem Gespräche befallen hat, wenn ich plötzlich daran dachte, daß ich sonst mit Andrea gesprochen hatte. In diesen Augenblicken fühle ich mich hier ganz am unrechten Orte, ich fühle eine Sehnsucht fortzugehn, daß ich mich dann nicht zu lassen weiß. Ich möchte oft alle wunderbaren Phantome herbeirufen, die mir dort vorübergingen; ich möchte mich in die grauenvolle Nacht hinuntertauchen, aus der die Schauder emporsteigen, die so gewaltig das schwache menschliche Herz ergreifen und es beinahe zerdrücken. Oh! wenn doch die Zeit erst wieder da wäre, in der meine ungeduldige Brust völlig mit Wundern gesättiget würde, in der ich völlig die Erde und ihre Menschen und auch mich selbst vergessen könnte! –

 

24
Emilie Burton an William Lovell

Nottingham.

Lieber Lovell, Sie halten nicht Wort, Sie sind nun schon sechs Tage länger ausgeblieben, als Sie mir bei Ihrer Abreise versprochen hatten. O sechs ewig lange Tage und heute ist es schon der siebente. Gott! wenn Sie nicht gezählt hätten, wenn Ihnen die Tage nicht so lang wie mir erschienen wären!

Ach nein, William, so lang können sie Ihnen nicht geworden sein, aber das kann und will ich auch nicht verlangen; denn mir war, als wenn die Zeit indessen stillstände und mir langsam und bedächtig einen Tropfen ihres Schmerzes nach dem andern auf das Herz fallen ließe. Ich habe viel unterdes gelitten, und ich fürchte, daß ich krank werde. Mein Kopf ist in Verwirrung und alle meine Glieder zittern.

Ach Lovell, kehre schnell, schnell zurück. Ich weiß mich in der Einsamkeit nicht zu lassen: ach, ich bedarf Deiner Hülfe in mehr als einer Rücksicht. Du weißt, daß ich kein Vermögen mitnehmen konnte, und das wenige, das ich hatte, ist fort. Was soll ich anfangen, wenn Du noch länger ausbleibst? Aber nein, Du kömmst, Du bist nicht grausam, Du bist nicht leichtsinnig; und beides müßtest Du sein, wenn Dich meine Bitte nicht rührte.

Ich werde hier auf das benachbarte Dorf ziehn, das uns beiden auf der Reise hieher so sehr gefiel, dort wirst Du mich antreffen.

Mein Brief wird Dich doch finden? – Es wäre ein Unglück, wenn Du nicht grade da wärest, und er müßte einen Tag oder noch länger liegenbleiben. Lovell, ich würde untröstlich sein.

Ich habe schlimm geträumet, denn es war mir im Schlafe als habest Du mich verlassen, und ich hörte Dich ganz deutlich über meine Schwäche und meine Liebe lachen. Da tat sich die ganze Welt wie ein Gefängnis eng und immer enger über mir zusammen, alles Helle wurde dunkel, die ganze Zukunft war schwarz und ohne Morgenrot. – Aber nein, Du liebst mich? nicht wahr Lovell? – Oh, die Träume werden uns nur geschickt, um unser armes Leben zu ängstigen; schon von Kindheit auf haben sie mich dadurch gequält, daß sie mir alles als nichtig und verächtlich zeigten, was ich so innig liebte. Ich will mich dadurch nicht irremachen lassen.

Aber warum bist Du noch nicht gekommen? – O Lovell, wenn Dir meine Liebe zur Last gefallen wäre! – Mir fällt jetzt so manches ein, was ich wohl ehedem in Büchern gelesen, und nachher wieder vergessen habe. Oh, es wäre schrecklich! – Aber wie könnte Liebe und Wohlwollen Dich ängstigen, wie könntest Du es vergessen, daß ich Dir alles aufgeopfert habe? – Ach nein – wär es möglich, o so würd ich wünschen, daß ich dann auch alles vergessen könnte.

Du siehst, wie schwermütig ich geworden bin; das macht bloß die Einsamkeit und weil ich Dich nicht sprechen höre. Du hast mir Deine Liebe aufgedrungen, und jetzt solltest Du mich vergessen? – Ich habe um Dich Tage und Nächte hindurch geweint, und Du solltest jetzt nicht kommen, um meine Tränen zu trocknen? – Nein, es ist nicht möglich; wenn ich daran glauben könnte, o so wäre mir besser, ich wäre nie geboren worden.

Meine Schwachheit nimmt zu, ich fühle mich sehr krank; glaube ja nicht, William, daß ich übertreibe, komm ja sogleich; und findest Du mich denn vielleicht etwas besser, als Du glaubtest; so sei nur, ohne daß ich es sage, überzeugt, daß mich die Hoffnung, Dich wiederzusehn, stärker machte.

 

25
Karl Wilmont an Mortimer

Bondly.

Himmel! was habe ich hier erfahren müssen! – Unbefangen reist ich von London hieher, weil es mir dort keine Ruhe mehr ließ, und nun bin ich hier, o Mortimer, nicht wie im Traum und doch nicht wie wachend, mit kochendem Herzen und ohne Besinnung, entschlossen etwas zu tun, und doch nicht wissend, was. – O der schönen Reise! – meiner Aussichten, meines Glücks!

Kann ich Worte finden, um Dir zu sagen, was ich denke und fühle? – Ich bin bis jetzt wie ein Kind durch die Welt gegangen, und ich nehme nun mit Entsetzen wahr, daß sie weit seltsamer, weit abgeschmackter und weit unglückseliger ist, als ich geglaubt hatte. – O ich möchte mir den Kopf an einen Baum zerstoßen, ich möchte mich selbst zerreißen, daß es so und nicht anders ist. – Wer konnte nun diesen Schlag erwarten? Hab ich hierbei irgend etwas verschuldet? Eine unsichtbare Gewalt greift nach meinem Herzen und zerquetscht es, und ich kann nichts weiter tun, als an der Wunde sterben.

Mit meinen Geschäften hat es nun von selbst ein Ende, mit meinem Glücke, vielleicht mit meinem Leben. – Emilie hat mich also nie geliebt? – Oh, was ist doch der Mensch! Wer kann ihn verstehn, wer darf über ihn urteilen? – Und ich hätte sie nicht geliebt? Das ist eine schreckliche Lüge! Ich konnte nicht weinen und ich schämte mich, die Empfindungen meines heißen Herzens bei jeder Gelegenheit zu äußern; o ich war zu gut, um Emilien zu gefallen, ich putzte meine Empfindungen zu wenig auf, ich konnte nicht lügen, so wie der niederträchtige Lovell – o Emilie! so warst Du denn auch nur eins der gewöhnlichen Weiber, die es nicht unterlassen können, sogar ihre Empfindungen zu schminken, die die natürlichen guten Menschen verachten, und ihre Zuneigung den Elenden schenken, die sie durch Grimassen und studierte Seufzer, durch theatralische Stellungen und auswendig gelernte Worte unterhalten!

Nie hab ich einen Menschen so wie diesen Lovell gehaßt! Sein Name brennt schmerzhaft in meiner Brust, wenn ich ihn nur nennen höre. Es flimmert mir alles vor den Augen, wenn ich an ihn denke; ich könnte ihn mit den Zähnen zerreißen, den nichtswürdigen Komödianten! – Aber ich werde ihn irgendeinmal finden und dann soll er mir standhalten und Rechenschaft ablegen: dann soll er mir nicht entfliehen, und er soll mir alles doppelt bezahlen.

Daß uns der Gedanke der Rache im Unglücke nicht erquicken kann! – O ich Tor! daß ich in London saß und mit dem Fleiße einer Ameise arbeitete! – Dies ist mein Lohn. – Sie hat mich nie geliebt – o wenn ich mich nur davon überzeugen könnte! Aber ich werde von meinen unsteten Gedanken hiehin und dorthin geworfen, kein Gedanke wird in meinem Kopfe einheimisch. – Ach, Emilie! Wo bist Du jetzt vielleicht und sprichst reuig meinen Namen aus? – Könnt ich Dich finden und dann mich rächen!

Ich möchte so lange Wein trinken, bis ich alle Besinnung verlöre und mich dann zum festen Schlafe hinwerfen, denn mir ist wie einem Mörder, der von allen Seiten verfolgt wird. Ich kann mir selber nicht entfliehn.

Ich muß sie suchen, ich muß ihn finden, ich will das ganze Land nach ihnen durchstreichen; irgendwo müssen sie sein. – Lebe wohl, bis ich Dich selbst auf meinem Zuge besuche.


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