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Dreizehntes Kapitel

Es war ein Übergang, so rasch, daß er zu messen war. Aus einer Welt der Unwirklichkeit, in der die Worte und ihr Klang alles übertönten, fand sie sich plötzlich in die Finsternis der realen Welt versetzt, in ein Bereich, wo ein Wort, das fiel, eine Handlung, die geschah, unmittelbare und entscheidende Folgen auslöste.

Beide Wagen hatten gleichzeitig die Bremsen angezogen. Beide hatten gleichzeitig ihre Laternen gelöscht. Mit jähem Übergang befand sie sich plötzlich in tiefster Dunkelheit, die auch der Mond, der eben zwischen zwei Wolkenbänken vorübergehend sichtbar wurde, für ihre geblendeten Augen nicht hinreichend erleuchtete.

Schon in dem Augenblick, als der Wagen zum Halten gekommen war, war John herausgesprungen.

»Bleiben Sie ruhig sitzen, bis ich zurückkomme«, rief er ihr zu und raste nach vorn zu den anderen.

Nicht nur die ferne Welt der Träume war plötzlich verweht. Auch er hatte sie plötzlich verlassen. Sie nahm es wahr, von fernher, in einem merkwürdigen Gefühl der Entrücktheit. Nach einer Zeit, die nur ein paar Sekunden schien, kam er zurückgerast und rief ihr, noch im Laufen, zu, sie müsse sofort aus dem Wagen.

Als er sie erreichte, stand sie schon auf der Straße.

»Wir müssen irgendeinen Winkel für Sie ausfindig machen«, sagte er, packte ihren Arm und rannte mit ihr die Straße hinunter. Sie überließ sich ihm. Er stützte sie im Laufen.

Die Straße war in einen Abhang eingeschnitten und schlängelte sich in Spiralen aus dem Tal herauf. Hier und da schob sich eine Felsenschulter wie ein Kap bis an den Straßenrand vor. Hinter einer dieser Felskulissen brachte er sie unter, stieß sie förmlich in den geschützten Winkel hinein, wie einen Schatz, den er um jeden Preis verbergen mußte. Seine Stimme, die neue, harte und metallene, energische Stimme, die sie eben gehört hatte, wies sie an, hier geduckt zu bleiben und um keinen Preis der Welt, es möge ihr zumute sein, wie es wolle, den Kopf über den schützenden Felsrand zu heben.

»Was werden Sie tun?« fragte sie hastig.

»Warten, bis sie um die Ecke biegen. Dann schalten wir die Scheinwerfer ein!«

»Wie weit sind sie weg?«

»Jetzt keine Meile mehr.«

»Und dann?«

»Gott weiß es. Wenn sie zu viel für uns sind und wir geschlagen werden, trauen Sie es sich zu, sich allein von hier wegzuschleichen? Ich möchte um keinen Preis der Welt, daß Sie hier von diesen Kerlen gefunden werden.«

»Und wo soll ich hingehen?«

»Geradeswegs die Straße hier hinunter, nach der Hütte zurück, wo wir zuletzt gehalten haben. Es sind zwei Meilen Weg. Aber es ist dunkel. Wenn Sie auf dieser Seite bleiben, immer dicht an der Straße, wird man Sie nicht sehen. Ein Stückchen weiter unten macht sie eine Kurve. Gehen Sie ruhig zu den Leuten in der Hütte. Sagen Sie ihnen, was passiert ist, halten Sie sich versteckt. Kein Mensch kann wissen, wozu diese Kerle fähig sind nach einem Kampf, wie diesem.«

»Kann man schon ihre Lichter sehen?«

»Ich kann es. Sie fahren jetzt langsam, sie kriechen beinahe nur noch, weil sie jetzt die Biegung nehmen müssen. Es ist eine ganz verdammt scharfe Kurve. Sie nehmen sich in acht. Alles in Ordnung jetzt?«

»Ja, alles in Ordnung.«

»Also, lebe wohl!«

Er hatte sie schon verlassen und lief über das Gras nach der Straße hinunter, nach seinem Wagen zurück. Da erst kam es ihr zu Bewußtsein, wie lächerlich prosaisch und alltäglich dieser Abschied gewesen war, und dabei war es mehr als möglich, daß es das letzte Lebewohl war. Wie nüchtern – nach all dem, was er gesagt hatte!

Was hatte er denn gesagt? In der Stille, die seinem Davonhasten folgte, versuchte sie sich daran zu erinnern, aber es war unmöglich. Dies lastende Schweigen wollte es nicht zulassen. Der Druck der Erwartung war zu schwer, sie wartete fieberhaft auf den Knall des ersten Schusses. Die Stille schien ihr Hirn in einen Schraubstock zu pressen, enger und enger. Nichts vermochte diese reglose, einhüllende, lastende Nacht brechen zu können, als – und da wurde sie gebrochen.

Der Lärm einer Salve schlug prasselnd an ihre Ohren und sie tat einen langen Atemzug wie einer, der nach endloser Haft das Gefängnis verläßt. Eine Sekunde Stille folgte wie ein Augenblick erschreckten Aufhorchens, als sei die ganze Welt aus ihrem Schlaf geweckt worden. Und dann setzte ein unaufhörlich rollendes Feuer ein. Jeder Schuß kreischte auf wie eine Stimme, und eine andere Stimme gab unmittelbar die Antwort. Jane wußte jetzt, was Zorn war. Dies war es. Das Keifen dieser Stimme. Zorn! Nicht bloß Zorn! Haß und Gift und der fressende Wunsch, den anderen auszulöschen.

John hatte sie angewiesen, nicht den Kopf über den Felsrand zu erheben. Hatte er, als er es forderte, gewußt, wie unmöglich das war, was er verlangte? Mit jeder neuen Sekunde, die die Schüsse durch das Tal hinrollten, machte ihr das Gefühl ihrer eigenen Ohnmacht, das Gefühl des zur Untätigkeit Verdammtseins, diesen Lärm, in dem die ganze Hölle losgelassen schien, noch unerträglicher als die Stille, die vorausgegangen war.

Warum hatte John nicht zugelassen, daß sie bei ihm blieb? Ganz gewiß hätte sie sich irgendwie nützlich erweisen können. Alles lieber, als hier hinter einem Felsen kauern, weil man zu nichts nütz war.

Und jetzt konnte sie fast lächeln. Sie lächelte, denn sie verstand jetzt, was ein Mann all die langen Stunden über empfinden mußte, in denen seine Frau ihr Kind gebar. Es war dasselbe. In einem Winkel zusammenkriechen, um weit vom Schuß zu sein.

Mit jeder sinnlos verstreichenden Minute wurde das Gefühl lastender und unerträglicher. Sie mußte sehen, was vorging. Langsam streckte sie den Kopf über den Felsrand vor, bis ihre Augen das ganze Straßenstück bis zur Kurve hin übersehen konnten.

Die Wagen standen sich im grellen Lichte der Scheinwerfer gegenüber. Sie waren wie feindliche Tiere, die sich in verbissener Kampfwut in die Augen starren. Die fünfzig Meter, die dazwischenlagen, schienen kein ernstzunehmender Zwischenraum. Es schien, als müßten sie jeden Moment aufeinander losspringen. Aber kein Mensch war auf ihnen zu sehen. Alles war in Deckung gegangen. Sie konnte die kleinen spitzen Zungen des Mündungsfeuers der Gewehre in den Gebüschen zucken sehen, bald hier, bald dort. Aber was geschah eigentlich? Noch immer wußte sie es nicht. Wer war im Vorteil? Wie büßte sie jetzt dafür, eine Frau zu sein!

Im nächsten Augenblick hielt sie scharf den Atem an. Der dunkle Schatten eines Mannes war aus der Deckung der Ginsterbüsche gekrochen. Es war zu weit. Es war keine Möglichkeit, ihn zu erkennen, aber sie hatte nicht den leisesten Zweifel, daß dies John war. Als er dicht an den Lichtkegel herangekommen war, den der Scheinwerfer des feindlichen Wagens über den Boden warf, lag er plötzlich still, so still, daß ihr Herz aufschrie. Sie hörte sich selbst murmeln. Er war verwundet, lag vielleicht dort unten sterbend. Starben Männer so leicht? Einen Augenblick vorher noch, als er aus den Büschen herauskroch, schien er die Verkörperung von Kraft und Gewandtheit. Konnte das alles wirklich so rasch und ohne Übergang gehen?

Sie fragte sich, was sie tun müsse, und fand keine Antwort. Nur eines: daß sie zu ihm hin mußte. Sie konnte ihre Arme um ihn legen, wenn er im Sterben lag. Es war nicht Sentimentalität, was ihr diesen Wunsch eingab. Zum erstenmal in ihrem Leben sah sie die Dinge nicht als inneres Bild. Ihre Vorstellung konnte seinen Körper an ihrem Körper nicht sehen und nicht fühlen. Nur das, was er fühlen mußte, lebte in ihr.

Sie sammelte Kraft, machte sich bereit für den Augenblick, wo sie loslaufen wollte. Der nächste Schuß von ihrer Seite, und dann – dann! Da bewegte sich der Körper da unten, geduckt, auf Händen und Füßen laufend, war er durch den Scheinwerferstrahl geschickt hindurch geglitten und deckte sich jetzt im Schatten des Wagens. Er war unter den Wagen gekrochen. Sie sah das Mündungsfeuer seines Gewehrs da unten aufleuchten und verstand jetzt, daß er lieber diese unsichere Deckung gewählt hatte, als sich durch die Büsche, wenn sie auch einen sicheren Schutz boten, selbst das Gesichtsfeld zu verlegen.

Nun sah sie besser, was da unten vorging, aber sie hatte nicht damit gerechnet, daß sein Manöver das Feuer auch in ihre Richtung zog. Es dauerte nicht lang, ehe es ihr zu Bewußtsein gebracht wurde. Der Gegner hatte herausgefunden, wo er lag. Ein Geschoß zerschmetterte die Windschutzscheibe. Sie hörte es an sich vorbeisingen. Noch ehe sie wußte, was es zu bedeuten hatte, prallte der nächste Schuß von der Straße zurück und zerschmetterte ein vorspringendes Felsstück über ihrem Kopf. Die Steinsplitter fielen prasselnd neben ihr nieder. Ihre Augenlider zuckten, sie kroch hinter dem schützenden Felsrücken in sich zusammen und merkte jetzt, daß sie am ganzen Leibe zitterte. Und doch war sie nicht abgeschreckt. Hätte irgendein Grund bestanden, wieder Ausschau zu halten, sie hätte hinuntergeblickt. Hätte sie Johns Stimme ihren Namen rufen hören, sie wäre hinuntergerast. Es waren nur ihre physischen Nerven, die ihrem Hirn mitteilten, daß der plötzliche Tod in nächster Nähe lauerte.

Sie lehnte sich gegen den Abhang hinter ihrem Rücken, um ihrer zitternden Glieder wieder Herr zu werden. Es war keiner da, der ihr Zittern hätte sehen können, und doch fühlte sie Scham. Wie kam der Körper dazu, die Herrschaft an sich zu reißen und ihr Gefühle aufzuzwingen, die mit dem Innersten ihres Empfindens nicht das geringste gemein hatten, ja im Gegensatz dazu standen. Der Tod war wie ein plötzlicher Windhauch an ihr vorbeigeglitten, und ihrer körperlichen Angst zum Trotz hatte seine Nähe sie mit Jubel erfüllt.

Nun atmete sie wieder ruhig und gleichmäßig. Das Flimmern ihrer Augen war vergangen. Über die Straße hin, über den dunklen Massen der Gebüsche erblickte sie fern, in einem Wolkenriß, einen Stern. Sie fühlte, daß sie nur zu wollen brauchte, um ihn zu fassen und zu halten. Es war ein Augenblick, ausgezeichnet vor allen anderen, ein Augenblick, in dem ihr Geist so hoch flog, daß ihm nichts unmöglich schien.

Das Schießen flaute ab. Jetzt fiel nur hier und da noch ein einzelner Schuß. Aber es war nicht mehr das fiebrig erregte, bösartige Gekeif herüber und hinüber, wie am Anfang. Es klang jetzt wie eine Auseinandersetzung, deren erste Hitze verraucht ist, und die langsam einschläft. Ein Gewehr sprach. Nach einer Pause ein zweites. Es schien keine Antwort, sondern nur eine Wiederholung. Dann Schweigen.

Sie schob erneut den Kopf hinter ihrem Felsen hervor. Das erste, wonach sie blickte, war der Körper, der vorhin unter dem Wagen gelegen hatte. Er war verschwunden. Ein letzter Schuß wurde in den Büschen abgefeuert. Die Silhouetten zweier Männer rannten durch die sich kreuzenden Scheinwerferstrahlen zwischen den Wagen. Sie verschwanden. Wieder herrschte Schweigen. Lange diesmal. Dann ein Schrei, der sich gewaltsam aus der Kehle riß. Niemals hatte sie einen derart grauenvollen Schrei gehört. Sie wußte, es war ein Todesschrei. Es war, als nähme er ihr eigenes Leben mit hinweg. Sie sank gegen den Felsen zurück und ihre Augen blieben hilflos und hypnotisiert in das grelle Licht der Scheinwerfer gerichtet.

Da unten kehrten jetzt die Männer zu ihren Wagen zurück. Sie sah es wie ein Bild aus einem Film, so flach und körperlos erschien es ihr. Sie schleppten da unten einen Körper. Immer noch in ihrem hypnotischen Starren sah sie, wie er auf einen der Wagen gehoben wurde. Der Motor wurde angeworfen, der Wagen rückte an, fuhr vorwärts, zurück, vorwärts, bis er ganz gewendet hatte und nun die Straße herunterkam, und den Platz, wo sie stand, in nächster Nähe passierte. Einer der Männer saß vorne am Steuer. Der andere hinten im Wagen hielt die zusammengesunkene hilflose Masse des Körpers, der sich gegen seine Schulter lehnte. Der am Steuer erblickte Jane und schwang seinen Hut, als sie vorbeirasten. Er öffnete den Mund und brüllte ihr etwas zu. Es ertrank im Lärm. Sie konnte nicht verstehen, was es war.

Alles war gut abgelaufen. Sie hatten die Oberhand behalten. Nur soviel wußte sie, und auch daß jetzt der andere Wagen gewendet hatte und die Straße herunter auf sie zukam. Sie stand und wartete. Wie lange? Sekunden nur und ewig – so verrinnt die Zeit im Traum, endlos, unerträglich und dabei mit Augenblicksschnelle –, bis John Madden neben ihr stand, sie ansah und plötzlich in seine Arme genommen hatte.

Es war kein Widerstreben in ihr. Ihr Körper wehrte sich nicht, nicht ihre Seele, obwohl nach all dem, was er in dieser Nacht zu ihr gesagt hatte, auch sie wußte, daß dies nicht dasselbe war wie in jener Nacht in London. Es war etwas anderes in einer Welt, die von jener verschieden war. Sie beide waren nicht mehr dieselben. Und doch fühlte sie nicht die Kraft und auch nicht den Wunsch, sich ihm zu versagen.

In jener Nacht damals in London – wie lang, wie lang schien es doch her – hatten seine Lippen die ihren berührt, als empfange er ein Sakrament. Jetzt überschüttete er sie mit Küssen, ihre Lippen, ihre Augen. Ihr Hut war heruntergefallen. Er bedeckte ihr Haar mit Küssen. Der Tod, der vorbeigegangen war, erfüllte mit seiner Gegenwart noch immer die Luft um sie, erfüllte ihn mit Leidenschaft, sie mit Demut. Die Zukunft, die diesem Augenblick noch folgen konnte, schien ein Ding, dessen Besitz fragwürdig war. Sie dachten kaum an den nächsten Tag, nicht einmal an die nächste Stunde. Wenn es in ihm noch eine Hemmung gab, so war es nur die eine: daß er sie liebte.

Sie lag in seinen Armen, ihr Kopf war auf seine Schulter gesunken. Sein Mund ruhte fast noch auf ihrem Munde, als er zum erstenmal sprach. Es war, als höre sie ihn nicht sprechen, als glitten die Gedanken mit dem Atem von Mund zu Mund. Er sagte:

»Wir können hier nicht bleiben.«

Sie entgegnete nichts, sie fragte auch nicht warum. Die einzige Antwort, die sie gab, war stumm: sie rührte sich nicht in seinen Armen. Es war, als verstünde er diese Regungslosigkeit, als gäbe er eine Antwort darauf, als er fortfuhr:

»Es ist gefährlich. Diese Kerle sind von Lismore gekommen. Wenn sie nicht zurückkommen, wird man nach ihnen suchen. Wir müssen meine Leute wieder einholen, die vorausgefahren sind. Sie schaffen jetzt Foley nach der Hütte da unten, um nach seiner Wunde zu sehen und ihn vorläufig verbinden zu lassen. Dann machen wir uns sofort auf den Rückweg. Heute nacht ist nichts mehr auszurichten. Wenn diese Sache hier bekannt wird, werden die Engländer wie ein aufgestörter Hornissenschwarm sein.«

Noch immer sprach sie kein Wort, rührte kein Glied. Es schien unmöglich, daß diese Umarmung hier aufhören sollte. Sie konnte nicht glauben, daß alles plötzlich zu Ende sein konnte. Er sprach von Sicherheit. Ihren Ohren war es leerer Schall. Sie wartete, wartete noch immer.

Er fühlte es, mußte es fühlen. Es war, als gäbe es kein anderes Mittel, von diesem Platze loszukommen, als sie in die Arme zu nehmen, hochzuheben und wegzutragen.

»Wir müssen hier fort«, wiederholte er. Sein gepreßter Ton verriet, wie er sich zwang. »Spätestens in einer Stunde wird es hier von Engländern wimmeln. Wir müssen weg! Aber du glaubst doch nicht, daß deshalb alles zu Ende ist? Sag' selbst?«

Sie wußte nicht, von was er sprach. Seine Lippen waren noch ganz nahe den ihren, und sie küßte sie. Bis dahin hatte sie ihn nicht geküßt. Er lachte. Ein Lachen, das sich losriß wie ein scharfer Schrei, ein Lachen atemlosen Triumphs, wie der Ruf des Mannes, der vorhin an Jane vorbeigefahren war. Und nach dem Lachen hörte sie ihn sprechen, Dinge, deren Bedeutung sie nur halb und verwirrt erfaßte, die für ihr Ohr und ihre geblendete Seele nur Töne blieben und Geräusch.

Er sprach von der Nacht, die dieser Nacht folgen würde. In der nächsten Nacht konnten keine Gewehre transportiert werden. Einer der Wagen war beschädigt worden. Sie hörte irgendeinen technischen Ausdruck, der ihr nichts bedeutete. Dann kamen Worte und Sätze, die sie nicht erfaßte, die sie nur verwirrten, und schließlich kam es ihr zu Bewußtsein, daß er von dem Pfad über die Klippen bei Ardogina sprach. Nächste Nacht. Um Mitternacht. Dort würde er stehen und auf sie warten. Sie schloß die Augen. Es war kein Wort nötig, um ihm zu zeigen, daß sie einverstanden war. Es gab für sie nur unbegrenzte Zustimmung.

Und immer noch, die Augen fest zugedrückt, ließ sie die unzähligen liebkosenden Namen über sich niederrieseln, die seine überschwengliche Phantasie erfand, um sie damit zu schmücken.

»Alles, was mir jetzt noch geschehen kann, ist gleichgültig«, fuhr er fort. »Selbst wenn ich ihnen jetzt in die Hände fiele, es wäre nicht dasselbe. Daß ich mich so sehnen könnte nach irgendeiner Frau – ich habe es nie gewußt, bevor ich dich geliebt habe. Und auch dann noch nicht. Erst als wir hier beisammen waren, und der Tod über uns schwebte, da dachte ich daran. Wenn ein Schuß gefallen war, und ehe der nächste folgte, dachte ich daran.«

Sie begriff alles, was er sagen wollte und war erstaunt, wie selbstverständlich es ihr erschien. Und wieder vermochte sie nicht, es als Bild vor sich zu sehen. Sie gehörte sich selbst nicht an, sie gehörte jetzt ihm. Ihm? Es war zu wenig. Sie war einer Kraft untertan, die nicht ihm gehörte, aber gegenwärtig war in ihm. In seiner Stimme, in seinem ganzen Wesen, in der Stärke seiner Arme, die sie umfangen hielten.

»Du verstehst alles?« fragte er sie.

Sie öffnete ihre Augen und sah ihn furchtlos an.

»Du verstehst es? Du weißt, daß es keine Ausflucht ist?«

»Nein.«

»Ich will, daß du es richtig verstehst.«

»Und ich verstehe es.«

»Und du weißt: Was auch aus all dem kommen mag, wir wollen uns nicht davor verkriechen.«

»Ich verstehe alles.«

»So sag' Ja, daß ich es höre.«

»Ich sage Ja!«

»Und was darüber zu sagen ist, das werden wir uns morgen nacht sagen, und alle Nächte ohne Ende!«

»Wir werden uns so viel zu sagen haben«, flüsterte sie und dachte an nichts mehr als an das.

»Hast du Angst?«

»Nein. Ich weiß von keiner Furcht – wenn ich so bei dir bin.«

Sie lag noch immer in seinen Armen. Und ihm, wie er da stand, schien es, als werde sie es niemals über sich bringen, sich aus diesen Armen wieder zu lösen.

Wie einer, der einen sicheren Besitz ergreift, beugte er sich zu ihr nieder und nahm sie auf die Arme. Sie war sein. Er trug sie. Ihr Gesicht lag an seinem. Er setzte sie in den Wagen und beugte sich einen Augenblick zu ihr nieder, um ihr ins Gesicht zu sehen. »Der himmlische Vater möge dich beschützen«, sagte er.

Dann lief er um den Wagen herum und kletterte auf seinen Sitz. Sie fuhren in den dunklen Schlund der Straße hinein.

Sie saß, ohne sich zu rühren, in Schweigen gehüllt, dicht neben ihm.

Etwas war gekommen und vorbeigegangen. Es war zum zweitenmal in ihrer beider Leben, daß er sie hätte nehmen können, unwiderruflich.


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