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Vierzehntes Kapitel

Eine angeborene schauspielerische Begabung, die sie zum Teil ihrem raschen Witz, zum Teil ihrem Geschlecht verdanken mochte, befähigte Jane, Anthony Draper zu begrüßen, als hätte sie lediglich ein gleichgültiges Gespräch unterbrochen, um ihn zu empfangen.

Selbst für John Maddens Ohr war nichts darin, was falsch und künstlich klang. Er stand mit dem Rücken gegen den Kamin gelehnt, fast an derselben Stelle, wo er sie eben noch in den Armen gehalten hatte, und das einzige Gefühl, das ihn erfüllte, war überraschtes Staunen über ihre Gewandtheit. Er selbst war viel zu verwirrt, um eine Rolle zu übernehmen. Was war geschehen? Sein Moralempfinden – ein ursprüngliches, unzweideutiges Gefühl erinnerte ihn daran, daß sie eine verheiratete Frau war. Was hätte er von einem anderen Mann in seiner Lage gedacht? Er wußte es recht gut, und trotzdem, unbestreitbar hätte er geantwortet: »Dies hier war nicht dasselbe.« Was jemals in der Welt auch Mann und Frau zusammengetrieben hatte – wie dies hier war es nicht gewesen. Er wußte es, er wußte es mit leidenschaftlicher Überzeugung.

Zwei Tage hatte er sie gekannt. Was auch ihr Mann von ihr zu fordern das Recht haben konnte, nichts davon hatte nur das geringste mit dem gemein, was sie in seine Arme geführt hatte, ihn in ihre. Es war nichts Niedriges, Verächtliches oder Verstohlenes daran. Dessen war er sicher. Er rechnete mit keiner Zukunft, die an diese Gegenwart anschloß. Dies war nicht der Beginn einer Liebschaft. Wenn es ihm beschieden war, sie noch einmal in seinen Armen zu halten, es würde nicht anders sein als diesmal. Und würde es ihm noch einmal beschieden sein? – er dachte daran mit einer Sehnsucht, die schon verklärt war. Er hungerte nicht nach ihren Küssen. Er hoffte zu Gott, daß es ihm noch einmal beschieden sei, die Arme um sie zu legen. Aber dann ging er – fuhr zurück nach Irland, ermutigt und gestärkt durch eine Erinnerung, die ihm bleiben würde sein Leben lang. Er hatte die Gewißheit, daß er sich nicht selbst zu betrügen versuchte. Dies war keine Heuchelei, hinter der sich die Sinnlichkeit verkroch. Für ihn war sie der Geist, das Symbol jener Begeisterung für Irland, die der alles andere verdrängende Inhalt seines Lebens war.

Auch Anthony Draper hatte in dem Augenblick, wo er ins Zimmer getreten war, versucht, die Lage zu erfassen. Was in seinem Kopf vorging, war so weltenweit verschieden von dem, was John Madden dachte, wie es nur denkbar ist bei zwei Menschen, die nun einmal doch in derselben Welt leben. Er sah die schöne Frau in ihrem grünen Kleid, begnadet mit einer Schönheit, die er an den Frauen seiner Heimat nicht gekannt hatte. Es war eine Schönheit, die so sehr die Gabe ihrer besonderen Persönlichkeit war, daß die rein physische Vollendetheit dahinter zurücktrat. Hätte er seinen Eindruck erklären müssen, er hätte sich materieller, sinnlicher Worte dazu bedient und hätte vielleicht behauptet, sie habe, verheiratet oder nicht verheiratet, sich ihre Jungfräulichkeit bewahrt.

Amerika kannte keine Frauen wie diese, oder wenn es der Fall war, so war jedenfalls Anthony Draper keiner von ihnen begegnet. Er hatte noch nicht einmal den Wunsch nach einer solchen Begegnung empfunden.

Anthony Draper hatte nie geheiratet.

Aber wenn Jane Carroll sich niemals einem Manne geschenkt hatte – so folgerte er weiter, als er über die Schwelle getreten war und John Madden gesehen hatte, wie er da am Kamin lehnte, bleich, mit brennenden Augen, schlank und geschmeidig –, dann stand dort der Mann, dem eine Frau wie sie, wenn sie sich verschenken sollte, alles geben würde.

Die Reaktion erfolgte sofort, wenn sie auch kaum merklich war.

Er sagte zu sich selbst und es kam ihm vor, als hörte er sich reden: »Ich rechne hier nicht mit!« Fern, irgendwo in sich, spürte er ein Bedauern, als der Gedanke sich formte. Es war schmerzhaft. Es war, als hätte man ihm eine feine und bösartige Säure in die Adern gespritzt. Es machte ihn gereizt. Trotz alledem war sein Lächeln, als er Jane die Hand hinstreckte, so hart, so ausdruckslos, so verschwiegen über das, was er empfand, als sei es aus Stein gehauen.

»Ich hätte nicht gedacht,« sagte er, »daß hier in England jemand aus dem Theater weggerufen werden könnte, um etwas zu tun, was ihm weitaus mehr zusagt.«

Sie verzog mitleidig den Mund.

»War das Stück so schlecht?«

»Im Gegenteil.«

»Und nun habe ich Sie von dort weggelotst?«

»Ich beklage mich nicht. Sie haben mich ja nur zu dem zurückgebracht, was ich ursprünglich wollte. Ich wollte Sie ja heute abend ohnehin gern sehen. Wenn ich gesagt habe, ich hätte das in England nicht erwartet, so wollte ich mir damit Mut machen. Besonders wenn ich hier als Dritter hereinschneie!«

Ah – als Dritter! Sie hörte es. Es war ihm unfreiwillig entschlüpft. Augenblicklich hatte sie die Bedeutung der Bemerkung erfaßt. Sie reagierte sofort darauf. Vielleicht hatte, als Draper den Raum betrat, noch der Eindruck des aufwühlenden Erlebnisses der letzten Minuten auf ihr gelastet. Sie schüttelte ihn ab, wandelte ihn zu weicher, bezaubernder Heiterkeit.

Sie machte die beiden miteinander bekannt. Es geschah mit graziöser Beiläufigkeit. John Madden hätte, ohne den kostbaren Besitz des Wissens um jene paar Augenblicke, niemals gewußt, wer von ihnen beiden in ihrer Schätzung den ersten Platz einnahm. Draper, der doch bereits mit einer vorgefaßten Meinung ins Zimmer getreten war, fühlte sich aus dem Konzept gebracht.

»Ich freue mich über dies unerwartete Zusammentreffen in Feindesland«, sagte er zu John Madden und dachte: Es gibt kein Stück und kein Theater, das mir diese Szene bieten kann – in einem Londoner Salon mit einem Mann zu sitzen, auf dessen Kopf ein Preis von tausend Pfund steht. »Aber ich muß Ihnen gleich aufrichtig sagen,« fügte er hinzu, »daß meine Zeit begrenzt ist. Einige Freunde von mir aus Washington sind vorübergehend hier in London. Wir haben uns für elf Uhr verabredet. Wir wollen in ein Nachtlokal gehen. Ich muß hier kurz vor elf weg –«

»Dann war es wirklich sehr liebenswürdig, daß Sie gekommen sind«, sagte John Madden. Es klang kurz angebunden. Er hörte es, und es störte ihn. Das war durchaus nicht der Ton, den er anschlagen wollte. Hier, vor ihm, stand der Mann, der Irland retten konnte. Er hatte mahnen, er hatte bitten wollen. Aber die Stimme gehorchte nicht. Unwillkürlich hatte sich ein aggressiver Beiklang eingeschlichen. Er zwang sich, diese inneren Widerstände niederzukämpfen und die Unfreundlichkeit wettzumachen.

»Eigentlich bin ich an der Unterbrechung Ihres Theaterabends schuld. Ich muß morgen wieder nach Irland zurück –« er zwang sich jetzt zu lächeln, gewinnend und liebenswürdig zu sein – »und ich konnte keine andere Stunde mehr finden für das, was ich Ihnen zu sagen habe.«

»Ich weiß, was Sie mir sagen wollen.« Die Unterbrechung war nicht dazu angetan, John Maddens Aufgabe zu erleichtern. Das war auch nicht Drapers Absicht. Die beiden verließen sich anscheinend nicht bloß auf ihn, sie rechneten schon mit ihm. Er fühlte sich unter einem Druck, und dies trieb ihn dazu, die Sache plötzlich in rein geschäftlichem Licht zu betrachten. Er fragte sich selbst unverhohlen: Was habe ich von der Geschichte? Sein erster Impuls war, keine Zeit weiter zu verlieren und die beiden abzufertigen.

Es hatte ihn überrascht, John Madden vorzufinden, aber es hatte ihn nicht aus der Fassung gebracht. Wie Jane ganz richtig erraten hatte, hatte er längst eine ziemlich genaue Vorstellung von dem, was man von ihm erwartete, aber er hatte nicht damit gerechnet, daß dieser junge Mann auftauchen würde, um es ihm zu verdolmetschen. Wenigstens nicht, solange die Dinge noch in diesem Stadium waren. Er hatte, ohne sich lange zu besinnen, das Theater nach dem ersten Akt verlassen und den Weg nach dem St.-James-Square in einer freudigen Spannung zurückgelegt, die ihn selbst amüsierte und ihm dabei schmeichelte. Wenn ein Mann fünfundvierzig Jahre alt ist, so fängt er an zu begreifen, was es bedeutet, jung zu sein.

Diese junge Frau, die so plötzlich und unvermittelt sich an ihn gewandt hatte, fast ohne den Versuch zu machen, das Seltsame ihres Schritts irgendwie zu maskieren, interessierte ihn. Sie allein war schon ein Erlebnis. Er hatte noch niemals, selbst in England, eine Frau gesehen, die ganz ihr glich. Er fühlte den Wunsch erwachen, diese Frau sein eigen zu nennen, und wenn ein Mann über die fast unbegrenzte Macht verfügt, zu kaufen, was ihm gefällt, nimmt ein solcher Wunsch merkwürdig logische und kühl vernünftige Gestalt an. Daneben aber genoß er das angenehm kitzelnde Gefühl, irgendwie die Finger in die europäische Politik zu stecken. Das Wort »Abenteuer« hatte für ihn an Reiz und Bedeutung noch nichts eingebüßt. Es war etwas, was trotz seines Wertes nicht auf dem Markt zu kaufen war. Seit dem Augenblick, wo Jane im Savoy an seinen Tisch getreten war, wußte er, daß er es nicht nur der Gunst des Zufalls zu verdanken hatte, wenn sie gerade zu ihm gekommen war. Zu all dem kam noch sein tief wurzelndes Interesse für Irland. Es war durchaus kein leidenschaftliches Interesse, vielleicht nur eine Art sentimentaler Neugier.

Jedenfalls hatte er erwartet, Jane allein zu finden. Diese Erwartung hatte seinen Schritt beflügelt. Sie hatte von dem jungen Iren gesprochen, aber unbewußt hatte er diesem Dritten nur eine Rolle im Hintergrund zugewiesen. Janes Interesse an Irland, von dem er seit den Tagen ihres gemeinschaftlichen Frühstücks wußte, hatte er dem Einfluß ihres Gatten zugeschrieben. Er hatte darin das Gefühl erblickt, das ihm dazu verhelfen sollte, ihr näherzukommen. Er war sich noch nicht sicher darüber, wie nahe dies sein konnte.

Aber in dem Augenblick, wo er John Madden neben ihr auftauchen sah, sie beide allein in diesem Zimmer, erkannte er, wie sehr er sich verrechnet hatte. Wenn er entschlossen gewesen war, seine Macht in ihren Dienst zu stellen, so schlug in diesem Augenblick der Entschluß um. Sie waren hoffnungslos am Ende drüben in Irland. Waffen und Munition waren ihnen ausgegangen. Jeder Narr außerhalb Irlands hätte voraussagen können, daß es so enden würde. Sie brauchten Anthony Draper, um dem dringendsten Mangel abzuhelfen. Er lächelte in sich hinein. Er war so bereit, ihnen zu diesen Waffen zu verhelfen, wie er bereit gewesen wäre, John Madden in einen neuen Anzug zu stecken und einen eleganten und gesellschaftsfähigen jungen Mann aus ihm zu machen.

»Ich weiß, was Sie mir sagen wollten,« wiederholte er noch einmal, »vielleicht hilft Ihnen diese Bemerkung dazu, vorerst einmal das Eis zu brechen, damit wir sehen können, wie tief wir uns ins Wasser wagen müssen.«

»Tiefer als Sie vielleicht denken«, sagte John Madden rasch. Es schoß ihm heraus. Anthony Draper mußte widerwillig zugeben, daß man ihm wenigstens reinen Wein einschenken wollte.

»Was? Handelt es sich um mehr als um Waffen und Munition?«

»Gewiß.«

»Nämlich?«

»Um Transportmöglichkeiten.«

Es war eine unglaubliche Frechheit! In den Ohren eines Mannes, der gelaunt war, wie Anthony Draper in diesem Augenblick gelaunt war, war es unerhörte Frechheit! Es war so keck, daß er sich leise amüsiert fühlte. Es war in vieler Beziehung geeignet, ihn in bessere Stimmung zu bringen. Wesentlich aber war, daß so viel Unverblümtheit es ihm leichter machte, alles von sich zu weisen.

»Sie meinen die ›Candida‹?«

»Jawohl, die meine ich.«

Draper lächelte.

»Ich möchte mich ein bißchen setzen«, sagte er. »Wenn ich noch im Theater wäre, machte ich es mir jetzt in der Loge bequem für den zweiten Akt. Die Sache hier ist tausendmal interessanter als jeder zweite Akt, den ich in meinem Leben gehört habe.« Er wählte sich seinen Platz auf einem Diwan, der auf der anderen Seite des Zimmers stand. Dort thronte er mitten in einer Sammlung weinroter und goldgehaltener Kissen. Er wirkte machtvoll und drohend gegen diesen üppigen Hintergrund. Jane zog sich auf ihren gewohnten Sitz am Feuer zurück und beobachtete ihn. Sie hörte kaum, was die beiden sagten. Sie horchte nur nach dem Tonfall ihrer Stimmen, eine gebückte Lauscherin vor der verschlossenen Tür, die verbarg, was in Anthony Drapers Innerem vorging. John Madden lehnte noch immer am Kamin. Er kämpfte verzweifelt, um die kühl ablehnende Gegnerschaft zu durchbrechen, die diesen Mann wie eine Rüstung umgab und jede Verständigung, jede geistige Berührung unmöglich zu machen schien.

»Nun,« sagte Draper gelassen, wie jemand, der über eine alltägliche Geschäftsangelegenheit verhandeln will, »lassen Sie uns etwas mehr über diesen abenteuerlichen Vorschlag hören.«

In welchem Tone er es aussprach, dies abenteuerlich! Seine Stimme hatte sich gehoben, sie hatte ihre Gelassenheit nicht preisgegeben, und doch vibrierte in dem Worte etwas Neues. Jane horchte gespannt. Seit die Umarmung John Maddens sie aufgewühlt hatte, war jeder Nerv in ihr bereit, die leiseste Schwingung von außen aufzunehmen. Ihr Herz schlug rasch und heftig.

»Erzählen Sie ihm rückhaltlos alles«, sagte sie zu John Madden. Es war das erstemal, daß sie die Unterhaltung der beiden unterbrach. »So kurz auch unsere Bekanntschaft ist, ich glaube, ich kenne Mr. Draper. Wenn er überhaupt je einen Stock trägt – aber ich nehme an, er hat keinen Stock nötig –, so trägt er ihn gewiß nicht, um damit auf den Busch zu klopfen. Erzählen Sie ihm ruhig, was Sie mir erzählt haben.« Ihre kleine Schmeichelei ging nicht verloren. Draper hörte sie. Es war etwas Wahres daran, deshalb gefiel sie ihm. Sie wurde ihm mit großer Feinheit dargereicht. Er erkannte es an. Es war kein unerfreulicher Gedanke, daß nach einem zweimaligen kurzen Zusammentreffen sie so gut erfaßt hatte, was für ein Mann Anthony Draper war. Trotzdem schüttelte er lächelnd den Kopf. Es war eine instinktive Weigerung, die Schmeichelei entgegenzunehmen. Es blieb ihr überlassen, dies Kopfschütteln zu deuten.

Sie begriff – alles. Sie begriff, daß er bereits entschlossen war, abzulehnen, und es machte sie fast krank. Sie wußte auch warum. Es war ein Mißgriff, ihn jetzt und hier mit John Madden zusammenzubringen. Sie kannte Männer; sie kannte diesen Mann. Ihr Gewissen schlug. Wie hatte sie den Fehler begehen können! Wie hatte er gesagt, als er eintrat? »Der Dritte!« Sie hatte es noch im Ohr. Es lief wie ein verstecktes Leitmotiv durch das Trio dieser Unterhaltung. Aber sie wollte sich noch nicht besiegt erklären. Sie dachte an diese Waffen für Irland, wie ein Tier an das Futter, nach dem die Jungen schreien. Diese Waffen ihnen zu verschaffen, war der verzehrende Ehrgeiz ihres Lebens geworden. Sie werde die Frau sein, der Irland seine Rettung verdanke, hatte John Madden gesagt. Es klang übertrieben, und doch schien es beinahe möglich, daran zu glauben. Sie hatte es geglaubt. Es war in ihrem Leben der erste Glaube, an dem sie leidenschaftlich hing. Nicht nur ihr Stolz war herausgefordert, es war mehr. Sie wollte es nicht aufgeben.

»Sie müssen wissen,« fuhr sie fort, noch ehe John Madden Zeit gehabt hatte, ihrer Aufforderung nachzukommen, »mit all dem bin ich sozusagen überfallen worden.«

Warum sagte sie das? Sie gab eine Antwort. Sie antwortete auf das, was unter Drapers verneinendem Kopfschütteln sich verbarg. Sie konnte es nicht vorbeigehen lassen ohne eine Antwort.

»Sie wissen, ich war auf der französischen Botschaft eingeladen. Ich habe es Ihnen ja erzählt. Plötzlich klingelt mich Mr. Madden an. Ich war gerade angezogen. Es bleibt nichts übrig, als anzunehmen, daß Männer nicht verstehen, was das eigentlich heißt: gerade angezogen zu sein. Es sind nicht die Kleider – es ist das sorgsame Sicheinhüllen in eine Stimmung! Ich fühlte mich schon ganz offiziell. Wie soll man sich da plötzlich umschalten?! Sehen Sie doch bloß mein Kleid an! Wir haben hier gegessen, er hat mir seinen ganzen Plan erzählt – von Ihnen, von den Gewehren, von der ›Candida‹ und dem Haus auf den Klippen an der Küste von Waterford. Für Sie ist das nicht weiter schlimm – Sie kommen gerade aus dem Theater, mehr oder weniger sind Sie also in der richtigen Stimmung für Dramatisches, Ihr Blut ist aufgepeitscht, das Abenteuer siedet schon darin. Aber ich – ich war gerade dabei, mein Gesicht in die nötige Würde zu legen.« Sie schnitt eine Grimasse. »Sie haben doch eine Vorstellung davon, was eine Gesellschaft bei einem Botschafter bedeutet – ganz besonders wenn man die Gattin eines berühmten Historikers ist, der unglücklicherweise gerade auf einer kleinen Reise ist. Als Stellvertreter einer Geschichtskapazität Dienst tun! Überlegen Sie doch einmal, welche anstrengende geistige Vorbereitung das erfordert! Dafür hat man sich angezogen – und nun hier diese Geschichte! Ich hatte mein Smaragdhalsband umgelegt. Ich legte es schleunigst wieder ins Etui und schob sozusagen einen Dolch ins Strumpfband. Mehr ließ sich nicht tun. So sind diese Iren. Sie wollen einem zu nichts mehr Zeit lassen.«

Sie erzählte ihm ihre Lügen lachenden Mundes. Es war ein Lachen, das selbst John Madden hätte verführen können, ihre Geschichten für wahr zu halten. Auch Draper, obwohl sie ihn nicht um eines Fingers Breite von seinem Entschluß abgebracht hatte, wurde von ihrer lebendigen Heiterkeit getäuscht. Ihr Lachen steckte an.

»Wenn Sie soviel Kleider haben wie Stimmungen, in die Sie sich hüllen, wie Sie sagten – und ich muß gestehen, der Ausdruck gefällt mir –, dann muß der Kleiderschrank in Ihrem Zimmer von einem Umfang sein, daß Sie kaum noch Platz haben, um bequem ins Bett zu steigen.«

»Eines schönen Tages,« erwiderte sie, »wenn ich mich nicht wohl genug fühle, um mein Bett zu verlassen, und wenn ich den Gedanken nicht mehr ertragen kann, daß so viele reizende Bekannte von mir in den Londoner Straßen herumlaufen, ohne daß ich die Möglichkeit habe, ihnen ›Hallo‹ zuzurufen – man sagt doch Hallo in Amerika, wenn man sich auf der Straße trifft, nicht wahr? – an einem solchen Tage also sollen Sie zu mir kommen und bei mir Tee trinken. Meine Zofe findet es immer schrecklich, wenn ich in meinem Bett Cercle halte. Was Stephen darüber denkt, weiß ich nicht, aber er stellt sich immer sehr nett dazu. Dann sollen Sie auch meinen Kleiderschrank zu sehen bekommen. Den muß Louise Ihnen zeigen, denn er ist im Nebenzimmer. Das ist so arrangiert, damit genügend Platz für mein Bett bleibt.«

»Es wird mich interessieren«, sagte Draper. »Bei uns in den Staaten haben wir eine richtige Leidenschaft für Garderobenschränke, Schrankkoffer und all die Dinge, die gemacht werden, um Frauenkleider zu behüten. An Kleidern fehlt es unseren Frauen nicht, aber ich habe noch nie bemerkt, daß sie auch die Stimmungen haben, die dazu gehören.«

Er sah auf seine Uhr und blickte mit kühler Aufforderung John Madden ins Gesicht. Es war, ab ginge er in ein anderes Zimmer und schließe gelassen die Tür hinter all dem belanglosen Geschwätz.

»Lassen Sie Ihre Sache hören,« sagte er, »ich habe noch genau zwanzig Minuten Zeit.«

John Madden entwickelte den Plan, den man im Hauptquartier seiner Partei entworfen hatte. Er sprach schlecht. Er wollte Zuversicht zeigen, aber die Hoffnungslosigkeit hängte sich wie mit Bleigewichten an jedes Wort und zwang es herunter. Jane, die andächtig zuhörte, spürte, wie er mit sich kämpfte. Manchmal brach ein Schimmer von Hoffnung durch wie ein Schrei. Ihr Herz antwortete dann. Es war wie ein Echo. Je länger sie Anthony Drapers Gesicht studierte – und sie ließ keinen Blick von ihm –, je tiefer spürte sie: diese Iren waren solche Kinder. Sie hatten es fertiggebracht, in Haus Ardogina eine geheime drahtlose Station einzurichten. Als Madden enthusiastisch davon erzählte, klang es, wie wenn ein Kind von den Spielsachen berichtet, die es sein eigen nennt. Sie waren so vertrauensselig – so überzeugt – so voll von Zuversicht.

»Wir können mit der Candida dauernd in Verbindung bleiben«, sagte Madden. »Ein Code dazu ist schon fix und fertig ausgearbeitet. Eine Nacht genügt, um die ganze Ladung an Land zu bringen. Wir können Ihnen telegraphisch Nachricht geben, wenn die Luft rein ist. Es ist kein außergewöhnliches Risiko dabei.«

Jane, die über das Leben Bescheid wußte, das John Madden in den letzten zwei Jahren hatte führen müssen, ertappte sich bei der Frage, was bei ihm wohl als außergewöhnliches Risiko galt. Es war ein drolliger Nebengedanke, aber er tat weh.

»Ihre Yacht wird keinen besonderen Verdacht wachrufen,« fuhr er enthusiastisch fort, »aber selbst wenn es anders wäre, so können wir Ihnen die Kanonenboote bequem vom Halse halten, bis Sie die ganze Ladung los sind. Dann können Sie sich ja in aller Gemütsruhe durchsuchen lassen und die Herrschaften bitten, sich zum Teufel zu scheren.«

»Und was sollte,« sagte Draper, »nach Ihrer Auffassung, der Grund dafür sein, daß ich plötzlich die ›Candida‹ nach Europa bringe? Es ist mir niemals vorher eingefallen, diesen Kurs einzuschlagen.«

»Das stimmt, aber Sie waren weit nach dem Süden hinunter, an der südamerikanischen Küste. Sie sind in Buenos Aires gewesen – was sage ich –, Sie sind damit sogar nach Valparaiso gefahren.«

»Woher wissen Sie das?«

»Na – Donnerwetter, meinen Sie, wir kaprizierten uns auf Ihre Yacht, wenn wir nicht genau Bescheid darüber wüßten, daß es gerade das Fahrzeug ist, das wir brauchen? Wir wissen über jede Reise Bescheid, die die ›Candida‹ gemacht hat. Jetzt, wo der Krieg vorbei ist, ist es eigentlich das natürlichste, daß das Schiff auch einmal nach Europa kommt.«

»Zu welchem Zweck?«

Die Frage war überflüssig. Sie dennoch zu stellen, war bewußte kühle Ablehnung. Nun wußten die beiden, Draper hatte seinen Entschluß gefaßt. Es war von Anfang an eine verlorene Partie gewesen.

»Aber, ich bitte Sie, welchen besseren Vorwand wollen Sie noch?« fragte John Madden verzweifelt. »Genügt Ihnen denn das nicht: ein wohlhabender Amerikaner benutzt die wieder eingetretenen friedlichen Zustände, um mit seiner Privatyacht einen Abstecher hier herüber zu machen und vielleicht noch einen Besuch des Mittelmeers damit zu verbinden?«

»Wir in Amerika drüben sind von Europa nicht so entzückt, daß wir für eine Reise über den großen Teich mehr Zeit verbrauchen, als unbedingt nötig ist. Wenn ein transatlantischer Dampfer eine besonders schnelle Überfahrt macht, so rechnen wir das dem Schiff hoch an. Die See ist gewiß etwas Schönes, Mr. Madden, aber wenn die Aussicht anziehend sein soll, dann muß hier und da auch einmal ein kleiner Streifen Land zu erblicken sein. Es ist ein Beweis für die Energie, die der Mensch aufzubringen fähig ist, daß wir die Langeweile einer Seereise zwischen England und Amerika überleben. Und dabei wird an Bord der Schnelldampfer alles Erdenkliche getan, um diese Langeweile zu lindern. Meine Candida macht unter Volldampf nicht mehr als fünfzehn Knoten in der Stunde. Bei einer Unternehmung wie der, die Sie mir vorschlagen, dürfte ich nicht daran denken, mir Freunde zur Begleitung einzuladen. Verlangen Sie von mir, daß ich mich ganze fünfzehn Tage auf hoher See mit mir selbst langweile, um schließlich und endlich womöglich der Gastfreundschaft eines englischen Gefängnisses anheimzufallen?«

»Für Irland ist schon Schlimmeres gelitten worden«, sagte John Madden.

Mr. Draper lächelte.

»Mein Interesse an Irland war warm und lebendig, bis ich drüben bei uns mit Ihrem de Valera zusammengekommen bin. Gewiß, ich war immer zunächst Amerikaner, aber ein Amerikaner, der hier und da einen langen Blick zurückwarf nach dem Lande, aus dem seine Familie gekommen ist. Aber wie ich in New York auf euren de Valera stieß, da hatte ich das Gefühl, als ob – wie soll ich es ausdrücken – als ob das alte Familiengut in die Hände einer brettdürren, mit mir nur noch sehr weitläufig verwandten, alten Jungfer gefallen sei, die just zu dieser Zeit ›sich in eine Stimmung gehüllt hatte‹ – ich muß sagen, ich liebe diesen Ausdruck –, die man kaum noch anders nennen konnte als ›hysterisches Getue‹.«

»Sie sind niemals wieder in Irland gewesen?« unterbrach Jane.

»Nein, das nicht.«

»Dann wissen Sie auch nicht, wie viel oder wie wenig das, was Sie gesehen haben, für die Irländer selbst zu bedeuten hat. De Valera ist kein Führer. Irland hat noch keinen Führer. Sie sind Kinder da drüben, nichts als eine Schar von Kindern, die sich bei den Händen gefaßt haben, die nichts zusammenhält als die Kraft der Verzweiflung in ihren kleinen Fingern – und ewig bedroht sie die Angst, daß ihr Bund doch noch gesprengt wird, daß sie wieder hinausgetrieben werden in das Alleinsein. Und doch halten sie fest, und doch schließen sie immer wieder den Ring, wo der Tod eine Lücke reißt. Das ist mein Bild von Irland.«

Anthony Draper sah erneut auf seine Uhr. Dann erhob er sich aus seinem Kissenberg wie ein Mann, der die letzten Flitter eines Maskenkostüms beseitigt, dessen er überdrüssig ist. Er sah Jane Carroll gerade in die Augen und sagte:

»Mir schwebt eine ungezogene Frage auf der Zunge, Mrs. Carroll. Bei Ihnen ist es eigentlich keine Entschuldigung, wenn man das nicht weiß, was ich Sie fragen möchte, selbst wenn man so weit herkommt wie ich.«

Ihr Instinkt war schneller als der Gang seiner Gedanken. Sie wußte sofort, was er meinte. Er fragte nach ihren Kindern.

»Ich habe keine«, sagte sie.

Er nahm ihre Hand, und mit einer Ritterlichkeit, die ihm ausgezeichnet stand, trotz der grotesk breiten ausgestopften Schultern, die er seinem amerikanischen Schneider verdankte, beugte er sich darüber und küßte sie.

»Ich zweifle nicht daran,« sagte er, »daß alles, was Sie über Irlands Führer gesagt haben, zutrifft. Wenn Kinder sich zusammentun und sich die Hände reichen, werden sie damit nicht viel ausrichten, aber der Gedanke daran wird mir das Herz nicht brechen, solange diese Kinder kommen dürfen, um sich in Ihrem Schoße auszuweinen.« Er wandte sich brüsk zu John Madden um.

»Es hat mich gefreut, daß ich Gelegenheit hatte, mit Ihnen hier auf diesem gastlichen englischen Boden zusammenzutreffen.« Die Andeutung eines Lächelns huschte über seine Lippen. »Wenn Sie drüben bei uns in den Staaten wären, könnten Sie ein Vermögen verdienen; sie brauchten nur von Saal zu Saal zu ziehen und diese berühmten tausend Pfund auf dem Kopf zu balancieren, ohne selber schwindlig zu werden. Ich möchte Ihren interessanten Vorschlag nicht mit nein beantworten. Aber Sie können mir glauben, ich bin weit davon entfernt, ›ja‹ dazu zu sagen. Ich kann sagen, man hat mir im Namen einer ganz niedlichen Anzahl irischer Gesellschaften den Hut hingehalten, und ich habe immer Geld hineingeworfen. Sie werden antworten, einem reichen Mann dürfte das nicht weiter schwerfallen. Mag sein! Aber nur, wenn er das Gefühl hat, daß der Hut auch einen Boden hat. Leider muß ich sagen, man scheint hier in Europa, die Kopfbedeckungen nur erfunden zu haben, um sie abzuziehen, wenn man nach Amerika kommt. Als ich die Candida gekauft habe, vor zwei Jahren, da dachte ich, ich tue meinem Selbstgefühl eine besondere Ehre an, aber es ist ein reines Nichts gegenüber der besonderen Ehre, die Sie mir heute mit Ihrem interessanten Vorschlag angetan haben. Ich will mir Ihr gütiges Angebot überlegen, und ich werde, wenn ich Lust habe, Mrs. Carroll wissen lassen, zu welchem Entschluß ich gekommen bin. Sie wird natürlich in der Lage sein, die Verbindung mit Ihnen herzustellen. Aber bauen Sie nicht auf mich, Mr. Madden! Wir sind alle Kinder, wie die tiefblickende Dame hier neben mir angedeutet hat, und die Candida ist mir eigentlich noch ein viel zu neues und hübsches Spielzeug, als daß ich es erleben möchte, daß sie beschlagnahmt oder vor der Küste von Waterford versenkt wird. Ich glaube, ich werde besser wissen, wie ich zu der ganzen Sache stehe, wenn ich morgen früh beim Anziehen bin – und mich ›in eine Stimmung hülle‹ – es ist das Beste, was ich seit Jahren gehört habe.«

Und weg war er. Jane fand zuerst die Fassung wieder. Die Seide ihres Kleides raschelte, als sie ihm in die Halle nacheilte. Sie war zu klug, um mehr zu sagen, als sie schon gesagt hatte, und geleitete ihn still zur Tür.

»Tanzen Sie den liebenswürdigen Damen in der Bar nicht die Seele aus dem Leib«, sagte sie.

Er verwies auf seine fünfundvierzig Jahre.

»Auch das ist keine Garantie für Nachsicht und Güte«, sagte sie.

Er ging fort, ohne sich noch einmal umzusehen, aber sie konnte hören, daß er lachte.

Als sie ins Zimmer zurückkehrte, stand John Madden am Kamin, das Gesicht tief in die Arme gedrückt.

Sie blieb eine Sekunde stehen, um ihn zu betrachten, ehe sie auf die Klingel drückte. Als sie geläutet hatte, sagte sie:

»Richten Sie sich auf – bloß für eine Minute.«

Britton erschien an der Tür.

»Sie können überall zuschließen,« sagte sie, »um die Vordertür brauchen Sie sich nicht zu kümmern. Mr. Madden wird gleich gehen, und ich schließe dann selbst hinter ihm zu.«

Sie standen und horchten hinaus, hörten, wie der Diener in den Zimmern die Fenster schloß, wie die Riegel zuschnappten, hörten ihn die Treppe nach der Mansarde hinaufgehen.

Als alles ruhig war, ging sie zu ihrem Stuhl hinüber und setzte sich.

»Komm einen Augenblick her«, sagte sie.

Er kam zu ihr. Bevor er es wußte, bevor sie es wußte, kniete er neben ihr, sein Kopf ruhte im Schoß ihres grünen Kleides, sein glühendes Gesicht empfand die Wärme dieses Körpers, die brennend durch die Seide schlug.

So lag er lange Zeit. Die Finger ihrer Hand glitten durch sein Haar.

Dann hob er den Kopf zu ihrer Brust und küßte sie.


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