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Siebentes Kapitel

Als sie aus dem Taxameter stieg, stand John Madden auf der Treppe unter dem Portal.

Unterwegs hatte sie sich immer wieder gefragt, ob nicht bei diesem zweiten Zusammentreffen der ganze Eindruck zerflattern würde. Sie wußte, diese Gefahr bestand.

Es gab Augenblicke, da wünschte sie, sie hätte die Probe lieber nicht gemacht.

Sie fühlte, wie er wartend über ihr stand, als sie die Stufen hinaufschritt. Sie wagte nicht, zu ihm empor zu sehen. Erst als sie neben ihm unter dem Portal stand, als seine Hand nach ihrer griff, gestattete sie es sich, sein Bild zu fassen und zu prüfen.

Wenn der Anzug, den er am Abend getragen hatte, geliehen war oder gemietet – heute endlich trug er Kleider, die zu ihm gehörten. Freilich waren sie das Werk eines Dorfschneiders, trotzdem war etwas Adliges um ihn. Die Haltung eines Menschen, der um den Eindruck weiß, der von ihm ausgeht, ohne ihm viel Wert beizumessen. Aber wenn sie diesen Äußerlichkeiten einen Augenblick der Überlegung schenkte, so war es nur ein flüchtiger Gedanke. Sie sah zu seinem Gesicht auf, sah die tragische Blässe dieser Züge, und der Gedanke war verflogen. Nein, es waren nicht ihre Kerzen, die diesem Gesicht von ihrem Reiz geborgt hatten. Sie sah sein Gesicht – es war ein Eindruck, der klar und bleibend und endgültig war. Wenn sie hätte aussprechen sollen, was sie bewegte, sie hätte sagen müssen:

»Es gibt Gesichter, die man sich nur lebend denken kann. Ihr Gesicht gehört dem Tode an!«

Auch er betrachtete sie in der neuen Beleuchtung des Morgens. Gesprächig, wie er am Telephon gewesen war, schien er jetzt kein Wort zu finden. Er trat stumm zur Seite und öffnete ihr die Tür. Sie traten in die Kirche. Er stand dicht neben ihr und sah auf sie hinunter, als sie sich im Angesicht des Altars beugte. Als er selbst ihrem Beispiel folgte, war es die stolpernde Reverenz eines Menschen, der von Gott gerade noch träumt. Sie wählte ihren Platz weit hinten in der Kirche, abseits der kleinen Schar von Betern, die sich an den Chorschranken dicht zusammendrängte. Er setzte sich neben sie, betrachtete sie, als sie niederkniete. Sie verbarg das Gesicht in den aufgestützten Händen. Sie war so weit von ihm entfernt.

Und dennoch war sie die ganze Zeit über näher bei ihm, als er dachte. Sie wußte, daß er nicht kniete. Sie spürte, wie er aufrecht, mit trotzig gestrafftem Rücken neben ihr saß.

Als eine Uhr schlug, war es wie eine Mahnung, daß die Zeit verging.

»Wir können hier nicht bleiben,« sagte er, »kommen Sie hinaus.«

Er stand auf. Sie folgte mit dem Gefühl, daß ihr nichts anderes zu tun blieb. Als sie wieder unter dem Portal standen, war es, als wäre nichts geschehen seit dem Augenblick, wo sie hier zusammengetroffen waren; als hätte die Zeit bloß stillgestanden. Sie hatte ein Gebet geflüstert. Aber hatte sie gebetet? So dicht neben ihm zu knien war ein allzu beherrschendes Gefühl, das Bewußtsein seiner Gegenwart lastete zu schwer, um anderen Gedanken Raum zu lassen.

Er führte sie die Stufen hinunter. Sie stand neben ihm, einer Willenlosigkeit hingegeben, die ihr selbst fremd und unbegreiflich erschienen wäre, – in anderen Tagen. Er sah die Straße hinauf und hinunter.

»Sie sind ja zu Hause in diesem Teil der Welt«, sagte er. »Wo kann man hier etwas zum Frühstück bekommen?«

Die Läden waren noch nicht offen. Es war knapp halb neun Uhr. Keinen Augenblick kam ihr der Gedanke, daß es noch andere Hindernisse geben könnte.

»Die Hotels müssen doch bestimmt schon offen sein«, meinte er. »Oder kann sich westlich von Piccadilly-Circus überhaupt niemand vor zehn entschließen, die Augen aufzumachen?«

»Die Hotels sind natürlich schon geöffnet.«

»Also, wohin gehen wir dann? Ich bin in Ihrer Hand! – Was amüsiert Sie daran?«

»Sie in meiner Hand? Wenn es halbwegs stimmen sollte, dann müßten Sie wenigstens meinen Arm loslassen.« Sie beklagte sich nicht, sie sah zu ihm auf und lächelte – und sie verstand zu lächeln.

»Dann wollen wir genau sein«, lachte er. »Sie sind in meinen Händen. Ist das besser so? Wohin gehen wir also?« Und erst fünfzig Meter weiter ließ er ihren Arm los.

Sie führte ihn nach dem Hydepark-Hotel. Wieder war die Lust in ihr, der Konvention zu trotzen, wie am Abend vorher, als sie allein hinausging. Alle möglichen Leute, die sie kannte, konnten Gäste des Hotels sein. Sogar die Kellner kannten die wunderschöne Frau Carroll. Es war ihr nicht einfach alles gleichgültig. Aber sie verbarg sich vor niemand – am wenigsten vor Stephen!

Sie betraten das Frühstückszimmer. Ein Maître d'Hôtel, den sie kannte, führte sie zu einem Platz am Fenster, ohne die mindeste Überraschung an den Tag zu legen. Ein Wink von ihm rief einen Kellner herbei, um ihre Bestellung entgegenzunehmen. John Madden beobachtete sie. Er dachte an sein eigenes schäbiges Hotel und den schmierigen Kellner, der ihn zu bedienen pflegte, doch kehrten seine Gedanken immer wieder zu dem Glanz zurück, der selbst zu dieser Morgenstunde von ihrem Gesicht ausging.

»Kennt man Sie hier?« fragte er.

»Warum nicht?«

»Kommen Sie überhaupt je irgendwohin, wo man Sie nicht kennt?«

»Oh, guter Gott,« sagte sie, »welch gräßlicher Gedanke!«

»Eier und Speck,« sagte er, als der Kellner ihm die Karte vorlegte, »oder wie man das sonst hier nennt.«

Als der Kellner gegangen war, lehnte sie sich ein wenig vor.

»Sie glauben doch selbst nicht,« sagte sie, »daß ich oft in dieser Art irgendwohin zum Frühstück komme?«

Sie war nahe am Lachen. Und dabei war doch etwas wie eine leise Mahnung in ihren Augen.

Zunächst wußte er nicht, was er antworten sollte. Er hatte diese Zusammenkunft aus einem bestimmten, praktischen Grund herbeigeführt. Dieses Ziel verlor er jetzt einen Augenblick lang völlig aus den Augen. Mehr und mehr erlag er dem Eindruck ihrer Schönheit. Er war nicht mehr fähig, etwas anderes zu sehen als nur sie. Gewaltsam wandte er den Blick ab und starrte auf die Straße hinaus.

»Ich will mir nicht den Kopf darüber zerbrechen,« sagte er, »wie Ihr bisheriges Leben ausgesehen hat. Ich nehme Sie so, wie ich Sie fand, vergangene Nacht, von da an und für alle Zukunft!«

»Zukunft?« wiederholte sie lockend, mit fragend hochgezogenen Brauen.

»Ja, aber vor allem denke ich an gestern. Warum trugen Sie das grüne Kleid? Warum gerade diese Farbe?«

»Was ist damit?«

»Wenn Sie für Irland demonstrieren wollten, so hätten Sie smaragdgrün tragen müssen.«

»Und das hätten Sie, glaube ich, nicht gebilligt.«

»Ich hätte es abscheulich gefunden. Wir kämpfen nicht für unsere Sache mit Flaggen- und Straßendemonstrationen. Wir tragen nicht einmal eine Kokarde.«

»Warum also hat mein Kleid Eindruck auf Sie gemacht?«

»Vergangene Woche hatte die Garnison von Fernoy uns eingekreist. Beinahe hätten sie mich erwischt. Mein Regierungspaß lag schon in Dublin für mich bereit. Er hätte mir nichts genützt. Pardon wird nicht verlangt und nicht gewährt. Was bedeutet dort drüben ein Menschenleben? Nicht mehr als ein Stein im Spiel.

So mußte ich mich vier Tage lang in den Hochmooren bei Ballyduff versteckt halten. Ihr Kleid war, wie die Heide dort oben, so grün und so purpurn. Gestern abend, mitten in dem verdammten Geschwätz über Politik, da fiel es mir ein. Gut, daß es mir einfiel! Es war ein Zufluchtsort. Ein Blick zu Ihnen genügte, um mein Temperament zu zähmen. Sie ansehen zu dürfen, war wie der Tau draußen in den Bergen! Es kühlte das Blut. Ihre Augen sind voll Tau, ist's nicht so? Ich bin noch niemals einer Frau begegnet, die Augen hatte wie Sie. Und jetzt wissen Sie, was Sie und Ihr Kleid für mich bedeuteten.«

Sechs Jahre war Jane in London, sechs Jahre lang hatte man ihr auf hunderterlei Art den Hof gemacht – war es doch um sie herum der intellektuelle Zeitvertreib – aber niemals hatte ein Mann so freimütig und ohne Hintergedanken zu ihr gesprochen. Sie empfand keine Werbung darin. Es war zu freimütig, zu offen. Es war kalt wie Quellwasser und brachte ihr Blut zu rascherem Kreisen. Was er sagte, das brach aus ihm heraus, aus der Tiefe der Empfindung, wie ein Quell aus dem Boden.

Der Kellner erschien mit der Grapefruit, die sie bestellt hatten. Er trennte sich nicht von ihrem Tisch, respektvoll, dienstbereit und zuvorkommend wirbelte er um die beiden herum. Das war nichts für John Madden. Andere mochten es als angenehm empfinden. Er hatte kein Verständnis dafür.

»Schon gut, schon gut!« sagte er schließlich gereizt, »ich bediene mich schon selbst!«

Der Kellner verschwand geräuschlos, wie weggezaubert. Die dicken Teppiche erstickten jeden Schritt.

Er nahm Essen auf seinen Teller, wischte all diese Störungen beiseite und sagte:

»Diese Rosen! Haben Sie die Rosen kommen lassen? Haben Sie sie auf den Tisch gelegt?«

»Wer sonst?«

»Ich wußte es nicht. Ich kann Sie mir schlecht vorstellen mit einem Haushalt.«

Sie erklärte lachend, wie schlicht sie in dieser Beziehung sei, durchaus Hausfrau.

»Meinen Sie denn, ich behänge mich mit Kleidern und warte bis das Leben an mich herankommt?«

»Nun, und warum dann die Rosen?«

Und da sagte sie:

»Ich dachte, ihr seid Männer, ich wollte mit den Rosen sein.«

Er legte Messer und Gabel nieder, um sie von neuem anzusehen. Das hundertstemal.

»Die richtige Gesellschaft für Sie!« war alles, was er sagte.

»Haben Sie mich in die Messe und dann zum Frühstück ins Hydepark-Hotel geschleppt,« sagte sie, »um mir all das zu erzählen?«

»Gut, daß Sie mich erinnern«, antwortete er. »Es war nötig, um mich wieder zur Vernunft zu bringen. Schon seit wir uns heute früh getroffen haben, hatte ich es nötig. Was hat Ihre Schönheit bei alledem zu tun? Weiß Gott, es ist für uns beide nicht gut, daß ich immer nur darauf starre und nichts anderes sehen will. Stimmt es nicht?«

»Und was sehen Sie noch an mir?«

Warum sollte eine Frau der Versuchung widerstehen, in andere Spiegel zu blicken als in den auf ihrem Toilettentisch? Sie verlangte nach einem anderen Spiegelbild, und er fand einen Weg, es ihr zu zeigen. »Außer daß Sie schön sind,« sagte er, »lese ich noch manches auf Ihrem Gesicht. Da steht Schicksal geschrieben, Erlebnisse, die noch kommen. Wußten Sie das?«

»Seit gestern abend,« antwortete sie, »fange ich an zu glauben, daß ich von mir selbst recht wenig weiß. Was noch? Erzählen Sie mehr von mir.«

»Sie geben mir also recht?«

»Ich denke, es ist so. Es haben andere schon dasselbe gesagt. Ich weiß, mein Mann hat manchmal diesen Eindruck von mir, aber es ist schwer, zu wissen, was er aus mir herausliest. Er hat nicht die Gabe des Wortes – nicht, wenn man mit ihm spricht – nur dann, wenn er eine Feder in der Hand hält.«

»Ich habe gestern abend Ihren Mann nicht verstehen können«, bekannte er. »Wenn ich versuchte, mich ihm zu nähern, verschwand er.«

Sie nickte. »So ist es mit ihm«, sagte sie. »Und daher kommt es auch, daß ich bis gestern nie etwas von Irland gewußt habe. Mit Klarheit gewußt. Denn manches habe ich erhascht, hier und da. Es sind so viele Leute von drüben zu uns gekommen.«

Er fragte, ob sie je mit Vater Hanrahan zusammengekommen sei.

Sie legte die Spitzen ihrer Finger zusammen, als müsse sie für das Heil ihrer Seele beten.

»Sie können mit mir ruhig über Vater Hanrahan sprechen,« sagte sie, »aber sprechen Sie nicht mit Vater Hanrahan über mich. Wenn ich Jesebel selbst wäre, würde Gott der Herr meiner Seele gnädiger sein als er.«

Er lachte über die Schärfe ihres Urteils.

»Sie müssen von unseren Dorfpfarrern nicht erwarten, daß sie geschliffen und kultiviert sind«, erklärte er ihr. »Übrigens, wenn Sie auch zu den Ketzern gehörten, ich wäre doch zu Ihnen gekommen – nach dem, was gestern war. Sie verstehen das, nicht wahr?«

»Sie haben also plötzlich verstanden, daß Sie mir trauen können?«

»Mehr, viel mehr!« Seine Stimme hatte sich verändert. Selbst in den drei Worten war es offenbar. Sie bemerkte es sofort.

»Sie können uns helfen,« sagte er, »wenn Sie gesonnen sind, zu helfen!«

Ohne daß er es wußte und ohne daß er sich darum bemühte, paßte sich seine Stimme dem an, was ihn bewegte. Sie wußte auf einmal, daß sie dem Wirbel tragischen, von Leidenschaft erfüllten Geschehens näher und näher kam. Bald würde sie hineingerissen werden. Aber immer noch wußte sie nicht, was eigentlich von ihr verlangt wurde.

»Ich will helfen, wenn ich kann«, sagte sie. »Glauben Sie, daß ich Ihnen auf politischem Gebiet von Nutzen sein kann?«

Seine Stimme wurde hart: »Euch Engländern«, sagte er, »fällt es anscheinend schwer, euch von der Politik loszumachen. Niemals werden Sie Irland begreifen – Irland, wie es heute ist – wenn Sie den Götzen der Politik nicht über Bord werfen. Gütiger Himmel!«

Es war keine Spur mehr von zarter Ehrerbietung in seiner Stimme. Er nahm längst nicht mehr Rücksicht auf die Frau, die vor ihm saß. Das gefiel ihr. Mit sanfter Unterwürfigkeit bekannte sie, sie habe die politischen Verhandlungen als den einzigen Zweck seiner Londoner Reise betrachtet.

Er lachte sie aus. Er machte keinen Versuch, es zu bemänteln. Er behandelte sie wie ein Kind. Und unwillkürlich faltete sie ihre Hände, als sie ihm zuhörte.

Er schob seinen Teller beiseite und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch, um ihr näher zu sein.

»Wir sind am Ende angelangt in Irland!« flüsterte er. »Hoffnungslos am Ende!« Und nochmals wiederholte er: »Am Ende!« Er starrte sie an, seine Augen brannten. »Außer Ihnen und mir darf kein lebendiger Mensch es wissen«, fügte er hinzu. »Wenn Vater Hanrahan oder irgendeiner der anderen drüben je erfahren sollte, daß ich einer Menschenseele hier auch nur ein Wort davon verraten hätte, ein ganzer Hornissenschwarm von Schüssen würde aus dem Hinterhalt losgehen, um meine vorwitzige Zunge zum Schweigen zu bringen.«

Ein seltsames Gefühl kam über sie, das jede Minute stärker und stärker wurde. Sie wußte, von diesem Augenblick an war sie seiner Sache geweiht. Noch verstand sie nicht, was das alles bedeutete. Aber das Geheimnis war heraus und sie hatte teil daran! Sie fühlte bereits, wie es auf ihr lastete. Das Leben, das sie einst gelebt hatte, trieb hinter ihr davon. Ein neues Wesen, eine Jane Carroll, die anders war als die Jane Carroll, die sie kannte, war zum Leben erwacht.

Es war, als griffe sie nach ihm, als wolle sie wenigstens einen in ihrer Nähe wissen, als sie ihn fragte, was seine Worte zu bedeuten hätten. »Am Ende, hoffnungslos am Ende«, was meinte er damit?

»Ich sagte in der vergangenen Nacht – Sie haben es noch gehört – wir wären entschlossen, weiterzukämpfen, wir wären entschlossen, zu siegen, solange noch einer von uns fest auf seinen Füßen stehe. – Es ist nicht wahr, ich habe geprahlt. Wir können nicht siegen! Wir können nicht einmal weiterkämpfen! Wir sind eingekreist. Nur weiß man es hier noch nicht. Niemand hier in England weiß es.«

»Außer mir!«

»Außer Ihnen! Wir haben weder Waffen noch Munition, um länger durchzuhalten als höchstens zwei oder drei Wochen. Wenn wir nicht irgendwie uns neue Zufuhren verschaffen, haben wir ausgespielt. Und deshalb bin ich hier.«

»Hier?«

»Jawohl, hier, gerade hier.«

Sie schüttelte den Kopf. Sie gab sich unendliche Mühe, alles zu verstehen, aber sie verstand nichts. Ihr Gesicht verriet Hilflosigkeit.

»Da ist jetzt ein Amerikaner in England, er wohnt zur Zeit im Savoy. Kennen Sie ihn? Anthony Draper. Sagt Ihnen der Name irgend etwas?«

Ja, sie hatte Anthony Draper getroffen. Aber nicht so, wie er sich das vorstellte. Draper war ihr vorgestellt worden. Sie hatte gesagt: »Sie sind jetzt erst eingetroffen?« und er hatte geantwortet: »Mit der Mauretania; vergangene Woche.« – »Also gewiß nicht, was man eine intime und herzliche Bekanntschaft nennen könnte«, sagte sie.

»Nein, aber immerhin mehr, als ich in einer Woche erreichen könnte! Haben Sie jetzt schon einen Begriff davon, warum ich Ihnen das alles erzählt habe?«

Es war ganz und gar zu unbegreiflich für sie. Was hatte nun Herr Draper aus Amerika mit alledem zu tun? Madden hatte seine Tasse unberührt beiseitegeschoben. Er sprach rasch. Die letzte Spur vorsichtiger Zurückhaltung war verschwunden.

»Draper ist ein Irisch-Amerikaner – stammt aus Südirland, ist aber Protestant. Es ist mit ihm nicht gut Kirschen essen. Trotzdem hat er für unsere Sache früher gewisse Sympathien gezeigt. Das ist das merkwürdige an ihm. Seit zwei Generationen leben die Drapers bereits drüben, aber Anthony ist schon in Irland gewesen. Er wollte die Heimat wiedersehen. Er stammt aus Youghal, an der Grenze von Cork und Waterford. Sein Großvater war städtischer Beamter dort. Wanderte dann aus, nach Amerika. Cornelius Draper. Dann Richard. Dann folgte Anthony. Petroleum oder Büchsenfleisch. Ich weiß nicht genau, womit sie ihr Geld verdient haben. Nun gehört er drüben zu den Millionären.«

Er kniff die Augen zusammen und bohrte sie in ihre.

»Hat eine Yacht, mit der er lange Touren nach Südamerika macht.«

Sie hörte ihm gespannt zu. Alles schien so wichtig in seinem Munde, daß sie das Wesentliche nicht herausfand. Er sah es und wiederholte:

»Mit seiner Privatyacht! ›Candida‹ ist der Name. Das Schiff ist in den amerikanischen Gewässern stationiert. Siebenhundertundfünfzig Tonnen. Haben Sie es jetzt erfaßt?«

»Wollen Sie sagen, Sie möchten, daß ich ...?«

Und da brach sie ab. Sie starrte durch das Zimmer. Seine Augen folgten ihrem Blick.

Da drüben saß eine ältere Dame an ihrem Tisch und frühstückte, auf diesen Tisch steuerte von der Tür her, eifrig, zappelnd, eine Marionette zu, die sie beide kannten, Francis Canning, der Geheimsekretär des Ministers.

Jane Carroll sah zu John Madden hinüber.

»Eine Verwandte,« sagte sie gelassen, »wahrscheinlich seine Mutter, die für kurze Zeit hier wohnt.«

»London,« sagte er, »scheint außerordentlich klein zu sein, der kleinste Ort, den ich kenne. Und in Ihrer Gesellschaft scheint es, als ob überhaupt ganz London unter einem einzigen Dache beisammenwohne.«


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