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Drittes Kapitel

Als Jane Carroll sich für das Kleid aus purpurnem Grün entschied – geschah es um John Maddens willen? Das war unmöglich. Hatte sie um John Maddens willen die Rosen gekauft? Unmöglich, – es widerstrebt dem Gefühl, einem rein zufälligen, von keiner inneren Logik gefügten Zusammentreffen äußerer Umstände tiefere Bedeutung beizumessen. Aber irgendwie mußte schon bei den Worten, mit denen Stephen den Besuch ankündigte, eine Ahnung in ihr wach geworden sein, daß dieser Augenblick für sie von Wichtigkeit war. Vielleicht empfand sie darin den entscheidenden Abschluß und Höhepunkt der fünf Jahre, in denen sonderbare Männer und Frauen am St.-James-Square gekommen und gegangen waren.

Jedenfalls erlaubte das Leben, das Jane Carroll bis dahin geführt hatte, nicht die Folgerung, daß es sich um eine der sentimentalen Romanzen handelte, wie sie vielleicht zwischen zwei jungen, ungereiften Menschen spielen, die der Magnetismus der Körper zusammentreibt, ehe sie noch wissen, was Liebe wirklich ist.

Jane war jetzt siebenundzwanzig Jahre alt. Sechs Jahre war sie verheiratet. Die Zahl der Männer, die ihr den Hof gemacht hatten, war Legion. Stephen sah zu, wie sie erschienen und verschwanden, und verriet durch keine Frage, daß er an diesen Dingen irgendwie Interesse nahm. Er wußte um die Zartheit des Empfindens, die Jane angeboren war. Sie war sich selbst zu kostbar. Nie würde sie zulassen, daß die Welt sie eines Tages als Heldin einer armseligen und jämmerlichen Szene aus einem französischen Schwank erblicken konnte.

Aber unter dieser Sicherheit, an die niemand je getastet hatte, lebte das ewig wache Erinnern daran, wie sehr schön diese Frau war.

Es gab Augenblicke – sie wußte nichts von ihnen –, in denen er versunken saß und diese Schönheit studierte. Es war dann, als stünde ihm kein Anspruch daran zu. Als sei solche Schönheit Eigentum der Geschichte, die ihren Besitz zurückfordern konnte, sobald das Schicksal die Stunde für gekommen hielt.

Nein – es war keine unreife Spielerei, keine törichte Sentimentalität, die an jenem Maiabend des Jahres 1921 Jane Carroll dazu brachte, zu tun, was sie tat.

Als sie die Stufen zur Diele hinunterschritt und der dunklen Silhouette John Maddens vorgestellt wurde, hinter der allerletztes Abendlicht über den Bäumen des Platzes hing, schritt sie in ein Bild hinein, das ihr vertraut war. Es war für sie gestellt. Die ganzen letzten fünf Jahre waren nichts als eine langsame Vorbereitung, ein langsames Wechseln der Kulissen, für dieses Bild. Sie kannte jede Einzelheit darin, bis zu den aufgehäuften Rosen unter dem Kerzenlicht.

Von dem Augenblick an, wo bei ihrem ersten Zusammentreffen ihre Hand in seiner lag, hatte sie gewußt, daß John Madden – und er allein – das Feingefühl hatte für ihr inneres Bild und was es ihr bedeutete. Sein Auge, das über die Kerzen hinweg sie traf, hatte sich dazu bekannt.

Ihr glühendster Bewunderer unter allen, die sich um sie geschart hatten, war ein Mann gewesen, dessen Titel teilen zu dürfen für Jane Carroll eine glänzende gesellschaftliche Erhöhung bedeutet hätte.

Sie hatte sich die erste Etappe durchmessen sehen: die Scheidung. Sie hatte sich auf dem Gipfel gesellschaftlichen Glanzes gesehen, auf den dieser Mann sie gestellt hätte. Sie hatte gehört, was ihre Freunde dazu sagten. Sie hatte mit einer Hand, die nicht zitterte, die dumpfe Verzweiflung in Stephens Brust prüfend gemessen. Denn niemals hatte sie darin etwas erblickt, was positive Wirklichkeit werden könnte. Ein Jahr, mehr als ein Jahr, hatte der fremde Mann sich an die Hoffnung geklammert, daß sie sich erweichen lassen würde. Und trotzdem waren sie – ein neues Zeichen für Janes Schönheit, ihren Witz und ihr menschliches Verständnis – als Freunde voneinander geschieden – soweit es Freundschaft gibt in einem Kreis wie dem ihren.

In ihren Armstuhl gelehnt, in dem Kirchenlicht, das ihren in tiefen Farbtönen gehaltenen Salon erfüllte, hatte sie allen freundlich zugehört, die um sie zu werben kamen.

In diesem Raum saß sie jetzt, nachdem sie ihre Gäste unten beim Wein zurückgelassen hatte. Ein Feuer brannte im Kamin, eine einzige Lampe neben ihr gab mattes Licht.

Francis Canning hatte ihr die Tür geöffnet, als sie das Eßzimmer verließ. John Madden, der der Tür weitaus näher saß, hatte sich nicht gerührt.

Sie hatte Francis angelächelt, als sie an ihm vorbeiging – Francis war gewohnt, daß Frauen ihm zulächelten – und ihr Lächeln war das letzte, was John Madden in diesem Raum an Glanz erblickte. Als die Tür ins Schloß fiel, war es, als senke sich Dunkelheit über das Zimmer. Er blickte über die Rosen hin auf ihren leeren Stuhl am Tisch. Da war ein schwarzes Loch im Kreis der Gesichter.

Soweit es möglich ist, zu wissen, wo man nur vermuten kann, wußte Jane von alledem. Wenn sie Francis zugelächelt hatte, so geschah es um John Maddens willen. Sie wußte, seine Augen folgten ihr. Es war gespielt, aber es war nicht künstlich. Dies Lächeln, das nicht an den gerichtet war, der es empfing, war dennoch echt.

Allein hier in ihrem Salon, wo der Feuerschein auf den grünen Falten ihres Kleides spielte, sagte sie sich, daß sie niemals so überwältigend das Gefühl gehabt hatte zu leben, als eben jetzt. Und doch wäre es ihr unmöglich gewesen, zu sagen, was innerhalb der letzten zwei Stunden in ihr Leben getreten war, um es derart zu bereichern. Alles, was sie erfassen konnte, war, daß ihr Leben einen neuen Zweck, ein sicheres Ziel bekommen zu haben schien.

Eine ganze Stunde lang saß sie so allein. Die vergoldete Uhr auf dem Kamin schlug elf.

Bevor der letzte Schlag verklungen war, erhob sie sich. Plötzlich war Unruhe in ihr. Sie läutete. Britton erschien an der Tür.

»Sind die Herren noch im Eßzimmer?« fragte sie.

»Jawohl, gnädige Frau.«

»Sie können zu Bett gehen, Britton, und sagen Sie Louise, sie soll mir meinen Pelzmantel herunterbringen.«

»Soll ich im Kamin noch nachlegen, gnädige Frau?«

»Nein, es ist mir zu heiß. Ich will auf dem Platz draußen noch etwas Luft schöpfen.«

Auf dem einsamen Platz ging Jane hin und her. Es war eine kalte Nacht. Die Kälte regte sie an. Ihr Hirn arbeitete rascher. Es war kein Nachdenken, es war ein Zustand verhaltener Erwartung. Die Fenster des Eßzimmers gingen auf die Straße. Die Vorhänge waren zugezogen, aber zwischen den Ritzen fiel schwaches Licht auf den Platz. Der dünne Strahl war wie eine Bahn, die ihren Blick hineintrug. Sie sah sie alle vor sich, als wären keine Vorhänge an den Fenstern und sie könnte sie beobachten. Sie sah das allzu fleischige, ein wenig schlaffe Profil des Ministers in übertriebener Verkürzung – so, wie sie es gesehen hatte, als er ihr zur Seite saß. Die scharfgeschnittenen Gesichtszüge seines jungen Sekretärs standen als Silhouette gegen die matte Dunkelheit des Raumes. Sie sah den Ausdruck zäher Hartnäckigkeit in den Augen des Ulstermannes und das merkwürdige Nicht-in-der-Welt-sein, das Stephens Antlitz wie eine Maske bedeckte. Jedesmal wenn sie umkehrte und wieder auf diesen leuchtenden Spalt zuschritt, kehrte das Bild wieder, und jedesmal verflogen all diese Gesichter vor ihrem Blick und es blieb nichts zurück, als die merkwürdige Blässe, dieses Papierweiß, von John Maddens Gesicht und die Flamme in seinen grauen Augen.

Hier, hinter den Vorhängen, die der leuchtende Spalt trennte, da saß im Ringen um das Ideal, von dem er träumte, um das Ideal, das ihm teurer war als das Blut, das in seinen Adern pulste, der Mann, auf dessen Kopf ein Preis von tausend Pfund gesetzt war.

Sie versuchte, ganz zu erfassen, was das bedeutete. Sie versuchte sich ein Ding vorzustellen, so kostbar, daß ein Mann körperliche und geistige Folter für nichts achtete, um es zu erringen. Sie dachte, um besser verstehen zu können, an den Krieg. Es war nicht dasselbe! Unter den Hunderten, die sie gekannt hatte und die gefallen waren, unter all denen, die hatten heimkehren dürfen, war nicht einer, der gelitten hatte, wie dieser Mann litt. Er focht für einen Traum. Die Leute, an die sie sich erinnerte, hatten für eine Wirklichkeit gefochten, und das war Halt und Stütze.

»Die ganzen letzten zwei Jahre –« so hatte er am Tische erzählt, »mit Ausnahme der Zeit, wo ich im Gefängnis saß, bis ich sie durch den Hungerstreik zwang, mich freizulassen – diese ganzen zwei Jahre über habe ich gelebt wie ein gehetztes Wild. Meine Eltern haben ein Haus in Rochestown, nicht weit von Cork, auf dem Weg nach Passage. Ich habe seit zehn Monaten nicht mit ihnen gesprochen. Einmal habe ich durch ein Loch in einer Hecke das Haus gesehen. Ich sah meine Mutter. Sie ging im Garten auf und ab. Es war besser, sie ging dort auf und ab und wußte nicht, wer zwei Felder weiter in der Hecke steckte, als wenn das Haus über ihrem Kopf in Flammen aufginge.«

Jane versuchte sich ein vollständiges Bild davon zu machen, und es gelang ihr nicht. Eines erfaßte sie: Das Leben dieses Mannes war ein geweihtes Streben, ein Suchen wie nach dem Heiligen Gral. Sie hatte nie geahnt, daß es in unserer Zeit irgendwo noch eine solche Leidenschaft des Glaubens gab.

Das Leben war dort oben, wo das Licht durch die Vorhänge schien. Sie blieb stehen und blickte hinauf – da erlosch es. Im nächsten Augenblick hörte sie das Schlagen einer Tür. Das Echo rollte an den stillen Häuserfronten hin. Sie hörte andere Schritte auf dem Pflaster klingen. Das Geräusch ihrer eigenen ertrank darin. Die Schritte kamen heran. Sie näherten sich dem Südausgang des Platzes. Sie hüllte den Pelz dichter um sich und begann zu laufen.

»Sie!« hörte sie sich sagen. »Halt ...« Aber sie murmelte es nur. Er konnte sie nicht gehört haben.

Trotzdem blieb er stehen. Er drehte sich um und kam das Trottoir herauf, um mit ihr zusammenzutreffen.

Sie stand und sah nach ihm, der rasch näher kam. Ein halbes Lachen erfüllte sie, sie war atemlos.


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