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Zweites Kapitel

Wachskerzen mit Lichtschirmen brannten auf dem Tisch. Keine der elektrischen Birnen war eingeschaltet. Britton, der Diener, und ein Stubenmädchen bewegten sich um die Sitzenden. Sie kamen und verschwanden wie aus einem schweren Vorhang, der, aus Dunkelheit gewebt, den Kreis des Kerzenlichtes eng umschloß. Eine Hand erschien und verschwand, um eine Schüssel auf den Tisch zu stellen oder wieder wegzunehmen. Es geschah geräuschlos, schemenhaft. Wenn ein Gang serviert war, öffnete sich im Dunkel eine Tür und verschlang die Dienerschaft, als hätte ein schwarzer Samtvorhang sich über ihnen geschlossen. Die Rosen lagen in der Tischmitte aufgehäuft. Um Jane glomm das seltsame Grün ihres Kleides. Die Kerzen waren niedrig, und über dem Lichtkreis, den sie aussandten, hingen die sechs Gesichter in der Dunkelheit wie gemalte Masken.

Über den matten Lichtkreis der Kerzen hinweg beobachtete Jane das Gesicht John Maddens.

Während der ganzen ersten Hälfte des Essens blieb die Unterhaltung vorsichtig, reserviert. Gelegentlich war sie banal. Jedesmal, wenn der Diener erschien, erstarrte sie ganz, und ein abgebrochener Satz hing unvollendet in der Luft. In solchen Augenblicken gelang es Jane, mit irgendeinem blanken Wort den Weg zum Lachen zu finden. Ihr Witz füllte die große Leere, die sich immer wieder auftat. Und jedesmal traf dann ihr Blick den Blick John Maddens – er hatte dunkelgraue Augen, grau wie ihre, die ihr fröhlich zuwinkten. Es war das Aufblitzen eines Augenblicks der Heiterkeit in einem Gesicht, auf dem eine Tragödie geschrieben stand und das nur noch tragischer wirkte, wenn das Lächeln vorbeigehuscht war.

Allmählich, wie das Mahl fortschritt, erfaßte Jane, was um sie vorging und was es politisch bedeutete.

Geschichte war es nicht! Das nicht! Und wenn – dann Geschichte, bei der, wie Stephen gesagt hatte, die Massen noch im Fluß und zu glühend waren, um angerührt werden zu können. Ah, nein! Man saß hier auch nicht zusammen, um ein paar Stunden der Gastlichkeit zu genießen. Feindliche Gegensätze lagen unter der Oberfläche. In den geschmeidigen Tönen des Kabinettsmitglieds, in der diensteifrigen Schneidigkeit, mit der der Geheimsekretär seinem Vorgesetzten sekundierte, in den scharfen Kommentaren, mit denen der Mann aus Ulster jedes Wort begleitete, entdeckte sie einen einheitlichen Willen. Diese Leute hatten sich zusammengetan, um einen gemeinsam geplanten Handel so oder so zum Abschluß zu bringen.

Diese Einsicht kam ihr nach und nach. Sie hatten sich hier versammelt, bei diesem Kerzenlicht, und feilschten um die Seele des jungen Menschen aus Irland. Sie waren gekommen, um ihn zu kaufen, wenn einer mit den Kniffen der Staatskunst ihn dazu bringen konnte. Er war ein hilfloser Fremdling auf ihrem wohlorganisierten Marktplatz. Sie hielten ihn am Saum fest und umdrängten ihn auf allen Seiten. Es gab Augenblicke, da sah sie etwas in seinen Augen – nicht Furcht, aber den Wunsch zu laufen, mit einem Sprung über alle Konventionen zu setzen, die sich wie Mauern um ihn schlossen – und ihnen entronnen zu sein. War dies das Haus, das er betreten hatte, weil er glaubte, in das Heim eines ehrlichen Menschen zu kommen? Es gab Augenblicke, da trafen sich Janes Blicke mit den seinen über den Kerzen, hinter den Masken ihrer Gesichter, und sie wußte, er hatte keine Angst, aber es war ihm unheimlich.

Das Essen war schon fast vorbei, und ihre Gedanken hatten sich mit niemand beschäftigt als mit ihm. Ihr eigenes Ich hatte sie vergessen. Wieder gähnte eine Lücke im Gespräch, und da plötzlich, noch ehe ihr rascher Witz die Pause füllen konnte, erblickte sie sich selbst. Wozu saß sie an diesem Tisch? Sie war da, um mit dem Charme ihrer Persönlichkeit die metallene Härte der Tatsachen zu verhüllen – die Krinolinenpuppe, deren Röcke die Hebel und Räder der Regierungsmaschine verdecken sollten. Sie lachte. Keiner der Männer am Tisch verstand, was ihr Lachen bedeuten sollte. Stephen horchte auf, aber auch er verstand nicht.

Sie sah vor sich – wie ein Bild – alles, was vorausgegangen sein mußte, alle die Unterhaltungen in einem jener wohlbehüteten Räume, in denen die Regierenden ihre Audienzen halten. Vor acht Tagen hatte Stephen mit dem Minister zusammen gegessen. Was war leichter, als das Interesse des begeisterten Historikers zu wecken, dessen Herz für sein Geburtsland schlug?

»Ich wundere mich nicht, daß Sie mich alle so erstaunt ansehen«, erklärte sie. »Ich bin selbst verblüfft. Wo in aller Welt kommt eigentlich das Lachen her? Ich dachte an etwas. Es war durchaus nicht komisch! Es muß ein Kobold gewesen sein, der hier gelacht hat.«

Der Minister saß neben ihr, und da sich mildes Erstaunen auf seinem Gesicht malte, fügte sie hinzu, wie eine Antwort:

»Oder wollen Sie etwa behaupten, daß Sie an Kobolde und die ganze unsichtbare Welt nicht mehr glauben?«

»Meine sehr verehrte gnädige Frau!« sagte er. »Wenn ich Sie an meiner Seite sehe, dann scheint mir das Unsichtbare, das diese Welt noch bergen könnte, in einem Maße uninteressant, das sich mit Worten nicht umschreiben läßt.«

Er war berühmt als ein Mann, der eine Phrase elegant zu formen weiß. Nachdem er wieder einmal bewiesen hatte, daß sein Ruhm zu Recht bestand, vergaß der Minister – und mit ihm der Rest der Gesellschaft – sehr rasch den fremden Ton dieses Lachens. Jane zog sich in den Hintergrund der Unterhaltung zurück und begnügte sich damit, zuzusehen, wie hier ein Stück inszeniert wurde, in dem ihr nur die Rolle einer Marionette zugewiesen war.

Aber von der Bühne, auf der eine Jane Carroll spielen konnte, wußten sie nichts. Was bedeutete diesen Männern aufgehäufte rote Rosen? Oder ein Kleid, oder das Grün von Irland? Sie sprachen von Grenzlinien zwischen Norden und Süden. Sie untersuchten Verpflichtungen und Vollmachten.

Der Minister aß gerade seinen Spargel.

»Die Regierung des Reichs«, erklärte er, »ist verpflichtet, die Sache der Ordnung zu verteidigen. Sie wird ihr Äußerstes tun, um die aufrührerischen Elemente in Irland zu bändigen. Ein Volk, das sich zu einer Politik des Meuchelmordes und der Verwüstung bekennt und diesen Standpunkt öffentlich vertritt, kann sich nicht der Hoffnung hingeben, daß man ihm in der Gemeinschaft der Nationen einen Platz als freies und gleichberechtigtes Mitglied einräumt.«

»Es hängt alles davon ab,« sagte John Madden, »wie Sie die Begriffe Meuchelmord und Verwüstung auffassen. Ich frage Sie alle, die hier an diesem Tische sitzen: würden Sie sich nur einen Augenblick besinnen, auf einen Einbrecher zu schießen, der nachts mit dem Revolver in der Faust in Ihre Wohnung dringt? Und Sie wissen sehr gut, daß unter Ihnen keiner ist, der da zögern würde.«

»Auf alle Fälle müssen Sie selbst zunächst nachweisen können,« warf der Ulstermann dazwischen, »daß es auch wirklich Ihr Heim ist!«

Und Jane Carroll sah den mühsam gebändigten Zorn in seinen Augen, sah ihn in Maddens Augen. Dies war Irland – die Generationen währende Zwietracht Irland. Hier lebten zwei Brüder in demselben Hause, und zwischen ihnen war nichts als blutiger Haß.

Hatte auch Stephen in den Augen der beiden gelesen? Sie blickte zu ihm hinüber. Er war mit seinem Essen beschäftigt. Seine Augen waren in den aufgehäuften Rosen verankert. Sie kannte diesen Blick. Er war im Augenblick um ein Jahrhundert von seinen Gästen entfernt.

Janes Blicke schweiften über den Tisch. Zwischen den feindlichen Brüdern mit ihrem Haß saß der Geheimsekretär wie ein intelligenter Terrier, der das Eigentum des Herrn verteidigt, ein fixer, junger Mann, selbstsicher, von des Gedankens Blässe niemals angekränkelt, zufrieden damit, im Schatten der Macht zu leben. An ihrer Seite sah sie in scharfer Verkürzung das Profil des Ministers mit seinem Ausdruck liebenswürdiger und herablassender Selbstüberzeugtheit.

»Und wie steht es mit dem Roten Sonntag?« fragte Canning. Es klang harmlos und wohlerzogen. Der Geheimsekretär hatte die besten Manieren, die eine der aristokratischen Schulen Englands hervorbringen kann. Es klang, als spräche er von einem allgemeinen Feiertag. »Meinen Sie nicht auch, daß, wenn man vierzehn Offiziere aus den Betten holt und sie kalten Blutes niederschießt, die Angelegenheit einigermaßen stark an das erinnert, was die Gesetzbücher mit dem Namen Mord bezeichnen?« Diese bestechende Liebenswürdigkeit war es, die allen Leuten die krankhafte Lust eingab, ihn mit dem Vornamen anzureden. Für alle war er Francis.

Er richtete einen milden, fragenden Blick auf Jane. Sie aber wandte sich John Madden zu. Dem schoß das Blut ins Gesicht. Sie sah, er stand in weißer Glut. Was würde er antworten? Sie hatte von jenem Roten Sonntag gehört. Ganz England hatte von diesem Tag gehört. Wenn Irländer getötet worden wären, so wäre man darüber mehr oder weniger rasch zur Tagesordnung übergegangen. Aber hier handelte es sich um Offiziere, deren Angehörige auf englischem Boden lebten.

»Im Kriegszustand«, antwortete Madden, »machen Sie auch nicht viel Aufhebens von einem Todesurteil gegen einen Spion. Sie holen ihn frühmorgens aus dem Bett und stellen ihn an die Wand.«

Francis Canning schickte sich an zu sprechen. Er hatte eine treffende Antwort bereit, aber der Minister hob die Hand. Er hatte einen Spargel in den Fingern. Es wirkte lächerlich. Er bemerkte es nicht.

»Der Zustand der Revolution«, sagte er gelassen, »ist kein Kriegszustand. Die sogenannte republikanische irische Armee ist nichts als die bewaffnete Revolution. Sinn-Fein bedeutet keine Regierung, es bedeutet einfache Tyrannei. Die Krone kann in Sinn-Fein nichts anderes erblicken als das. Jedes Individuum, das im Kampfe für Gesetz und Ordnung von den Revolutionären getötet wird, ist schlechthin ermordet. Die Regierung, als Hüterin der Verfassung, kann diese Dinge unter keinem anderen Gesichtswinkel betrachten.«

»Sinn-Fein,« sagte Francis, der jetzt auch seine Gelegenheit zum Reden fand, da der Minister sich der Vertilgung seines Spargels widmen mußte – »Sinn-Fein ist von Arthur Griffith im Jahre 1904 begründet worden. Die britische Verfassung ist eine zu altehrwürdige und wohlbegründete Einrichtung, als daß wir untätig mit ansehen könnten, wie eine Vereinigung, die über Nacht aufgeschossen ist wie ein Pilz, sich das Recht anmaßen will, über Wohl und Wehe einer der britischen Inseln maßgebend zu entscheiden.«

»Über Nacht aufgeschossen wie ein Pilz?!« rief John Madden. »Hat denn keiner von den Herren hier je einen Blick in die Geschichte Irlands geworfen?«

Stephen Carrolls Augen trennten sich plötzlich von den Rosen.

»Natürlich haben sie Irlands Geschichte gelesen«, sagte er. »Darum dreht es sich hier nicht. Die Frage ist, ob ihnen je ein Verständnis dafür gedämmert hat, daß es etwas anderes sein könnte als einfach die Geschichte Englands. Es gibt eine große Schwierigkeit, die immer jeden Engländer daran hindern wird, Irland zu verstehen: Er ist von Geburt an schon unfähig, sich mit dem Gedanken abzufinden, daß die Geschichte irgendeines Landes älter sein könnte als seine eigene. Für den Durchschnittsengländer hat die Zivilisation in dem Augenblick begonnen, wo sein Vaterland von Rom erobert wurde. Daß Christus schon vor dieser Zeit auf die Welt gekommen ist, und daß er nicht in einer englischen Krippe gelegen hat, ist für ihn nichts weiter als eines der vielen Wunder, durch die die Geburt des Herrn sich auszeichnete.«

Er wandte sich dem Geheimsekretär zu.

»Sie nennen Sinn-Fein einen Pilz, der über Nacht aufgeschossen ist«, sagte er. »Sie vergessen, daß das irische Volk ein uralter Stamm ist. Weil immer wieder und immer wieder die Säge der Politik seine schönsten Äste verstümmelt hat, sind Sie so weit gekommen, anzunehmen, daß er tot ist. Sinn-Fein ist nicht im Jahre 1904 begründet worden, damals hat man ihm nur diesen Namen gegeben. Der Geist, der diese Bewegung erfüllt, ist älter als das Buch von Kells. Und wenn Sie wissen wollen, was dieser Geist ist, so sage ich Ihnen: daß die Irländer noch immer Vertrauen zu ihrer Geschichte haben.«

Das war ein Stephen, der für Jane neu war. Ein Mann, der Empfindungen besaß und der ihnen Ausdruck lieh. Warum hatte er zu ihr niemals so über Irland gesprochen? Angesichts der Köpfe rund um ihren Tisch, angesichts der Beredsamkeit, die plötzlich aus ihrem Manne brach, fing Jane allmählich an zu begreifen, welche Botschaft es war, die all die seltsamen Männer und Frauen in den Augen trugen, wenn sie in den vergangenen Jahren an Stephens Tür gepocht hatten. Sie waren gekommen, um ihm zu sagen, daß ein neues Irland sich erhob. Sie waren gekommen, um zu künden, daß, wenn je die Geschichte ihres Landes geschrieben wurde, so jetzt; daß sie dabei seien, sie mit Blut zu schreiben und daß es ihm eines Tages gestattet sein solle, davon mit Tinte eine säuberliche Abschrift zu nehmen, damit die Welt lese und begreife.

Nach und nach, wie das Essen fortschritt, erfuhr sie aus Bruchstücken der Unterhaltung allerlei über den Terror in Irland. Wer Augen hatte zu sehen, der sah ihn vor sich: auf John Maddens Gesicht stand er geschrieben. Vielleicht hätte auch Jane Carroll diese Zeichen nicht entziffert, wenn sie durch irgendwelche politische Sympathien mit dem England verknüpft gewesen wäre, das ihre Heimat war. Die Augen des Ministers waren mit freiwilliger Blindheit geschlagen. Die Augen des Ulstermannes waren krampfhaft geschlossen. Selbst Stephen hatte vergessen, daß in seiner nächsten Nähe ein lebender Zeuge saß. Und der Geheimsekretär sah grundsätzlich niemals weiter, als sein Gehalt ihn verpflichtete.

Aber sie sah es.

John Maddens Wangen hatten ein merkwürdiges Weiß, das Weiß von dünnem Papier, das Weiß zerbrechlicher Dinge. Wenn sie an Vater Hanrahan und die anderen dachte, die in ihrem Salon gesessen hatten, dann konnte sie sich der Vermutung nicht erwehren, daß sein Smoking nicht eigens für die Schultern gemacht war, auf denen er jetzt saß. Und in der Kunst, seinen Schlips zu knüpfen, hätte er von Francis Canning noch manches lernen können. Da war eine Locke seines Haares, die ihm hartnäckig in die Stirn fiel und immer wieder mechanisch zurückgestrichen wurde. Seine Hände – er reichte jemand das Salzfaß über den Tisch, und in diesem Augenblick entdeckte sie seine Hände. Sie waren sehnig und voll innerer Kraft, aber dünn und papierweiß, gleich seinem Gesicht. Und doch wirkte er nicht blaß. Es war gesättigtes Kolorit um ihn, an der die Wildheit seiner Augen, das warme dunkle Braun des Haares und die Färbung seines Mundes Anteil hatten. Es war Blut in ihm, aber Entbehrungen und Leiden waren schuld, daß der Strom nur dünn rann. Er aß gemessen, wie ein Mann, der nicht verraten will, daß er hungrig ist. Sie erfuhr aus dem Gespräch, daß er einmal im Mountjoy-Gefängnis in den Hungerstreik getreten war. Nun wußte sie, woher ihm dies geblieben war.

Niemals noch hatte Jane Carroll, die ihre Gäste sorgfältig aufeinander abzustimmen pflegte, eine mehr von Gegensätzen erfüllte Gesellschaft an ihrem Tisch gesehen. Wozu waren sie gekommen? Abgesehen von seinen gelegentlichen Betrachtungen über das historische Aussehen der Dinge, hielt sich auch Stephen zurück. Sogar vor ihr verbarg er sich mit dem, was in ihm vorging, wie ein Hase, der im hohen Gras versteckt liegt.

Sie hatte geglaubt, ihn zu kennen. Frauen glauben, daß sie die Männer kennen, von denen sie angebetet werden. Wieder, wie in letzter Zeit schon oft, bemerkte sie an ihm etwas, wozu sie keinen Zutritt hatte.

Die anderen benahmen sich ganz wie Leute, die zum Geschäftemachen zusammengekommen sind. Wer würde zuerst frei von der Leber weg reden? Waren sie überhaupt gesonnen zu sprechen, solange Jane im Zimmer war? Der Gedanke reizte sie zur Auflehnung. Der Diener setzte die Karaffe mit dem Portwein vor Stephen auf den Tisch. Er sah ruhig zu ihr hinüber, als erwarte er etwas. Sie aber blickte ihm gelassen in die Augen und sagte:

»Ich denke, wir werden den Kaffee gleich hier trinken.«

Konnte jemand Widerspruch erheben?

Der Ulstermann sagte gerade:

»... Wenn die Regierung das irische Polizeikorps im Stiche läßt, wenn man untätig zusieht, wie das Korps allmählich verschwindet –. Wer soll dann in Irland für Ordnung sorgen?«

»Man hat mir erzählt,« sagte Francis in seinem beiläufigen Ton, »daß die Revolutionäre den Preis auf den Kopf jedes Angehörigen dieses Polizeikorps von fünfzig auf hundert Pfund heraufgesetzt haben.« Es klang, als zitiere er den Kurszettel.

»Die Regierung, Mr. Madden,« sagte der Minister, »wird und kann die Leute niemals im Stiche lassen, die sich schützend vor die Ehre der Krone gestellt haben. Es gibt noch loyal Gesinnte in Irland. Gewiß werden auch Sie zugeben, daß es über alles erlaubte Maß hinausgeht, wenn man für das Töten eines Vertreters der Gesetze ein Kopfgeld ausschreibt.«

Er sah sich beifallheischend in der Runde um. Jeder halbwegs Vernünftige mußte ihm doch zustimmen! Über die Rosen hinweg blickte Jane zu John Madden hin.

In seinen Augen glitzerte etwas. Es war kein Lachen, dazu war es zu ironisch. Es hatte nichts Belustigendes und doch stimmte es sie froh. Sie fühlte, wie ihre Lippen sich in durstiger Erwartung seiner Antwort teilten.

»Sie meinen, daß wir alle erlaubten Grenzen überschreiten?« sagte er.

»Jawohl, das meine ich«, sagte der Minister.

»Auch angesichts des Umstandes, daß Ihr königlich irisches Polizeikorps Hand in Hand mit den englischen Truppen arbeitet, sie mit Informationen versieht und ihre Operationen unterstützt?«

»Angesichts des chaotischen Zustands, wie er augenblicklich in Irland herrscht,« sagte der Minister, »kann die Polizei sich nicht darauf beschränken, die gewöhnlichen Trunkenbolde und Radaubrüder im Zaum zu halten, während ringsum die Verbrechen der Auflehnung gegen die Staatsgewalt, des Aufruhrs und des Hochverrats auf breitester Grundlage organisiert werden.«

»Sie können einer Sache einen beliebigen Namen geben, aber Sie werden ihre innere Bedeutung damit nicht verändern. Es ist ein Krieg! Sie beklagen sich darüber, daß wir Kopfpreise ausschreiben, Sie bestehen hartnäckig darauf, Ihre irischen Polizisten die Schützer von Recht und Ordnung zu nennen. Wir nennen sie ganz anders. Wir nennen sie Spione. Es ist Pflicht des Soldaten, für sein Land zu fechten, und er respektiert den Mann, der ihm in ehrlichem Kampf gegenübertritt, aber wenn ein Spion stirbt, erleidet er nur, was er verdient. Warum wollen Sie sich darüber beklagen, daß wir die Köpfe dieser Leute mit hundert Pfund bezahlen? Ich beklage mich doch auch nicht, daß der Preis, der auf meinen Kopf gesetzt ist, von fünfhundert auf eintausend Pfund erhöht worden ist. Wenn ich mich überhaupt über etwas beklage, dann nur darüber, daß wir uns solche extravaganten Belohnungen, wie Sie, nicht leisten können. Wir sind ein armes Volk, ihr seid ein reiches. Nach dem Gelde zu urteilen, das ihr in den letzten sechs Jahren mit vollen Händen hinausgeworfen habt, müßt ihr geradezu märchenhaft reich sein. In London allein wohnen vielleicht soviel Menschen, wie in unserem ganzen Irland. Aber dennoch ist es euch noch nicht gelungen, uns zu schlagen, und solange ihr darauf besteht, von einer Revolution gegen die staatserhaltenden und ordnungsschützenden Kräfte zu reden, wird es euch nie gelingen. Denn es ist in Wirklichkeit ein Krieg! Ihr wollt es vor der Welt nur nicht eingestehen, daß das große, mächtige England mit einer armen kleinen Insel im Atlantischen Ozean im Kriege liegt. Ihr habt mir anscheinend freies Geleit gegeben, um an euren Tischen über die Frage zu debattieren, und ich nehme an, da ich an einem gastlichen Tische sitze und eine schöne Frau anwesend ist, werde ich meine Zunge zügeln müssen. Schön! Ich will ihr Zügel anlegen und ich will euch nur das eine sagen: In Irland lebt eine Nation; es ist nicht die englische Nation. Es ist ein Volk, dessen Männer und Frauen anders sind. Und der Kampf, den wir führen, ist bei Gott keine Rebellion, sondern es ist ein Krieg, den wir gewinnen wollen, und an diesem Willen werden wir festhalten, solange von uns noch einer übrig ist, der auf seinen Füßen stehen kann und Atem genug hat zu einem Schrei!«

Er brach ab. Ohne es selbst zu wissen, hob er sein Glas und führte es zum Mund. In seinen Augen schoß eine Flamme auf, als er es ansetzte. Jane Carroll glaubte den Gluthauch im Gesicht zu spüren. Sie faßte ihr Glas und hob es ihm entgegen, bevor sie sich bewußt wurde, daß ihr Tun eine besondere Bedeutung hatte. Sie tranken zusammen – und sie tranken allein. Stephen Carrolls Blick hatte sich in die Rosen gesenkt. Der Minister spielte mit einem Obstmesser auf dem Tisch, der Mann aus Ulster starrte auf seinen Teller. Der Geheimsekretär klappte sein goldenes Zigarettenetui nervös auf und zu.

Sie tranken zusammen – und allein.


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