Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel

John Madden kehrte nicht am nächsten Tage schon nach Irland zurück. Trotz seiner ausgesprochenen Überzeugung, daß die Zusammenkunft mit Draper ein Mißerfolg war, war es Jane gelungen, ihn zu halten. Sie zeigte eine Zuversicht, die er gelten lassen mußte, aber nicht verstand. Sie selbst wußte noch nicht einmal völlig klar, wieviel sie selbst davon verstand.

Sie hatte lauschend das Ohr an die Tür gedrückt, die Anthony Drapers Inneres vor ihr verschloß. Sie hatte sich dabei ein gewisses Bild von seinem Charakter gemacht und war mehr darauf aus, auf Grund dieses Eindrucks zu handeln, als ihn zu analysieren. Zwei Worte hatten sich in ihr Gedächtnis geprägt: »als Dritter« und »abenteuerlich«. Sie hatte weitaus mehr instinktmäßig darauf reagiert als verstandesmäßig.

»Warum können Sie sich nicht in Geduld fassen?« hatte sie noch am Abend gesagt, als sie John Madden zur Tür geleitet hatte. »Sie sind unstet wie ein Mückenschwarm. Eben noch sind Sie zuversichtlich, und im nächsten Augenblick sind Sie verzweifelt. Gewiß, was er heute abend gesagt hat, ist so gut wie ein Nein, aber sind Sie denn so blind, daß Sie den schwachen Strahl von Hoffnung nicht sehen können, der durch die geschlossene Tür dringt?«

Sie hatte ihm eine Hand gegeben, die sich ihm schutzlos auslieferte. Er hatte diese Hand umfaßt und wieder fallen lassen wie einer, der es nicht wagen darf, irgend etwas besitzen zu wollen. Er ging raschen Schrittes davon und kehrte ebenso rasch wieder um, um ihr zu sagen, daß es unmöglich sei, sie nur am Telephon zu sprechen. Er mußte wissen, daß er sie morgen sehen konnte. Sie hatten für den kommenden Tag keine andere Verabredung getroffen.

Und in dem Augenblick, wo er sich umdrehte, hatte sie die Tür schon geschlossen. Ein hohles Echo lief an den Häusern entlang. Er blieb stehen und betrachtete unschlüssig die Glocke. Jane mußte noch in der Nähe sein. Sie würde sofort wissen, wer läutete, würde selbst an die Tür kommen, und er würde das, was ihm auf der Zunge brannte, sagen in einem einzigen kurzen Satz. Er wußte selbst nicht, warum er darauf verzichtete. Er hatte nicht geläutet. Auf dem ganzen Weg nach seinem Hotel kämpfte er mit dem Gefühl, daß er einen kostbaren Augenblick seines Lebens vergeudet hatte.

Es war zwei Uhr nachts geworden, ehe Jane einschlafen konnte. Sie hörte die Glocken draußen schlagen, zwölf, eins, zwei, bis sie ihre Stimmen kannte und wartete, bis sie neu zum Schlag ansetzten. Anthony Draper hatte sie um Viertel vor elf verlassen, um halb zwölf hatte sie unten die Tür geschlossen und war allein geblieben.

All diese Zeit über hatte John Madden in ihren Armen gelegen. Dieser erste Kuß, den er ihr gegeben hatte! Er hatte sie ein zweites Mal geküßt, als er sich von den Knien erhob, um zu gehen. Und in dieser ganzen Zeit hatte keiner von ihnen das Wort Liebe über die Lippen gebracht. Lange, lange war es zwischen ihnen völlig still gewesen. Eine ihrer Hände hatte sie leicht auf seine gelegt, die andere hielt er fest umspannt. Es schien, als gäbe es kein Wort, das der Stunde gerecht werden konnte. Schließlich hatten sie über Draper gesprochen und überlegt, wie seine Ablehnung zu werten sei. Er hatte sich selbst Vorwürfe gemacht, hatte ihr das plötzliche Gefühl der Gegnerschaft gebeichtet, das ihn angesichts des Amerikaners befiel. Er selbst war jetzt erstaunt darüber, fragte sich nach dem Grund.

Sie hatte ihn gewähren lassen, froh darüber, seine Stimme über sie hinströmen zu fühlen, aber nichts von allem, was er sagte, gewann in ihr Gestalt und Bedeutung. Sie hörte nur seine Stimme.

Und dann, aus eigenem Entschluß, war er gegangen. Sie hatte keinen Versuch gemacht, ihn länger zu halten. Und er war nicht etwa davongestürzt wie einer, der sich nicht mehr die Kraft zutrauen darf, länger zu verharren – er war gegangen wie ein Schlafwandler, wie ein Automat.

In einer ähnlichen Stimmung befangen, war sie in ihr Schlafzimmer hinaufgegangen, hatte die Kleider abgeworfen, sich ins Bett gelegt. Eine Stunde, vielleicht länger, hatte sie ihr Licht nicht ausgelöscht. Was konnte sie für Irland tun, dieses Irland, das ihr neues Leben ausmachte? Sie beschwor Anthony Drapers Gestalt. Sie hatte kein Mitleid, für sich nicht, nicht für ihn. Sie sah ihn, wie er war. Mit einem plötzlichen Entschluß schaltete sie die Lampe neben ihrem Kopfkissen aus. Es war, als könnte sie den Anblick des Luxus um sie her nicht mehr ertragen. Die Dunkelheit war nicht beruhigender als das Licht. Die fieberhafte Helligkeit, die in ihr war, ließ sich nicht auslöschen. In ihrer Nähe schlug eine Glocke ein Uhr. Andere aus dem Innern der Stadt folgten. Dann schlug es zwei. Schließlich sank sie doch in Schlaf, ohne es zu merken. Sie wachte auf, als Louise ihr um neun den Tee brachte.

Sofort und automatisch setzte die fieberhafte Gedankenarbeit wieder ein, als sei der Schlaf nur eine kurze Unterbrechung gewesen. Sie erinnerte sich an alles, was sich zugetragen hatte. Sie sah ihr Kleid vor sich, das Louise vom Fußende ihres Bettes auflas, um es wegzuhängen. Es war das Kleid, um das John Maddens Arme sich gelegt hatten. Sie betrachtete ihre Hand, die auf der Decke ruhte; dies war die Hand, die John Maddens Haar berührt hatte. Sie ließ sich von Louise einen Spiegel vom Toilettentisch reichen und starrte das Bild an, das er ihr zurückwarf. Das waren die Lippen, die John Madden geküßt hatte. Sie sah sie an, als könne sie die Spuren seiner Küsse noch darauf erkennen.

Noch immer den Blick auf das Spiegelbild gerichtet, bat sie Louise, die Nummer des Savoy im Telephonbuch nachzusehen.

»Lassen Sie sich verbinden,« sagte sie, »und fragen Sie nach Mr. Draper.«

»Mr. Draper am Telephon? Mrs. Carroll möchte Sie gerne sprechen«, sagte Louise.

»Hallo – guten Morgen! Ich hoffe, Sie sind nicht verblüfft über den frühen Anruf. Nein – großartig! Immerhin dürfte ich wohl früher zu Bett gegangen sein als Sie. – Oh, über euch reiche Amerikaner! Ich stelle mir vor, daß euch alles zu billig vorkommt. – Jawohl, jawohl! – Trotz alledem liebe ich die Firma Woolworth. – Aber ich könnte da nicht leben. Herzliches Beileid – das kenne ich. – Nein – eigentlich ist mir gar nicht so zumute. Ich bin in ernster Stimmung. Ich wollte Sie nur erwischen, ehe Sie sich ›in eine Stimmung hüllen‹ – jawohl, deshalb habe ich es ja auch wiederholt. – Hören Sie zu. Warum sagt man das übrigens ausgerechnet immer dann, wenn man genau weiß, daß der andere ganz gewiß nichts anderes tut, als aus Leibeskräften zuzuhören? Sie sagten, Sie wollten heute früh sich schlüssig werden. Ich wünsche, daß Sie das bleiben lassen – nun – mir zu Gefallen! Warten Sie bis Sonnabend. Mein Mann kommt aus Warwickshire zurück. Ich möchte, daß Sie erst mit ihm zusammenkommen, bevor Sie Ihre Entschlüsse fassen. Nein. Er weiß nicht das geringste davon. Er ist der vom Geist der Objektivität erfüllte Beobachter, deshalb möchte ich gerade, daß Sie ihn kennenlernen. Ich glaube, Sie haben gestern abend den Eindruck gehabt, daß wir beide zu sentimental und erregt sind, er, als schlichter Zuschauer, kann Ihnen eine Ansicht vermitteln, die der Sache mehr gerecht wird. Nur hat Stephen nicht dieselbe Begabung wie Sie, gleich das ›Abenteuerliche‹ herauszuspüren.«

»Abenteuerlich –«

Sie tönte ihre Stimme kunstvoll ab, um das Wort herauszubringen. Den gespannten Ausdruck, mit dem sie auf die Antwort wartete, sah er nicht. Sie machte eine Pause, dann lächelte sie.

»Nun – das ist außerordentlich edelmütig von Ihnen – und auch klug. Jawohl – das ist meine aufrichtige Überzeugung. Eine solche Gelegenheit kommt nicht oft. Es findet sich kein großer Überschuß an Liebe in der Welt von heutzutage – oder ist es anders? Seit der Krieg vorbei ist, ist Degoutiertheit und Zynismus an der Tagesordnung. So sehe ich es wenigstens. Ich weiß wirklich nicht, wofür die Leute eigentlich leben – es sei denn – jawohl – jawohl – das ist's. Also gut. Das soll ein Wort sein! Sonnabend, um fünf, zum Tee. Auf Wiedersehen.«

Sie legte den Hörer zurück. Louise war noch immer da, machte sich allerlei im Zimmer zu schaffen. Jane schickte sie hinaus.

»Ich klingle, wenn ich aufstehen will. Jawohl, ich werde unten frühstücken.«

Kaum hatte die Tür sich geschlossen, als sie wieder nach dem Telephon griff. Sie rief das Hotel in der Waterloo-Bridge-Road an. Jetzt war sie kurz, unmitteilsam, lakonisch.

»Wir wollen uns heute vormittag treffen,« sagte sie, »um elf Uhr. Ich habe verschiedenes zu besorgen. Bei Wooland. Der Eingang von Knightsbridge her. Nein – nichts sonst. Auf Wiedersehen.«

Aber sie hatte die Gabe, in dieses Abschiedswort eine Liebkosung zu legen. John Madden, der den Hörer aufhängte, sah vor sich ihre Augen in weichem Glanz, spürte den feinen Wohlgeruch in ihrem Haar, fühlte die Berührung ihrer Lippen.

Sie verbrachten diesen ganzen Tag zusammen.


 << zurück weiter >>