Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel

Daß am nächsten Morgen, während sie mit Stephen beim Frühstück saß, Anthony Draper auftauchte, war für Jane kein unerwartetes Ereignis. Am Nachmittag vorher, als sie im Garten stand und fern am Horizont den winzigen dunklen Fleck sah, der seine Anwesenheit verriet, hatte ein sechster Sinn ihr zugeraunt, daß nicht alles zu Ende war, wenn die »Candida« ihre Gewehre gelandet hatte. Daß er jetzt hier erschien, war nur ein Teil von allem, was sie geahnt hatte. Frau Troy hatte ihnen den Namen verabreicht, etwa wie man einem Hund sein Fressen vor die Tür wirft. Sie rief ins Zimmer: »Hier ist ein Mr. Draper«, und verschwand. Er mochte selbst sehen, wie er ins Zimmer kam.

Jane war sofort aufgesprungen. Sie hatte seine Schritte draußen in der Diele schon gehört. Sie hatte verfolgt, wie sie immer näher kamen, bis die Tür sich öffnete. Und als er auf der Schwelle stand, war er in ihren Augen kein Gast, der auf Grund einer rein gesellschaftlichen Einladung bei ihr erschien, sondern »der Dritte«, der mit irgendeinem Anspruch an ihr Leben zu ihr kam.

Vor wenigen Augenblicken hatte Stephen ihr mitgeteilt, daß Vater Hanrahan ihnen einen neuen Besuch abstatten werde – heute. Es war, als sei Drapers Eintreffen der gegebene Abschluß von alledem. In der Nacht hatte sie lange an ihrem Fenster gesessen und auf die gedämpften Geräusche vom Meer herauf gehorcht. Unablässig fuhren Boote hin und her. Sie hatte die »Candida« erkennen können, die sich schwach von der dichteren Dunkelheit der Nacht abhob. Es brannten keine Lichter an Bord. Am Morgen war die See leer. Ein dünner Morgennebel dampfte in der Sonne. Die ganze Zeit über hatte sie mit gestrafften Nerven gelegen, für den Augenblick gerüstet, wo sie Draper zu empfangen hatte.

Was er auch erwartet haben mochte, er fand sie jedenfalls in einer Laune, die jede Erinnerung an ihr Zusammentreffen in London ausschaltete. In ihrem einfachen Kleid überstrahlte sie jede Erinnerung an ihre Schönheit, die er von damals mitgebracht hatte.

Er hatte ihre Hand ergriffen, die sie ihm hinhielt, und hatte gesagt:

»Ah, man fühlt sich heute wie jemand, der aus einem Alptraum erwacht und mit Freude feststellt, daß man ihm den Hals doch nicht abgeschnitten hat, und daß draußen die Sonne scheint.«

Sie sah ihm ruhig und gerade in die Augen und sagte:

»In diesem Hause spricht man nicht von Alpträumen. Wir schlafen wie die Kinder.«

Er verstand die Warnung und wandte sich zu Stephen. Man erwartete von ihm, daß er in dem Stück, das an diesem Frühstückstisch gespielt wurde, eine Rolle übernahm. Ganz ersichtlich wußte ihr Mann immer noch nichts von dem, was vorging. Er schluckte die Folgerungen, die er daraus zog, die Eindrücke, die er gewann, mit seinem Kaffee herunter.

Es bedurfte keiner besonderen Künste, das Eintreffen der »Candida« in Ardmore bei Sonnenaufgang zu schildern, wenn man einfach das ausließ, was während der Nacht vorgegangen war. Was übrigblieb, gab genug Stoff zum Erzählen, auch wenn man nichts dazu erfand.

»Die englischen Seesoldaten da unten müssen ja sterben vor Langeweile«, sagte er. »Ich habe ihnen das Feld geräumt, damit sie sich nach Herzenslust mit meiner Yacht amüsieren können, und nun wimmeln sie auf ihr herum wie die Ameisen.«

»Ich bin wirklich froh, daß der junge Mann, der sie kommandiert, endlich was zu tun bekommen hat«, sagte Jane. »Ich glaube, in einem Nest wie Ardmore würde sich selbst der Teufel vergebliche Mühe geben, um ihm Arbeit zu verschaffen.«

In dieser Weise unterhielten sie sich, während er aß, was Frau Troy für ihn servierte. Seit sie ihm die Tür geöffnet hatte, war ein bemerkenswerter Wandel in ihrem Benehmen Draper gegenüber eingetreten.

»Möchten Sie vielleicht eine Scheibe Schinken dazu?« fragte sie, als sie einen Teller mit Rührei vor ihn hinstellte. Es war, als habe sie in der Zwischenzeit in ihrer Küche unten ihre verlorengegangene Liebenswürdigkeit entdeckt und als sei er bei ihr zu Gast.

»Sie brauchen nur Frau Troy ein Wort zu sagen,« sagte Jane süß, »und es gibt nichts auf Erden oder im Himmel oder in Ardmore, was sie Ihnen nicht herbeischaffen würde.«

Sie blickte lächelnd zu Frau Troy hinauf. Diese drehte sich auf dem Absatz um und ging hinaus.

»Ich würde nicht versuchen, sie mit Freundlichkeit zu ködern, Liebes«, sagte Stephen, als die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte.

»Das tue ich auch nicht. Ich gebe ihr nur Gelegenheit, ihren Haß in vollen Zügen zu genießen.« Sie wandte sich zu Draper: »Man haßt mich hier«, sagte sie unbefangenen Tones. »Diese Irländer verabscheuen mich. Heute wird uns noch ein gewisser Vater Hanrahan besuchen. Er exkommuniziert mich täglich einmal mit seinen Blicken.«

All diese Redereien, die sich um die Dinge herumbewegten, waren wie eine Schranke, die Stephen ausschloß. Er fühlte es. Er merkte, daß sie nur darauf warteten, bis er das Zimmer verlassen hatte. Wenn er es übelnahm, so höchstens Draper, aber nicht Jane. Es war selbstverständlich, daß er zwischen John Madden und Draper Vergleiche zog und Unterschiede machte. Er hatte Draper in London nicht gemocht, er gefiel ihm noch weniger in Ardogina. Es war etwas im Wesen dieses Mannes, als nehme er alles, was ihn umgab, in Besitz. Schon in der Art, wie er heute morgen ins Zimmer getreten war, zeigte sich das. Es bestand ein erheblicher Kontrast zwischen seinem Benehmen und dem John Maddens am Tag vorher. Madden schien selbst überrascht zu sein, daß es ihm vergönnt war, wieder mit ihnen zusammenzutreffen. Draper war mit der Zuversicht eines Mannes aufgetreten, der einen herzlichen Willkomm erwarten darf.

Was auch der Plan sein mochte, an dem, wie er jetzt unbestimmt ahnte, Jane mitarbeitete, er hatte das bestimmte Gefühl, daß Draper dabei mit weniger sauberen Karten spielte als John Madden.

»Ich werde zum Landungsplatz der Fähre gehen, um Vater Hanrahan abzuholen«, sagte er, als er vom Frühstückstisch aufstand. »Wir werden rechtzeitig zum Lunch hier sein.«

Auch Jane stand auf. Sie trat ans Fenster. Über die Gartenmauer und die Felder hinweg konnte sie das Meer sehen. Es war ein Ruhepunkt für ihre Augen. Die Tür fiel zu. Sie wartete noch einige Augenblicke, dann sagte sie:

»Beinahe wären Sie hineingetappt.«

»O nein,« sagte Draper, »nicht weiter, als nötig ist, um mit der Zehenspitze die Temperatur zu prüfen. Dachten Sie, ich würde kopfüber hineinplumpsen?«

»Eine Minute lang habe ich es gedacht.«

»Ich darf sagen, daß ich mich doch etwas besser auf die Strömungen und Untiefen im Golf der Ehe verstehe«, bemerkte er.

»Golf der Ehe?« Sie drehte sich nicht zu ihm um. Sie wußte, daß er sich taktisch im Vorteil glaubte, weil es ihm gelungen war, den Dingen diesen Stempel aufzuprägen. Einen Augenblick lang fühlte sie sich ratlos. Sie wußte nicht, wie sie ihn anfassen sollte. In der Art, wie er sich zu ihr stellte, war etwas, was an Vater Hanrahan erinnerte, und sie gestand sich: in diesem Moment hätte sie die unverhüllte Ablehnung, die der Priester ihr entgegenbrachte, bei weitem vorgezogen. Die offene Unversöhnlichkeit, die er ihr zeigte, war leichter zu ertragen, als dies hier.

»Sie müssen wissen,« sagte sie – aber ihre gewohnte lebhafte Art zu reden, war in keinem Wort zu spüren –, »es ist so schwierig, zu erkennen, auf wessen Seite mein Mann eigentlich innerlich steht. Seit wir hierhergekommen sind, hat er mehr als einmal versucht, mich zu überreden, nach London zurückzukehren. Immer wieder war ich entschlossen, ihn in alles einzuweihen, aber von dem Augenblick an, wo er auf die Rückkehr nach London drängte, sah ich klar, wie ich handeln mußte. Sie müssen wissen, daß wir kaum zwei Tage da waren, als wir schon Soldaten im Haus hatten. Das war nicht geeignet, ihm Mut und Lust zu längerem Bleiben zu machen. Sie suchten John Madden hier.«

»Fanden sie ihn denn?«

»Er war nicht hier.« Sie sah ihn absichtlich an. »Gestern haben wir ihn zum erstenmal gesehen. Er tauchte hier auf, als ob sein Kopf nicht einen roten Heller wert sei. Er ist zum Tee geblieben.«

»Und wie hat sich Ihr Mann dazu gestellt? War ihm nicht das schon zu ungemütlich?«

»Er sagte etwas über die Gefahr. Aber nur John Maddens wegen. All diese Dinge setzt ihm der Priester in den Kopf. Bis sie von der Fähre hier herübergekommen sind, wird Stephen wahrscheinlich davon reden, daß wir morgen in Cork das Schiff nach England erreichen müssen.«

»Und warum wollen Sie eigentlich nicht fahren?« fragte Draper. »Oder, was noch besser ist, warum wollen Sie nicht mit der ›Candida‹ hinüberfahren?«

Darauf war sie nicht gefaßt. Und doch war es eine Frage, die auf der Hand lag. Draper hatte seinen Auftrag ausgeführt. Wenn sie sich jetzt noch einer Gefahr aussetzte, so geschah es ohne Zweck.

»Wir haben das Haus für drei Monate gemietet«, antwortete sie.

»Aber Ihr Mann ist doch absolut bereit, nach England zurückzukehren?«

»Aber wie könnten wir eine so rasche Abreise motivieren? Es müßte doch an und für sich verdächtig wirken. Bedenken Sie doch, daß wir herübergekommen sind, um drei Monate zu bleiben, und jetzt sind wir kaum vierzehn Tage hier.«

»Die Begründung ist doch ohne weiteres zu finden. Ihr Mann hat sie ja sozusagen an der Hand. Er hat ganz einfach feststellen müssen, daß die Zustände, die hier herrschen, weitaus kritischer sind, als er angenommen hatte.«

Seine Stimme verriet, daß er absichtlich so zäh an seinem Standpunkt festhielt. Er wollte sie zwingen, Farbe zu bekennen. Und sie kämpfte darum, vor ihm zu verbergen, was sie plante und dachte. Sie erklärte – und weiter ließ sie sich nicht treiben –, sie habe sich in das Haus und in die Umgebung verliebt.

»Bleiben Sie erst einmal ein paar Tage hier,« sagte sie mit einer Begeisterung, die nicht nur ihn, sondern beinah sie selbst getäuscht hätte, »und Sie werden sehr bald selbst herausfinden, warum ich keine Lust habe, von hier wegzugehen. Wir werden vor dem Essen noch einen Spaziergang über die Klippen machen. Heute nachmittag werden wir baden gehen. Man muß hier warten, bis Flut ist, sonst ist der ganze Strand da unten nichts als Felsen und Seetang, schlammiger Seetang. Wahrscheinlich würden Sie Deauville vorziehen. Sicher gehören Sie zu den Leuten, die von daheim nicht weggehen können, ohne ihre Golfstöcke und ein Paket Spielkarten mitzuschleppen.«

»Ich bin Junggeselle«, entgegnete er. »Ich rede nicht von meinem Daheim. Ich lebe, wo sich's trifft.«

»Schön, dann werden Sie eben hier leben«, antwortete sie und flüchtete aus dem Zimmer. Sie war froh, einen Abgang gefunden zu haben und lief nach oben, um ihren Hut aufzusetzen.

Oben in ihrem Schlafzimmer machte sie sorgfältig die Tür hinter sich zu. Es gab ihr ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Sie spürte, daß zwei feindliche Kräfte um sie rangen. Als John Madden in London an ihrem Tisch saß, hatte sie gefühlt, daß er sie brauchte. Hier fühlte sie es noch viel dringender. Sie blickte in ihren Spiegel, sie wollte sehen, wie weit sie vermochte, ihren Augen den Ausdruck äußerster Entschlossenheit zu geben und sagte laut:

»Sie sollen mich nicht von hier wegjagen!«

Der Klang ihrer eigenen Stimme weckte sie aus ihren Träumereien. Sie ging wieder hinunter. Draper wartete in der Diele. Er folgte jeder Bewegung, als sie die Treppe hinunterschritt. Sie wiegte sich im Gehen wie jemand, der sich frisch und mutig fühlt.

»Verändern Frauen sich immer so, wenn sie das Kleid wechseln?«

»Warum?«

Sie lachte. Vielmehr, er hörte ein Lachen aus ihrer Frage. Es sollte ihm zeigen, daß sie wieder bereit war, ihm Trotz zu bieten.

Er antwortete:

»Warum? Vorhin, wie Sie aus dem Zimmer gegangen sind, haben Sie sich verpflichtet, mich spazierenzuführen. Sie sind nach oben gegangen, haben einen Hut aufgesetzt und haben eine ganz andere Frau heruntergeschickt, die Ihnen die Arbeit abnehmen soll.«

»Nun, Sie müssen sich also doch ganz fürstlich aufgenommen fühlen,« lachte sie, »mehr können Sie doch wirklich nicht verlangen.«

Sie hatte abgeschüttelt, was sie bedrückte. Sie fühlte sich wieder obenauf. Den ganzen Morgen über, solange sie auf den Klippen herumkletterten, hielt diese Stimmung an. Solange sie mit ihm im Zimmer eingesperrt gewesen war, war der Vorteil auf seiner Seite. Hier aber entwischte sie ihm bei jeder Wendung. Mit eleganter Leichtigkeit wich sie allen indirekten Fragen über John Madden aus. Eine der Antworten, die sie ihm gab, veranlaßte ihn, auf dem schmalen Pfad stehenzubleiben, den sie gerade entlang gingen, und zu lachen.

»Sie müssen sich ganz so vorkommen,« sagte er, »wie ein seltener Schmetterling, der sich damit belustigt, einen etwas senilen und asthmatischen Professor der Entomologie, der mit seinem Netz hinter ihm hertrabt, zum Narren zu halten.«

Das gefiel ihr an ihm. Ein Mann, der für Komik Verständnis hatte, auch wenn es ihn selbst betraf, war ihr immer näher als andere. Sie fühlte sich schon versucht, ihm von der Nacht zu erzählen, in der John Madden sich in ihr Zimmer geflüchtet hatte. Sie standen auf dem Pfad über den Klippen, das Haus lag über ihnen. Sie sah über die Felder nach dem Garten hinüber und erblickte Vater Hanrahans schwarze Soutane. Er ging mit Stephen über den Rasen nach dem Haus,

»Ich glaube, Sie möchten gerne, daß ich mich auf dieser Blüte Ihres Witzes niederlasse«, sagte sie und war ihm wieder entschlüpft.

Bei Tisch sah er sie wieder von einer neuen Seite. Die Feindschaft, die zwischen ihr und dem Priester herrschte, enthüllte sich unter dem dünnen Schleier von Humor, den sie darüberzubreiten verstand. Der dumpfe Groll, der in dem Priester kochen mußte, war nur notdürftig durch ein Lächeln maskiert, das seine Lippen ein wenig verschob und ihnen noch nicht einmal erlaubte, sich aufrichtig zu trennen.

Später, als sie zusammen am Fuß der Klippen badeten, sagte Draper zu ihr:

»Sie würden mir ungeheuer leid tun, wenn unser gemeinsamer Freund, dieser Kirchenmann, einmal in einem späteren Leben mit Ihrer Seele umspringen könnte, wie es ihm gefällt.«

»Ich habe Ihnen ja gesagt, daß er mich haßt.«

»Es ist mehr als das«, antwortete er.

»Es würde mich auch kalt lassen, wenn es mehr wäre. Ich pflege ihm meine Sünden nicht zu beichten.«

»Er hat gar kein Bedürfnis danach, Ihre Beichte zu hören«, sagte Draper. »Dem kommt es nicht in den Sinn, eine Kirche aufzusuchen, um für Ihre arme Seele zu beten.«

Sie stand auf einem Felsen, im Begriff, mit einem Kopfsprung in das tiefgrüne Wasser hinabzugleiten, das sich einladend zu ihren Füßen breitete. Er sah, wie sie zusammenschauerte, dann lachte sie und war verschwunden. Er sprang ihr nach und mußte die Erfahrung machen, daß er sich wieder auf ein Gebiet gewagt hatte, wo er sie nicht schlagen konnte. Sie war ihnen allen beiden im Schwimmen weit überlegen. Er, sowie Stephen, begnügten sich mit gemessenen Expeditionen von einem Fels zum anderen. Als sie aus dem Wasser gingen und sich zum Ausruhen auf einen Felsen in die Sonne setzten, sahen sie Janes Badekappe als einen bunten Fleck weit draußen.

»Warum lassen Sie sie derart weit hinausschwimmen«, fragte Draper, der, wie alle schlechten Schwimmer, alle Geschichten über plötzliche Krampfanfälle beim Schwimmen mit großer Andacht angehört hatte.

»Es gibt Frauen,« sagte Stephen in seiner gewohnten pedantischen Art, »bei denen es einem gar nicht einfällt, ihnen erst feierlich eine Erlaubnis zu verabreichen. Sie haben weder Zeit noch Neigung, zu warten, bis man ihnen das Leben mundgerecht zurichtet. Das ungefähr ist die Art, wie ich über meine Frau denke.«

»Gefährlich!«

»Das hängt davon ab.«

»Von was?«

»Der größte Teil der Gefahr besteht in der Furcht vor der Gefahr. Es hängt alles davon ab, wie weit die Furcht geht.«

»Das ist sehr philosophisch gedacht.«

Jane hatte draußen mit der Hand gewinkt. Draper und Stephen winkten zurück.

Aber der Gruß war weder für Stephen noch für Draper bestimmt gewesen. Von da draußen, wo sie schwamm, konnte sie in die Mündung einer Höhle sehen, die von dem Platz, wo Stephen und Draper sich befanden, durch einen Landvorsprung getrennt war. In dieser Höhlenöffnung stand ein Mann. Sie war so weit hinausgeschwommen, weil eine schwache Hoffnung in ihr lebendig war, diese Gestalt dort zu erblicken. Sie trat Wasser und lachte über die dreifache Antwort, die vom Land zurückkam. John Madden stand dicht über dem Wasser auf einem Felsen und bedeutete ihr durch Zeichen, näher heranzukommen. Sie schwamm auf ihn zu. Es war ihr, als schlüge ihr Herz rascher gegen das Wasser, das ihr im Schwimmen entgegendrängte.

Er war allein in der Höhle. Als sie nahe genug heran war, um dessen gewiß zu sein, war sie den beiden anderen außer Sicht gekommen. Die Landspitze lag dazwischen.

»Sind Sie allein?« rief sie.

Er bejahte, und sie schwamm bis zu dem Felsen, auf dem er stand.

»Ich würde vorschlagen, daß Sie auch ins Wasser kommen,« sagte sie, »wenn Sie nicht eine solche Last zu tragen hätten.«

»Was für eine Last?«

»Nun, es kann nicht leicht sein, zu schwimmen, wenn man tausend Pfund auf dem Kopf mit herumtragen muß.«

»In welcher Stimmung sind Sie eigentlich heute?«

»In was für einer Stimmung kann eine Frau sein, hinter der drei erwachsene Männer her sind, um sie mit Stöcken von hier wegzujagen.«

»Man will wohl, daß Sie jetzt nach England zurückgehen?«

»Vor Ardmore liegt das neueste Modell einer Dampfyacht und wartet nur auf mich.«

Er sah zu ihr hinunter. Ihr Gesicht war das einzige, was man klar erkennen konnte. Ihr Körper schimmerte phantastisch in den grünen Wirbeln des Wassers. Es war ihm, als sei ihr ganzes Leben so, ein Ding, das vor der Berührung zurückwich, schimmernd und phantastisch. Er wußte, es war ihm bestimmt, sie zu verlieren. Vielleicht noch eine Weile blieb sie bei ihm, so wie sie hier mit einer unmerklichen Anstrengung, mit zwei Fingern nur, sich am Rand des Felsens hielt. Das Wasser trug sie ganz. Sie brauchte nur den Finger von dem Felsen zu lösen, und sie glitt hinweg. Was gab es für ihn, um sie na halten?

»Und werden Sie gehen?« fragte er.

Sie sah vom Wasser auf in seine Augen und las die Verzweiflung darin, das stumme Sichabfinden mit dem Schicksal. Aller Lebensmut schien wie ausgelöscht. Sie waren glanzlos, beschattet von tragischer Resignation. Er versuchte nicht, sie zu halten. Er ließ sie gehen.

Mit einer kraftvollen Bewegung schnellte sie sich ganz an den Felsen heran, hob sich halb aus dem Wasser und streckte ihm ihre Hand entgegen.

»Ich will nicht, daß Sie aussehen wie eben jetzt. Mit solchen Augen werden Sie niemals durchkommen. Nehmen Sie meine Hand.«

Er tat es.

»Ich gehe nicht weg«, fuhr sie fort. »Denken Sie daran, denken Sie daran! Ich gehe nicht weg, halten Sie sich daran. Und wenn es zwei Monate dauern soll und noch länger, bis alle diese Gewehre abtransportiert sind, ich werde Ardogina nicht verlassen, bis alles vorbei ist. Sehen Sie mich an! Lachen Sie! Schön, wenn Sie nicht lachen können, dann lächeln Sie wenigstens.«

Ihr Blick hatte unverwandt und prüfend auf seinem Gesicht gehaftet. Trotzdem hatte sie etwas bemerkt, das sich unbestimmt tief im düsteren Innern der Höhle regte. Ihr Blick glitt jäh in diese Richtung, und sie löste ihre Hand aus seiner.

»Wer war das?« flüsterte sie.

Er sah sich um. Es war weit und breit niemand zu sehen. Er fragte sie, was sie bemerkt hätte.

»Da drin in der Höhle hat sich jemand bewegt.«

»Es könnte der junge Troy gewesen sein.«

»Was für ein Troy?«

»Der Sohn des Alten.«

»Ich wußte nicht, daß er einen Sohn hat.«

»Gewöhnlich arbeitet er auf einem der Fischerboote in Ardmore. Er hat uns heute nacht bei den Gewehren geholfen. Die anderen haben sich schon vor Tagesanbruch auf den Heimweg gemacht. Er ist hiergeblieben, um mir beim Wegstauen der Gewehre zu helfen. Wir haben sie schon aufgeteilt, damit alles zum Abtransport fertig ist.«

»Aber Sie sagten doch, Sie wären allein?«

»Ich war auch allein. Er war durch die Keller nach dem Haus hinaufgegangen, um uns Essen zu verschaffen. Wir haben seit Mitternacht gearbeitet, ohne einen Bissen zu genießen. Geben Sie mir wieder Ihre Hand.«

Sie schüttelte den Kopf und ließ sich wieder ins Wasser hinuntergleiten.

»Sie haben sie ja gehabt«, sagte sie. »Sie wissen jetzt, daß ich nicht von hier weggehe. Nicht, wenn ein ganzes Geschwader von Yachten auf mich wartete. Alles Gute!«

Sie konnte nicht hören, was er antwortete. Um sie rauschte das Wasser, das ihre Arme teilten. Er stand und sah ihr nach, wie sie dahinschoß, wie das Wasser in glitzernden kleinen Kringeln um sie tanzte und die Sonne hell auf ihrem Gesicht leuchtete, während der Streifen Meer zwischen ihm und ihr breiter und breiter wurde.


 << zurück weiter >>