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24. Dänemark

Am folgenden Tage befanden wir uns wieder auf offener See. Norwegen war verschwunden und kein anderes Land in Sicht.

Aber es war doch nicht mehr so einsam wie früher.

Wir sahen Schiffe rundumher, zur Rechten und zur Linken, vor und hinter uns, Dampf- und Segelschiffe, große und kleine: reger Verkehr und rühriges Leben allüberall.

Wir waren in die Nähe der großen Welt gekommen, einer neuen, zaubervollen Welt für mich!

Immer mehr eilten meine Gefühle und Gedanken unserem Schifflein voraus, dem Ziele entgegen.

Um mich zu sammeln, ging ich in die Kajüte. Sie war leer.

Ich setzte mich auf mein Bett. – Nur wenige Nächte noch sollte ich hier zubringen – meine letzten Nächte auf dem Meere!

Ich bedeckte mit beiden Händen mein Gesicht und warf einen Blick in die nächste Zukunft.

Die kommenden Ereignisse umschwirrten mich wie glänzende, flatternde Schmetterlinge.

In Kopenhagen also sollte ich ans Land steigen.

Und was dann?

Ja, dann sollte ich gleich zum Herrn Professor Gísli Brynjúlfsson gehen.

Aber wo wohnte er doch wieder?

Ich holte mein Notizbuch hervor, das schöne Notizbuch meines verstorbenen Vaters, das die Mutter mir mitgegeben hatte.

Hier stand die Adresse des Herrn Gísli Brynjúlfsson: Dosseringen. An den Seen.

Sonderbares Wort. Was mochte das wohl sein, diese Dosseringen? – Nun, später würde ich es ja mit eignen Augen sehen.

Und dann würde Herr Gísli Brynjúlfsson mich zu Herrn Grüder begleiten.

Ich suchte auch dessen Namen und Adresse: Präfekt Grüder, Bredgade 64, bei der Ansgarkirche. In Klammern stand daneben: Norgesgade. Die Straße mußte also wohl zwei Namen haben.

Ansgarkirche. Ich merkte mir besonders dieses Wort. Ansgar war ja der Apostel des Nordens.

Ich erinnerte mich, daß ich einst eine wunderschöne kleine Broschüre über das Wirken dieses Glaubensboten gelesen hatte.

Er war in Frankreich geboren, kam also gerade von dem Lande, wohin ich jetzt reisen sollte.

Eigentümlich, dachte ich, daß ich bei einer Kirche wohnen soll, die den Namen dieses französischen Mannes trägt.

Ab und zu mischte sich ein gewisser Ernst in meine Gefühle und goldnen Träume, ein eigenartiges Bangen vor einem unsichern und unbekannten Etwas.

Schließlich machte ich mich daran, meine Sachen zu ordnen. Mein Koffer mußte bereit, alle Sachen gut eingepackt sein.

So ging der Tag hin, und noch ein paar Tage dazu. –

Das alltägliche Leben an Bord hatte sich auch verändert.

Im Tun und Treiben der Leute machte sich eine sonderbare Unruhe bemerklich. Das Schiff wurde gescheuert und gereinigt, Kleider und Tücher gewaschen.

»Wozu doch all dieses Waschen und Scheuern?« fragte ich einen der Matrosen.

»Weil wir bald in Kopenhagen sind«, war seine Antwort. »Da muß alles fein und sauber sein.« –

Das Aussichtsbild war immer dasselbe: Himmel und Wasser und die vielen Schiffe; und es schien mir, daß die Zahl der Schiffe wuchs, je näher wir Kopenhagen kamen.

Das Wetter war andauernd schön.

Die Sonne schien hell und warm, die Luft war klar und rein, eine sanfte Brise schwellte leicht die Segel.

Und dann kam der große Tag, an dem das ersehnte Dänemark aus dem Meer emportauchte!

Als ich mich an jenem Morgen auf Deck begab, lief ich Owe in die Arme.

»Gut, daß du kommst, Nonni. Man sieht schon Skagen!«

»Skagen? Was ist das?«

»Weißt du das nicht? Das ist ja die nördlichste Spitze von Jütland!«

Ich warf einen Blick nach allen Seiten, sah aber nichts als Meer und Himmel.

Owe kam mir zu Hilfe und zeigte mit dem Finger nach rechts.

Ich strengte meine Augen an und entdeckte wirklich weit in der Ferne unten am Rande des Wassers etwas, das aussah wie ein ganz dünner, schwarzer Streifen, ähnlich einer mit dem Lineal gezogenen Linie.

»Ist das Skagen, Owe?«

»Jawohl. Es ist das erste, was wir von Dänemark zu sehen bekommen.«

»Gott sei Dank!« rief ich in übergroßer Freude, »nun sind wir bald in Kopenhagen! – Gewiß noch heute, nicht wahr?«

»So schnell geht es nun doch nicht. Du weißt, der Wind ist schwach, wir kommen nur langsam voran. Der Kapitän meint, wir könnten heute und die nächste Nacht nur durch das Skagerrak und Kattegat kommen und dann morgen früh in den Öresund hineinsegeln.

»Da wirst du Helsingör und Heisingborg sehen, Kronborg und die Insel Hven und die herrliche Küste von Seeland, wo die berühmten dänischen Buchenwälder ihre Zweige bis ins Meer herabsenken. – Dann erst kommt Kopenhagen.«

Das war eine Nachricht! Morgen in dem Öresund, und morgen auch in Kopenhagen!

Ein Wonnegefühl durchrieselte alle meine Glieder.

Ich ging auf dem Deck hin und her und verlor die schwarze Linie zur Rechten nicht aus dem Auge.

Sie wurde immer deutlicher, und zuletzt sah man einen hohen Turm, der über den flachen Strand emporragte.

Naturschönheiten wie an der Küste von Norwegen gab es hier freilich nicht zu schauen.

Aber dennoch machte der erste Blick auf Dänemark wohl einen noch tieferen Eindruck auf mich als wenige Tage zuvor der Anblick Norwegens.

Dänemark war ja das nächste Ziel meiner Reise, und es war Owes und des Steuermanns Vaterland.

Als ich schließlich müde vom Gehen wurde, fiel mir ein, daß ich eigentlich meinen Freund, den kranken Matrosen, besuchen und ihm mitteilen müsse, daß sein liebes Heimatland in Sicht sei.

Ich fand ihn außerhalb des Bettes. Er saß auf einer Bank am Tisch und las in einem Buche.

»Haben Sie schon gehört, daß wir eben jetzt an Skagen vorbeisegeln?«

»Nein, Nonni, ich glaubte nicht, daß wir schon so weit seien. Kann man wirklich Skagen sehen?«

»Ja, man sieht es ganz deutlich.«

»Da muß ich doch machen, daß ich hinauf komme.«

»Glauben Sie, daß es geht?«

»O, ich denke wohl, Nonni.«

»Das freut mich.«

»Es geht jeden Tag besser mit meinem Bein. Ich habe fast keine Schmerzen mehr.«

»Aber ich will Ihnen doch helfen. Sie haben wohl noch nicht Übung genug.«

»Ich danke dir, Nonni.«

Ich half ihm die Treppe hinauf.

Es war das erstemal seit seiner Verwundung, daß er sich aufs Deck hinauf wagte.

Das eine Wort »Dänemark« schien ihm plötzlich die nötigen Kräfte gegeben zu haben.

Lang schaute er auf die sandige Küste seines Vaterlandes und sagte dann:

»Weißt du was, Nonni? Das ist das eigentliche Dänemark. Dies ist nämlich Jütland, und Jütland ist der Hauptteil von Dänemark. Die Jütländer sind auch die kräftigsten und tüchtigsten von allen Dänen.«

»Sind das die Seeländer und die andern Inseldänen nicht ebenso?«

»Ja, das sind sie wohl, selbstverständlich; aber sie sind doch nicht vom selben Schlage. Sie haben vielleicht mehr äußere Bildung, aber die Jütländer sind nun einmal der Kern des dänischen Volkes.«

Dann betrachtete er wieder das kleine Stück Land, das dort so bescheiden und niedrig am Horizont lag.

»Wie bin ich doch froh, daß ich mein Vaterland wiedersehe, das liebe kleine Dänemark! Ja, du kannst mir glauben, Nonni, es ist doch ein herrliches Land, nie habe ich ein schöneres gesehen.«

Er war ganz gerührt, und auch mir traten Tränen in die Augen, als dieser junge Matrose mit so echter, inniger Liebe von seinem Vaterlande sprach.

Ich blieb noch einige Zeit bei ihm und bat ihn, sich auf mich zu stützen, während wir oben auf und ab gingen.

Dankend nahm er die Hilfe an, und noch am selben Tag konnte er auf einem Stock allein gehen. –

Die andern Matrosen hatten bereits ihre besten, dunkelblauen Kleider angelegt, trugen hübsche Mützen und schöne rote Seidentücher um den Hals. Hände und Gesicht waren sauber gewaschen, Bart und Haare gekämmt. An ihren Fingern glänzten goldene Ringe, und blank geputzte Uhrketten zierten die Brust.

Es war etwas Feierlich-Festliches an dem Anblick: diese wetterharten Männer in ihrem schönsten Staat.

Aber sie waren auffallend wortkarg, und ihre Stimmung schien gedrückt zu sein.

Auch Kapitän und Steuermann sprachen wenig.

Ich ging darum zu Owe, um den Grund dieses rätselhaften Benehmens zu erfahren.

»Es kommt mir vor, Owe«, sagte ich, »als wenn alle zusammen traurig wären. Woher mag das wohl kommen?«

»Sie sind ergriffen«, erwiderte Owe ganz leise, »weil sie heimkehren nach Dänemark. Ein jeder liebt ja sein Vaterland.«

Diese Erklärung leuchtete mir ein. –

Später am Tage entschwand Jütland wieder unsern Blicken, und nun segelten wir auf Seeland hin.

Seeland! die liebliche Insel, die ich schon aus den alten isländischen Sagas kannte.

Seeland! das herrliche Stück Land, das, der Sage nach, die Göttin Gefion mit ihrem Pfluge aus Schweden herausschnitt und hierher versetzte.

Beim Abendessen sagte der Kapitän:

»Nonni, morgen früh werden wir in den Öresund segeln und dann im Laufe des Tages noch nach Kopenhagen kommen. Zieh deshalb gleich beim Aufstehen deine besten Kleider an und pack alle deine Sachen sorgfältig zusammen.«

»Das werde ich tun, Herr Kapitän.«

Bevor ich mich abends zur Ruhe legte, ging ich zum Steuermann, um ihm eine Bitte vorzutragen.

»Herr Steuermann, ich möchte Sie bitten, mich morgen früh zeitig zu wecken. Ich würde gern Helsingör, Kronborg und den schönen Öresund sehen.«

»Ja, kleiner Freund, das soll geschehen«, antwortete er. »Aber woher weißt du denn, daß der Öresund so schön ist?«

»Das hat mir meine Mutter erzählt. Und sie hat auch gesagt, daß die Dänen von Kronborg aus über den Öresund den Schweden fast in die Suppentöpfe sehen können.«

»Hat sie dir das wirklich erzählt?«

»Ja, und dann hat sie gesagt, daß die dänische Küste zwischen Helsingör und Kopenhagen ganz grün sei, und daß man sie an einigen Stellen kaum sehen könne, weil die Buchenwälder bis nahe an den Strand reichten.«

»Das hat sie dir alles erzählt? Dann hat deine Mutter wohl große Liebe zu Dänemark?«

»Ja, das hat sie. Und sie hat mich dänische Lieder singen gelehrt.«

»So? Kannst du noch so ein Lied?«

»O ja, mehr als eins.«

»Willst du mir nicht eins vorsingen?«

»Doch, sehr gern.«

Ich sang das Lied:

»Dänemarks liebliche Gaue,
Umsäumt vom schimmernden Meer.«

Der Steuermann hörte mir mit sichtlicher Freude zu.

Als ich fertig war, sagte er:

»Hast du Dänemark ebenso gern wie Island?«

Diese Frage brachte mich in große Verlegenheit.

Ich wollte den guten, freundlichen Mann nicht verletzen, und doch mußte ich gestehen: so lieb mir das schöne Dänemark war, Island, mein Vaterland, ging mir über alle Länder der Welt.

Aber mir schien, als passe es sich nicht, das eben jetzt zu sagen, wo meine dänischen Freunde so herzlich erfreut waren, ihr Vaterland wiederzusehen.

Ich bedachte mich daher etwas und antwortete:

»Ich habe beide gern.«

»Du gehst meiner Frage aus dem Weg, du kleiner Schelm.«

»Aber, Herr Steuermann, welches von den beiden Ländern haben denn Sie am liebsten?«

Lachend erwiderte er:

»Auch ich habe sie beide gern. Und wir zwei haben einander auch gern, nicht wahr, Nonni?«

»Ja, und ich kann Ihnen nie genug danken für die Liebe, die Sie mir während der langen Reise erwiesen haben.«

»Still! still! du kleiner Redner. Wir wollen immer gute Freunde bleiben und sowohl Dänemark wie Island lieben, dann ist ja alles in Ordnung.«

Ich drückte dem Steuermann die Hand und ging zu Bett. –

Am folgenden Morgen brauchte ich nicht geweckt zu werden; am letzten Tag der Reise, da es nach Kopenhagen ging, wurde ich von selbst wach.

Das Wetter war herrlich. Die Sonne sandte ihre hellsten Strahlen in die Kajüte herein.

Voll festlicher Stimmung stand ich auf, wusch mich sorgfältig und zog meine Sonntagskleider an.

Dann eilte ich die Treppe hinauf.

»O wie schön! wie wunderbar schön!« rief ich aus, als ich oben ankam.

Ein förmliches Paradies von überirdischer Schönheit leuchtete mir entgegen.

Eine leichte Brise schwellte die Segel und trieb uns sanft voran.

Ich sah Land zur Rechten und zur Linken, bedeckt mit üppigen grünen Wäldern.

Das ist sicher der Öresund, dachte ich, und die beiden Länder müssen Dänemark und Schweden sein. – Aber welches von beiden war Dänemark? Ich wußte es nicht.

Da hörte ich eine Stimme hinter mir:

»Aber was sehe ich? Bist du schon aufgestanden, Nonni? Gerade wollte ich hinabgehen und dich wecken.«

Es war der Steuermann.

»Ich konnte vor lauter Spannung nicht länger schlafen«, antwortete ich. »Deshalb bin ich gleich aufgestanden.«

»Gut so, kleiner Freund. – Nun, was hältst du von Dänemark? Ist es schön? Ebenso schön wie Island?«

»Sie müssen mir erst sagen, wo Dänemark ist. Ich sehe ja zwei Länder, rechts und links eines, und beide scheinen mir fast gleich schön zu sein.«

»Das sind sie an dieser Stelle auch. Das Land links ist Schweden. Der Wald dort ist eine große königliche Besitzung nördlich von Helsingborg. Etwas weiter nach Norden hin kannst du den Berg Kullen sehen. – Aber jetzt schau nach rechts. Da liegt Dänemark. Siehst du die grünen Buchenwälder?«

»Sind das die berühmten dänischen Buchenwälder?«

»Ja, das sind sie.«

»Ah! die sind freilich schön, entzückend schön! So hat meine Mutter sie mir auch beschrieben.«

»Dänemark gefällt dir also gut?«

»Ja, sehr gut. Es ist sicher eines der schönsten Länder in der ganzen Welt.«

Diese Antwort, ich sah es, gefiel dem Steuermann.

Und als ich fortwährend die wundervollen Buchenwälder betrachtete, fragte er:

»Warum schaust du denn so lange auf die Wälder?«

»O! es ist das erstemal in meinem Leben, daß ich einen Wald sehe. So etwas gibt es in Island nicht.«

»Das ist wahr; und ich begreife, daß dieser Anblick dich fesselt.«

»Ja, ich bin ganz überrascht. Ich hätte nie geglaubt, daß ein Wald so schön sein könne.«

»Du wirst heute noch manches zu sehen bekommen, was dir noch nie in deinem Leben begegnet ist.«

»Drum bin ich auch so früh aufgestanden.«

»Das war recht. Und schau dir nur die dänische Küste gut an, wenn wir durch den Sund fahren. Sie wird immer belebter und schöner, je näher wir nach Kopenhagen kommen.«

»Ja, ja, Herr Steuermann, das werde ich schon tun.«

Und wahrhaftig, was ich an diesem Tage vom Deck unseres kleinen Schiffes aus an bezaubernden Naturschönheiten sah, deuchte mich ein wahres Märchen. –

Nun mußte ich aber wieder einmal zu meinem Freund Owe gehen.

Der kleine Koch war ebenso wie die Matrosen ganz verändert.

Auch er war im feinsten Staat, und er war heute so rein gewaschen, o, so rein! An Gesicht, Hals und Händen keine Spur von Ruß, sein Haar niedlich geordnet.

Nie hatte ich ihn so gesehen.

»Aber Owe!« rief ich verwundert, »heute bist du mal fein!«

»Ja, Nonni, in Kopenhagen darf man nicht anders erscheinen.«

Als ich diese Worte hörte, wuchs meine Achtung vor Dänemarks Hauptstadt noch bedeutend, und ich fürchtete, allzu einfach gekleidet zu sein.

Nochmals ging ich in die Kajüte hinab, bürstete meine Kleider noch sorgfältiger, ordnete das Haar noch besser und sah im Spiegel nach, ob mein Gesicht ebenso rein sei wie das von Owe.

Dann lief ich wieder auf Deck und fragte ihn:

»Was meinst du, bin ich nun fein genug für Kopenhagen?«

Er betrachtete mich von allen Seiten und sagte schließlich:

»Alles ist gut, nur die Schuhe passen nicht. Schuhe, wie du hast, sieht man nirgends in Dänemark.«

»Was soll ich dann tun, Owe? Ich habe ja keine andern.«

»Du hattest doch ein Paar Stiefeletten, als du an Bord kamst.«

»Schon. Aber jetzt sind sie fort.«

»Wo sind sie denn hingekommen?«

»Sie liegen im Atlantischen Ozean. Eine Welle hat sie während des Sturmes über Bord gespült.«

»Dann wird es freilich nicht leicht sein, sie wiederzufinden. – Aber ich will dir etwas sagen, Nonni«, tröstete mich Owe, als er mein betrübtes Gesicht bemerkte, »mach dir nur keine Sorgen. Im gewaltigen Straßenverkehr in Kopenhagen wird kein Mensch auf deine Füße schauen. Und wenn du zu dem Präfekten kommst, wird er dir bald neue Schuhe machen lassen.«

Owes Worte beruhigten mich.

Doch stellte ich ihm noch die Frage: »Muß man denn in Kopenhagen wirklich so fein sein?«

»Ja, alle Leute sind dort so, mit Ausnahme der Straßenjungen. Aber zu diesen rechnen wir uns ja nicht.«

»Sind die schlimm?«

»Ja, Nonni; von ihnen mußt du dich fernhalten.«

Ich schaute wieder zum Lande hin.

Wir befanden uns gerade zwischen Helsingör und Helsingborg.

Dies waren die ersten etwas größeren Städte, die ich in meinem Leben sah, wie auch das prachtvolle Kronborg das erste Schloß war, das ich je gesehen.

Owe zeigte mir die alten Kanonen, die auf den hohen Terrassen vor dem Schlosse aufgestellt waren, und erklärte dazu:

»Damit schoß man einst auf die Schiffe, die den Sundzoll nicht bezahlen wollten.«

»Ja, das hat mir meine Mutter auch erzählt. – Mußten denn alle Schiffe, die hier vorbeisegelten, Zoll bezahlen?«

»Jawohl, und das gab für Dänemark große Einkünfte. Aber jetzt ist dieser Zoll abgeschafft.«

Dann zeigte er auf das gegenüberliegende Helsingborg und sagte:

»Früher gehörte Helsingborg und das ganze Land umher zu Dänemark. Aber die Schweden haben es erobert.«

»O wie schade!«

»Ja, Nonni, Dänemark hat noch viele andere Verluste erlitten. Dadurch ist es sehr klein geworden. Doch seine Schönheit hat nicht abgenommen.«

»Ja, das glaube ich auch, Owe, und ich verstehe, daß du stolz auf dein Vaterland bist.«

Während wir so miteinander sprachen, kamen wir immer weiter in den herrlichen Öresund, der im strahlenden Sonnenschein einen doppelt schönen Anblick bot.

Wir gelangten zu einer Insel, die mitten im Sund lag.

»Das ist Hven«, sagte Owe. »Dort wohnte einst der größte Astronom Dänemarks, wenn nicht der ganzen Welt. Er hieß Tycho Brahe. Er baute sich auf der Insel ein großes Schloß und nannte es Sternenburg. Dort lebte er manche Jahre und betrachtete die Sterne. Die Ruinen seiner Burg kann man noch sehen. Und denk dir, auch diese Insel haben die Schweden den Dänen weggenommen.«

»Das ist doch traurig.«

»Ja, das ist es in der Tat.«

Als wir an der kleinen Insel vorbei waren, eröffnete sich eine merkwürdige Fernsicht.

Owe zeigte mit dem Finger hin und sagte:

»Jetzt, Nonni, schau mal genau dorthin. Kannst du da etwas erkennen?«

»Ja, ich glaube gerade über dem Wasser da hinten Wolken, Rauch und Nebel zu sehen, und dann noch einige hohe Stangen oder Masten, die daraus hervorragen.«

»Und weißt du, was das ist?«

»Nein. Es müssen wohl Schiffe sein, die im Nebel liegen.«

»Nein, das ist es nicht.«

»Ja, was denn sonst, Owe?«

»Das ist Kopenhagen!«

»Kopenhagen! – Wirklich, Owe? Das ist Kopenhagen?«

»Ja, und was du für Schiffsmasten hältst, das sind die Türme der Stadt.«

Ich war wie aus einem Traum erwacht und machte gewaltig große Augen.

Also endlich am Ziel meiner Seereise! Wirklich? Ich konnte es kaum fassen.

Und was sah ich denn eigentlich? Nichts als eine Menge Türme, eingehüllt in einen eigentümlichen bläulichen Nebel und aschgrauen Rauch.

Und der geheimnisvolle Dunst lag ständig auf der Stadt, ob wir auch näher kamen.

Immer nur stachen die spitzen, schlanken Türme hoch empor über dieses luftartige, qualmende Meer, versenkt darin die ganze übrige Stadt.

»Aber wie kann man dort atmen?« fragte ich Owe. »Da scheint ja gar keine rechte Luft zu sein.«

»Das sieht bloß so aus«, erklärte er. »Wenn man in die Stadt kommt, merkt man nichts von dem Dunst, und die Luft ist fast ebenso klar wie anderswo.«

Damit gab ich mich zufrieden.

Den dichten Schleier konnte mein Blick trotz aller Anstrengung nicht durchdringen.

Ich wandte mich daher wieder nach der prachtvollen Küste zur Rechten und fragte Owe, ob er mir nicht angeben könne, wie die einzelnen Ortschaften hießen.

Er kannte nur eine mit Namen. Es war Klampenborg. Dort in der Nähe lag, wie ich von dem großen Matrosen bereits gehört hatte, der berühmte Dyrehavsbakke.

Um aber auch die andern Orte feststellen zu können, ging er in seine Kajüte und holte eine alte Landkarte.

Begierig steckten wir die Köpfe hinein, verglichen die Namen mit der Richtung und konnten nun noch verschiedene Orte bestimmen, wie Rungsted, Skodsborg, Charlottenlund.

Ich prägte mir die Namen gleich fest ins Gedächtnis.

Entzückt von der herrlichen Lage dieser kleinen Städtchen rief ich aus:

»O! es muß ein Himmel auf Erden sein, in schönen Häusern mitten in so wunderbar grünen Buchenwäldern zu wohnen!«

»Ja«, meinte Owe, »das kann man von fast all den kleinen Städten auf den dänischen Inseln sagen. Jede ist ein Paradies.«

Indes waren wir Kopenhagen so nahe gekommen, daß man schon die einzelnen Häuser unterscheiden konnte.

Da ward es auf einmal vollständig windstill; alle Segel hingen schlaff herab.

Ich wurde ganz niedergeschlagen. Jetzt war gewiß keine Aussicht mehr, heute noch in Kopenhagen zu landen.

Wir lagen dicht an der Küste Seelands, dem königlichen Schloß Charlottenlund gegenüber.


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