Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

18. Gerettet

Der schreckliche Kampf war zu Ende.

Die Eisbären waren getötet, und zwei unserer Leute lagen verwundet auf der Walstatt.

Man ließ die toten Bären liegen und schaute eiligst nach dem Kapitän.

Er sah sehr blaß aus.

Der Steuermann beugte sich zu ihm nieder und fragte:

»Herr Kapitän, sind Sie verwundet?«

»Ja«, antwortete er mit schwacher Stimme, »der Bär schlug etwas hart. Ich kann nicht aufstehen.«

»Dann will ich Sie an Bord tragen.«

»Nein, Herr Steuermann, sorget erst für den verwundeten Matrosen; er bedarf der Hilfe mehr als ich.«

»Gut, Herr Kapitän. Aber Sie erlauben, daß ich einen Augenblick erst bei Ihnen nachsehe.«

Bei näherer Untersuchung entdeckte er, daß der rechte Arm aus dem Gelenk geschlagen war.

Mit großer Mühe gelang es ihm, den Kapitän aufzurichten.

Der Arm hing schlaff herab und schmerzte sehr.

Der Kapitän stützte sich nun mit der linken Hand auf den Steuermann und sagte zu den Matrosen:

»Ich werde mit Hilfe des Steuermanns schon allein bis zum Schiffe kommen. Ich danke euch für die Teilnahme. Aber euer Kamerad ist schlimmer daran als ich. Sorgt nur zuerst für ihn.«

Die zwei eilten zu dem Schwerverwundeten, der noch auf derselben Stelle lag, wo der Eisbär ihn überwältigt hatte.

Sie fanden ihn noch am Leben, aber so verstört und so von Kräften, daß er kaum imstande war, sich zu rühren.

Sie ließen ihn vorerst liegen, denn zunächst mußte das Schiff näher ans Eis gezogen werden.

Allmählich war auch der Kapitän herangekommen und ließ sich zur Seite des verletzten jungen Matrosen nieder.

Der Steuermann half den beiden andern, das schwere Schiff am Tau herbeiziehen.

Das war eine mühsame Arbeit; sie dauerte wohl eine halbe Stunde.

Als es endlich gelungen war, befestigte man die Strickleiter an der Reling und brachte mit größter Sorgfalt die zwei Verwundeten an Bord.

Jeder wurde in seine Kajüte getragen.

Bevor man sie aber in Behandlung nehmen konnte, mußten die Matrosen die Kleider wechseln, denn sie waren bis auf die Haut naß.

Nachdem dies geschehen, ging man an die Kranken.

Vor allem sollte der Arm des Kapitäns wieder eingerichtet werden.

Aber das war eine schwierige Sache.

Wir hatten keinen Arzt bei uns, und doch mußte Hilfe geschafft werden.

Zum Glück schien sich der Steuermann etwas auf Heilkunde zu verstehen.

Auf ihn richtete sich daher unser aller Hoffen und Harren.

Jeder war nun seines Winkes gewärtig, und emsig regten sich die vereinten Hände.

Herr Foß setzte sich auf einen Stuhl, den Rücken gegen den feststehenden Tisch gelehnt.

Der Arm mußte entblößt werden. Aber die geringste Bewegung verursachte dem Verletzten heftige Schmerzen. Deshalb schnitt man mit einer Schere die Unterkleider auf.

Dann preßten die Matrosen seine Schultern fest gegen den Tisch; der Steuermann faßte den kranken Arm mit beiden Händen und zog, so stark er konnte.

Der Kapitän wurde leichenblaß und biß auf die Zähne.

Der Steuermann hatte offenbar nicht Kraft genug; er vermochte den Arm nicht ins Gelenk zu ziehen.

Er hielt inne und winkte dem größten der Matrosen, einem Hünen von Wuchs und Kraft.

Kurz und genau erklärte er ihm das Nötige, legte den kranken Arm in seine Hände und hieß ihn in der gezeigten Richtung ziehen.

Der Bursche zog mit solcher Wucht, daß der Kapitän laut aufschrie und ihm mit der linken Hand in den Arm fiel.

Der Matrose schaute fragend auf den Steuermann, der fortwährend das kranke Glied am Gelenk drückte, um es auf die rechte Stelle zu bringen.

»Weiter!« sagte er, »noch stärker!«

Der Mann setzte nun seine ganze Kraft ein. Der Arm schien länger zu werden, die Sehnen gaben nach.

Auf einmal hörte man ein leises Knacken – der Arm war ins Gelenk gesprungen.

»Genug!« sagte der Steuermann.

Er untersuchte das Glied, und freudig rief er aus:

»Prächtig! Es ist gelungen!«

Der Kapitän litt freilich noch sehr und mußte sich zu Bett legen.

Nachdem für ihn auf das beste gesorgt war, begaben wir uns in die Matrosenkajüte zu dem andern Patienten.

Owe und ich erhielten den Auftrag, in der Kambüse für warmes Wasser zu sorgen.

Schnell machten wir Feuer, füllten den Kessel mit Schnee und Eis, und bald hatten wir so viel warmes Wasser, daß wir einen Eimer voll herbeibringen konnten.

»Das habt ihr flink gemacht«, lobte der Steuermann.

Nun wusch er sorgfältig die Wunden aus. Wir mußten wiederholt das Becken ausschütten und es wieder mit reinem Wasser füllen.

Der Mann war jämmerlich zerkratzt und gebissen, und ganze Stücke Zeug klebten an den Wunden.

Als die Reinigung fertig war, fragte ich, wie es mit ihm stände.

»Es geht ihm gut«, sagte der Steuermann. »Er hat zwar viele Verletzungen, aber keine ist gefährlich. Er wird wohl bald wiederhergestellt sein.«

Am ärgsten hatte ihn das viele Seewasser mitgenommen, das er schlucken mußte.

Nachdem die Wunden gut verbunden waren, begaben sich die Heilkünstler auf Deck. Wir zwei Knaben gingen natürlich mit.

Owe hatte bereits seine wärmsten Kleider angezogen und fühlte sich wieder ganz wohl und munter. Die große Erregung hatte ihn ordentlich aufgerüttelt und wiederhergestellt.

Jetzt wollten wir aber vor allem die beiden Bären besichtigen.

Sie waren mausetot.

Der eine schwamm noch im Wasser unter dem Bugspriet, der andere lag ausgestreckt auf dem blutgefärbten Schnee an der Stelle, wo er gefallen war.

Die prächtigen Tiere wurden aufs Deck geschafft.

Selbstverständlich sollten sie nach Dänemark mitgenommen werden. Die Beute war sehr rar und die Pelze wertvoll.

Hernach schoben wir das Schiff ein gutes Stück ins offene Wasser, um vor einem nochmaligen Zusammentreffen mit Eisbären gesichert zu sein.

Vorgesetzter des Schiffes war nun einstweilen der Steuermann. Er hieß zunächst die erschöpften Leute sich durch ein gutes Mahl stärken.

Owe mußte seine besten Sachen auf den Tisch bringen, und ich half ihm, weil er noch nicht voll bei Kräften war.

Um den Kapitän nicht zu stören, speisten wir alle zusammen mit den Matrosen in deren Kajüte.

Auch der verwundete Bursche fühlte sich so wohl, daß er unsere Gesellschaft wünschte. –

Doch horch! Was war das?

Wir saßen noch am Tisch, da hörten wir plötzlich ein dumpfes Donnern und Krachen, das wie aus weiter Ferne an unser Ohr tönte.

Der Steuermann stürzte mit seinem Fernglas auf Deck.

Eilig kam er wieder herab und meldete, daß ein Sturm im Anzuge sei; er komme von Norden, und die Eisberge seien bereits in starker Bewegung.

»Auf!« rief er, »wir haben keine Zeit zu verlieren. Rasch ein paar Segel gehißt! Wir müssen schnell die Eisgrenze erreichen und uns ins offene Meer retten, bevor die Brandung zu stark wird.«

Die Matrosen begriffen sofort den Ernst der Lage und sprangen auf, ohne ein Wort zu sagen.

Mit großer Mühe wurden einige von den hart gefrornen Segeln gespannt, und schon folgten auch die ersten Windstöße.

Das Schiff setzte sich in Bewegung, und wir glitten gegen Süden längs der großen Eisscholle, unserer schwimmenden Walstatt.

Bald war das offene Meer erreicht.

Wir atmeten wieder frei auf und dankten Gott für unsere Rettung.

Die Matrosen arbeiteten aus Leibeskräften, noch weitere Segel zu hissen, und mit jedem neuen Segel wuchs die schnelle Fahrt.

Und immer weiter trug unser Schifflein uns fort – fort von den unheimlichen Bergen aus Schnee und Eis, die so behend uns mit Not und Tod umfingen.


 << zurück weiter >>