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21. Der Orkan

Der Sturm jagte heran.

Mit unbändiger Kraft, mit urplötzlicher Wucht fiel er über uns her. Rasende Mächte riefen uns brüllend auf zum Kampf.

Das Meer schäumte und ward weiß wie Schnee vom Gischt der aufgewühlten Wogen.

Der Wind peitschte die Wasser durch die Luft, und wie Platzregen gingen sie auf uns nieder.

Die Wellen wuchsen bald zu Bergen.

Das kleine Schiff, vom Sturm erfaßt, ward mit ihm fortgerissen über Berg und Tal und brausende, siedende Strudel.

Ein wildes Fest, ein Tanz voll Tod und Grauen!

Am Steuer stand der Kapitän, ernst und sorglich seines Amtes waltend.

Ich hatte eben noch mit den Matrosen geplaudert.

Da traf mich ein scharfer Blick von ihm, und ein rascher Wink wies mich fast zornig hinab in die Kajüte.

So gern ich oben geblieben wäre, ließ ich mich nicht zweimal schicken. Flugs eilte ich zur Treppe und stieg hinunter. –

Ich war nun und blieb allein – viele lange Stunden in den sechs Tagen, die der Sturm dauerte, allein hier unten in der Kajüte, eingesperrt wie in einem kleinen Gefängnis, mitten im hellen Aufruhr des Meeres.

Und doch – ich fühlte mich nicht im geringsten unglücklich.

Im Gegenteil, es machte mir gewissermaßen Vergnügen, als Einsiedler in schwimmender Zelle zu hausen, wo ringsum Wind und Wetter rasten.

Ich fand mich bald recht heimisch.

All mein Dichten und Denken war voll jugendlicher Frische, voll Leben und Lust.

Mein froher schaffender Sinn bildete sich unbewußt eine wunderschöne Welt, in der alle Dinge sich vor meinen Augen in strahlendem, goldenem Schimmer zeigten.

Den unvermeidlichen Aufenthalt in dem engen, dunklen Raum sah ich nur als kurzen Durchgang an, der mich einer herrlichen Zukunft entgegenführte.

Ich hatte nur das Ziel im Auge, den Weg beachtete ich kaum.

Ich beschäftigte meinen Geist mit der licht- und doch so geheimnisvollen Welt, der ich immer näher kam, mit dem schönen Dänemark, dem strahlenden Kopenhagen, dem herrlichen Frankreich!

Alle diese großen Erwartungen nahmen mich ganz ein. Sie begeisterten und entzückten mich, daß ich Einsamkeit und Gefangenschaft vergaß.

Ja, mein Sinn war hell, und in meinem Herzen war Sonnenschein – ob auch in der kleinen Kajüte mich Dunkel umfing.

Sie war so düster, daß ich anfangs umhertasten und mich an den Tauen festhalten mußte.

Das Schiff schaukelte gewaltig. Von stillem Sitzen oder Ruhen konnte keine Rede sein.

Die wenigen Gegenstände, die ich vergessen hatte festzubinden oder in der Schublade zu bergen, wurden bald lebendig.

Sie führten den reinsten Rundtanz um mich auf und wurden von Wand zu Wand geschleudert.

Sie zu sammeln und in Sicherheit zu bringen, war mein nächster Zeitvertreib.

Ich kniete auf den Boden und rutschte suchend auf und ab.

Aber das war schwieriger, als ich mir gedacht hatte.

Ich wurde selbst von der Bewegung des Schiffes erfaßt und samt den Sachen, die ich greifen wollte, hin und her geworfen.

Es dauerte lange, bis alles in Ordnung war, und ich bekam dabei manchen unsanften Stoß.

Schließlich aber gab es keinen Gegenstand mehr in der Kajüte, außer mir, der nicht ganz festgebunden oder festgeklemmt war.

Ich setzte mich auf mein Bett und hielt mich mit beiden Händen an den Tauen, die darum gespannt waren.

So konnte mir das Schaukeln des Schiffes nichts mehr anhaben.

Ich achtete auf seine Bewegungen und betrachtete im Geist die großen Wellen, deren gewaltiges Wogen ich unter mir fühlte.

Um sie mir lebhafter vorzustellen, schloß ich die Augen und machte so den harten Kampf des Schiffes mit, als wäre ich auf dem Verdeck.

Uh ha! Da kommt wieder eine Welle, sicher eine von den hohen. – Wir fuhren aufwärts. – Aber wie lange das dauerte! – Beständig ging es in die Höhe. – Wie hoch mußte doch diese Welle sein!

Endlich waren wir oben. – Jetzt werden wir wohl auf der andern Seite des fließenden Berges hinabfahren. – Ich lehnte mich zurück, um nicht umzufallen.

Aber wie? Wir bleiben ja so lange oben! – Diese Welle muß einen breiten, breiten Rücken haben.

Ich zählte langsam: »Eins – zwei – drei – vier – fünf –« So, jetzt ging's hinunter in den Abgrund!

Das Schiff neigte sich so stark, daß der Boden einige Sekunden fast senkrecht stand.

Ich fühlte, wie wir mit Windesschnelle durch die Luft fuhren – hinab – hinab – und immer noch hinab – ein kalter Schauer durchrieselte mir Mark und Bein – da endlich: platsch! – ein fürchterlicher Prall, ein Krachen, ein Schütteln, ein Ächzen –

Wir waren auf dem Boden des Abgrunds; das Vorderteil hatte sich tief ins Wasser gebohrt!

Es krachte gewaltig in allen Balken und Brettern und Fugen. Ein Zittern und Beben ging durch den ganzen Körper des Schiffes. –

Jetzt richtete es sich wieder auf. Der Boden wurde wieder zum Boden, die Wand wieder zur Wand, die Dinge kamen allmählich wieder in ihre richtige Lage.

Aber dann folgten die schäumenden, siedenden Wasserfälle. Das war der Kamm der neuen Welle, der sich überschlug und mit entsetzlichem Gekrach auf das Schiff fiel, als wolle er das ganze Deck zerbrechen und zerknicken.

Ich hörte, wie die gewaltigen Wassermassen voran- und zurückgeworfen wurden und sich in wahnsinnigen Wirbeln vom Vorder- zum Hinterdeck tummelten, um dann durch die Relingslöcher wieder ins Meer ausgespien zu werden.

So begann es immer wieder von neuem, nur jedesmal auf eine etwas andere Weise, aber stets begleitet von dem ohrenbetäubenden Heulen und Pfeifen des Orkans.

Oft kam es mir vor, als ob zwei, drei Wellen auf einmal gegen das Schifflein anrennten, von rechts und von links, und uns zwischen sich zermalmen wollten.

Dann wieder Erschütterungen ganz neuer Art. Das kleine Fahrzeug wehrte sich mit starken Stößen nach hüben und nach drüben, gleichsam um die feindlichen Angreifer fortzustoßen: es legte sich abwechselnd auf die eine und die andere Seite, schüttelte sich kräftig und kehrte wieder in die regelrechte Stellung zurück.

So ging es nun Stunde um Stunde, und ich wurde nicht müde, den zähen Kampf unseres Schiffes mit den wütenden Winden und Wellen zu beobachten. –

Allmählich fühlte ich ein gewisses Unwohlsein, und ich wußte anfangs gar nicht recht, was es sei.

Es war aber nichts anderes als nagender Hunger.

Ich war so vertieft gewesen in meine Betrachtungen, daß ich ganz mein Mittagsmahl vergessen hatte.

Bisher sorgten ja immer andere für mich.

Aber war es das Mittag- oder das Abendessen, das ich jetzt einnehmen sollte?

Kurz entschlossen legte ich für diesmal beide Mahlzeiten zusammen. Es kam ja schließlich auf eins heraus.

In Zukunft, dachte ich, werde ich die Essenszeit einfach nach dem Hunger einrichten.

Ich wartete nun, bis der Boden des Schiffes einigermaßen in waagrechte Lage kam, und ging dann an meine Vorratskammer, die große Tischschublade.

Ich drehte den Schlüssel um, zog die Lade heraus, und siehe da, alles lag noch in schönster Ordnung.

Es war nun freilich nicht besonders hell hier unten; aber meine Augen hatten sich bereits an das Halbdunkel gewöhnt, und so wollte ich mich schon behelfen.

Ich nahm ein Tischmesser und das große Roggenbrot zur Hand und machte mir das erste Butterbrot zurecht.

Da plumps – stürzte ich hintenüber.

Das Brot flog in die eine Ecke, das Messer in die andere, ich selbst lag rücklings auf dem Boden.

Alles nur das Werk eines Augenblicks.

Während ich hinfiel, hörte ich neben mir ein eigentümliches Gepolter.

Ich richtete mich auf – und o Schreck! die Schublade war herausgeglitten und alles herausgeflogen!

Auf ihrem Weg zum Boden hatte sie gerade Zeit genug gehabt, sich in der Luft zu überschlagen, und so ging der ganze Inhalt auf und davon.

Der große Schinken machte einen Ausflug unter die Koje des Steuermanns, der Buttertopf rollte unter mein Bett – und die feine dänische Butter saß zwischen Scherben hinten an der Wand.

Von den kostbaren Wasserflaschen waren ebenfalls ein paar entzweigegangen, so daß die ganze Bescherung ungefähr wie eine kleine Überschwemmung aussah.

Das war der Anfang meiner ersten Mahlzeit!

Ob mir aber der Unglücksfall die gute Laune verdarb?

Mitnichten. Er war für mich nur eine ergötzliche Abwechslung in meinem Einsiedlerleben.

Ruhig beschaute ich das Feld der Zerstörung.

Eine Lehre für die Zukunft, dachte ich; da wirst du dann um so vorsichtiger sein.

Aber schon sollte ich ein zweites Lehrgeld bezahlen.

Das Schiff war soeben mit dem Vorderteil in die Höhe gegangen und schoß plötzlich hinab in ein Wellental. Der Boden neigte sich auf die entgegengesetzte Seite.

Alle die losen Gegenstände nun, die ich nicht eilig genug wieder gesammelt hatte, rutschten jetzt nach der andern Wand hin. Und es wäre ein neues Unglück geschehen, hätte ich mich nicht hastig genug daraufgeworfen und sie festgehalten.

Es dauerte immerhin noch lange, bis ich alles an seinen Platz gebracht, die Sachen gereinigt, den Boden aufgetrocknet und alles getan hatte, um weitere Unfälle zu verhüten.

Jetzt erst konnte ich meine Mahlzeit einnehmen.

Nun aber paßte ich genau auf jede Bewegung des Schiffes, hielt mich am Tau fest, wachte sorgfältig über alles und ersparte mir so neue Störungen.

Als ich mich am Abend zu Bett legte, band ich mich fest, damit es mir nicht gehe wie der Schublade.

In der Nacht ereignete sich kein nennenswerter Unfall.

Trotz der gefahrvollen Fahrt, trotz des heulenden Sturms und der brausenden Wogen schlief ich ruhig und fest.

So ging es nun fort Tage und Nächte.

Meine Sehnsucht nach der Wiederkehr der schönen Zeit, wo ich bei Sonnenschein das weite Meer betrachten und frische Seeluft atmen konnte, wurde immer größer und größer.

Aber solange der wilde Orkan nicht ausgetobt hatte, durfte ich an keine Freiheit denken.

Und er schien noch gut bei Kräften zu sein.

Er raste Tag und Nacht mit ungeschwächter Gewalt.

So blieb mir denn nichts übrig, als mir den einen oder andern Zeitvertreib zu suchen.

Bald hatte ich auch einen gefunden, der gut und nützlich zugleich war.

Ich begann zu lesen und las den ganzen Tag, zuweilen sogar bis in die Nacht hinein.

Meine Mutter hatte mir verschiedene Bücher mit auf die Reise gegeben.

Beim Schein einer Stearinkerze las ich Buch um Buch, darunter die spannend geschriebene Weltgeschichte des isländischen Geschichtsschreibers Páll Melsted von Anfang bis zu Ende.

So gingen oft Stunden hin, ohne daß ich das geringste von den Wogen oder dem gewaltigen Schlingern des Schiffes merkte.

Ich war weit, weit fort mit meinen Gedanken, durcheilte Zeit und Raum, schweifte durch vergangene Jahrhunderte, durch Reiche und Länder und durchlebte mit höchster Spannung die großen Ereignisse der Weltgeschichte.

Bald war ich auf einem Kriegszug mit den Kreuzfahrern im Heiligen Lande, bald mitten zwischen den französischen und englischen Heermassen im Hundertjährigen Kriege. Ich war Augenzeuge vom Fall Konstantinopels am Ende des Mittelalters und von unzähligen andern ergreifenden Umwälzungen.

Als ich mit der Weltgeschichte fertig war, nahm ich die isländischen Sagas vor.

Und jetzt begleitete ich zu Wasser und zu Land die kecken Normannen auf ihren Wikingerfahrten, bald über die nordischen Meere, bald durch die blühenden Königreiche des Südens.

Ich war bei ihnen, als sie Paris belagerten, die Normandie, Sizilien, ja das mächtige England eroberten.

Daneben las ich aber auch fromme und religiöse Bücher, in denen manche gute Ratschläge und Lebensregeln für die Jugend standen, und erneuerte die Vorsätze, die ich unter der Leitung meiner guten Mutter gefaßt hatte.

Weihevolle Stimmungen stiegen in meiner Seele auf: ich wollte immer ein braver und gottesfürchtiger Knabe sein, oft zu Gott beten, einen reinen Lebenswandel führen und mich nicht von meinen bösen Neigungen überwinden lassen.

Alles das hatte ja die Mutter mir so eindringlich ans Herz gelegt, und ich hatte es ihr versprochen.

Jetzt fehlte es mir nicht an Zeit, über ihre Worte nachzudenken und meine Vorsätze für die Zukunft zu erneuern.

So gingen die Stunden dahin, ohne Langeweile, in schönster Unterhaltung.

Für meine leiblichen Bedürfnisse war auch hinlänglich gesorgt mit Butterbrot und Schinken, mit vortrefflichen Feigen und Rosinen, zu denen ich freien Zugang hatte.

Meinen Durst stillte ich mit hellem, klarem Wasser. Kurz und gut, ich konnte mich über nichts beklagen.

Zuweilen erhielt ich Besuch vom Kapitän oder Steuermann. Sie kamen abwechselnd herab, um jedesmal drei oder vier Stunden zu schlafen.

Als der Steuermann eines Tages zur Tür hereinkam, sprang ich auf, eilte freudig auf ihn zu und fing an, ihm von dem Sturm der Türken auf Konstantinopel im Jahre 1453 zu erzählen, und wie dabei Kaiser Konstantin XI. im Kampfe sein Leben verlor.

Ich befand mich nämlich damals gerade mitten in meinen weltgeschichtlichen Studien und war hellauf begeistert.

»Denken Sie sich, Herr Steuermann«, redete ich ihn voll Feuer an, »400 000 Türken stürmten gegen Konstantinopel los. Es war ein schrecklicher Kampf!

»Und der griechische Kaiser Konstantin kämpfte wie ein Löwe. Und die Türken wurden zuerst zurückgeschlagen.

»Aber dann rückten 20 000 Janitscharen von neuem vor. Und dann ging es den Griechen schlecht. Und Konstantin wurde furchtbar bedrängt. Und dann warf er seinen Purpurmantel ab und stürzte sich in das Handgemenge, um den Tod zu suchen. Und es strömte Blut aus seinem Gesicht und aus seinem Hals.

»Und das letzte, was man ihn rufen hörte mitten im Kampf, waren die Worte: Ist kein Christ hier, der mir das Haupt abschlage? Und keiner wollte es tun.

»Aber dann kam ein Janitschar und spaltete ihm den Kopf. Und so starb der letzte griechische Kaiser. Und dann nahmen die Türken Konstantinopel.

»Ist das nicht schrecklich, Herr Steuermann?«

Der Steuermann war bis auf die Haut durchnäßt und fiel vor Müdigkeit und Schlaf fast um.

Er führte ja oben am Steuer ein Leben ganz anderer Art als ich unten bei meinen Büchern.

Erstaunt über meine Begeisterung, ließ er mich eine Zeitlang über den Fall Konstantinopels reden. Dann sagte er:

»Du scheinst hier unten in deiner eigenen Welt zu leben, kleiner Nonni. Übrigens freut es mich, daß du solche Ruhe bewahrst und die Zeit gut benutzest. Fahr nur so fort, dann kannst du mal ein Professor werden.«

»Ja, ja«, raunte er noch vor sich hin und schlüpfte in seine Koje, »der Sturm auf Konstantinopel ist sehr interessant; aber vorläufig haben wir hier selbst einen andern Sturm zu bestehen, und der ist arg genug, mein Junge.«

Dann übergab er mir seine Uhr und sagte:

»Willst du mich nicht nach vier Stunden wecken? Da muß ich den Kapitän ablösen.«

»Gewiß, Herr Steuermann. Ich werde genau auf die Zeit schauen. Sie können ruhig schlafen.«

Kaum hatte er sein bärtiges Gesicht ins Kissen eingenestet, da schlief er schon in vollen Zügen.

Der liebe, gute Steuermann! Er war so angestrengt und müd.

Bis es Zeit für ihn ist, aufzustehen, dachte ich, mußt du ihm schon ein feines Butterbrot mit Schinken bereiten.

Als ich ihn nachher weckte, verehrte ich es ihm.

Er nahm es gerne an und sagte in herzlichem Tone:

»Dank dir, mein Lieber, tausend Dank! Das ist aber aufmerksam von dir. Ich werde es nicht vergessen.«

Ich war seelenvergnügt, daß der Steuermann solche Freude an meiner kleinen Gabe hatte.

Als später auch der Kapitän herabkam und seine vier Stunden geschlafen hatte, reichte ich ihm ebenfalls ein solches Brot dar, und auch er dankte mir freundlich dafür.

Von da an blieb es, wenigstens solang der Orkan dauerte, stehender Gebrauch bei mir, die zwei Herren nie zu wecken, ohne für sie ein Butterbrot mit Schinken gerichtet zu haben. –

Als volle fünf Tage vergangen waren, kam es mir vor, als ob der Sturm nicht mehr so stark sei wie früher.

Da wandelte mich eine sehnsüchtige Lust an, auf Deck zu steigen. Ich wollte mit eigenen Augen das großartige Schauspiel der Natur betrachten und endlich wieder frische Luft schöpfen.

Sobald daher der Steuermann am Vormittag des sechsten Tages zu mir herabkam, sagte ich:

»Ich möchte Sie um etwas bitten, Herr Steuermann.«

»So, mein Lieber? Was ist denn das?«

»Ach, ich möchte so gern wieder einmal auf Deck und den Sturm und die großen Wellen anschauen.«

»So, so, du willst mal den Sturm sehen? Ja, das kann ich gut begreifen, mein Junge. Du bist wahrlich lang genug hier eingesperrt gewesen. – Aber es ist oben noch gefährlich. Die Wellen sind zwar nicht mehr so hoch wie in den letzten Tagen, aber doch hoch genug, und schlagen noch oft übers Deck. – Meinst du, die Sturzbäder werden dir behagen?«

»Davor ist mir nicht bange, Herr Steuermann, im Gegenteil, ich habe Spaß daran.«

»Aber du wirst naß bis auf die Haut.«

»Das macht mir nichts, Herr Steuermann.«

»Schon recht; aber wenn ich dir erlaube mitzukommen, dann muß ich dich oben festbinden.«

»Das dürfen Sie ruhig tun; ich bin zu allem bereit, wenn ich nur in die frische Seeluft kommen und Sturm und Wogen sehen darf.«

»Gut, mein Junge, ich will deinen Wunsch erfüllen.«

Er ging an einen Schrank neben seiner Koje, nahm daraus einen vollständigen Anzug aus wasserdichtem Zeug, einen Südwester und ein paar hohe Wasserstiefel.

»So«, sagte er, »nun will ich dir erklären, was du damit tun sollst, mein kleiner Freund. Ich gehe jetzt zu Bett und schlafe vier Stunden. Bevor du mich weckst, legst du diesen Anzug an über deine Kleider. Dann weckst du mich, und wir gehen zusammen auf Deck. Ich werde dich dort schon fest genug binden, daß die Wellen dich nicht über Bord spülen können.«

Ich hüpfte vor Freude und wäre dem Steuermann am liebsten um den Hals gefallen. Ich drückte ihm die Hand und dankte ihm herzlich für seine Güte.

Er legte sich zu Bett und schlief wie gewöhnlich sofort ein.

Schon eine halbe Stunde, bevor seine Ruhezeit zu Ende war, begann ich die Kleider anzulegen.

Sie waren mir natürlich viel zu groß. Die lederne Jacke reichte mir bis auf die Füße, und in den hohen Wasserstiefeln konnte ich kaum auf den Grund kommen; meine Beine verschwanden darin bis oben herauf.

Aber die weiten Kleider, dachte ich, würden mich vor Kälte und auch vor Nässe schützen, und das war ja die Hauptsache.

Als der kleine Seemann fertig war, bereitete ich ein großes und extrafeines Butterbrot für den Steuermann.

Dann weckte ich ihn.

Wie er mich in meiner wunderlichen Tracht erblickte, brach er in helles Lachen aus.

»Was wird der Kapitän wohl denken, wenn er dich in dieser Ausstaffierung sieht?«

»Er kann denken, was er will, das hat nichts zu sagen.«

»Gut, mein Junge, du hast recht.«

Der Steuermann verzehrte nun sein Butterbrot, machte das dünne Tau los, das durch die Kajüte gespannt war, und band es mir um den Leib.

Dann trug er mich die Treppe hinauf, weil ich mich in den langen Stiefeln kaum bewegen konnte.

Auf der obersten Stufe angekommen, wollte ich gleich die kleine Tür zum Deck aufmachen.

»Halt!« rief da der Steuermann. »Nur langsam, mein Freund; so rasch geht das nicht. Hast du das Sturzbad schon vergessen, das du im ersten Sturm bei Island bekommen hast? Willst du gern eine Welle in die Kajüte haben?«

Jetzt erst fiel mir ein, daß die Wellen beständig über das Schiff schlugen, und daß die Tür nicht geöffnet werden durfte, bevor das Deck frei von Wasser war.

Wir warteten daher eine Weile an der Tür, und der Steuermann gab genau acht auf die Bewegungen des Schiffes und horchte auf jedes Geräusch von draußen.

Auf einmal griff er an die Klinke, riß die Tür auf und sagte:

»Jetzt schnell hinaus!«

Im Nu waren wir auf Deck, und die Tür ward sofort wieder zugeklappt.

Da stand ich nun wieder unter freiem Himmel!

Welch ein Anblick!

Die Wellen um das Schiff herum sahen aus wie rauchende Berge, der Sturmwind sauste und heulte und brüllte.

Mitten über das Schiff war von Reling zu Reling ein Tau gespannt.

Der Steuermann führte mich dorthin.

Dann faßte er meine Hände, preßte meine Finger fest um das dicke Tau und schrie, so laut er konnte, mir ins Ohr:

»Um Gottes willen! laß das Tau nicht los! Halt fest! halt fest!«

Sturm und Wellen tosten so fürchterlich, daß ich nur mit genauer Not diese Worte verstand.

»Ja, ja!« schrie ich aus Leibeskräften, »ich halte schon fest.«

Aber ich selbst konnte meine eigenen Worte nicht hören.

Jetzt band er das dünne Tau, das ich um den Leib hatte, so an das dicke, daß ich daran hin und her gleiten konnte.

Es bestand nun wenigstens keine Gefahr, daß ich das schwere Tau verlor, und ich konnte mich quer über das Deck von der einen Reling zur andern bewegen.

Als ich so in Sicherheit gebracht war, nickte der Steuermann mir freundlich zu und begab sich ans Steuer, um den Kapitän abzulösen.

Jetzt war ich mir selbst überlassen und konnte in aller Ruhe, wenn ich so sagen darf, das großartige Schauspiel genießen, das Sturm und Wellen vor meinen Augen gaben.

Ha! und was für ein Schauspiel das war!

Alle Winde waren entfesselt, und grimmig jagten und peitschten sie die wildrasenden Wogen, daß sie in wahnsinniger Wut sich aufbäumten und aus gähnenden Abgründen brüllten.

Das war ein Schäumen, ein Kochen, ein Sieden – ein betäubendes Rasen und Heulen und Pfeifen.

Ich stand ergriffen da und gänzlich verwirrt vor Bewunderung und Staunen.

Und vor meinem Geiste tauchten Bilder auf gar mannigfach und groß und schön.

Die geifernden Wellen wurden auf einmal zu lebenden Wesen.

Das aufgewühlte Meer kam mir vor wie ein Schlachtfeld, wo zwei feindliche Heere in wildem Ansturm aufeinanderstießen.

Der Kampf ward zu einem schrecklichen Handgemenge.

Riesen rangen miteinander auf Leben und Tod; sie wanden und streckten sich, wüteten und wälzten sich, der eine auf dem andern. Sie hielten sich umschlungen, wirbelten rundum, stöhnten und schäumten in wilder Wut.

Mir kam in den Sinn, wie die Edda so herrlich die Wellen beschreibt.

Da heißen sie Töchter des Meergottes Ägir.

Sie weinen und heulen unaufhörlich und werfen ihre Schleier hoch in die Luft. Sie stoßen die Schiffe hin und her, heben sie auf ihre starken Schultern und ziehen sie wieder hinab in die Tiefe.

»So erscholl es,
Wo zusammenschlugen
Kolgas Schwester Eine Welle. Kolga ist eine von den Töchtern Ägirs.
Und die langen Kiele,
Als brächen Berge
Und Brandung entzwei.«

Wie klang sie bei dem furchtbaren Getöse in mir wider, diese Strophe aus dem eddischen Heldenliede von Helgi dem Hundingstöter, das ich fast ganz auswendig konnte! Und wie so ganz anders verstand ich die großartigen Bilder der Edda jetzt, wo ich die Wirklichkeit selbst sah, als wo ich sie mir nur beim Lesen vorstellte!

Ja, es schien, als brächen auch hier Berge und Brandung entzwei.

Wahrlich, ein erhebendes Gefühl, daß es mir vergönnt war, einem solchen Schauspiel beizuwohnen.

Lange stand ich unbeweglich da und sah nur auf das Meer.

Das brausende Meer!

Übergoß mich auch dann und wann ein Sturzbad – ich achtete kaum darauf.

Bald gewahrte ich auch, daß es zwei Arten von Wellen gibt.

Die einen waren die großen.

Sie glichen Bergesketten, und ein weiter Raum lag zwischen ihnen, der oft wohl Hunderte von Metern breit war.

Sie waren nicht alle gleich hoch; einige hoben sich bedeutend über alle andern empor.

Ich sah sie schon von ferne herankommen.

Drohend näherten sie sich unserem Schiff. Ihr mächtiger Kamm war immer blendend weiß, lauter Gischt und langhin wallender, brodelnder Schaum.

Sooft wir durch diese schäumenden Wellenkämme fuhren, hörte man ein Geräusch wie aus einem kochenden Riesenkessel.

Dann spritzte der weiße Schaum in Schwaden über das ganze Schiff, wurde zu Wasser und wälzte sich in reißendem Strome vom Vorder- zum Hinterdeck, daß es uns oft über Bord zu spülen drohte.

Die andere Art, die kleineren Wellen, liefen oben auf den großen in steter Bewegung hin und her.

Sie waren meist nur wenige Meter hoch.

Diese erschütterten das kleine Schiff, schoben es herüber und hinüber und zwangen es, sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite zu legen.

Um diese kümmerte man sich nicht weiter. Sie durften uns stoßen und rütteln, soviel sie wollten.

Aber die großen Wellen, die flößten gewaltige Furcht ein.

Beständig mußte Ausschau nach ihnen gehalten werden, und der Mann am Steuer hatte auf nichts anderes ein Auge als auf sie.

Darin galt es den Meister zu zeigen, daß er das Schiff so lenkte, daß nie ein solcher Wasserberg auf dessen Seite stieß.

Leben und Tod konnten davon abhängen.

Das Schiff mußte diesen großen Wellen immer mit dem Steven begegnen, oder wenn sie von rückwärts kamen, mit dem Spiegel.

Stunden vergingen, während ich so angeseilt war und meinem Sinnen und Schauen nachhing.

Von Müdigkeit merkte ich keine Spur.

Langsam schien das Bild sich zu ändern, der Orkan sich zu legen.

Die Luft war milder geworden, und ich schloß daraus, daß wir bereits wärmeren, südlichen Ländern näher gekommen seien.

Erspähen freilich konnte ich keine Spur von Land.

Ich hatte auch keine Ahnung, wo wir uns befanden. Darüber mußte ich schon den Steuermann fragen.

Zunächst aber harrte noch eine andere Frage der Lösung.

Ich war hungrig geworden und mußte mich mit einem Butterbrot stärken.

Es ist ja wohl nicht mehr gefährlich, dachte ich, die Fesseln abzustreifen.

So machte ich die Knoten des Taues los und wartete, bis wir in ein breites Wellental kamen.

Um nun die folgende mächtige Welle zu erklimmen – das wußte ich bereits aus Erfahrung –, brauchte unser Schiff mehrere Minuten.

Diese Zeit benutzend, sprang ich, so schnell die langen Stiefel mich trugen, zur Kajütentür.

Ich erreichte sie ohne Unfall und eilte die Treppe hinab.

Unten lief ich gerade dem Steuermann in die Arme. Er war eben vom Kapitän abgelöst worden.

»So, so, mein Kleiner«, sagte er, »du hast wohl oben genug bekommen und willst dich in die warme Kajüte zurückziehen.«

»O nein«, erwiderte ich, »ich bin bloß hungrig. Ich esse ein Butterbrot und gehe dann gleich wieder hinauf.«

»Willst du wirklich wieder hinauf? – Das Leben auf dem Meere gefällt dir scheint's.«

»Jawohl, Herr Steuermann«, sagte ich treuherzig, »es war immer mein Wunsch, Seemann zu werden. – Übrigens ist es oben auch nicht mehr so gefährlich. Der Sturm nimmt ab.«

»Das ist wahr, es wird ruhiger.«

Schnell machte ich mir ein Butterbrot zurecht, aber größer als sonst, und ließ es mir vorzüglich schmecken.

»Ich sehe«, lächelte der Steuermann, »die Seeluft macht Appetit.«

»Ja, ja, das merke ich auch. In den letzten sechs Tagen habe ich keinen solchen Hunger gehabt.«

»Nun möchte ich Sie aber gern etwas fragen, Herr Steuermann«, fuhr ich fort. »Wissen Sie denn, wo wir eigentlich sind? Wir segeln jetzt ja beinah eine Woche lang in schnellster Fahrt, und mir scheint, wir könnten in all der Zeit fast bis nach Amerika gekommen sein.«

»Da hast du recht; wir könnten jetzt wohl in Amerika sein. Aber wir sind in anderer Richtung gesegelt.«

»Ja, wo sind wir denn?«

»Erst kamen wir an den Färöern und an Schottland vorbei. Dann suchten wir uns der norwegischen Küste zu nähern. Und in der Tat sind wir ihr schon so nahe gekommen, daß wir sie vielleicht morgen oder doch nicht viel später sehen können.«

»O, das freut mich! So werde ich bald zum erstenmal in meinem Leben Norwegen sehen. – Das wunderschöne Norwegen! Das wird das erste Land der Welt, das ich nach Island sehen werde.«

Schnell verzehrte ich mein Brot, steckte mir einige Rosinen in die Tasche und ging wieder die Treppe hinauf.

Sofort eilte ich zu meinem Tau und band mich diesmal selber fest.

In der kurzen Zeit, die ich unten in der Kajüte war, hatte sich das Wetter auffallend verändert. Der Sturm hatte bedeutend nachgelassen, nur der Wellengang war noch fast ebenso gewaltig wie zuvor.

Wieder genoß ich, doch jetzt mit mehr Ruhe, den herrlichen Anblick.

Während ich über die Wellen hinschaute, erblickte ich auf einmal in weiter Ferne einen eigentümlichen dunklen Gegenstand, wie mir schien, einen großen schwimmenden Vogel.

Er tauchte plötzlich aus dem Meere auf, verschwand aber ebenso schnell wieder.

»Sehen Sie dort, Herr Kapitän?« rief ich diesem zu.

Er stand am Steuer und antwortete etwas, das ich aber bei dem starken Rauschen des Meeres nicht verstehen konnte.

Er hatte es übrigens auch gemerkt und winkte daher, ich möchte zu ihm kommen.

Ich löste die Knoten an meinem Tau.

Nochmals sah ich den Gegenstand aus dem Wasser hervortauchen und wieder verschwinden.

Was mochte das wohl sein?

Als ich zum Kapitän kam, sagte er:

»Geh hinab und ruf den Steuermann.«

Ich eilte in die Kajüte.

»Herr Steuermann!« rief ich, »der Kapitän wünscht mit Ihnen zu sprechen.«

Schnell erzählte ich ihm, was ich in der Ferne gesehen hätte, und fragte, was das wohl sein könne.

»Wenn du wirklich etwas gesehen hast, so möchte ich glauben, es sei ein Schiff.«

»Ein Schiff? – Ja, ja, das glaube ich nun auch. Ich meine, es ragte etwas daraus hervor. Das waren gewiß die Masten. Ja, es muß ein Schiff sein.«

»Darüber werden wir uns bald klar werden, mein Junge.«

Der Steuermann machte sich fertig, nahm sein Fernglas und eine zusammengerollte Flagge und ging auf Deck.

Ich folgte ihm und war nun aufs höchste gespannt, was aus meiner Entdeckung herauskommen würde.

Der Steuermann hatte bereits das Fernglas vor die Augen gesetzt und betrachtete den schwarzen Gegenstand, der immer in bestimmten Zwischenräumen sich unsern Blicken zeigte und wieder verschwand.

Auch ich sah ihn wieder. Er war schon bedeutend näher gekommen.

Einige Augenblicke schwebte er gleichsam auf einem schneeweißen Wellenkamm und stürzte sich dann kopfüber in die Tiefe.

Der Steuermann gab das Fernglas dem Kapitän und sagte:

»Das ist ein Engländer.«

Auch der Kapitän schaute durch das Fernglas und pflichtete dem Steuermann bei:

»Sie haben recht, es ist ein englisches Schiff.«

Jetzt begab sich der Steuermann mit der Flagge zum Maste, band sie an eine Schnur und hißte sie mehrmals auf und ab.

Wie mir schien, gab der Engländer ähnliche Zeichen.

Die beiden Schiffe kamen sich immer näher.

Der Engländer segelte in derselben Richtung wie wir; nur bog er etwas nach links.

Wir wendeten nun nach rechts zu ihm hin, und so mußten wir uns bald begegnen.

Das fremde Schiff wurde zusehends deutlicher.

Wir erkannten, es war ein Zweimaster und bedeutend größer als unser kleiner »Valdemar«.

Wie eine Nußschale wurde es hin und her geworfen; es wurde gestoßen und geschoben, bald von rechts, bald von links, und wurde bald auf die eine, bald auf die andere Seite gelegt.

Es schien, als hätte es jeglichen Widerstand aufgegeben und sich willenlos der Gewalt der Wellen überlassen.

Endlich waren wir beieinander.

Staunen ergriff mich über die Kühnheit der Führer der beiden Schiffe.

Trotz des gewaltigen Seegangs kamen sie einander so nahe, daß der Abstand wohl keine dreißig Meter betrug.

Und in dieser Nähe segelten sie nun nebeneinander her!

Auf dem Deck des Engländers sah ich einen Knaben, der von meinem Alter zu sein schien.

Er hielt sich fest an einer Eisenstange neben der Kambüse.

Ich nickte ihm zu und grüßte mit der Hand. Er erwiderte lebhaft meinen Gruß.

Am Steuer stand ein feiner Herr, gekleidet in schwarzen, wasserdichten Überrock – offenbar der Kapitän.

Sonst waren noch vier erwachsene Seeleute auf Deck.

Sie betrachteten uns und wir sie.

Eine wunderbare Wettfahrt war nun zu schauen.

Die Bewegungen der beiden Fahrzeuge waren fast immer dieselben.

Schwebten wir hoch oben auf einem schäumenden Wellenkamm, war der Engländer nachbarlich bei uns. – Schossen wir schnell wie der Blitz in die Tiefe, war auch der Engländer wieder dabei. – Und kletterten wir langsam die hohe fließende Bergwand hinauf, tat er dasselbe.

Ein paarmal langte aber unser Schiff etwas vor dem andern auf der Welle an, und die Folge war, daß wir auch vor ihm auf der andern Seite hinabsausten.

Dann war der Engländer plötzlich verschwunden; der Kamm der Welle war zwischen ihm und uns.

Aber auf einmal wurde er wieder hoch über uns sichtbar.

Und nun sah ich, wie er hinter uns her war und wie ein abgeschnellter Pfeil gerade auf uns herabschoß.

Ich stieß einen gellenden Schrei aus.

Doch, was war geschehen?

Der kühne Segler hatte sich mit sicherem Sprung nicht weit von uns mit dem Vordersteven ins Wasser gebohrt.

So waren die Schiffe eine Zeitlang über Berg und Tal nebeneinander dahingeflogen.

Da plötzlich fuhr ich zusammen.

Ein durchdringendes Brüllen, wie ich es noch nie gehört, ertönte vom englischen Schiff zu uns herüber.

Woher in aller Welt mag so ein schauerlicher Ton wohl rühren? fragte ich mich.

Mein erster Gedanke war, es sei ein wilder Stier oder sonst ein Ungeheuer am fremden Bord.

Doch während ich über die Sache grüble, sehe ich, daß unser Steuermann das Tuthorn an den Mund setzt und fast im selben Tone zum Engländer hinüberbrüllt.

Von allem, was der Steuermann durch das Horn schrie, verstand ich nur die Worte:»… from Iceland …« (von Island).

Jetzt war mir alles klar. Es war ein Gespräch, das zwischen beiden Schiffen geführt wurde.

Auch drüben auf dem Deck des Engländers sah ich einen Mann mit einem Tuthorn in der Hand am Hauptmast stehen.

Jedesmal wenn wir an einer Welle hinauffuhren, nahmen die beiden das Horn an den Mund und sprachen hin und her.

Verstehen aber konnte ich nie etwas, und ich begriff auch nicht, wie es zuging, daß die Sprecher sich verstanden.

Die Unterhaltung war immer lebhaft und wurde nur ausgesetzt, wenn wir eine Woge hinabsegelten.

Einmal wurde das eigenartige Zwiegespräch durch ein heiteres Stückchen unterbrochen.

Einer unserer Matrosen lag während des englischen Besuches unten in seiner Koje und schlief. Er hatte keine Ahnung, was oben vorging.

Durch das mächtige Tuten geweckt und erschreckt, stürzte er – man nimmt das auf kleinen Schiffen in offener See nicht so genau – in seinem Nachthemd auf Deck.

Der gute Mann trippelte zuerst wie verstört auf dem Deck etwas herum, rieb sich die Augen und schaute umher.

Da endlich gewahrte er das fremde Schiff und die englischen Seeleute, die ihn mit neugierigen Blicken betrachteten.

Wie aber jetzt unser Matrose aufwachte!

Als wäre er aus allen Himmeln gefallen, irrte er bald da-, bald dorthin, ob sich ein rettender Winkel zeigte, und verschwand dann wie von ungefähr in der Kajütentür.

Ein schallendes Gelächter von hüben und drüben folgte ihm.

Kurze Zeit noch blieben die zwei Schiffe im Gespräch. Dann winkten sich die Besatzungen Lebewohl.

Der englische Knabe und ich nickten und winkten ebenfalls zum Abschied, und die beiden Segler trennten sich.

Lange noch schaute ich dem englischen Freunde nach, der so unverhofft munteres Leben in unsere einsame Fahrt gebracht hatte. –

Und wieder war mein Blick auf den Gang der Wellen gerichtet, und eine neue Entdeckung fesselte Aug und Sinn.

Fern von uns tauchte ein schneeweißer Fleck im Meere auf.

Anfangs hielt ich ihn für Schaum.

Als wir aber der Stelle näher kamen, sah ich zu meiner großen Verwunderung, daß es eine Schar Möwen war.

Gott sei Dank! dachte ich, jetzt sind wir nicht mehr weit vom Land.

Die Möwen schwammen ruhig auf dem mächtig aufgeregten Wasser und hielten sich dicht beisammen.

Ich wandte den Blick nicht von ihnen und beobachtete mit Spannung, was diese wetterfesten weißen Vögel bei dem starken Seegang machten.

Die Wellen spielten mit ihnen wie der Wind an Herbsttagen mit den dürren Blättern.

Da sie auf der Oberfläche sitzen blieben, wurden sie von den auf und nieder und durcheinander wallenden Wassern lustig umhergewirbelt.

Gleich unserem Schifflein warfen die Wogen sie hoch in die Luft und nahmen sie dann wieder mit hinab in die tiefen Gründe.

Reizvoll anzusehen war's, wenn die ganze schwimmende Schar durch die schäumenden Wellenkämme zog.

Hatte eine Woge sie hinaufgetragen bis auf den Wellengrat, dann ringelten und rollten die Wasser heran und huschten hurtig über sie weg und begruben sie unter brausendem Wasserfall.

Aber die gewandten kleinen Taucher achteten nicht solcher Sturzbäder, und gar nicht lange, so kamen sie auf der andern Seite der Welle wieder hervor und zogen ruhig weiter auf ihrer Bahn.

Das alles hatte ich auch schon in der Nähe von Island gesehen, aber noch nie so anschaulich und schön wie hier. –

Ich wurde gar nicht müde, all die wundersamen Eindrücke des Meeres auf mich wirken zu lassen, und ich wäre am liebsten noch lange oben geblieben.

Aber es war schon spät geworden, und es wurde finster.

Ich verließ daher das Deck und begab mich in die Kajüte hinab, um nun endlich nach den vielen Anstrengungen und herrlichen Erlebnissen des Tages auszuruhen.

Zuerst stärkte ich mich mit einem kräftigen Abendessen. Dann legte ich mich voll froher Hoffnung auf neue Eindrücke und Erlebnisse zu Bett.


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