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19. Eine Operation

Der Wind, der uns anfangs flott gegen Süden getrieben, legte sich leider bald und flaute zu einer schwachen Brise ab.

Das Meer lag ruhig hingebreitet, die Wasser waren leicht gekräuselt.

So kam unser Schiff, obwohl alle Segel gehißt waren, nur sehr langsam voran.

»Ist es nicht eigentümlich«, sagte Owe zu mir, als wir abends zu Bett gingen, »unsere Reise dauert schon fast zwei Wochen, und anstatt in all der Zeit Dänemark näher zu kommen, sind wir jetzt weiter davon als am Tage, wo wir aus dem Eyjafjördur segelten.«

»Ja, das ist sonderbar«, antwortete ich. »Aber ich kann doch nicht sagen, daß es mir unangenehm ist, denn beim Umhertreiben auf dem Ozean erleben wir beständig neue Abenteuer.«

»Ob wohl der Kapitän und der verwundete Matrose auch der Meinung sind?« bemerkte Owe.

»Nein, ganz gewiß nicht.«

Beide lagen ja zu Bett und litten große Schmerzen.

Owe und ich brachen die Unterhaltung bald ab.

Von den Anstrengungen und Aufregungen des Tages waren wir sehr müde. Wir sagten einander gute Nacht und begaben uns zur Ruhe.

Bald hatte uns der sanfte Schlaf umfangen. –

Mit dem folgenden Tage begann wieder das gewöhnliche Alltagsleben.

Die Genesung des Kapitäns machte gute Fortschritte.

Schon nach zwei Tagen stand er auf, den Arm freilich noch in der Binde tragend.

Sein erster Gang war zur Matrosenkajüte, um den Kranken zu besuchen.

Der Matrose, ein Bauernjunge von Bornholm, hatte die Eigentümlichkeit, daß er immer verlegen wurde, wenn er sich in der Nähe des Kapitäns befand. Er gab dann oft Antworten, die Owe und mich zum Lachen brachten.

Als der Kapitän die Treppe herabkam, war ich gerade unten und konnte deshalb die Unterredung mit anhören.

Sobald ich Herrn Foß kommen sah, flüsterte ich dem Kranken zu:

»Der Herr Kapitän kommt, Sie zu besuchen.«

Der Matrose wurde rot über das ganze Gesicht und sagte:

»Wie? Der Herr Kapitän kommt selbst hierher? Das hätte ich nicht erwartet; die Ehre ist zu groß.«

Der Kapitän stöhnte wiederholt, während er sich mit Mühe durch den engen Treppenraum zwängte.

Sein Arm mußte ihn wohl immer noch sehr schmerzen.

Große Sauberkeit war dort unten bei den Matrosen gerade nicht zu finden. Auch jetzt lagen wieder einige alte schmutzige Kleidungsstücke und andere Sachen auf Tisch und Bänken herum.

Schnell räumte ich ein wenig auf, und es gelang mir, wenigstens die eine Ecke des Tisches frei zu machen.

»Guten Tag, mein Lieber, wie steht's?« sagte der Kapitän freundlich, als er zur Tür hereintrat.

»Ach, ja – ich weiß nicht recht, was ich sagen soll, Herr Kapitän«, antwortete der Kranke.

»Ei, Sie wissen nicht, was Sie sagen sollen? Es geht doch hoffentlich etwas besser, nicht wahr?«

»O ja – das sollte es wohl, Herr Kapitän; ja, das sollte es natürlich.«

»Aber, was sagen Sie, mein lieber Freund? Befinden Sie sich wirklich nicht besser?«

»O doch, Herr Kapitän – wie man es nehmen will. Das Leben haben wir ja gerettet, und das war doch die Hauptsache – selbstverständlich, Herr Kapitän.«

»Aber, mein Freund, ich werde nicht recht klug aus dem, was Sie sagen. Ich meine, ob Sie sich nicht besser fühlen, und ob die Schmerzen noch nicht nachgelassen haben.«

»Doch, doch, Herr Kapitän – das sollten sie ja schon – selbstverständlich. Das möchte ich am liebsten sagen können.«

Aus der Antwort des Kranken schloß der Kapitän, daß es nicht gut mit ihm stehe. Er fragte ihn deshalb:

»Wo haben Sie den meisten Schmerz?«

»Am Bein, Herr Kapitän.« – Und mit verhaltenem Jammern und Stöhnen streckte er das eine Bein aus dem Bette.

Als der Kapitän das verwundete Bein erblickte, rief er aus:

»Aber, was ist denn das? Das Bein ist ja entsetzlich angeschwollen!«

»Ja, das ist es, Herr Kapitän, selbstverständlich –«

»Und nicht bloß das; es sieht ja schrecklich aus – gelb, blau, grün!«

»Jawohl, Herr Kapitän, so ist es.«

»Aber das muß Ihnen gewaltige Schmerzen verursachen, Ärmster, nicht wahr?«

»Jawohl, selbstverständlich, Herr Kapitän, das tut es – gewiß, gewiß.«

»Können Sie nachts schlafen?«

»Das sollte ich ja eigentlich, Herr Kapitän, das sollte ich selbstverständlich, aber –«

»Aber das können Sie nicht, nicht wahr?«

»Das ist es eben, Herr Kapitän.«

»Leicht begreiflich«, sagte Herr Foß und half dem Armen das Bein wieder ins Bett legen.

»Eine dumme Geschichte«, fügte er bei, »da muß unbedingt etwas geschehen.«

»Ja, unbedingt, das muß es«, stöhnte der Kranke.

»Nun, ich will mal mit dem Steuermann reden«, sagte Herr Foß. »Er versteht sich auf solche Dinge. Und wir wollen hoffen, daß wir Ihr Bein wieder in Ordnung bringen.«

»Ja, das wollen wir, Herr Kapitän, das wollen wir.«

»Auf Wiedersehen, mein Freund«, sagte der Kapitän und verließ die kleine Kajüte.

»Auf Wiedersehen, Herr Kapitän, und Dank für den Besuch.« –

Ich ging mit auf Deck, um zu hören, was über den Zustand des Kranken gesprochen würde.

Der Steuermann stand am Ruder.

Der Kapitän ging zu ihm und sagte:

»Mit dem Kranken da unten sieht's nicht gut aus!«

»Ja, leider«, antwortete der Steuermann. »Ich habe ihn schon ein paarmal verbunden, aber er reißt den Verband immer wieder ab.«

»Das tut er gewiß vor Schmerzen«, erwiderte der Kapitän. »Er leidet ja schrecklich. Ich glaube, es ist das beste, Sie gehen hinab und untersuchen ihn. Ich werde so lange am Steuer bleiben.«

Der Steuermann übergab das Ruder dem Kapitän.

»Ich will mal versuchen«, sagte er, »ihm einige Schröpfköpfe auf das Bein zu setzen. Schaden können die jedenfalls nicht.«

»Ja, tun Sie, was Sie können, um sein Leben zu retten. Ich fürchte, es gibt eine Blutvergiftung.«

»Das befürchte ich auch«, antwortete der Steuermann.

Dann ging er hinab in die Kapitänskajüte, um die Schröpfköpfe zu holen.

Ich eilte zum Kranken und sagte ihm:

»Der Steuermann kommt gleich! Er will Sie schröpfen.«

»Schröpfen? – Meinst du, das wird helfen?«

»Ja, das wird Ihnen die ganze Krankheit aus dem Bein ziehen«, tröstete ich ihn, als wenn ich wunder was von der Sache verstände.

»Wenn es das nur täte!« stöhnte er.

Wir sprachen noch eine Weile über die wunderbare Wirkung der Schröpfköpfe.

Endlich hörten wir Schritte auf der Treppe.

Es war der Steuermann.

Gleich darauf trat er zu uns herein, hinter ihm Owe, der ein Becken mit warmem Wasser trug.

»So, du kleiner Isländer, bist du hier!« redete er mich an. »Das ist ja schön von dir, daß du Kranke pflegst und tröstest. – Da du nun doch mal hier bist, kannst du gleich hier bleiben und uns behilflich sein.«

»Sehr gern, Herr Steuermann.«

Dann sagte er zu Owe:

»Stell das Becken dort auf den Tisch.«

Das Lederfutteral mit dem Instrument zum Schröpfen legte er daneben.

Dann wandte er sich zu dem Kranken und redete ihn liebevoll an:

»Nun, lieber Freund, wie geht es mit dem Bein? Tut es noch weh?«

»Ja, Herr Steuermann, ich weiß nicht recht, was ich sagen soll. Ganz gut geht es mir eigentlich nicht.«

»Das dauert doch lange mit der Krankheit. Nun, wir wollen mal schauen, wie es aussieht.«

Unter großen Schmerzen streckte der Matrose das kranke Bein auf die Bettkante.

»O weh! o weh!« rief der Steuermann, diesmal in vollem Ernst, »das ist eine schlimme Geschichte! Nein, so kann es nicht weitergehen. – Aber ich will Ihnen was sagen: ich setze Ihnen gleich sechs Schröpfköpfe auf das Bein; das wird Ihnen gut tun, Sie können mir's glauben.«

»Meinen Sie wirklich, Herr Steuermann?«

»Selbstverständlich; das wird das verdorbene Blut herausziehen, das im Bein hockt.«

»Dann bitte nur rasch, Herr Steuermann.«

»Gut, mein Freund, wir wollen gleich darangehen. – Owe und Nonni, nehmt das Waschbecken!«

Zunächst wurde die kranke Stelle sorgfältig gewaschen.

Der arme Mann mußte arge Schmerzen ausstehen, denn er jammerte zum Erbarmen.

»Nur ein wenig Geduld«, tröstete der Steuermann. »Es tut wohl etwas weh; aber Sie werden sehen, wie glücklich Sie sind, wenn alles vorüber ist.«

»Ja, das werde ich sein, selbstverständlich, Herr Steuermann.«

Der Steuermann setzte nun das Instrument auf das Bein, drückte mit einer Feder die kleinen Lanzetten an sechs Stellen ein und die gläsernen Schröpfköpfe darauf.

Nachdem sie das Blut in sich gesogen hatten, entfernte er sie wieder und verband das Bein.

Dabei sagte er dem Kranken gar liebe, beruhigende Worte und versicherte ihm, es würde jetzt bald besser werden. Dann ging er auf Deck.

»Geht es Ihnen nun wirklich besser?« fragte ich, als der Steuermann fort war.

»Ja, das möchte ich schon gern sagen können«, antwortete er.

»Aber können Sie es denn nicht sagen?«

»Ja, wie man es nimmt«, erwiderte er.

Nach den ausweichenden Antworten mußte ich schließen, daß es nicht besser geworden, und das tat mir herzlich leid.

Ich suchte nun wenigstens einige Dienste zu leisten.

Er zeigte sich stets sehr dankbar dafür, und so wurden wir beide bald gute Freunde zusammen.

Kaum eine Stunde verstrich, wo ich nicht zu ihm kam, um ihm zu helfen und ihn zu fragen, ob er etwas wünsche.

So ging es einige Tage.

Aber das Bein schwoll immer mehr an, und die Schmerzen wurden so groß, daß der Kranke zuweilen laut aufschrie.

Sooft ich diesen Schrei hörte, eilte ich zu ihm und suchte ihn zu trösten.

Es war oft schrecklich anzusehen, wie der sonst so kräftige junge Mann stöhnte, schrie und sich krümmte vor Schmerz.

Ich konnte es kaum aushalten.

Weil er sich aber jedesmal über mein Kommen freute, überwand ich mich und saß oft lange Zeit an seinem Bett.

Er drückte dann gern meine Hand in die seine.

Die Gespräche, die wir führten, wurden mehr und mehr vertraulich und ernst, zumal als es mit ihm zu Ende zu gehen schien.

Er selbst hatte schließlich die feste Überzeugung, daß er sterben müsse. Und dieser Gedanke stimmte ihn sehr wehmütig, ja erfüllte ihn mit Furcht und Zittern.

Er war ein gläubiger Mann und hatte Angst, er könne nicht bestehen vor Gottes Richterstuhl. Darum suchte er mir gegenüber sein Herz zu erleichtern und offenbarte mir seine geheimsten Gedanken und Gefühle.

Er sprach sogar von seinen Sünden und wie er bereue, nicht ein besseres Leben geführt zu haben.

Nun müsse er bald Rechenschaft über sein ganzes Leben ablegen – und wie würde es ihm da wohl ergehen!

Ich war erstaunt über das große Vertrauen, das er mir schenkte, und hütete mich wohl, es zu mißbrauchen.

Nicht einmal Owe erzählte ich davon.

Ich fühlte, daß eine Verantwortlichkeit auf mir lag; denn so jung ich auch war, mußte ich dem Kranken gleichsam geistlichen Beistand leisten.

Er litt ja fast noch mehr an der Seele als am Leibe.

Eines Nachmittags, als ich mich auf Deck befand, hörte ich auf einmal, wie jemand unten vor Schmerz heulte.

Ich eilte hinab zu meinem kranken Freunde.

»Nonni«, stöhnte er, »ich glaube, ich sterbe.«

Ich reichte ihm die Hand und sah ihn mitleidig und hilflos zugleich an.

»Ja, jetzt sterbe ich gewiß. Deshalb mußt du mir helfen, Gott um Verzeihung für meine Sünden zu bitten.«

Eine Weile schwieg er. Dann fuhr er fort:

»Nonni, willst du mir laut vorbeten? Ich selbst kann es schlecht.«

Ich merkte, daß ich verlegen wurde, denn ich wußte nicht, wie ich das anfangen sollte.

Der Kranke sprach rührend weiter:

»Beginn jetzt, Nonni, und bitte Gott um Verzeihung für mich. Ich glaube, du erlangst sie leichter als ich.«

Nun konnte ich aber nicht länger zögern. Ich faltete die Hände und betete:

»Lieber Gott, verzeih ihm doch all das Böse, das er getan hat. Verdamm ihn nicht, sondern nimm ihn gnädig auf. – Wenn er stirbt, laß seine Seele zu dir in den Himmel kommen. – Er bereut ja alle seine Sünden und will sie nie mehr tun.«

Da ich nicht recht wußte, was ich weiter sagen sollte, schloß ich mit einem Vaterunser.

Der Kranke fühlte sich erleichtert, dankte mir herzlich und sagte:

»Glaubst du, Nonni, daß Gott mir auch wirklich alle Sünden verzeiht?«

»Ja, das glaube ich ganz gewiß.«

»Aber, Nonni, bedenk, das ist doch eine ernste Sache. Ich bin noch immer bange.«

»Das brauchen Sie nicht mehr zu sein. Ich habe meine Mutter oft sagen hören: Gott ist unendlich barmherzig.«

»Das ist wohl wahr; aber in der Bibel heißt es, daß Gott zu den Guten sagen wird: Du guter und getreuer Knecht! Ich bin aber doch ein böser und ungetreuer Knecht gewesen. Darum habe ich Angst, Gott werde die Worte nicht zu mir sprechen.«

»Das wird er, glaube ich, doch tun. Sie haben ihn ja um Verzeihung gebeten. Meine Mutter sagt, Gott sei viel gütiger, als wir meinen.«

»Möchte es doch wahr sein, Nonni!«

»Das ist wahr. Sie können sich darauf verlassen. Sonst würde die Mutter es nicht gesagt haben.«

Eine Zeitlang saßen wir nun schweigend da.

Während ich so vor mich hin sann, fiel mir ein Wort ein, das ich auch von meiner Mutter gehört hatte, und das mir gerade jetzt zu passen schien.

Ich redete also meinen kranken Freund wieder an:

»Wissen Sie, daß Gott einmal gesagt hat: Ich will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe? Sie haben sich jetzt doch bekehrt und brauchen also gar nicht mehr bange zu sein.«

Dankend drückte er mir die Hand und sprach:

»Ja, du hast recht. Ich glaube, Gott wird mir barmherzig sein.« Wiederum schwieg er eine Weile. Dann sagte er:

»Nonni, jetzt möchte ich dich noch um einen Dienst bitten. Willst du nicht dem Steuermann sagen, mein Bein schmerze mich so heftig, daß ich es nicht mehr aushalten könne? Er möge doch kommen und es abschneiden. Es kann ja doch nicht wieder gesund werden.«

Bei diesen unheimlichen Worten lief es mir kalt über den Rücken.

Doch faßte ich mich und fragte:

»Wollen Sie wirklich, daß er Ihnen das Bein abschneide? Ist Ihnen das Ernst?«

»Ja, Nonni, das ist mein voller Ernst. Geh nur hin und sag es ihm.«

Ich ging zum Steuermann, der eben mit dem Kapitän im Gespräche war.

Ich grüßte und teilte meinen Auftrag mit:

»Herr Steuermann, der Matrose bittet Sie, ihm das Bein abzuschneiden.«

Die Herren sahen einander an.

»Hat er das wirklich gesagt?«

»Ja, ganz sicher.«

»Glauben Sie überhaupt, daß er am Leben bleiben kann?« fragte der Kapitän den Steuermann.

»Wohl kaum«, antwortete dieser. »Es muß Gift in die Wunde gekommen sein. Er wird wohl an Blutvergiftung sterben.«

»Könnten Sie nicht wenigstens eine Operation versuchen?« fragte der Kapitän weiter. »Selbstverständlich meine ich nicht, Sie sollen ihm das Bein abnehmen; aber Sie könnten es vielleicht mit einem ordentlichen Schnitt versuchen, damit das verdorbene Blut entfernt würde.«

»Daran habe ich auch schon gedacht. Aber das könnte eine gefährliche Sache für uns werden. Angenommen, der junge Mensch stürbe gleich nachher, was ja nicht unmöglich ist. Was dann? – Die Schuld gäbe man wohl uns.«

Der Kapitän bedachte sich etwas. Dann aber sagte er:

»Ich meine, Sie sollten es doch wagen. Der Mann hat ja selbst darum gebeten.«

So sprachen sie noch etwas hin und her. Schließlich wurden sie einig, die Operation doch vorzunehmen. – Der Kapitän sollte als Zeuge zugegen sein.

Schauder ergriff mich, als der Steuermann sein großes Messer aus der Scheide zog, die an seinem Gürtel hing.

Er prüfte die Schneide und meinte:

»Scharf genug ist es.«

»Nonni!« rief er mir zu, »füll ein Becken mit warmem Wasser und bring es mit dem großen Schwamm und einigen saubern Handtüchern in die Matrosenkajüte. Der Kapitän und ich kommen gleich nach.«

Mir wurde angst und bang, und ich zitterte an allen Gliedern.

In großer Erregung eilte ich zu Owe, um warmes Wasser zu holen.

Rasch erzählte ich ihm, was geschehen sollte.

Er wurde kreideweiß vor Schreck.

Ganz verstört richtete er Wasser und Tücher zurecht.

»Nein«, sagte er, »das könnte ich nicht mit ansehen.«

Ich trug die Sachen hinunter.

Kapitän und Steuermann waren noch nicht dort.

»Will er mir das Bein abnehmen?« fragte der Kranke.

»Nein, das gerade nicht. Er will erst versuchen, durch ein paar Schnitte das Gift zu entfernen.«

»Schon gut. Wenn es nur besser hilft als das Schröpfen!«

Während er dies sagte, kamen der Kapitän und der Steuermann.

Unser »Arzt« trug einige Verbandsachen unter dem Arm und ein großes, leeres Becken in der Hand.

»So, so«, begann er mit zaghaftem Lächeln, »Sie wünschen, daß ich Ihnen das Bein abnehme?«

»Ja, Herr Steuermann, das wäre mir lieb. Ich kann den Schmerz nicht länger aushalten.«

»Aber, lieber Freund, wenn ich Ihnen das Bein abnehme, dann werden Sie sicher sterben.«

»Das werde ich ja auch so. Ich werde doch nicht mehr gesund.«

»Wenn ich Ihnen aber sage, daß Sie doch wieder gesund werden?«

»Natürlich habe ich nichts dagegen.«

»Gut, so hören Sie mal, lieber Freund: ich will erst versuchen, durch ein paar Schnitte das Gift aus Ihrem Bein zu schaffen. Sie sollen sehen, wie Ihnen das gut tun wird.«

»Dann müssen Sie aber tüchtig schneiden, Herr Steuermann, sonst geht es wie mit dem Schröpfen. Das hat gar nichts geholfen.«

»Gut; diesmal wird es helfen.«

Neben den kleinen Tisch wurde nun ein umgedrehter Kasten gestellt und der Kranke darauf gehoben. Sein Kopf ruhte auf einer Bettdecke.

Die Operation begann.

Sie war überaus einfach und im Handumdrehen ausgeführt: der Steuermann machte einige feste Schnitte vom Knie bis zum Fuß – und alles war fertig.

Der Kranke ließ keinen Laut hören.

Ich dagegen schrie hell auf. Es war mir, als hätte die Messerspitze mein Herz getroffen.

Ich taumelte und mußte schnell ins Freie eilen, sonst wäre ich sicher in Ohnmacht gefallen.

Ich ging zu Owe und setzte mich bei der Küchentür nieder.

Das Herz pochte mir so, als wollte es aus der Brust springen.

»Aber Nonni!« rief Owe, »du bist ja ganz bleich.«

Als ich mich etwas erholt hatte, erzählte ich ihm, was vorgefallen war.

»Der arme Mensch!« bemitleidete ihn Owe, »das wird er gewiß nicht überleben.«

Es dauerte einige Zeit, bis Kapitän und Steuermann endlich von der Matrosenkajüte heraufkamen.

Gleich lief ich ihnen entgegen und fragte:

»Lebt er noch?«

»Ob er lebt!« sagte der Steuermann lachend. »Das will ich meinen! Es geht ihm sogar sehr gut; jetzt ist er die ärgsten Schmerzen los.«

Ich traute meinen Ohren kaum und wollte gleich zum Kranken.

Doch der Steuermann hielt mich zurück:

»Paß auf, Kleiner, mach keinen Lärm, er schläft.«

»Er schläft? – Nein, Herr Steuermann, das ist nicht möglich! Wie könnte er nach solch greulichen Schnitten schlafen?«

»Kannst du das nicht begreifen? Sein Bein war ja voll von vergiftetem Blut. Das war es, was ihm die großen Schmerzen bereitete und ihn nicht mehr schlafen ließ. Nun ist alles Gift fort. Das hat ihm eine solche Erleichterung gebracht, daß er nach dem Verbinden bald einschlummerte.«

»Dann wird er vielleicht wieder gesund werden, Herr Steuermann?«

»Ja, ganz gewiß. Er ist noch jung und kräftig. In einigen Wochen wird er vollständig geheilt sein.«

»O, das freut mich! Darf ich nicht mal zu ihm gehen?«

»Das magst du tun. Aber geh leise, daß du ihn nicht weckst.«

Lautlos schlich ich die Treppe hinab und fand meinen kranken Freund in tiefem, erquickendem Schlafe.

Die Freude, die ich empfand, war ein Beweis, wie lieb ich den jungen Matrosen gewonnen, seitdem er mir so großes Vertrauen geschenkt hatte.

Als ich wieder fortgehen wollte, begegnete mir Owe mit Wasser und Putztüchern. Er sollte den »Operationstisch« und den Fußboden waschen.

Ich bot ihm natürlich meine Hilfe an, und so gingen wir zusammen an die Arbeit.

Hin und wieder warfen wir einen kurzen Blick nach dem Kranken, und alles ward so still gemacht, daß er nicht das geringste merkte und ruhig weiterschlief. –

Die folgenden Tage ging es mit unserem Freund zusehends besser. Er hatte wohl noch Schmerzen, aber sie waren nichts im Vergleich mit dem, was er vorher ausgestanden.

Ich besuchte ihn noch oft und erzählte ihm manche Geschichten und Sagen von Island.

Zuweilen sprachen wir auch noch von ernsten, religiösen Dingen, und er versicherte mir, daß die Krankheit ihm von großem Nutzen gewesen sei. Ein anderes Mal werde er besser vorbereitet sein.

»Der Heiland hat recht«, sagte er; »man weiß nie, wann der Tod kommt. Ist man erst krank, so kann es für die Vorbereitung leicht zu spät sein.«


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