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13. Heiteres Leben an Bord

Vorläufig war unsere Reise also abgebrochen. Für die Besatzung hörte alle anstrengende Arbeit auf. Wir hatten Ferien.

Das Wetter wurde ruhig, der Wind ganz still. Die Wellen legten sich allmählich, und die See wurde glatt wie ein Spiegel.

Die Luft war rein und klar, nur etwas kühl. Das kam von der Nähe der Eisberge und von dem vielen Schnee auf den umliegenden Höhen.

Die Männer suchten sich die Zeit zu vertreiben mit Spiel und Spaß und allerhand Kurzweil.

Auch Owe und ich wurden etwas ausgelassen und trieben mancherlei Mutwillen. Doch weil wir jung waren, nahm man es uns nicht übel.

Einmal aber ging es uns schief.

Es war an einem Nachmittag. Die drei Matrosen saßen auf Deck.

Ich schlich mich unbemerkt in ihre Kajüte und kundschaftete genau aus, wie ich ihnen später, wenn sie zum Kaffee herabkämen, einen Streich spielen könnte.

In der Mitte des ziemlich engen Raumes stand ein kleiner Tisch, von Bänken umgeben. An den beiden Seiten befanden sich die Kojen, ähnlich wie in der Kajüte des Kapitäns; nur waren hier je zwei an jeder Seite. Der Einschlupf in die Koje durch die Bretterwand war so eng, daß ein größerer Mann sich gerade durchzwängen konnte.

Rasch hatte ich einen Plan ersonnen.

»Ja, so geht es«, redete ich vor mich hin. »Ich krieche in eine dieser Kojen und verberge mich dort in einer Ecke. Wenn dann die Matrosen nachher zum Kaffee kommen, überrasche ich sie durch Brummen, daß sie meinen, es sei ein Tier in der Nähe des Schiffes.

»Ha! das wird ein köstlicher Spaß werden!«

Zuvor aber wollte ich noch Owe in die Sache einweihen. Er sollte mir zu dem Streiche helfen, damit die Matrosen um so sicherer in die Falle gingen.

Unbemerkt, wie ich herabgestiegen war, kam ich wieder auf Deck und eilte sofort in die Kambüse.

»Owe«, flüsterte ich ihm zu, »tust du mit, den Matrosen einen kleinen Streich zu spielen? Es soll nur Spaß sein.«

»Ja, Nonni, gern. Was willst du machen?«

»Ich gehe in eure Kajüte und verstecke mich in deiner Koje. Unterdessen mußt du den Leuten einreden, daß zuweilen Eisbären und andere Seeungeheuer bei den Schiffen umherschwimmen.

»Wenn dann die Matrosen zum Kaffee gehen, ahme ich das Brummen eines Seetieres nach. Sobald du das hörst, lockst du sie wieder auf Deck, damit sie mich nicht erwischen.«

Owe war zu allem bereit, und der Spaß sollte gleich losgehen.

Ich kam wieder unbemerkt in die Kajüte der Matrosen, kletterte schnell in Owes Koje und kroch in die Ecke.

Bald hörte ich die Matrosen die Treppe herabkommen. Sie sprachen lebhaft miteinander und waren heiter und fröhlich. – Jetzt waren sie vor der Tür. – Sie traten ein und setzten sich um den Tisch.

Ich hielt mich still wie eine Maus und konnte jedes Wort verstehen:

»Es ist doch merkwürdig«, fing der Älteste an, »wie einfältig so ein Knabe sein kann.«

»Ja, so ein Unsinn!« sagte ein anderer. »Wo sollten denn da auf einmal Eisbären und Seeungeheuer herkommen!«

»Da möchte doch ein Eisbär selbst lachen«, witzelte der dritte. »Nun ja, der Knabe ist eben noch jung; dem kann man so was nicht verdenken.«

»Sagte er nicht«, fiel der Jüngste ein, »er habe etwas gesehen?«

»Nein, er will bloß ein Brummen gehört haben und behauptet, der kleine Isländer habe es auch gehört.«

»Dann muß der wohl geradeso einfältig sein wie Owe.«

»Das beste wäre zum Donner«, schlug der Älteste auf den Tisch, »wir packten die zwei Jüngelchen und gäben ihnen eine ordentliche Tracht Prügel; dann würde ihnen ihre Narrheit schon vergehen.«

»Ja, das wäre das einzig richtige«, stimmten die andern ihm bei.

Ich spitzte die Ohren. Das Gespräch nahm nun doch eine bedenkliche Wendung für mich.

In diesem Augenblick kam Owe mit dem Kaffee.

Er wurde mit gewaltigem Gelächter empfangen.

»Hast du wirklich ein Seeungeheuer gesehen?« rief ihm gleich einer entgegen. »Wie sah es denn aus?«

»So habe ich nicht gesagt. Es braucht überhaupt kein Seeungeheuer zu sein. Vielleicht ist es etwas anderes, was ich gehört habe. Es gibt ja auch sonst allerlei Tiere in diesen Gewässern.«

»Ja, ja, das hat dir wohl deine Großmutter in Bornholm vorgemacht; die weiß jedenfalls mehr solche Geschichten. Oder hat der einfältige Isländer dir etwas erzählt?«

Alle lachten und tranken ihren Kaffee.

Owe ging hinauf.

Jetzt war, wie verabredet, der große Augenblick gekommen.

Ich kroch noch weiter in die Ecke der Koje, legte eine Decke über den Kopf und fing an zu brummen, so hohl und gespensterhaft, wie ich konnte.

Augenblicklich verstummten die Leute. Ich aber wäre beinah herausgeplatzt vor Lachen und mußte mich arg zusammennehmen, um mich nicht selbst zu verraten.

Jetzt steckte Owe den Kopf oben durch die Tür und rief:

»Es ist wieder da! Kommt schnell! Soeben habe ich es brummen hören.«

»Wir auch!« sagte hastig ein Matrose, und im Nu erhoben sich alle und stürzten auf Deck.

Nun hielt ich es für ratsam, zu verschwinden.

Wer konnte wissen, was den Kerlen einfiel, wenn sie mich ertappten?

Schnell machte ich mich aus der Koje und schlich die Treppe hinauf.

Alle Matrosen standen an der Reling und stierten ins Wasser.

Ich hatte Glück und kam davon, ohne daß mich jemand bemerkte. Leise ging ich zum Achterdeck und gesellte mich dann wie zufällig zu ihnen.

Der Streich war gelungen.

Mit ernster Miene fragte ich die Leute, was da zu sehen wäre. »Da soll ein brummendes Seetier sein«, antwortete einer; »hast du es vielleicht gesehen?«

»Nein, aber ich habe brummen hören.«

»Wo denn?«

»Da vorn.«

Aber nirgends regte sich natürlich etwas.

Kopfschüttelnd gingen sie wieder hinab, um ihren Kaffee weiter zu trinken.

»Es stimmt doch«, sagte einer. –

Owe und ich waren ganz erstaunt, wie ahnungslos die Matrosen auf den Streich hereingefallen waren. Aber wir gaben uns das Wort, ja nichts zu verraten, wie seinerzeit bei dem Abendessen mit den Schrotkörnern. Denn wir fürchteten, die Matrosen könnten die Geschichte übel aufnehmen.

Um unsern Gefühlen freien Lauf zu lassen, gingen wir in die Kambüse.

Nichts Böses ahnend, machten wir uns dort ganz laut über die vollbrachte Heldentat lustig und lachten uns halb krumm.

Das ward uns zum Verhängnis. Gar bald sollten wir nicht mehr lachen.

Als ich nämlich nach einer Weile auf Deck gehen wollte und die Tür öffnete – o Schrecken! da stand vor mir ein Matrose, der uns draußen belauscht hatte.

Er warf mir einen wütenden Blick zu.

Doch ich tat ganz gleichgültig, als wäre nichts geschehen, und ging in die Kajüte des Kapitäns hinab, um zu überlegen, was jetzt zu machen sei.

Kaum hatte ich einige Minuten dort gesessen, als ich vom Deck her laute, durchdringende Schmerzensrufe hörte.

Die Stimme war mir bekannt: es war mein Freund Owe, der so schrie.

Schnell stürzte ich die Treppe hinauf, um ihm zu helfen.

Da wurde ich nun Zeuge eines jammervollen Auftritts.

Die Matrosen standen beim Eingang zur Kajüte zusammen um eine leere Tonne.

Was war das? – Sah ich recht?

Ja, es waren Owes Rücken und Beine, die aus der Tonne hervorschauten.

Die rohen Gesellen hatten den Knaben mit dem Kopf nach innen über den Rand der Tonne gelegt und hieben mit einem Tauende auf ihn ein, indem sie höhnisch dazu lachten:

»Es ist ja nur Spaß, Owe, es ist nur Spaß.«

Der arme Junge vergoß bittere Tränen und schrie vor Schmerz laut auf.

Jetzt war es mir zu toll. Ich stürzte mit Todesverachtung auf die grausamen Menschen los, um Owe aus ihren Klauen zu befreien.

Aber da kam ich bös an!

Ehe ich mich versah, ward ich selbst von einem Matrosen gepackt und zur Tonne geschleppt.

Strampelnd und zappelnd wehrte ich mich und schrie aus vollem Halse:

»Ich sag's dem Kapitän, ich sag's dem Kapitän!«

Aber es half nichts.

Mit dem Kopf nach unten wurde auch ich neben Owe in die Tonne gesteckt und bekam meine Prügel.

Grausam wurden wir beide mit dem Tauende bearbeitet.

Es tat entsetzlich weh.

Fortwährend rief ich Kapitän und Steuermann zu Hilfe. Doch keiner kam.

Die Matrosen lachten nur und spotteten in die Tonne hinein:

»Das ist ein seltsames Brummen da drin. Das kommt gewiß von einem Seeungeheuer.«

Endlich ließen sie uns los: sie hörten den Steuermann kommen.

Als wir wieder auf den Beinen standen, sagte einer der Matrosen:

»So, liebe Jungens, jetzt könnt ihr wieder weiter brummen und uns narren, wenn's euch Spaß macht. Für diesmal habt ihr euern Denkzettel.«

Und lachend gingen alle drei in ihre Kajüte hinab.

Owe und ich dagegen trotteten mit langen Gesichtern und ohne ein Wort zu sprechen fort, er in die Kambüse, ich in meine Kajüte. –

Als ich mich ausgeweint hatte, ging ich wieder hinauf zu Owe, um zu sehen, was er machte und ihn um Entschuldigung zu bitten; denn ich allein hatte ja unser Unglück verschuldet.

Oben begegnete mir ein Matrose, der mir schadenfroh zunickte. Ich tat, als sähe ich ihn nicht, und ging meines Weges weiter zu Owe.

Er weinte nicht mehr.

Ich setzte mich auf den Holzklotz neben der Tür und redete ihn an:

»Tut es dir noch weh, Owe?«

»Ja, Nonni. Und wie ist es dir?«

»Mir tut es auch noch sehr weh.«

»Das geht schon wieder vorüber«, tröstete er mich. »Du wirst sehen, wir spüren bald nichts mehr.«

»Aber Owe, du tust mir leid. Das Ganze war ja nur meine Schuld. Hätte ich doch allein die Prügel bekommen und nicht dich auch noch in die Sache hineingezogen! Du mußt mir nun doch sicher böse sein.«

»Warum nicht gar, Nonni! Was fällt dir denn ein? Du hast nicht mehr Schuld als ich.«

»Aber wie kannst du so etwas sagen! Ich habe doch den Vorschlag gemacht, den Matrosen den Streich zu spielen.«

»Das ist wahr; aber ich hätte voraussehen können, wie es enden würde.«

»Wie konntest du denn das, Owe?«

»Ja, meinst du, Nonni, die hätten mich heute das erstemal so geschlagen?«

»Wie? du bist schon früher so behandelt worden?«

»Ja, mehr als einmal, besonders von dem Mittleren mit der roten Warze auf der Nase. Der ist schlimm. Wenigstens gegen mich ist er es oft gewesen.«

»Das ist doch abscheulich. Kannst du es denn nicht dem Kapitän sagen?«

»Das habe ich auch schon getan; aber es hat nicht viel geholfen.«

»Ist das möglich, Owe?«

»Ja, der Matrose sagt immer, es sei nur Spaß. Du hast es ja gehört, vorhin hat er es auch wieder gesagt.«

»Das ist aber doch niederträchtig, so etwas aus Spaß zu tun. Es hat ja entsetzlich weh getan.«

»Aber daß dir niemand helfen will, Owe, das kann ich nicht verstehen. Das ärgert mich.«

»O, das muß dir nicht allzu nahegehen.«

»Doch, Owe, das finde ich ungerecht, und ich werde es dem Steuermann erzählen. Du weißt, er ist mir sehr gut. Er wird dir sicher helfen.«

»Ich glaube nicht, daß es einen Wert hat. Sagen kannst du es ihm ja schon. Aber ich bitte dich um Gottes willen, paß auf, daß die Matrosen nicht erfahren, daß du mit dem Steuermann davon gesprochen hast. Denn sonst ginge es dir schlimm.«

»Ich werde schon vorsichtig sein, Owe.«

Ich öffnete die Tür ein wenig und warf einen Blick aufs Deck. Diesmal war niemand da, der uns belauschte.

Sofort ging ich zum Steuermann und erzählte ihm den ganzen Vorgang. Zuletzt bat ich ihn eindringlich, er möge in Zukunft den guten Owe in Schutz nehmen.

Wie immer, schaute er mich freundlich an und versprach, alles zu tun, was in seiner Macht stände.

»Aber«, fügte er hinzu, »ihr müßt euch auch selbst in acht nehmen, daß ihr die Leute nicht zum Zorn reizt.«

Der Wahrheit zur Ehre sei noch gesagt, daß die Matrosen sonst in alleweg gut und freundlich gegen uns waren.

Auch haben sie nie mehr das Tauende geschwungen, wenigstens nicht, solange ich an Bord war.


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