Rudolph Stratz
Die ewige Burg
Rudolph Stratz

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XXV.

»Was, Doktor?« sagte der Fabrikant und schaute, sich in seinem Schreibtischsessel umdrehend, dem Besucher verblüfft ins Gesicht. »Du willst von hier fort? Jetzt gleich – sowie ich einen anderen Kassenarzt für dich gefunden habe? – Womöglich schon heute an diesem schönen Märznachmittag? Wo du dich eben hier häuslich eingerichtet und dein Laboratorium begründet hast? Mensch – Freund – Doktor – was ist in dich gefahren?«

Der andere erwiderte nichts. In Hut und Mantel, wie er vom Schloß gekommen, stand er da und brannte sich stirnrunzelnd eine Zigarre an.

»Fort will er!« wiederholte der nervöse Fabrikherr. »Es ist nicht zum . . . aber recht hast du! Ich tät's auch! Wenn ich nicht an diesen Kasten da drüben gekettet wäre . . . Daisy!« Er wandte den Kopf nach dem Nebenzimmer und verstärkte seine Stimme. »Daisy . . . Weib meines Herzens . . . hast du gehört . . .? Die letzten Menschen wandern aus diesem Jammertal aus und lassen uns allein in Sibirien zurück!«

»Ach – er geht ja doch nicht!« rief die hübsche Amerikanerin aus ihrem Boudoir herüber, wo sie, in einen englischen Roman vertieft, saß. »Ich weiß schon, warum!«

Ihr Mann lachte und sein Gast öffnete die Türe. »Wir werden's ja sehen!« sagte er. »Jetzt muß ich fort und Krankenbesuche machen!«

»Jetzt erst?«

»Ich war von zwei Uhr nachts bis jetzt auf dem Schloß. Der kleine Stammhalter war todkrank.«

Der Fabrikant pfiff durch die Zähne. »Sieh mal an! Und jetzt geht's besser!«

»Natürlich ist er außer Gefahr!« sagte der Doktor beinahe grob. »Glaubst du etwa auch schon, daß ich die Leute umbringe? Wegen mir kann der kleine Graf neunzig Jahre alt werden und da oben auf dem Schloß sitzen. Um das räucherige Eulennest und die Tannenwälder herum beneide ich ihn doch nicht. Die gönn' ich ihm und seinen Nachkommen gerne.«

»Dich verstehe heute der Kuckuck!« Der Fabrikbesitzer schüttelte den Kopf. »Um was beneidest du ihn denn dann?«

Aber der andere war schon wieder auf dem Flur. »Guten Morgen!« sprach er kurz und ging das Dorf hinab in der Richtung nach dem Hause Irions.

Als er sich dem niederen Gebäude näherte, sah er einen Mann am Eingang stehen und schob prüfend den Zwicker zurecht. »Wahrhaftig!« sagte er dann. »Sie sind's, Irion! Seit wann sind denn Sie wieder im Land!«

Der Monteur zuckte die Schultern. Sein hektisches Gesicht war noch bleicher wie sonst, und das resignierte, fanatische Lächeln trat noch deutlicher hervor. »Sie hawwe mich halt heute morge verhört, gleich nach der Einlieferung, und dann laafe lasse, so daß ich gerad' noch den Zug hierher hab' erwische könne! Ich hab's dem Gendarm gleich gesagt: 's is e Unfug, e Mann von seiner Arweit und seiner kranke Fraa wegzuhole! Jetzt freilich . . . vor Gericht komm' ich doch!«

»Wissen Sie, Irion!« Der Arzt trat mit ihm in die Wohnung. »Ich an Ihrer Stelle tät' jetzt Ruhe geben mit Ihrem Zukunftsstaat! 's wird doch nichts draus! Glauben Sie mir!«

Da lachte der hagere Maschinenschlosser. »Ich und uffhöre!« sagte er. »Do kenne Sie den Irion noch lange net! Do wär' ich der Rechte! Hier bleib' ich und hier tu' ich weiter agitiere – und wann sich der Gendarm grün und geel ärgert! Der Gendarm lebt aach von meinem Geld als Steuerzahler.«

»Und wieviel Feinde Sie sich dabei machen, das . . .«

»Feind' hin, Feind' her – sell is mir egal! Der Direktor kann mich net entlasse. Er braucht mich. Bei dem hab' ich mei' Lohn und Brot! Und wer sonst kummt, der . . . ich weich' net! Ich hab' mein Ziel. An dem halt' ich fest. Lasse Sie nur noch mehr Fawrike hier 'rum gründe – für alles andere sorg' ich, der Irion! Ich lass' net locker! Ich agitier'!« Er hustete kurz auf. »Und vielleicht leb' ich noch so lange, daß mich die Männer hier in 'n Reichstag schicke! 's kummt die Zeit, Herr Doktor! 's kummt die Zeit, Herr Doktor!«

»Ach, Unsinn!« sagte der andere barsch. »Jetzt will ich mal nach Ihrer Frau sehen!«

Aber während er allein an dem Krankenbett neben der ruhig Schlafenden saß, gingen ihm die Worte des Monteurs immer wieder durch den Sinn. »Ich weich' net! Ich hab' mei Ziel! An dem halt' ich fest!« Hatte er nicht auch sein Ziel hier in dem engen Tal – seine Arbeit – das Laboratorium da drüben? Sollte er das alles im Stich lassen? Und warum? Er begriff plötzlich die Anwandlung von Schwäche nicht mehr, die ihn vorhin bei dem Fabrikanten übermannt, und ging, wieder ruhig und fest geworden, auf die Straße hinaus, wo der Irion mit dem Pilgerle und seinem Weiblein stand.

Die beiden runzeligen, alten Leutchen hatten schwere Sorgen. Nahm ihnen doch das Hochwasser ihr gewohntes Brot, die tägliche Fahrt mit dem Karren nach der Stadt. Aber sie lächelten freundlich wie immer. Denn sie wußten ja ganz genau durch den Herrn Kaplan: Alles Ungemach im Leben war eine göttliche Prüfung, die man nicht nur ertragen, nein, über die man sich noch dankbar und demütig freuen mußte! Und so verschwand, mochten auch Leidenschaft und Not ringsum im Tale nisten, eine stille, hoffnungsvolle Heiterkeit nie von den beiden welken, von weißem Haar umrahmten Kindergesichtchen.

Jetzt eben zog das Pilgerle respektvoll den Hut tief bis zur Erde. Seine beiden Freunde und Gönner im Leben kamen vorbei, sein vornehmer Umgang, auf den er so stolz war, der Herr Kaplan und zu seiner linken der Stabhalter vom Grenzhof.

Beim Anblick Irions blieb der greise Bauer stehen, ohne daß sich in seinen streng gefurchten, lederharten Zügen etwas regte. Offenbar wollte er nicht an dem verhaßten Menschen vorbei. »Jetzt kehr' ich um, Hochwürden!« sprach er gedämpft. »Sonst wird mir der Weg zurück zum Hof zu streng! Ja – lache Sie norr . . . ich werd' alt und wie ich Ihnen gesagt hab': ich mag nix mehr wisse von der Welt! 's wird Zeit, daß man sich auf sei' ewiges Leben vorbereitet! Mir is als nachts, als hört' ich mei' selige Fraa, und die spricht: ›Du kummst bald zu uns! Mach' dich bereit, Mann!‹ Sell will ich jetzt! Ich will mich zur Ruh' setze und kei' weltliche Sorge mehr hawwe. Alleweil liegt mei' Sohn noch und schnarcht. Aber emol muß er doch sogar e Kriegervereinsrausch ausgeschlafe hawwe und dann geh' ich mit 'em uffs Amt und wir mache alles richtig, daß er den Grenzhof übernimmt. Do mag er dann mit seine Mann'emer Dragoner alle Tag' die Wacht am Rhein spiele losse und Hurra dazu kreische, wann's ihm Bläsier macht. Mich geht das nix mehr an. Ich versteh' das neue Wesen net!«

Der Kaplan nickte.

»Ich bin e katholischer Christ!« fuhr der alte Hofbauer fort, und der feierliche Zug, der in letzter Zeit sich in den tausend Runzeln des glattrasierten, an alte Römerköpfe erinnernden Antlitzes eingegraben hatte, verstärkte sich noch. »Und darum Hochwürden – wann Sie jetzt nach Afrika gehn wolle und den armen Heiden das göttliche Licht bringe – was ich dazu tun kann, dees geschieht. Ich bin froh, wann ich an sellem heiligen Werk mithelfe darf! Dees nutzt mir im Himmel, was ich hier noch in der letzten Stund' zur Vergebung meiner Sünden tu'! Also was dees betrifft, do könne Sie sich auf mich verlasse, Herr Kaplan!«

Er drückte ihm die Hand und wanderte mit langen Schritten, auf seinen Stock gestützt, heimwärts. Das Spiel des Windes bauschte die Schöße seines altmodischen langen Rockes und ließ seine langen Haarsträhnen flattern. Er sah nicht, wie sonst der Bauer tut, prüfend nach den Feldern rechts und links. Den müden Blick geradezu gerichtet, dem Leben im Tale schon völlig entrückt, stieg er empor zur Höhe und verschwand im Wald.

»Lauf' doch nicht so, Kaplan!« rief inzwischen der Kassenarzt dem jungen Priester zu, der, die Augen auf dem Boden und sogar ohne den schüchtern ehrerbietigen Gruß des Pilgerle zu beachten, allein seinen Weg fortsetzte. »Ich geh' mit dir!« Und zu Irion gewendet, fuhr er fort: »Ich denk', Ihre Frau kann bald wieder aufstehn! Aber in die Fabrik läuft sie mir vors erste nicht! Guten Morgen!«

Er gesellte sich zu dem Kaplan. »Also wirklich?« frug er ernst. »Du willst wirklich nach Afrika, Hochwürden?«

Der andere nickte. »Ja. Jetzt ist's entschieden. Wo's noch fehlt, hilft mir der alte Kaltschmidt aus. Du hast's ja gehört!«

»Und wenn du am Fieber stirbst da drüben?«

Der Kaplan sah wider seine Gewohnheit in die Ferne. Sein derber, junger Bauernkopf schien sich in den letzten Tagen durchgeistigt zu haben. Er war bleich geworden und in den Augen lag ein schwärmerischer, fanatischer Glanz. »Lieber Doktor!« sagte er. »Ob wir leben oder sterben . . . 's is ein und dasselbe. Das begreifst du natürlich nicht. Denn deine Aufgabe ist es eben, die Menschen am Leben zu erhalten, meine aber, sie auf den Tod vorzubereiten, und am ersten natürlich mich selber! Das hab' ich jetzt getan und hab' was durchgemacht . . . was Großes!«

»Ich auch!« sagte der Doktor. »Bloß daß ich deswegen nicht gleich zu den Wilden lauf' und mich vor mir selber versteck'! Ich bleib' hier in meinem Laboratorium wie der Soldat auf seinem Posten. Aber daß ich dir nicht Unrecht tu' – ich hab' auch vorhin so eine dumme Anwandlung gehabt . . . Unsinn! Vorbei ist's! Geh du zu den Negern und ich zu den Bazillen! Du hast recht! 's is ein und dasselbe! Wir sind nicht zum Vergnügen auf der Welt!«

Hinter ihnen tönte rasch näherkommendes Räderrasseln. »Herr Kaplan!« rief eine rauhe Stimme. »Halten Sie doch, Kutscher, zum Donnerw . . . Verzeihung, Hochwürden! Ich danke Gott, daß ich Sie treffe!«

Die altmodische Karosse hemmte ihren Lauf und aus ihr stieg die hagere Riesengestalt des Freiherrn von Froningen etwas steif geworden zu Boden. Als er den Arzt erblickte, verfinsterten sich seine ohnedies ernsten Züge. Er grüßte ihn flüchtig und hochfahrend und drückte dann dem Kaplan die Hand.

Der sah ihn betroffen an. »Was ist denn, Herr Baron? Es ist doch kein Unglück geschehen?«

Der alte Odenwälder Junker zuckte die Achseln.

»Hoffentlich nicht! Waren Sie heute schon oben im Schloß?«

»Ich nicht! Aber der Doktor! Die ganze Zeit!«

»Ihr Enkelkind ist jetzt außer Gefahr!« sagte der Kassenarzt. »Wenn Sie also das hergetrieben hat . . .«

»Das auch – obwohl ich nicht ahnte, daß es so ernst war. Aber eine Frage: Ist mein Schwiegersohn oben?«

»Nein! Der Herr Graf ist mit seinem Jäger heute nacht nach der Stadt gefahren. Seitdem hat man von ihm merkwürdigerweise nichts mehr gehört. Aber der Diener und die Leute an der Fähre wollen deutlich gesehen haben, daß die Laterne . . .«

»Ja . . . das Boot ist freilich drüben!« Der greise Junker strich sich verstört den buschigen, grauen Schnurrbart. »Das wissen wir! Herrgott . . . wenn das wirklich wahr wäre . . .«

Er brach ab. »Ach was!« sagte er nach kurzer Pause energisch und mit lauter Stimme: »Ein Landstreicher! Wer kann auf das Geschwätz eines Landstreichers etwas geben! Sie haben nämlich solch einen Kerl heute in aller Gottesfrühe, fünf Stunden von hier unterhalb am Neckar auf dem anderen Ufer festgenommen, weil ein Steckbrief auf ihn paßt, und ihn, weil das Individuum vorgab, nur französisch zu verstehen, zu meinem Vetter geführt, der dort Oberförster ist, damit der aus dem Menschen klug wird . . .«

»Nun, Herr Baron – und da?« drängte der Kaplan.

»Da fängt der Kerl – ein gewisser Bazaine von einem hiesigen Grenzhof, wenn mir recht ist – fängt der an, immer auf französisch, zu heulen und zu schwören: daß er Deserteur sei, wolle er zugeben! Aber köpfen dürfe man ihn nicht. Denn den Mord habe er nicht begangen! Ganz gewiß nicht. Er sei zwar versteckt mit im Boote gewesen, aber gestritten hätten sich die beiden miteinander ganz allein – weswegen, wisse er nicht, weil er kein Deutsch verstehe – und hätten miteinander gerungen und schließlich einer den anderen ins Wasser gestürzt. Und dort seien sie in der Nacht umgekommen. Aber nicht durch ihn, obwohl es seine Feinde gewesen seien, die ihn bei der Behörde angezeigt und von dem Grenzhof vertrieben hätten.«

»Also kennt er sie?« Die Stimme des Kaplans bebte vor Erregung. »Nannte er die Namen?«

»Der Graf von Wodenstein und sein Jäger!«

Die beiden anderen sahen sich an. Es war einen Augenblick tiefe Stille.

»Mein Schwiegersohn!« fuhr der alte Odenwälder fort. »Wie das mein Vetter, der Oberförster, hörte, glaubte er es nicht, aber er hielt es doch für geraten, mir Nachricht zu geben. Ich wohne ja ziemlich gerade gegenüber, und ein Fischer wagte es und fuhr auf mein Ufer herüber und brachte mir den Brief. Da dacht' ich: ›Es ist am besten, du siehst selbst nach!‹ und ließ anspannen! Na . . . und da bin ich nun!«

»Aber das ist ja undenkbar!« sagte der junge Priester. »Ein so treuer Diener wie dieser Wegmann! Ich kenne ihn wohl!«

»Natürlich ist's Unsinn! Aber andererseits – wie kommt dieser Vagabund dazu, derlei zu erfinden? Er müßte doch einen Grund haben! Und es gibt nur einen Grund . . . er hat die Tat doch selber begangen . . . aus Rache . . . und sich dann die Geschichte von dem Zweikampf zurechtgelegt . . .«

»Wenn das so wäre . . .« Der Kaplan schüttelte verstört das Haupt. ». . . ja . . . aber was nun tun!«

»Wir müssen vor allem aufs Schloß, um dort Erkundigungen einzuziehen . . . telegraphieren . . . irgend etwas! Ich bin darum so froh, daß ich Sie treffe, Hochwürden. Ich bin ungeschickt in derlei Sachen. Ich kann mich vor meiner Tochter nicht verstellen. Sie kennt mich zu gut. Sie merkt sofort, daß was los ist! Aber Sie, Herr Kaplan . . . und Sie . . . Herr Doktor . . . ich möchte Sie heute doch bitten, mitzukommen! Sie haben doch den meisten Einfluß auf sie!«

Der andere willigte ein. Stumm und eilig stiegen die drei, der Arzt, der Priester und der Junker, die Höhe zu der Burg empor. Als sie sich dem Park näherten, zwinkerte der päpstliche Kämmerer zweifelnd mit den Augen.

»Das ist doch meine Tochter!« murmelte er, ». . . die da am Eingang steht. Sie muß uns gesehen haben und uns entgegengegangen sein . . .«

». . . und wie sie aussieht . . .« fügte er nach einigen hundert Schritten hinzu, ». . . ganz starr im Gesicht . . . gerade als ob sie schon wüßte . . .«

Sie hatte seine letzten Worte gehört. »Ich weiß es auch, Papa!« sagte sie ruhig und tonlos. »Er ist tot. Wegmann hat ihn umgebracht . . .«

Die drei Männer traten erschrocken zurück.

»Er hat es ihm gestern abend geschworen!« fuhr sie fort. »Nach einem Gespräch . . . eben hier . . . mit Elise – und ist dann gleich mit ihm hinausgefahren in die Nacht und zum Neckar. Es konnte sich nicht besser für ihn treffen. Als Elise aus dem Park kam, waren sie schon weg. Da sprang sie in ihrer Verzweiflung ins Wasser. Jetzt erst, vor einer Viertelstunde ist sie zu mir gekommen und hat es mir gestanden! Zu spät! Nicht wahr, Papa – es ist zu spät?«

»Ja«, sagte der alte Odenwälder und senkte den grauen Kopf.

Sie wendete sich von den Männern ab und ging langsam an den Rand der Parkmauer. Dort blieb sie stumm stehen, den Blick in die Ferne gerichtet, wo hinter den Bergen die unsichtbaren Wogen des Neckars schossen.

Nach einer Weile trat der Arzt neben sie. Sein Freund wollte ihm folgen, aber der Junker hielt ihn zurück und führte ihn sachte abseits. »Lassen Sie nur, Hochwürden!« sagte er. »Lassen wir die zwei! Jetzt, wenn's so von oben her in unser Leben eingreift, ist doch jedes Wort überflüssig. Selbst das Ihre!«

Und auch die beiden an der Parkmauer sprachen nichts. Sie schauten hinaus in die blaue Weite. Im Sonnenglanz, von wolkenlosem Himmel überwölbt, lag rings die Waldwelt – in jener ersten, jungfräulich herben, ahnenden Frühlingsstimmung, in der nach langer Dämmerzeit das ewige Wunder sich erneut, der Tod lebendig wird, ein neues Dasein sich stürmend, lachend und unbekümmert seiner selbst froh aus den Tiefen zum Licht des Lenzes emporringt.

Unter den Ulmen auf der anderen Seite des Parkes gingen die drei Greise ihren gewohnten Weg. Sie wußten noch von nichts. Und ebenso ahnungslos schlummerte da oben, wo der Märzwind leise mit den Fenstern des Kinderzimmers spielte, der kleine Kranke der Genesung entgegen. Als sei nichts geschehen, sproßte ringsum das Land und blühte der alte Stamm, der es seit Jahrhunderten überschattet, in jungem Grün. Ein welker Ast nur war zu Boden gefallen, ein abgestorbenes Menschenschicksal hatte sich vollendet, ohne eine Lücke hinter sich zu lassen, und weiter und und weiter rollten ruhig die Tage und rollten dort drüben die Fluten des Neckars.

Sie griff, ohne ihn anzusehen, nach seiner Hand und hielt sie fest. Er nickte ihr zu. Sie verstanden sich, ohne die Erinnerung an den, der nicht mehr war, durch Worte zu entweihen.

»Aber recht haben Sie doch gehabt!« sagte er endlich. »Keiner von uns lebt sich selber. Wir alle drei haben um das Kind da oben schwer mit uns gerungen und ihm das Beste geopfert, was wir hatten – der dort sein Leben, wir beide unser Lebensglück. Und gerade weil wir's opferten, haben wir's zurückbekommen und wissen jetzt, daß wir ein Recht haben, glücklich zu sein . . .«

 


 


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