Rudolph Stratz
Die ewige Burg
Rudolph Stratz

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XII.

Das rote Licht oben erlosch nicht, Stunde um Stunde war schon die Nacht dahingerollt und immer noch beschien die Lampe auf dem Tische das aufgeschlagene Buch, in dem Wera, den Kopf auf die hohle Hand gestützt und zuweilen die Lippen leise bewegend, las. Aber sie war nicht bei der Sache. Ihre Augen blickten oft verträumt in das Dunkel hinaus und schlossen sich dann ermüdet im Halbschlafs eines Menschen, der keine Ruhe finden kann.

Da knarrte leise die Türe. Sie wandte sich um, mehr erstaunt als erschrocken. »Du bist noch auf?« fragte sie langsam.

»Ja.« Ihr Mann blieb am Eingang stehen. »Es ist freilich schon spät . . . aber ich fühle es . . . ich kann mich nicht legen . . . ich bin so in Sorge, wie es dem Kleinen geht.«

»Immer gleich. Nicht besser, aber gottlob auch nicht schlechter. Jetzt schläft er – freilich unruhig.«

»Ich möchte ihn gern sehen.«

Sie erhob sich und ergriff die Lampe. Auf den Fußspitzen, mit angehaltenem Atem, traten sie nebeneinander in den anstoßenden Raum, wo im Schatten der Vorhänge des Bettchens undeutlich ein goldenes Lockengewirr schimmerte und eine kleine geballte Faust sich unstet auf der Decke hin und her bewegte. Dann ein kurzes tiefes Seufzen, und alles war wieder ruhig.

Die beiden Gatten blieben stumm. Eine Sekunde kreuzten sich ihre Blicke verstohlen über dem Lager des Kleinen und schweiften sofort wieder zur Seite. Und beide empfanden zu gleicher Zeit dasselbe: dies zarte gebrechliche Wesen, das da schweratmend zwischen ihnen schlummerte, das war das einzige, was ihnen noch gemeinsam war, das letzte schwache Band, das zwei einander innerlich längst fremde Menschen noch zusammenhielt.

Lautlos, wie sie gekommen, schlichen sie wieder hinaus. Draußen im Nebengemach blieb der Graf unschlüssig stehen.

Sie setzte sich und schaute ihn an. Die stumme Frage: »Nun – was noch?« lag in ihren Augen.

»Ich habe mit dir zu reden!« stieß er plötzlich hervor, weit entschlossener und lebhafter, als es sonst seine Art war.

»Jetzt?«

»Ja« – jetzt gleich!«

»Das hätte doch wahrhaftig auch schon bei Tage geschehen können.«

»Nein, so lange deine Eltern da waren, ging es nicht. Besonders weil auch dein Vater viel mit mir zu besprechen hatte. Das, was er mir sagte, hab' ich mir, wie sie wegfuhren, überlegt und dann auch die Meinung der alten Herren eingeholt – und auch darüber wieder nachgedacht. Und so ist es eben Nacht geworden.«

Sie lehnte den Kopf zurück und senkte halb die Wimpern. »Also gut,« sagte sie. »Ich höre. Um was handelt es sich?«

»Um unsere Ehe . . . klipp und klar um unsere Ehe! Es muß anders werden, so geht das nicht weiter mit unserer Ehe!«

Sie zuckte die Achseln. »Wenn du das Ehe nennst,« sagte sie müde, »wie wir zwei nebeneinander hergehen . . .«

Er stand dicht neben ihr. »Freilich,« murmelte er. »Wenn ich daran denke, wie das anders war vor fünf Jahren . . . was ich mir da alles gehofft und vorgestellt hab' – und nun nichts, so rein gar nichts, außer Wulfi da drinnen – zwischen uns alles so fremd . . . so kalt . . . ich weiß ja nicht, wie du dir das alles gedacht hast, damals, als du mir ›Ja‹ gesagt hast, aber . . .«

»Ich habe gar nichts gedacht. Das Denken hat man mir in dem belgischen Kloster abgewöhnt! Das kommt jetzt erst allmählich wieder. Ich hab' damals ›Ja‹ gesagt, weil meine Eltern es wollten und weil ich mich zu Hause zu Tode langweilte und anfangen wollte, zu leben. Was für ein Leben . . . ja, wenn ich das gewußt hätte . . .«

Er ging auf und ab und nagte nach seiner Gewohnheit unruhig an dem kleinen blonden Schnurrbart. »Wie wolltest du denn leben?« fragte er endlich.

»Darüber hab' ich mir keine Gedanken gemacht. Ich habe mir gedacht: das ist Sache des Mannes, uns das Leben zu erschließen, denn er kennt es und wir nicht. An die langen Jahre hier in dem feuchten Gemäuer hab' ich freilich nicht gedacht, in einer Einsamkeit, wo Fuchs und Wolf einander ›gute Nacht‹ sagen. Sonst hätte ich meinen Fuß, weiß Gott, nicht über die Schwelle gesetzt.«

»Also mehr reisen hättest du wollen?« forschte er rasch, beinahe lauernd. »Mehr sehen und erleben?«

Sie schüttelte den Kopf. »Weißt du: das Beste, das Eigentliche erlebt man doch innerlich. Du hast mich nichts erleben lassen, nicht das Geringste. Du bist mir nichts gewesen: kein Freund, kein Erzieher – nichts, was ich so dringend gebraucht hätte. Ich hab' alles versucht, um bei dir anzuklopfen und irgendwie einen Widerhall zu finden. Umsonst! Du warst stumm und taub. Da bin ich schließlich auch stumm geworden, und wir haben gewissermaßen schattenhaft miteinander gelebt, zwei Menschen, die zu einer bestimmten Stunde zusammen zu Mittag essen und spazieren fahren und sich über die Entlassung eines Dieners oder den Ankauf einer neuen Equipage unterhalten und sich dabei einreden wollen, sie seien verheiratet. Eine unnütze Komödie! Wir machen uns ja doch nichts vor, wir beide. Wir haben uns genügend kennen gelernt in diesen fünf Jahren freiwilliger Gefangenschaft hier in diesem Waldwinkel und wissen genau, daß wir einander nichts zu sagen haben und uns nur in einem Punkt verstehen – in unserem Kind. Schließlich können wir ja nichts dafür – weder du noch ich. Wir sind eben zu verschieden!«

»Nun gut.« Er ging rasch, wie mit einem Entschlusse ringend, auf und ab. »Diese Zeit liegt hinter uns, mag sie verloren sein. Ich geb' es zu – ich seh' es jetzt ein: es war nicht recht von mir, dich in dieser ländlichen Stille festzuhalten, wo ich mich sehr wohl und ruhig fühlte, während du . . . du wärst eben lieber, wie du sagst, draußen in der Welt gewesen . . . unter Menschen . . .«

»Irgendwo, wo's nicht ewig regnet!« sagte sie melancholisch. »Hier regnet's nun wieder seit vier Wochen, und vorher hat's geschneit. Und an menschlichen Gesichtern kriegt man nur die Ahnenbilder zu sehen und die traurigen, kranken, alten Herren. Und draußen stürmt's, und die Käuzchen schreien und die Köter kläffen im Hof, und innen kriegt man die Zimmer kaum warm und wickelt sich in einen Mantel und friert den lieben langen Tag und gähnt. Ja, du fühlst dich ja ganz wohl dabei – aber ich! Jetzt ist's ja Gold gegen früher. Jetzt habe ich mir eine Tätigkeit geschaffen und komme mir nicht mehr so ganz unnütz und gottverlassen vor – früher aber, da hab' ich mich oft vor Sehnsucht verzehrt nach einem Lande, wo der Himmel blau ist und die Leute lachen und ein bißchen Leben und Farbe und Heiterkeit in der Welt ist.«

»Also sagen wir Italien!« unterbrach er sie. »Warum sollen wir nicht nach Italien gehen?«

Sie sah ihn betroffen, halb ungläubig an.

»Warum sollen wir nicht nachholen, was wir versäumt haben?« fuhr er fort, »Wir beide sind ja noch jung. Wir bringen das zehnfach wieder ein, wenn wir nur wollen. Jetzt will ich. Dein Vater hat ganz recht. Er hat mir heute nachmittag ernstlich ins Gewissen geredet, stundenlang: Ich hätte kein Recht, nur an mich zu denken und mich hier der Träumerei hinzugeben, bloß weil ich solch ein behagliches Leben liebe. Ich müsse mich einmal aufrappeln! Gehörig! Mich einmal auslüften da draußen! Da wird man ein anderer Mensch!«

»Ich glaube nicht, daß ein Mensch anders wird. Er ist, wie er ist!«

»Sagst du nicht selbst, du hättest dich in letzter Zeit ganz verändert? Und sieht das nicht jeder im Schloß? Nun also! Vielleicht glückt das auch bei mir durch eine Reise. Natürlich mit dir zusammen! Am besten nach Italien.«

»Und wann soll das sein?«

»Jetzt gleich. Jetzt ist die beste Zeit. In ein paar Tagen können wir so weit sein.«

»Und wie lange denkst du, daß wir wegbleiben?« Er blieb stehen und holte Atem. »Ich will den Kasten hier zusperren!« stieß er dann hervor, ohne sie anzusehen. »Überhaupt! Einfach zusperren! Wenigstens für ein paar Jahre!«

»Das heißt . . . wir sollen überhaupt nicht mehr hierher zurück?«

»Nein! Die alten Herren mögen hier wohnen bleiben, wenn es ihnen gefällt. Aber dir bekommt die Einsamkeit hier nicht und Wulfi noch weniger der Aufenthalt in den feuchten alten Mauern. Ewig kränkelt er und machst du mir ein unglückliches Gesicht. Ich bin es euch schuldig, euch herauszunehmen und in gesundere Verhältnisse zu bringen. Es ist kein leichtes Opfer für mich. Ich bin hier aufgewachsen, ich habe hier meine Eltern begraben – ich kenne seit meiner Kinderzeit hier jeden Stein und Strauch und dachte, hier in aller Stille so hinzuleben. Aber es geht nicht. Ich sehe es jetzt, nach den Worten deines Vaters ein, daß die Rücksicht auf euch vorgeht. Ich bin es euch schuldig, daß wir einen raschen Entschluß fassen und unsere Koffer packen . . .«

»Von einem Tag zum anderen?« Durch ihre Stimme klang immer noch das fassungslose, allmählich sich in Schrecken verwandelnde Erstaunen. »Das hältst du doch selbst nicht für möglich, daß wir mit einem Schlag unseren ganzen Hausstand auflösen, alles, wie es seit fünf Jahren war, auf den Kopf stellen und einfach in die Fremde hinausvagabundieren?«

»Warum denn nicht? Du hast ja selbst vorhin und wie oft schon früher gesagt, daß das immer dein Wunsch gewesen ist! Jetzt wollen wir ihn uns erfüllen. Komfort findet man heutzutage überall. Mehr wie hier im Schloß. Elise nehmen wir natürlich mit, schon Wulfis wegen, und Wegmann auch und vielleicht noch deine Kammerjungfer. Und dann fahren wir nach Rom. Bis dahin ist der Onkel auch wieder dort im Vatikan und macht uns die Honneurs . . .«

»Und dann?«

»Dann sehen wir uns inzwischen nach einem Unterschlupf um – einer Gegend, die für Wulfi gesund ist und mitten im Verkehr liegt. Man kann ja überall in Italien so leicht und billig herrschaftliche Besitzungen mieten. Eine Villa am Lago Maggiore etwa! Denke dir nur! Oder bei Florenz! Und ist es da im Sommer zu heiß, so gehen wir in das Engadin oder an die See. Wir sind ja an nichts gebunden. Wir können leben, wo es uns gefällt, – wie es uns gefällt, und werden uns wahrhaftig nicht hierher zurücksehnen!«

»Also hierher – das steht bei dir fest – sollen wir unter keinen Umständen zurück? Auch nicht für die Sommermonate?«

»Nein, wenn wir hier schon alles auflösen, können wir nicht wieder für kurze Zeit den Hausstand einrichten! Und überhaupt: wenn wir uns schon entschließen, der Heimat für eine Reihe von Jahren den Rücken zu drehen, so müssen wir auch dabei bleiben! Unverbrüchlich! Unter allen Umständen! Darauf bestehe ich!«

Sie war aufgestanden. Ihr Gesicht hatte sich verfärbt.

»Das Ganze hat dir also Papa eingegeben?« fragte sie langsam.

»Das heißt . . . die Idee ist von ihm. Im übrigen habe ich natürlich . . .«

»Alles ist von ihm! Durch deine Stimme höre ich förmlich seine Worte. Seine Art zu sprechen sogar. Seinen Tonfall. Du redest ja ganz anders wie sonst, mit einer ganz fremden energischen Stimme. O, Papa ist klug! Er hat deine Aufgabe gut mit dir durchgegangen, und du hast sie mir auch ohne Stocken aufgesagt. Ganz wie er es wollte und es sich zurechtgelegt hat!«

»Das verstehe ich nicht! Ich komme und erkläre dir, daß wir unseren Wohnsitz ändern wollen . . .«

»Ohne mich nur vorher zu fragen . . .«

»Du hast dir es ja selbst oft genug gewünscht!«

»Ja – früher.«

»Und im übrigen« – seine Stimme klang unsicher, aber doch versteckt drohend – »ist es das Recht des Mannes, den Wohnsitz zu bestimmen. Die Frau hat ihm dahin zu folgen. Nach dem Gesetz.«

»Ach so!« sagte sie halblaut. »Jetzt weiß ich schon . . .«

»Und wenn eine Frau das nicht tun sollte,« fuhr er fort, ». . . ohne zwingende Veranlassung . . . wo sie im Gegenteil oft selbst darum gebeten hat, von hier wegzukommen . . . und nun – ich setze nur den Fall – nun würde sie sich plötzlich weigern, so müßte man andere Gründe dahinter vermuten . . . Gründe . . . die . . . nun, du verstehst mich . . .«

»Ja.« Sie war ganz ruhig geworden. »Also damit hast du nun Papas Trumpf ausgespielt. Ich sah ihn schon lange kommen. Er hat es sich gut ausgedacht. O, Papa ist wirklich klug. Aber man kann auch zu klug sein.«

»Wieso? Das begreife ich nicht?«

»Indem man so ganz plötzlich Entscheidungen herbeiführt, die ein ganzes Leben beeinflussen!«

»Eine Reise nach Italien ist doch keine solche Riesensache!«

»Wir wollen doch kein Versteckens spielen!« sagte sie. »Wir sind doch zwei erwachsene Menschen und können die Dinge beim rechten Namen nennen. Jahrelang habt ihr mich hier ruhig sitzen lassen und euch blutwenig darum gekümmert, ob ich hier in der Einsamkeit halb zugrunde ging oder nicht. Endlich finde ich eine Erlösung von der Einsamkeit. Ich finde durch einen glücklichen Zufall in dem Doktor einen Menschen, der mich wieder aufrichtet, der mir auf den rechten Weg hilft und etwas aus mir macht. Und kaum atme ich auf und fange an, wieder ein bißchen Lebensmut und Hoffnung zu schöpfen, so heißt es: ›Rasch die Koffer gepackt und fort. Sage dem einzigen Freund, den du Zeit deines Lebens gefunden hast, für lange Jahre, vielleicht für immer adieu und reise hinaus in die Welt, wo wir uns natürlich in kurzer Zeit in einem neuen modrigen Winkel verkriechen werden!‹ Dahin treibt es euch ja instinktiv, wie die Eulen in ihren Turm. Ob der am Lago Maggiore steht oder im Odenwald – das ist genau das Nämliche.«

»Wenn du schon den Namen des Doktors nennst« – ihr Mann bewahrte heute in ungewohnter Weise seine feste Haltung – »gut. Es geschieht seinetwegen, oder mehr noch meinetwegen! Dein Vater hat mir heute recht schonungslose Worte gesagt und mir die Augen gründlich geöffnet: Ich bin mir das schuldig! Das darf nicht so weitergehen! Das macht mich lächerlich. Das muß ein Ende haben! verstehst du – das muß!«

»Das alles hat dir Papa gesagt?« Sie setzte sich wieder und legte den Kopf zurück. »Papa . . . immer wieder Papa . . . Du bist sein Sprachrohr . . . freilich wohl . . . er kennt mich. Besser wie du, wenn du auch heute sein gelehriger Schüler bist. Aber er kennt mich, wie ich war! Nicht, wie ich jetzt bin. Das ist das Unglück!«

»Ein Unglück wäre es nur, wenn du dich unseren Bitten und unserem Rat unzugänglich erweisen würdest und . . .«

Sie hob rasch den Ropf. »Also das ist euer unumstößlicher Entschluß, diese . . . diese Flucht vor dem Doktor unten?«

»Von Flucht ist nicht die Rede. Ich nehme dich einfach mit auf die Reise . . .«

»Wie man ein kleines Kind vom Feuer wegholt, damit es sich nicht verbrennt! Eben! Das nenne ich eben die Flucht! Wie demütigend und erniedrigend das für mich ist, das ahnst du wohl gar nicht?«

»Derlei liegt mir völlig ferne! Ich tue nur, was wir alle für meine Pflicht halten!«

»Und bei dieser Reise bleibt es?«

»Ganz gewiß!«

Sie sah ihn fest an. »Du weißt, daß das eine Wendung in unserer ganzen bisherigen Ehe bedeutet, indem du plötzlich alle deine Rechte – ich möchte sagen als Herr und Gebieter geltend machst?«

»Ja. Das muß ich! Nach reiflichster Überlegung!«

»Das heißt, nachdem die anderen, vor allem Papa, dir ihren Willen eingeblasen haben! Und du weißt, daß du damit eine Art Entscheidung herbeirufst?«

»Ja! Einen Entschluß, den du eben fassen mußt! Denn bei ruhiger Überlegung wirst du selbst einsehen, daß gar kein anderer Weg bleibt, als von hier wegzuziehen!«

»Möglich!« Sie ließ die Hände sinken und starrte vor sich hin. »Denn wenn ich bleibe . . . dann habt ihr uns – den Doktor und mich – ja gerade so weit, wie wir es nicht haben wollten! Papa ist zu klug. Ich hab's schon vorhin gesagt!«

»Also du willigst ein!«

»Ich weiß nicht. Ich muß überlegen. Ich bin ganz betäubt, wenn du da plötzlich lange nach Mitternacht zu mir ins Zimmer kommst und mir Dinge sagst, die mein ganzes Leben ändern . . . Geh jetzt! Lasse mich allein!«

Er blieb an der Türe stehen. »Aber ich will Antwort haben!«

»Heute nicht. Jetzt gleich nicht. Das kannst du nicht verlangen!«

»Also wann?«

»Morgen mittag meinetwegen!«

»Gut. Aber es ist ja eigentlich nichts zu überlegen. Unser, ich meine der Familie Entschluß steht fest, und ich möchte dich noch einmal bitten . . .«

»Gute Nacht!«

Er schwieg betroffen. »Gute Nacht!« sagte er dann mit unsicherer klingender Stimme und ging langsam hinaus. Es war, als ob eine plötzliche Angst in ihm aufgestiegen sei.

Während seine Schritte draußen verhallten, öffnete sie das Fenster. Der Nachtwind wehte warm und wild herein. Wie ein ungestümer Junge tollte er durch das Zimmer, schlug die Blätter des Buches um, ließ die Lampe zittern und die Papiere am Boden hinfliegen und füllte den ganzen Raum mit seinem freien belebenden Hauch.

Sie atmete tief auf. Sie fühlte, während die würzigen Luftwellen ihre Stirne kühlten, wie da drinnen die Erregung schwand. Sie wurde mit einemmal ganz ruhig.

Sie wunderte sich selbst darüber. Vielleicht war es die Ermüdung? Es fiel ihr ein, daß es fast vierundzwanzig Stunden her war, seitdem sie dort oben in den Bergen, über denen noch kaum erkennbar das erste Morgengrauen aufleuchtete, den Schuß auf den Auerhahn abgefeuert und nachher keine Ruhe mehr gefunden hatte.

Aber das war kein körperliches Gefühl. Das kam aus dem Inneren, eine Empfindung des Erlöstseins von dem quälenden Schwanken der letzten Wochen und Monate, ein kaltblütiges Abwarten der Entscheidung, die nun unaufhaltsam, wie da drüben das Morgenlicht, für den kommenden Tag aufstieg.



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