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24.

Seit diesem Tage begann für Rose ein an fröhlichen Hoffnungen reiches, wunderbares neues Leben. Draußen heulte der rauhe Decemberwind und wirbelten die Schneeflocken; aber in ihrem Herzen war es Frühling. Selbst die schwarzen Trümmer des Brandes, die, soviel man auch davon schon abgefahren, immer noch hier und da aus der weißen Decke hervorragten; selbst die Oede, die sich rings um das Haus gebreitet hatte, konnten ihr keine Gedanken der Vergänglichkeit und des Todes erwecken. Eine schönere Welt, als die da draußen, baute sich in ihrem Busen auf. Musik klang in ihrem Ohr, in ihrem Herzen. Oft waren es majestätische Fugen, als wenn eines Gottes Stimme die tiefsten Geheimnisse des Menschenlebens offenbarte; oft und öfter waren es anmuthige Melodien, die wie bunte Schmetterlinge sie umgaukelten, und alle, alle von bunten Blumen und Maienluft und warmem Sonnenschein erzählten. Und voll von Sonnenschein wurde durch sie das düstere Herrenhaus mit den verschlossenen Jalousien; der alte Wenzel selbst, den noch Niemand hatte lachen sehen, war ordentlich wieder jung geworden, und hinkte schnell, wie nie zuvor, die Treppen hinauf und hinab; ja seine Frau behauptete: er pfeife jetzt leise vor sich hin, wenn er die Kleider rein mache. Doch war diese Behauptung so abenteuerlich, daß sie bei Niemandem rechten Glauben fand.

Ja, es war Sonnenschein in dem alten Herrenhaus, und kein Zweifel, daß dieser milde Glanz von Rose ausging. Alles hing an ihren Blicken, an ihrem Munde. Wohin sie kam, brachte sie Friede und Freude, wer nur ihre melodische herzliche Stimme hörte, athmete freier und leichter. Sie selbst war vielleicht ein wenig bleicher als sonst, und daher kam es auch wohl, daß ihre Augen noch größer und glänzender als sonst erschienen. »Sie werden mit jedem Tage schöner, Fräulein Rose,« sagte der alte galante Doctor, und das dachte auch der Graf, obgleich er es nicht sagte, und das dachte auch der Vater, wenn er ihr, wo immer sie im Zimmer war, mit den Blicken folgte. Und niemals war sie jetzt schöner, als wenn sie »ihr Kind« in den Armen hielt. Das kleine Wesen mit den feinen Zügen und den weit über sein Alter verständigen blauen Augen, das sich mit jedem Tag lieblicher entwickelte, war eine große Freude für Rose und ein Gegenstand beständigen gutmüthigen Streites zwischen ihr und Frau Wenzel, welche behauptete, daß die kleine Anne von dem Fräulein ebenso verzogen werde, wie alle Welt. Rose hatte das Kind dem Vater gebracht, den der Anblick auf eine sonderbare Weise rührte, und auch dem Grafen gezeigt, welcher seine Aufmerksamkeit viel mehr auf Rosen, als auf das Kind richtete, und dafür von Rosen für einen gefühllosen Barbaren erklärt wurde.

Der Graf konnte schon ohne besondere Anstrengung in dem Zimmer umhergehen, ja sich aus einem in das andere begeben, und er sprach zu Rosen, die er jetzt alle Tage sah, wiederholt von seiner Absicht, nach Lengsfeld überzusiedeln. Rose zuckte jedesmal die Achseln und erwiderte, daß der Graf ja freier Herr seiner Handlungen sei, daß aber der Doctor noch heute erklärt habe, wie er für die Folgen einer Fahrt bei diesem Wetter nicht stehen könne, und der Vater ausdrücklich wünsche, den Grafen vor seiner Abreise zu sehen, ihn jetzt aber, da er sich noch zu schwach fühle, nicht wohl empfangen könne.

Der Graf verbeugte sich und sagte: daß der Wunsch ihres Vaters für ihn Befehl sei. Es schien ihm nicht allzu schwer zu werden, diesem Befehle Folge zu leisten.

So kam der Weihnachtsabend heran.

Herr von Weißenbach hatte Rose wiederholt daran erinnert, diesmal doch ja, wie sonst, in dem Wohnzimmer den Weihnachtsbaum aufzustellen. Wenzel hatte denn auch, auf Roses Geheiß, die schönste, schlankeste junge Tanne, die er im Park finden konnte, zurechtgehauen, und Rose hatte die Tanne mit bunten Lichtern, Aepfeln, Nüssen, Zuckerwerk und goldenen Düten aufs schönste geschmückt. Der Doctor hatte sie dabei überrascht, und in seiner schelmischen Weise geäußert: er wisse recht gut, was Rose sich zu Weihnachten wünsche; aber, was der Graf sich wohl wünschen möchte, das könne er für sein Leben nicht herausbekommen. Rose sagte: vielleicht falle es ihm noch ein; aber wenn auch nicht, so solle er nicht versäumen, am Abend zu kommen, der Vater lasse noch ganz besonders darum bitten.

Rose sagte das in ihrem heitersten Ton; nichtsdestoweniger konnte sie eine gewisse nervöse Erregung nicht bemeistern, die, je mehr die Dunkelheit draußen zunahm, immer stärker wurde. Sie hatte für das Wenzel'sche Ehepaar, für die Magd und für den Diener des Grafen die prächtigen Geschenke, welche ihnen der Graf bestimmt und die einfachen Gaben, welche sie selbst ihnen zugedacht »aufgebaut;« hatte die Lichter angezündet, und als Alles in Festesschmuck prangte, und sie sich ganz allein in dem Zimmer sah – da wurde es ihr mit einem Male so weh um's Herz, daß sie sich in den alten Lehnstuhl warf, in welchem sonst der Vater zu sitzen pflegte, und in Thränen ausbrach.

Das Geräusch der Thür, die in des Grafen Zimmer führte, machte sie in die Höhe fahren. Es war der Graf, der an der Hand des Vaters eintrat, hinter ihnen der gute Doctor, der von den beiden hohen Gestalten gänzlich verdeckt wurde. Rose stand an allen Gliedern zitternd da; der Vater hatte die stolzen Augen voll Thränen; der Graf sah sehr bleich aus; man sah, wie er nur mit Mühe eine tiefe Erregung beherrschte. Rose hatte wohl in ihren Träumen schon die geliebten Beiden versöhnt gesehen, ja sie hatte geahnt, daß der Weihnachtsabend diese Versöhnung bringen werde, aber, als sie aus den Armen des Vaters an die Brust des Grafen sank, da war ihr, als hätte sie nichts geahnt und nichts gewußt von der schaurigen Süßigkeit dieses Augenblicks. Der Doctor wischte sich die Augen, dann ergriff er die große silberne Glocke, die auf dem Tisch neben Rose gestanden hatte, öffnete die Thür und läutete, daß die Vier, welche mit pochenden Herzen in der Küche saßen (Frau Wenzel mit dem Kind auf dem Arm), glaubten, nun stehe auch noch das alte Herrenhaus in Flammen.

. . . . . . . . . . . .

Eine klare Winternacht ist heraufgezogen. Vom Himmel funkeln die ewigen Sterne in wunderbarem Glanz; still liegt die Erde in ihrem weißen Mantel. In dem Dorfe regt sich nichts; es ist noch weit bis zum ersten Hahnenschrei. Hier und da ein schwacher Schimmer aus einem der niedrigen Fenster, sonst nur das Licht des Schnees und der Sterne.

Durch das stille Dorf zieht der Wächter. Er ruft die Stunde ab und singt:

Dies ist die heil'ge Weihenacht,
Da halten tausend Englein Wacht,
Daß nirgendwo ein Leid's geschicht,
So braucht ihr heut' den Wächter nicht.
Nichts Böses kann sich regen,
Denn Lieb' ist allerwegen.


Anhang


Zur zweiten Fassung von
»Röschen vom Hofe«

Spielhagen hat die Novelle seit der Ausgabe in der Sammlung »Novellen« (ab 1871) in einer von der Erstausgabe abweichenden Fassung veröffentlicht. In dieser sind einige Textpassagen ausgelassen, in denen Rose darüber reflektiert, dass der Jäger, den sie in Kapitel 2 getroffen hat, eigentlich nur der Diener des Grafen sein könne. Die hauptsächliche Änderung betrifft jedoch den Anfang der Novelle: Kapitel 1 der Urfassung fällt in der Neubearbeitung ersatzlos fort; stattdessen beginnt der Text mit einer leicht modifizierten Fassung des ursprünglichen Kapitels 2 (nach: Sämmtliche Werke. Achter Band. Novellen. Erster Band. Verlag von L. Staackmann. Leipzig 1880. S. 483):

I.

An einem wundervollen Spätsommermorgen schritt Fräulein Rose von Weißenbach die lange Allee des Parkes hinab nach ihrem Lieblingsplätzchen, um dort …

Von hier an folgt die zweite Fassung im Wesentlichen dem Text der Erstausgabe.

[Der Herausgeber]



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