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5.

Graf Hugo von Lengsfeld hatte seit jenem Morgen unter den Ahornbäumen tagtäglich die Flinte auf die Schulter genommen und besonders nach der Gegend von Weißenbach hin das ausgedehnte Jagdgebiet, das ihm der Verwalter hatte pachten müssen, durchstreift; aber Boncoeur, der langohrige braune Hühnerhund, hatte sich selten weniger in das Betragen seines Herrn finden können, als in eben diesen letzten Tagen. Zwar war es Boncoeur durchaus nichts Neues, daß sein Herr ihn eine Viertelstunde vor einem Volke Hühner auf drei Beinen stehen ließ, und wenn er endlich lässig herankam, entweder gar nicht oder vorbeischoß; aber so consequent, wie in diesen Tagen, hatte er denn doch noch nicht alle Regeln der edlen Waidmannskunst außer Acht gelassen. Vergebens daß der wackre Hund mit der unermüdlichsten Geduld ein Runkelrübenfeld nach dem andern absuchte und einen Hafen nach dem andern aufstieß. So oft er von der kurzen Verfolgung (die zwischen den hohen Wurzeln der Runkeln gar nicht eben angenehm war) zurückkehrte, fand er seinen Herrn, der nach wie vor die Flinte unter dem Arm oder über der Schulter hatte, und so nachdenklich, die Augen auf den Boden geheftet, an dem Rain des Feldes einherschritt, daß Boncoeur es zuletzt für zweckmäßig erachtete, die Jagd ganz aufzugeben und dem Träumer in der Entfernung einiger Schritte eben nur zu folgen. Der Graf hatte nichts dagegen; er dachte in der That an nichts weniger als an das, was Boncoeur so sehr am Herzen lag.

Es war dem Grafen ganz eigen ergangen, seit er in dem Thale weilte, aus dem seine Familie stammte, in dem seine Familie Jahrhunderte lang gehaust hatte; in dem Dorfe weilte, von dem er den Namen trug. Er hatte keine Erinnerung an diese Gegend; war er doch als kleines Kind schon in die Fremde gekommen! und doch sprach ihn hier Alles so vertraut, so heimathlich an, als hätte er diese Berge, deren blaue Wellenlinien mit dem Horizonte verschwammen, diese Wälder, in deren Wipfeln es so schauerlich rauschte, diese Wiesen, durch welche sich die mit Weiden besetzten Bächlein so behaglich schlängelten, diese Felder, die sich so friedlich an dem Fuß der Berge hinbreiteten, – als hätte er das Alles seit seiner frühesten Jugend gekannt und geliebt. Auch die freundlichen, zuthunlichen Menschen mit ihrer naiven Sprache, die Männer mit den langen leinenen Röcken und breitkrämpigen Hüten, die Frauen mit den schwarzen Miedern und den ellenlangen breiten Seidenbändern und den enganschließenden Mützchen – auch diese heimelten ihn mehr an, als es bis jetzt einer der zahllosen Volksstämme, zu denen er während der letzten zehn Jahre gekommen war, gethan hatte. Es war nicht eigentlich seine bestimmte Absicht gewesen, fortan in seiner Heimath zu bleiben: er war zurückgekehrt, um – natürlich auf seine Kosten – ein Werk über Handelspolitik, das er mit vieler Liebe zur Sache und großem Fleiß auf seinen Reisen ausgearbeitet hatte, drucken zu lassen, und weil der Abschluß neuer Contracte mit einigen seiner Pächter seine Gegenwart in Lengsfeld, auf einige Zeit wenigstens, wünschenswerth machte. Und während er diese Geschäfte abwickelte, seine Besitzungen durchstreifte, und sich mit jedem Tage tiefer in diese liebliche Natur hineinlebte, fiel ihm ein, – was ihm während der letzten zwei Jahre immer häufiger und immer schwerer auf die Seele gefallen war – daß er wohl eigentlich nun genug gereist, und daß es die höchste Zeit sei, endlich einmal zu fühlen, was es heißt: zu Hause sein. Freilich, ein großes schloßartiges Gebäude mit einer breiten Terrasse vorne, auf der Kaktusse und andre Blumen von Blech in steinernen Vasen stehen, hinten mit einem Park in dem französischen Geschmack der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, und inwendig mit einer Menge von großen und kleinen Zimmern, in denen allen der Duft des Unbewohntseins liegt – ist immer noch nicht zu Hause, besonders, wenn man stundenlang auf der Terrasse auf- und abgehen, oder durch den Park schweifen, oder durch die Zimmer wandern kann, ohne einem Menschen zu begegnen, als etwa der alten Haushälterin, oder ein paar Arbeitern, oder den Handwerkern aus der Stadt – Tapezierern, Tischlern, Malern – die der Graf hatte kommen lassen, um zu versuchen, ob mit ihrer Hülfe dem einen Flügel, rechts im Erdgeschoß, den er sich zu einer Wohnung ausersehen, ein wohnlicheres Ansehen gegeben werden könne. Zum »zu Hause,« meinte der Graf, gehört vielleicht doch noch mehr, wenn nicht Frau und Kind, so ein Geschäft, das man mit Eifer treibt, wenigstens eine Gesellschaft, die man bewirthet und der man es behaglich zu machen sucht, wäre es auch nur, sich bei dieser Bemühung selber ein wenig behaglicher zu fühlen. – Dem Grafen war es nie so sehr aufgefallen, wie einsam er doch eigentlich sei; oder vielmehr, wie drückend die Einsamkeit werden könne, denn er war im Grunde jetzt nicht einsamer, als er es Zeit seines Lebens – in der Cadettenschule, der Garnison und dem Feldlager, ebenso wie in den Ruinen des Colosseums und Carnaks – gewesen war. Der Graf fing an zu der Ansicht zu kommen, daß er zwar niemals sehr jung gewesen, daß er aber jetzt, nach eben zurückgelegtem dreißigsten Jahre, entschieden anfange, alt zu werden.

»Denn der ist alt,« sprach der Graf bei sich, während er, die Hände auf dem Rücken, auf seiner Terrasse hin und herschritt, »der ist alt, welcher am Leben das Interesse verloren hat; der am Morgen aufsteht, weil er doch, ohne krank zu sein, nicht wohl in Bette liegen bleiben kann, und der Abends sich hinlegt, weil die ganze Nacht so zwischen den Büchern zu sitzen, auch schließlich unerträglich wird. Wäre ich arm, daß ich arbeiten müßte, um zu leben, so wäre doch wenigstens das Bedürfniß ein Sporn; wäre ich ehrgeizig, so würde es mir schmeicheln, kaum als ein Fremdling in das Land meiner Väter zurückgekommen und schon der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit und ein Zankapfel der politischen Parteien zu sein. Warum nehme ich Anstand, dem liberalen Comité zu antworten, daß ich ein Programm unterschreibe und versuchen will, nach Kräften für die gemeine Sache zu wirken? Ist es nicht die höchste Zeit, von den Worten einmal zu Thaten, und von meinen Büchern unter die Menschen zu kommen? Ach, wenn ich die Menschen höher achtete und besser liebte! – aber kann ich dafür, daß ich es nicht vermag? Ich habe – das Zeugniß darf ich mir wohl geben – es stets ehrlich gemeint mit den Menschen; ich bin ausgezogen, für mein Volk zu kämpfen, zu sterben, wenn es sein mußte; ich sah, daß in unsern Reihen der Verrath hauste, und daß das Volk, rathlos oder feig, nicht wußte, was es wollte, oder nichts wollte, wovon es wußte, daß es geschehen müsse. Was blieb mir übrig, als zum Pflasterstein zu greifen? D.h. an der Revolution von 1848 teilzunehmen. – Anm.d.Hrsg. oder auszuwandern? Vielleicht wäre es ehrlicher und consequenter gewesen, hätte ich das Erstere gethan; aber Ehrlichkeit und Consequenz sind, wie ich nachträglich gefunden habe, so seltene Tugenden, daß ich mir wohl verzeihen kann, wenn ich sie damals nicht besaß, vielleicht noch heute nicht in hinreichendem Maße besitze. Nun, und die Einzelnen? es giebt gute und treffliche Menschen; ich selbst bin vielen auf meinem Lebenswege begegnet – da ist mein edler Basch-Aga-El-Mokrani in Algerien, der mich einst Wochen lang in seinem Zelte gepflegt und beschützt hat, als ich im Fieber ras'te; da ist der ehrliche Fiakrekutscher in Wien, der mir das Goldstück, das ich ihm am Abend in einer Anwandlung billiger Großmuth gegeben, am andern Morgen in mein Hôtel brachte; da ist der junge Attaché der französischen Gesandtschaft in Constantinopel – wie hieß er doch nur noch gleich? – ein bildhübscher Mensch, aber ich fürchte: den Weibern, dem Wein und den Würfeln mehr als ihm dienlich war, ergeben – er liebte mich, glaube ich, wirklich, und hätte seine Maitresse und sein Leben für mich geopfert, wenn ich es verlangt hätte – da ist – ja, wer denn noch gleich? es sind ihrer am Ende doch nicht eben viele. Ach! der alte Jesuitenzögling, der die Vorsehung um einen Menschen bat – der kannte die Menschen! Ich wollte, ich liebte einen Menschen, nur einen einzigen, so recht von Herzensgrunde – ich glaube, ich hätte damit den Schlüssel zu dem Geheimniß des Lebens gefunden.

In diese melancholischen Betrachtungen war der Graf versunken gewesen, als er vor nun vier Tagen an dem Rande des Parkes von Weißenbach auf den Hasen vorbeischoß und sich hernach von Boncoeur, der an jenem Morgen noch größeren Eifer als sonst hatte, über die Grenze seines Jagdgebietes in den Park von Weißenbach locken ließ. Da war ihm die hohe, schlanke Gestalt Rose's so unerwartet, so plötzlich, wie eine himmlische Erscheinung fast, entgegengetreten, und hatte einen Eindruck auf ihn gemacht, wie – darüber war er sich vom ersten Augenblick klar – noch nie ein Weib, oder sonst irgend etwas im Leben auf ihn gemacht hatte. Ob ein Gemüth gerade in dem Moment mehr als sonst bereit war, einen Eindruck voll und ganz in sich aufzunehmen; ob dieses Weib mehr als alle, die er bis jetzt gesehen, dem Ideal, das er, sich selbst unbewußt, in seinem Herzen trug, entsprach – er konnte sich darüber keine Rechenschaft geben, er dachte auch kaum darüber nach, er fühlte nur, daß in sein Leben ein Etwas eingetreten sei, das nicht wieder verloren gehen könne, das, so oder so, in alle Zukunft wirken und schaffen müsse. Und doch hatte sie kaum ein paar Worte gesprochen, und, was sie gesprochen, war an sich so unbedeutend gewesen – aber die Weise, wie sie es gesagt, der Ton, in dem sie es gesagt, die Haltung, die sie dabei beobachtet, die stolze, kaum merkliche Neigung des schönen Hauptes – der Graf wurde nicht müde, sich das Alles wieder und immer wieder in der Erinnerung zurückzurufen. Er sagte sich, daß er schon schönere Frauen gesehen habe, wenn Regelmäßigkeit und kühner Schwung der Züge, Schmelz der Farben, Glanz der Augen die einzigen Requisiten der Schönheit sind; der Graf erinnerte sich nicht, daß das Antlitz des Mädchens auch nur einen dieser Vorzüge in auffallender Weise gezeigt hätte; aber statt dessen war es von einer ganz wunderbaren Harmonie wie durchleuchtet gewesen, einer Harmonie, die mit dem hohen Ebenmaß der schönen Glieder und dem köstlichen Rhythmus der anmuthig sichern Bewegungen auf das reizendste zusammengestimmt hatte. Der Graf sah das Bild des Mädchens, wo er ging und stand; er sah es immer vor sich herschweben; er sah es, bevor er einschlief; er sah es in seinen Träumen; er sah es, sobald er des Morgens die Augen öffnete.

Trotz alledem that er – wenigstens in den ersten Tagen – nichts, etwas Näheres über die Dame zu erfahren. Er hatte so lange in einer idealen Welt gelebt, und war es auf einen weiten Reisen so gewohnt geworden, ein schönes Weib im Vorüberziehen schön zu finden, wie ein Gemälde in einer Gallerie, oder eine Landschaft oder einen sonnigen Morgen, daß ihm kaum die Fragen kamen: wer ist sie? wie heißt sie? Diesmal freilich trug auch die Furcht, etwas zu hören, was zu hören ihm unlieb gewesen wäre, noch dazu bei, ihn mehr als gewöhnlich unthätig zu machen. Endlich am dritten Tage bot sich ganz von selbst die Gelegenheit, welcher der Graf bis dahin förmlich aus dem Wege gegangen war. Der Pfarrer von Lengsfeld war von einer Synode, in welcher er zwei Wochen lang gesessen, und darüber – zu seinem wahren Schmerz – versäumt hatte, die Rückkehr, die so unerwartete Rückkehr seines Herrn Patrons durch Gesang der Schuljugend und Gottesdienst würdig zu feiern, zurückgekommen, und beeilte sich natürlich, das Versäumte wieder gut und dem Herrn Grafen eine Aufwartung zu machen. Der Pfarrer von Lengsfeld war ein streitbares Werkzeug der Kirche, eifrig, orthodox, servil, wie es sich für seine Talente und seinen Ehrgeiz ziemte; dabei dem Wohlleben geneigt, wie es seine Jugend – er war kaum dreißig Jahre alt – zu erfordern und seine Beleibtheit zu beweisen schien. An den Schläfen war seine runde glänzende Stirn schon ziemlich kahl, seine kleinen Augen versteckten sich hinter zwei ovalen Brillengläsern, deren silberne Fassung zu den feinsten gehörte. Der Pfarrer trug an dem Morgen seines Besuches denselben schwarzen Frack und dieselbe weiße Binde, welche während der Synode so oft von der Rostra geglänzt, und vielleicht lag in seiner Anrede an den Grafen noch etwas von der Salbung, durch welche sich seine Vorträge selbst in jener salbungsvollen Gesellschaft so vortheilhaft ausgezeichnet hatten.

Der Graf empfing seinen Pfarrer mit jenem Gemisch von Ernst und Freundlichkeit, Zurückhaltung und Entgegenkommen, welches seinem Benehmen, besonders fremden Personen gegenüber, eigenthümlich war. Er ließ, da er Manches mit dem geistlichen Herrn zu besprechen hatte und es gerade Frühstückszeit war, etwas kalte Küche und eine Flasche Wein servieren. Der Wein war gut, und der Pfarrer, der ein Kenner war, wurde, nachdem die Angelegenheiten der Kirche und Schule erledigt waren, recht gesprächig. Von der sicheren Voraussetzung ausgehend, daß sein hochgeborner Wirth der Sohn einer Väter sei, beklagte er tief das Umsichgreifen der demokratischen Grundsätze sowohl in der Welt im Allgemeinen, als auch besonders in Lengsfeld und Umgegend. Die Krankheitserscheinungen seien oft entsetzlich, und die Wurzel der Krankheit sei darin zu suchen, daß einmal der Adel in dem ganzen Ländchen verhältnißmäßig schwach vertreten sei, und sodann das natürliche und gerechte Uebergewicht, das er trotz alledem sonst noch hatte, seit dem Jahre 1848, in welchem die Rittergüter steuerbar geworden und die Zinsablösungen ins Leben getreten seien, in beklagenswerther Weise verloren habe.

»Das Jahr Achtzehnhundertundachtundvierzig, Herr Graf,« rief der Pfarrer, »ist wie ein böser Mehlthau über den ehrwürdigen Wald des Adels hingegangen und mancher edle Baum steht seitdem verdorrt. Wir haben davon in unserer Gegend ein auffallendes, und ich darf wohl sagen, rührendes Beispiel. Der Herr Graf kennen den Herrn von Weißenbach; nicht? Auch nicht dem Namen nach? Ei, das nimmt mich Wunder; aber freilich, der Herr Graf sind erst seit so kurzer Zeit in hiesiger Gegend! Sie können hier durch das Fenster die Bäume des Parks von Weißenbach sehen; gerade über den Pfeiler auf der Terrasse; ich glaube, Ihre Runkelrüben stehen nach der Seite. Der Park ist schön; aber, du lieber Gott, das ist denn auch die ganze Besitzung! Herrn von Weißenbach gehörten außerdem noch Bolau und Gommern, alles dreies Rittergüter mit verhältnißmäßig wenig Ländereien (Weißenbach hat so gut wie gar keine), aber mit einer langen und einträglichen Liste von Lasten und Gefällen. Die Weißenbachs haben zum mindesten seit dem dreißigjährigen Kriege hier gesessen, und wahrscheinlich schon viel länger, wenn, was anzunehmen, die Wissenbachs, die gegen Ludwig den Eisernen in der Schlacht bei Naumburg stritten, mit den Weißenbachs identisch sind. Nun ist der jetzige Herr von Weißenbach der echte Sproß von dem edlen Stamm, und als Achtzehnhundertachtundvierzig das gute Alte stürzte und die homines novi triumphierten, wollte er mit den Wölfen nicht heulen, verkaufte die Güter, mit Ausnahme von Weißenbach, das Niemand kaufen wollte, zog in die Stadt, verlor in wenigen Jahren – ich höre, in einer einzigen unglücklichen Spekulation – das aus dem Verkauf der Güter und den Zinsablösungen von Weißenbach gewonnene Vermögen, und ist in diesem Augenblicke – Gott sei's geklagt! – ärmer, als einer der zwanzig Bauern im Dorf, die ihre Häuser weiß anstreichen lassen, ihre Söhne auf das Gymnasium, ihre Töchter in Pension schicken und in ihrem Wohnzimmer ein Klavier für zweihundert Thaler stehen haben.«

Der Graf war während dieser langen Auseinandersetzung an's Fenster des Salons getreten, wie, um die Lage des Parks von Weißenbach nach den Angaben des Pfarrers genau zu ermitteln, eigentlich aber, um die Röthe zu verbergen, die, als jener des Parks Erwähnung that, in seine Wangen geschossen war. –

»Und hat der Herr von Weißenbach Familie?« fragte der Graf, immer noch mit dem Rücken nach dem Pfarrer.

»Eine einzige Tochter, Herr Graf.«

Der Graf fühlte, daß ihm das Herz schneller schlug, als er, so ruhig wie möglich, weiter fragte:

»Natürlich bereits verheirathet?«

»Noch nicht, Herr Graf.«

Das »Noch nicht, Herr Graf« des Pfarrers hatte einen so eigenthümlichen, langgezogenen Klang, daß der Graf sich plötzlich umwandte und mit einer Lebhaftigkeit, die dem Andern, der in diesem Augenblicke mit seinen Gedanken und dem letzten Glase Château d'Yquem zu eifrig beschäftigt war, entging, ausrief:

»Sie kennen die junge Dame, ich meine die Familie, natürlich persönlich?«

»Ich habe die Ehre, öfters auf dem Hofe vorzusprechen, und, wie ich anzunehmen wage, kein geradezu ungern gesehener Gast zu sein,« erwiderte der Pfarrer.

»Und – und wie sieht – ich meine: ist die junge Dame« –

»Nicht eben schön,« sagte der Pfarrer nachdenklich, »nach meinem Geschmack fast etwas zu groß; aber von vollendeter Haltung, nur zuweilen, nach meiner demüthigen Ansicht, die Hofdame zu sehr durchblicken lassend. Der Herr Graf wissen nicht – aber wie sollten Sie auch wissen! daß Fräulein von Weißenbach ein Jahr lang Hoffräulein bei Ihro Königlichen Hoheit der Frau Herzogin gewesen ist. Vielleicht wäre es für die junge Dame besser, sie wäre nie in diese höchsten Regionen gekommen, denn, sagen der Herr Graf selbst, ein armes, blutarmes Fräulein, und wäre es, wie Fräulein von Weißenbach, vom ältesten und reinsten Adel, welche Aussichten hat es in unserer materiellen Zeit, wo das Geld durchaus keine Chimäre, sondern eine sehr respectable Realität ist! Ein armes adliges Fräulein, Herr Graf, ist in meinen Augen ein wirklich tief bemitleidenswerthes Wesen; ein, ich möchte sagen, besonders würdiger Gegenstand der christlichen Nächstenliebe.«

Hier erinnerte sich der Graf so plötzlich einiger wichtigen Geschäfte, die er noch an diesem Vormittage zu erledigen habe, daß der Pastor in dem Besuche, welchen er am Abend desselben Tages in Weißenbach auf dem Hofe abstattete, zu der Bemerkung, daß der Graf ein etwas excentrischer Herr sei, einigermaßen berechtigt war.

Zu diesem Urtheil würde der Pfarrer noch einen Grund mehr gehabt haben, wenn er gesehen hätte, wie der Graf, nachdem sein Besuch kaum den Salon verlassen, in augenscheinlicher Aufregung in dem großen Gemache hin- und her-, endlich auf die Terrasse hinausschritt, dann und wann mit Armen und Händen gesticulierend und abgerissene Worte zwischen den Zähnen murmelnd. Die Sache war, daß der Graf den geistlichen Herrn, der ihm ganz ausnehmend mißfallen, von der Dame, deren Bild er so tief im Herzen trug, nicht ohne eine Empfindung äußerster Ungeduld und ihm selbst kaum erklärlichen Widerwillens hatte sprechen hören können. Aus der himmlischen Erscheinung im Morgensonnenschein am Waldesrand war ein adliges Hoffräulein geworden mit hocharistokratischen Allüren und den Kopf voller feudaler Velleitäten und höfischer Nichtswürdigkeiten. Dazu ein Vater mit bornierten Standesvorurtheilen und der Weltanschauung eines Reichsfreiherrn aus der Zeit der Bauernkriege. Beide natürlich kirchenfromm und sich wohl fühlend in der Gesellschaft eines heuchlerischen, glattzüngigen Sykophanten, dessen Metier es ist, sie in ihren Schrullen zu bestärken.

Seit diesem Morgen war es nun, daß bei dem Grafen jener Zustand der Zerstreutheit und Gleichgültigkeit, den Boncoeur, der langohrige Hühnerhund, so tief beklagt hatte, in einen andern Zustand umschlug, den dieser bald noch aufrichtiger zu beklagen, Veranlassung fand. Des Langohrigen Unermüdlichkeit und Jagdeifer wurden auf die allerhärtesten Proben gesetzt und dabei bekam der Arme im Laufe eines Vormittages so viel böse Worte zu hören, als sonst nicht im Verlauf einer ganzen Woche. Aehnliche Erfahrungen machte die alte Haushälterin, die bis dahin den Herrn Grafen für einen Engel gehalten, machten die Handwerker, die, wie es sich jetzt herausstellte, ganz gedankenlose Menschen waren und den Herrn Grafen mit beleidigender Consequenz in seinen Anordnungen mißverstanden hatten. Schließlich befahl der Graf seinem Diener, auf Morgen früh die Sachen zu packen, damit sie endlich einmal wieder aus der langweiligen Gegend fortkämen; und als der Mann sich, höchlichst verwundert über diesen unerwarteten Befehl, entfernte, rief ihm ein Herr nach: »Und dann sagen Sie, daß man den Braunen sattelt – und, hören Sie, der Reitknecht kann mitkommen – er soll den Fuchs nehmen.«



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