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14.

Der Morgen nach der schlimmen Nacht brach trübe und stürmisch herein. Der Herbst, der so lange gezögert, war zwischen Sonnenuntergang gestern und Sonnenaufgang heute gekommen. In dem Hof tanzten die brauen Blätter wie toll um den alten Brunnen in der Mitte; der Pfau war verschwunden mit dem Sonnenschein; statt seiner kreischten die alten verrosteten Hähne auf den Wetterfahnen. Von dem Park her wehten graue Nebel herüber, die sich von Zeit zu Zeit in einem feinen Sprühregen gegen die Fensterscheiben entluden. Er war ein trüber, stürmischer Morgen.

Und doch nicht so trübe und stürmisch als die vergangene Nacht. So matt das Licht war, das durch die Dunstmassen fiel, es war doch nicht ganz Finsterniß draußen in der Natur und drinnen im Menschenherzen auch nicht. Das sagte sich Rose, während sie am Fenster stand und mit dem Kaffee, der auf dem Tisch vor dem Sopha bereit war, auf den Vater wartete; das sagte sich auch der alte Herr, als er oben vor dem kleinen Spiegel die letzte Hand an seine Toilette legte. Vielleicht hatte er denn doch zu schwarz gesehen; war es denn doch nicht das erste Mal, daß er in dem Fieber, welches ihm Aufregung und Schlaflosigkeit immer zu Wege brachten, ganz Unmögliches nicht nur für möglich, sondern für gewiß gehalten hatte. Auf jeden Fall war er es sich selbst schuldig, eine scheinbare Unbefangenheit zu bewahren.

Diesem Vorsatze getreu erschien er wenige Minuten später mit einer Miene, die er für undurchdringlich hielt, und deren gezwungene Freundlichkeit Rosen sogleich schmerzlich auffiel. War es das graue Morgenlicht, oder was war es, was ihn so matt und verfallen erscheinen ließ? Seine braune runzliche Hand zitterte, als er die Tasse hinhielt, um sie von Rosen zum zweiten Male füllen zu lassen. Rose war nahe daran, in Thränen auszubrechen, aber sie durfte sich nichts merken lassen, denn der Vater sprach mit unverkennbarer Absichtlichkeit von den gleichgültigsten Dingen in einem Tone, der heiter und unbefangen klingen sollte, und dessen schmerzliches Zittern Rosen in's Herz schnitt. Endlich setzte er sich mit der Zeitung, die den Abend vorher abgegeben war, in das eine Fenster, wie es es jeden Morgen that, während Rose mit ihrem Buche oder einer Arbeit in dem anderen saß und zwischendurch die Mittheilungen hörte, welche ihr der Vater aus der Zeitung zu machen für gut fand.

Rose fühlte sich beinahe glücklich, als sie sah, daß der Morgen ganz in alter Weise begann, wie ein Kind fast, das eine schwere Strafe erwartet hat, und zu hoffen anfängt, daß es nun doch unbemerkt durchschlüpfen werde. An ihre Liebe dachte sie wohl mit schmerzlichster Erregung, aber doch immer mit dem Bewußtsein, daß, was auch daraus werden möge, das theure, graue Haupt dort nicht noch tiefer dadurch gebeugt werden dürfe. Er konnte sie ja nicht entbehren; er konnte ja ohne sie nicht leben! Wie glücklich war er gewesen, als sie vor vier Wochen an dem Tage, als sie den Grafen zum ersten Male sah, die Einladung der Herzogin nicht annahm; wie hatte er den Verdrießlichen, Unzufriedenen gespielt, und sie doch mit Zärtlichkeit und Dankbarkeit überhäuft!

»Der Landtag ist auf den ersten November zusammenberufen,« berichtete der Vater aus der Zeitung; »man sieht wichtigen Vorlagen entgegen. Die Civilliste soll um hunderttausend Thaler erhöht und für die Kinder der Prinzeß Amelie Apanagen ausgesetzt werden. – Das ist recht, ganz recht; aber eine Schande, daß man dergleichen Familienangelegenheiten noch öffentlich verhandelt. Du müßtest wohl an die Prinzeß wieder einmal schreiben, Rose; Ihr standet doch auf einem sehr guten Fuß? nicht?«

»O, doch!« sagte Rose, »ich hatte sie recht lieb.«

»Und sie Dich auch; ich möchte nicht, daß Du deine Beziehungen mit dem Hofe ganz fallen ließest. Wer weiß, ob Du nicht einmal in der Lage bist, Dich deiner alten treuen Freunde erinnern zu müssen. – Für den Fichtenauer Kreis wird eine Nachwahl nöthig werden. Die Opposition macht alle mögliche Anstrengungen, einen Grundbesitzer, wo möglich einen adligen, dort durchzubringen, vermuthlich damit man die dummen Bauern, denen so etwas immer imponiert, desto leichter übertölpeln kann. Sehr gut ausgedacht! ich hoffe nur: es wird sich kein Edelmann zu einem so traurigen Gewerbe hergeben.«

Rose erschrack; der Graf hatte noch vor wenigen Tagen eben dieser Sache gegen sie Erwähnung gethan, und dann kurz hinterher geäußert: er habe eine Aufforderung von den Führern der Opposition bekommen, sich ihnen anzuschließen. Sie erinnerte sich, daß der Graf das mit einer sehr nachdenklichen Miene, über die sie ihn noch sehr ausgelacht, erzählt hatte. Sie hatte gemeint: der Graf müßte sich in einer Wahlversammlung in dem Kruge von Weißenbach prächtig ausnehmen, als Präsident und erster Redner, neben sich als Vicepräsident und zweiten Redner den schwarzbärtigen Wirth zum Rothen Hirschen. Was hatte der Graf doch noch darauf erwidert? »Wir können nicht alle Aristokraten sein, mein gnädiges Fräulein.« Sonderbar, daß ein Mann, dem die vornehme Geburt so auf der Stirn geschrieben stand, ein Vergnügen darin finden konnte, sich einen Demokraten zu nennen! Dieser unglückselige Landtag wird wieder ein neuer Zankapfel zwischen ihm und dem Vater werden; aber ich werde ihm alle politischen Gespräche verbieten, positiv verbieten, wenn meine Erinnerung von gestern noch nichts geholfen hat. Ob er wohl heute Nachmittag kommt? Es wäre nur in der Ordnung, wenn er sich nach dem Befinden des Vaters erkundigte.

»Was bringt man denn da?« sagte Herr von Weißenbach. Der Diener des Grafen und ein anderer Mann vom Lengsfelder Hofe trugen mit größter Vorsicht eine Kiste die Steintreppe hinauf in den Flur, wo dann der Diener den Hut abnahm und einen Brief aus der Rocktasche zog, welchen er Herrn von Weißenbach, der aus dem Zimmer getreten war, nebst einer Empfehlung von seinem Herrn überreichte.

Herr von Weißenbach kehrte mit dem Briefe in's Zimmer zurück und übergab ihn Rosen, die, an allen Gliedern zitternd, in der Nähe der Thür stand, mit den Worten:

»Ein Brief an Dich, Rose; ich vermuthe – doch lies erst und bestimme dann, was mit der Kiste, die draußen steht, geschehen soll.«

Rose nahm ihre ganze Kraft zusammen, erbrach den Brief, las ihn und überreichte ihn dann dem Vater:

»Da, Vater, bestimme Du selbst.«

Der Brief enthielt nur folgende Worte:

»Liebes Fräulein! Dem Brauch gemäß, der eine verlorene Wette am nächsten Morgen abtragen heißt, sende ich hier den schuldigen Tribut. Wenn derselbe nur in einem Stück Hausrath, das noch dazu schon über ein und ein halbes Jahrhundert in meiner Familie gewesen ist, besteht, so ist es, weil die alte Uhr über dem Kamin sowohl vor Ihren Augen als auch vor den Augen Ihres Herrn Vaters Gnade gefunden hat. Leider kann ich nicht selbst der Ueberbringer sein, da wichtige Geschäfte mich auf einige Tage zu verreisen nöthigen. Nehmen Sie die kleine Sendung gütig auf Empfehlen Sie mich Herrn von Weißenbach und behalten Sie selbst mich in freundlicher Erinnerung.«

»Ich denke, Du wirst, nachdem Du einmal A gesagt hat, nun wohl auch B sagen und das Geschenk annehmen müssen,« meinte Herr von Weißenbach.

Er hatte gefürchtet, der Brief möchte eine Liebeserklärung enthalten; der höflich kühle Ton desselben überraschte und erfreute ihn; noch mehr aber fühlte er sich dadurch erleichtert, daß der Graf in diesem Augenblick Zeit und Stimmung zu einer Reise fand.

Rose sagte nichts als noch einmal: »Bestimme Du selbst!«

Herr von Weißenbach ging hinaus, um die Leute zu bitten, die Kiste gleich nach oben in das Zimmer des Fräuleins zu tragen; Rose blieb zurück und sobald die Thür hinter dem Vater geschlossen war, stürzten ihr die Thränen aus den Augen. Was hatte sie gethan, daß er so an sie schreiben konnte, in diesen höflichen, künstlich zurecht gemachten Phrasen? Warum mußte er verreisen? gerade jetzt verreisen? er hatte gestern noch nichts von diesen wichtigen Geschäften gewußt. O, es war klar: er wollte sie vermeiden, ihr ausweichen: ihr!

Die Wangen des jungen Mädchens flammten in beleidigtem Stolz auf. Mit großen Schritten ging sie in dem Zimmer auf und ab. Ihr Busen flog; ihre Augen flammten unter den Wimpern, in denen noch die Thränen hingen. Sie hörte Schritte über sich. Man brachte die Kiste in ihr Zimmer; sie wollte sie nicht haben; sie nicht. Sie eilte nach oben. Man hatte die Uhr eben aus der Kiste herausgenommen und auf einen Tisch gestellt.

»Das paßt hier so gar nicht,« sagte Rose, »Du hast in Deinem Schlafzimmer so viel alte Meubel, Väterchen, und die Uhr würde sich auf der geschnitzten Kommode prächtig ausnehmen. Ueberdies braucht Du eine Uhr, die, wie diese, einen sanften Schlag hat und Dich nicht wieder aufweckt, wenn Du eben eingeschlafen bist, wie die große Schwarzwälder.«

Rose war so dringend, und Herr von Weißenbach war ganz glücklich, daß sie nicht größeren Werth auf das Geschenk des Grafen legte. So wurde denn die Uhr in sein Schlafzimmer gebracht. Er hatte wirklich seine Freude, als er das prächtige Werk seinem Bett gegenüber stehen sah; es war doch im Grunde eine zarte Aufmerksamkeit von Seiten des Grafen, etwas zu wählen, wovon er wußte, daß es auch dem Vater gefallen würde; ein so herrliches Stück aus der guten alten Zeit. »Freilich, freilich, eine Frivolität ist es immer, sich von einer Reliquie zu trennen, die schon über anderthalb Jahrhundert in seiner Familie gewesen ist. Nicht wahr, Rose?«

Aber Rose war bereits aus dem Zimmer, vermuthlich, um zu sagen, daß die Leute, welche die Kiste gebracht hatten, in der Küche ein Frühstück erhielten. Trotzdem aber so der Sturm, der heraufzuziehen drohte, sich dem Anscheine nach glücklich verzogen hatte, wollte die Stimmung doch eben so wenig sich aufklären, wie das Wetter, das den ganzen Tag über kalt, trübe und regnerisch blieb. Es war ein wahrer Trost, daß gegen Abend der Pastor von Lengsfeld auf seinem Einspänner herüberkam, mit Herrn von Weißenbach die gewöhnliche Parthie Piquet zu spielen. Rose war heute Abend zum ersten Male mehr als einfach höflich gegen den Pastor. Sie trieb die Freundlichkeit sogar so weit, ihm auf ein Bitten einen gewissen Choral, den er einem von ihm gedichteten Kirchenliede als Melodie unterlegen wollte, auf dem Klavier vorzuspielen. Der Pastor erschöpfte sich in Danksagungen, die Rose sehr übertrieben und sehr unbequem fand; beim Abschiede bot er ihr die Hand, was er bis dahin noch nie gewagt hatte und preßte die schlanken Finger, die sich etwas zögernd in die seine legten, so, daß die junge Dame alle Ursache hatte, ihre Herablassung zu bereuen. Auf dem Nachhausewege gebehrdete er sich äußerst sonderbar, stampfte heftig mit den Füßen, schnalzte laut mit der Zunge, lachte, sang und gab andere Zeichen einer sehr aufgeregten Stimmung, daß der Knecht, welcher das Fuhrwerk lenkte, auf den Verdacht gerieth, der Herr Pfarrer habe wieder einmal zu viel getrunken.

An dem nächsten Abend wiederholte der Pastor seinen Besuch und wenn Rose ihn niemals hatte leiden können, so fand sie ihn heute Abend vollends unausstehlich. Seine grobe Stimme ließ sich so unaufhörlich vernehmen, daß Rosen, obgleich sie sich Mühe gab, gar nicht auf sein Geschwätz zu achten, ordentlich das Herz weh that. Sie nahm deshalb nach dem Thee, als die beiden Herren ihre Parthie Piquet begannen, die Gelegenheit wahr, ging in das Wohnzimmer nebenan, setzte sich an ihren Flügel und fing an zu spielen. In dem Wohnzimmer brannte kein Licht, die Thür nach dem andern Zimmer stand auf; Rose hörte das Klappern der Karten und die abgerissenen Bemerkungen, mit denen die Spieler die Chancen des Spiels begleiteten; bald hörte sie aber auch das nicht mehr. Während ihre Finger leise über die Tasten glitten, schwebte ihre Seele auf den sanften Tönen in eine schöne Welt voll Liebe, Freude und Friede. Es war der Herbstwind nicht, der in den halbentblätterten Linden sauste; es war ein blaues, im Abendglanz leuchtendes Meer, das in sanften Wellen an ein Ufer rauschte, wo zwischen den Felsenklippen aus schattigen Hainen silberne Quellen zum Strande plätscherten. Sie stand an dem Ufer und sah die Sonne in das Meer tauchen und aus dem rosigen Himmel die goldenen Sterne hervorschimmern. Es war so schön, aber so einsam, so einsam. Und da kam er zwischen den Bäumen daher; träumend, das Haupt gesenkt, bis er vor ihr stand. Er hob das Haupt und blickte sie an mit so liebevollen, so unaussprechlich liebevollen Augen. Sie sah es wohl, wie voller Liebe diese Augen waren, und gerade weil sie das sah, sagte sie: Du bist wie sie Alle, Du liebst nur Dich! – Und das sagst Du, Du, Rose? – Und weßhalb nicht ich? ich weniger als Andere? – Weil Du es besser weißt, weil Du es besser wissen könntest, wissen müßtest; weil –

Da versank die schöne Spiegelung; ein Name, der ihr das Blut zum Herzen trieb – ein Name hatte ihr Ohr berührt. Unwillkürlich spielte sie noch leiser, als sie es schon bis jetzt gethan hatte, und jedenfalls wußte sie noch weniger als vorhin, was sie spielte.

»Von wem haben Sie es?«

»Von einem Augenzeugen, der ihn gestern Abend in Fichtenau gesehen hat. Man hatte ihn schon seit acht Tagen dort erwartet.«

»Es ist unmöglich. – Sie geben.«

»Mein Gewährsmann ist sicher. Der ganze Ort ist in freudiger Aufregung gewesen; nun, nun, das ist erklärlich. Ein hochgeborner Graf, der fünf Meilen über Land kommt, um sich seinen Wählern, Gevatter Schneider und Handschuhmacher, in Person vorzustellen; das hat man denn doch schließlich nicht alle Tage.«

»Und Sie – Sie – aber es ist ja ganz unmöglich! – Sie glauben wirklich, daß der Graf zur Opposition halten werde?«

»Umgekehrt, ich glaube, die Opposition wird sich bald an ihn halten; ein Mann von dem Reichthum des Grafen muß ja in einem Kreise mehr oder weniger abhängiger Menschen sofort der Mittelpunkt werden. Es ist ein böses Ding; wir werden dadurch Alle in eine sehr eigenthümliche Lage versetzt werden; vor allem natürlich ich; aber auch Sie, verehrter Herr, und ich glaube auch das gnädige Fräulein. Ich bedauere Sie Beide aufrichtig! Verzeihen Sie, ich hatte Coeur ausgespielt.« –

Das Spiel nahm seinen Fortgang; Rose's Hände glitten von den Tasten auf ihren Schooß; das schöne Haupt sank nach vorn und heiße Thränen tropften aus den Augen. »Also doch! Er hatte gethan, wovon er wissen mußte, daß es ihr Verhältniß heillos zerrütten, ja gänzlich zerstören werde. Was konnte ihn dazu bewogen haben? ihn bewogen haben, es gerade jetzt zu thun? gerade jetzt, wo – war dies Trotz? war es Rechthaberei? war es – ja, aber warum gestern, nachdem er so gut, so lieb zu ihr gewesen war? nachdem er so zu ihr gesprochen? – was habe ich denn gethan, weßhalb nun Alles auf einmal so ganz anders ist? was gethan? oder gesagt? – ich fasse es nicht.«

Rose weinte nicht mehr. Sie starrte düster vor sich hin; es war ihr, als ob das ganze Leben ein dunkles unheimliches Räthsel sei, und sie solle dies Räthsel lösen. Wie allein, wie allein und verlassen fühlte sie sich! Da ging der Mann, den sie liebte, seinen ehrgeizigen Plänen nach, oder schlimmer noch, fröhnte einer Laune, unbekümmert, was dabei aus ihr würde, die zu lieben er sich den Anschein gegeben hatte; da saß ihr Vater, spielte Karten und verhandelte in den gelegentlichen Pausen mit einem Manne, den seine Tochter verachtete, das Schicksal seiner Tochter!

Lauter rauschte der Nachtwind in den Linden. Die Krähen, die in den Parkbäumen hinter dem Gehöft nisteten, krächzten heiser und ungeduldig. Rose dachte an jenen sonnigen Morgen und wie in diesem Augenblick die Stätte, wo sie ihn zum ersten Male sah, und die sie seitdem wie ein Heiligthum verehrt und geliebt hatte, der wilden Nacht schutzlos preisgegeben sei. Das war das Bild ihres Lebens; ein kurzer sonniger Augenblick, den alsbald die schwarze Nacht überdeckt, ein blinkendes Sommerfädchen in der Luft, das der Sturm verweht. »Willkommen denn, Nacht und Sturm! ich hatte mir die Zukunft freundlicher gedacht; aber, wie sie auch komme, sie soll mich meiner nicht unwürdig finden.«

Der Hufschlag eines Pferdes, welches im Galopp die Straße heraufkam, machte Rose zusammenfahren. Sie kannte dieses Tempo und den leichten Tact der flüchtigen Hufe, – wie oft hatte sie auf diese Musik gelauscht! – es war der Graf! So war er doch nicht fort gewesen. Wie hätte er sonst schon wieder hier sein können!

Sie hatte sich von dem Stuhle erhoben, und stand, an allen Gliedern zitternd, die Hand auf den Flügel stützend, da, unfähig, sich zu regen, oder einen Ton von sich zu geben. Sie hörte, wie die Pforte in dem Thor geöffnet wurde und den Klang des Bügels, der gegen das Thor schlug; dann das Klappern der Eisen quer über den Hof weg nach dem Stall, dann seinen schnellen Schritt unter den Fenstern und die Treppe herauf. Ein Klingeln an der verschlossenen Thür! – »Wer kann denn das noch sein, Rose?« fragte der Vater. – »Ich glaube, der Graf« antwortete Rose, ihre ganze Kraft zusammennehmend. »Ei, das wäre!« sagte der Pastor, »so spät? Freilich, es ist erst halb neun; wie schnell der Abend bei Ihnen vergeht! Aber für mich ist es allerdings die höchste Zeit; ich habe Morgen eine Schulvisitation in Bolau und Gommern. Da heißt es früh auf dem Platz sein.«

Der Pastor hörte gar nicht auf Herrn von Weißenbach, der ihn ungewöhnlich dringend noch dazubleiben bat; es schien ihm Alles daran gelegen, in dem Augenblick, wo der Graf ins Zimmer treten würde, bereits im Aufbruch begriffen zu sein; und wirklich hatte er schon den Hut und die schwarzen Handschuh in der Hand, als Wenzel dem Grafen die Thür öffnete.

» Quand on parle du loup! Noch so eben, mein Herr Graf, habe ich mit den gnädigen Herrschaften von Ihnen gesprochen. Hoch erfreut, Sie so bald wieder hier zu sehen, trotz der schlechten Wege. Aber das erinnert mich, daß ich nicht länger weilen darf. Mit Gott, verehrter Herr von Weißenbach! Mein gnädiges Fräulein – Herr Graf, Ihr ganz unterthänigster Diener.«

Mit diesen Worten und manchen ungeschickten Verbeugungen drängte sich der Pastor an dem kaum eingetretenen Grafen vorbei zur Thür hinaus.



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