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7.

Rose blieb einen Moment auf der Schwelle stehen; dann eilte sie mit einem leichten Nicken ihres Hauptes nach dem Grafen hin an diesem vorüber auf den Vater zu, der sie leicht in seine Arme schloß und auf die Stirn küßte. Dann wandte sie sich wieder zum Grafen, nickte nochmals mit dem Kopfe – diesmal aber freundlicher – und sagte mit heiterm Ton:

»Wir sind alte Bekannte, der Herr Graf und ich.«

Bei diesen Worten reichte sie ihm ihre Hand hin.

Des Grafen Hand zitterte ein wenig; der Moment, dem er zuletzt fast schmerzlich entgegen geharrt hatte, war ihm nun doch zu schnell gekommen, und war schöner und lieblicher gekommen, als er es je gehofft. Jetzt erst sah er, wie sehr ihn sein Gedächtniß betrogen, was es ihm Alles unterschlagen hatte. Diese Fälle lieblichster Einzelnheiten in Stimme, Sprache, Haltung und Gebehrden – wie stumpf und reizlos war im Vergleich dazu das Bild seiner Phantasie gewesen! Und wie hatte er nach der ersten und einzigen Begegnung einen so freundlichen Empfang erwarten können! erwarten können, daß sie ihm die Hand reichen, ihn einen alten Bekannten nennen werde! Der Graf war sehr glücklich.

Rose war es fast nicht minder. Sie freute sich, daß der Graf gekommen, ihres Vaters wegen, dem es sehr schmerzlich gewesen war, von dem Sohne seines Jugendfreundes so vernachlässigt zu werden; sie freute sich seines Kommens, weil die Stimme, die ihr zugeflüstert: Du hast ihn nicht zum letzten Male gesehen, nun doch recht gehabt; sie freute sich, daß er hier war, weil sie nur eben erst so lebhaft an ihn gedacht hatte.

Herr von Weißenbach wiederholte seine Einladung, dazubleiben und das Abendbrot mit ihnen zu essen. Rose blickte unter ihren langen Wimpern hervor in das Gesicht des Grafen, auf welchem sich die Verlegenheit, nun doch eingestehen zu müssen, daß er nicht nur (was er vorhin geleugnet hatte) bleiben könne, sondern auch nichts weniger als ungern bleibe, so deutlich ausprägte, daß die junge Dame sich des Lachens kaum erwehren konnte.

»Bleiben Sie nur, Herr Graf,« rief sie, »Sie sehen wirklich etwas angegriffen aus, und Ihren Pferden wird eine Stunde Ruhe auch nicht unwillkommen sein.«

Der Graf verbeugte sich; der alte Herr schlug sich vor die Stirn.

»Es ist unglaublich!« murmelte er, »daß ich es vergessen konnte; der Wenzel denkt aber auch an nichts.«

Er riß heftig an der Klingel.

»Laß' es gut sein, Väterchen,« sagte Rose, »ich will's ihm sagen; die Herren müssen mich ein paar Minuten entschuldigen, bis das Theewasser kocht.«

Es war ein glücklicher Abend, den der Graf verlebte; er hatte nicht gewußt, daß in seinem Herzen solche warme Quellen von Freudigkeit verschlossen seien. Ueber Tisch fiel ihm ein, wie arm er noch vor wenigen Stunden gewesen, und da erschrack er zuerst und dann mußte er lächeln, wie ein plötzlich reich Gewordener, wenn er an die vergangene Noth und Verlegenheit zurückdenkt. Selbst die Umgebung: die wunderlichen alten Meubeln, mit denen auch das Gemach, in welchem sie den Thee einnahmen, ausgestattet war, die phantastischen Schildereien von gezierten Göttern und Göttinnen, Schäfern und Schäferinnen mit ihren Heerden, welche hier, anstatt der Portraits im Wohngemach, die Wände bedeckten; die geblümte Theekanne von Dresdner Porzellan, aus welchem Rose den duftigen Trank in ebenfalls geblümte, seltsam geformte flache Tassen mit großen Unterschaalen goß; der Armleuchter von Krystall, auf welchem drei sehr bescheidene Lichter brannten – es war dem Grafen, als hätte er das Alles von jeher gekannt, als hätte er schon unzählige Male von dieser Tischdecke, in welche das Abendmahl Leonardo da Vincis und die Jahreszahl 1729 gewebt war, gegessen. Der Graf war zu glücklich, um sehr gesprächig zu sein, obgleich er auf schickliche Weise einen Theil zur Unterhaltung beitrug; aber auch wenn er von seinen Reisen erzählte, oder dem alten Herrn eine Gewissensfrage über seine Ansicht in Betreff der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Steuer auf Kaffee und Thee beantworten mußte – immer suchten seine Augen die Augen Rose's, die den ganzen Abend ihren lustigen, schelmischen Ausdruck beibehielten. Ja, er glaubte zu bemerken, daß Fräulein von Weißenbach es förmlich darauf anlegte, ihn zum Widerspruch zu reizen und immer eifriger wurde, als er ihr fortwährend mit höflichen und zierlichen Wendungen auswich.

Nach dem Thee, als sie sich in das Wohnzimmer zurückbegeben hatten, ersuchte er sie ein wenig auf dem Flügel (der, wie er bei dieser Gelegenheit erfuhr, ein Geschenk der Herzogin war), vorzutragen, aber Rose schlug es ab.

»Wir werden Sie hoffentlich öfter – recht oft bei uns sehen,« sagte sie, »und man darf seine Tugenden und Talente nicht gleich das erste Mal vollständig zeigen und ausgeben. Freilich, wenn Sie die italienische Reise, von der Sie bei Tisch sprachen, wirklich noch in diesen Tagen antreten wollen –«

Sie legte die Hand auf den Flügel und blickte den Grafen mit einem so schelmisch-herausfordernd-ungläubigem Lächeln an, daß dieser sich beeilte, zu versichern, wie die Reise nach Rom durchaus nicht pressire, und wie jetzt, nachdem er so freundliche, liebenswürdige Nachbarn gefunden, der Gedanke, längere Zeit, vielleicht lange Zeit in seiner Heimath zu bleiben, durchaus nichts Schreckliches mehr für ihn habe.

Rose machte einen tiefen Knix und sagte mit niedergeschlagenen Augen: »Der Herr Graf ist sehr gütig.«

So, und nachdem er noch einmal für einen Moment ihre Hand in der seinen gehalten, und die Einladung des Vaters, recht bald auf Weißenbach wieder vorzusprechen, mit dankbarer Verbeugung angenommen hatte, schieden sie von einander. Der Graf bestieg sein Pferd und ritt in die warme, mondenhelle Nacht hinein, die Brust voll von einer Seligkeit, die ihn stumm machte; Rose setzte sich, nachdem der Vater, der regelmäßig um zehn Uhr zu Bett ging, sie verlassen, an den Flügel, und spielte, wie sie es immer that, wenn irgend Etwas ihre Seele mehr als gewöhnlich aufgeregt hatte, ihre liebsten Stücke. Der Wächter vom Dorf, der sich, wie die meisten seiner Landsleute, eines guten musikalischen Ohres erfreute und stundenlang auf einem der Steinpfeiler vor dem Hofthore sitzend, dem Spiele Rose's lauschen konnte, meinte: das Fräulein habe noch nie so schön gespielt, wie heute Nacht.



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