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12.

Der Graf war auf derselben Stelle stehen geblieben; seine Seele war voll Zorn, wie eines Löwen Seele, dem das Geheul eines Schakals die nahe Beute verscheucht hat. Er hätte am liebsten in die Erde sinken mögen. Dann, als das Geräusch des Wagens gänzlich aufgehört hatte, überkam ihn eine Wehmuth, wie er sie nie gekannt. Es war ihm, als ob auf einmal Alles, was dem Leben Reiz und Schönheit gibt, auf ewig verschwunden und die Welt eine einzige fürchterliche Oede sei.

Gesenkten Hauptes schritt er von dem Hof in den Garten zurück, aus dem Garten in den Speisesaal, wo er noch Alles fand, wie die Gesellschaft es verlassen. Er warf sich in den Stuhl, auf welchem Rose gesessen; er nahm das Glas, aus dem sie getrunken und küßte es; dann setzte er es so heftig wieder auf den Tisch, daß es in Stücke zerbrach.

»Wie ist es möglich, so zum Sklaven seiner Leidenschaft zu werden! Ich glaube, ich könnte vor ihr auf die Knie fallen, und sie anflehen, mich nur den Saum ihres Kleides küssen zu lassen. Was ist aus mir geworden? Bin ich noch ich? Gehöre ich denn noch mir selbst? Macht sie aus mir nicht, was sie will? Werde ich nicht noch nächstens meinen Glauben abschwören und bekennen, daß August der Starke ein Wohlthäter seines Volkes war und die Tyrannei die einzige, eines erleuchteten Jahrhunderts würdige Staatsform ist? Erbärmlicher Heuchler, der ich bin! Wie sie mich ansah! mir bebte das Herz; ich war glücklich, daß sie glücklich war, daß ich sie glücklich machen konnte, blos dadurch, daß ich schwieg? Wie lange wird es dabei bleiben?«

Der Graf stützte den Kopf auf die Hand; ein tiefer Unmuth bemächtigte sich seiner immer mehr. Er murmelte Verwünschungen gegen den Pastor, und in demselben Moment empfand er doch eine gewisse Genugthuung darüber, daß zwischen ihm und Rose das letzte Wort noch nicht gesprochen, daß er noch immer frei war. Sollte er die Freiheit, die man selbst dem Sklaven nicht rauben kann, die Freiheit des Denkens aufgeben einem schönen Mädchen zu Gefallen, das seinerseits wieder einem murrköpfigen Greise zu Gefallen nicht frei zu denken wagte? War das nicht doppelte Sklaverei? – Und wenn sie Dein wäre –

Der Graf sprang auf.

Wenn sie Dein wäre – würde nicht jede Stunde ihren Triumph vollständiger machen! würden ihre süße Liebenswürdigkeit, ihre holde Anmuth nicht jeden Trieb zu männlicher That in Dir ersticken? würdest Du etwas Anderes wollen, als für sie, für sie, und nur für sie leben, die wiederum nur für ihren Vater lebt? Herkules an dem Spinnrocken der Omphale! nein, nicht einmal das! der Schmeichler von Omphale's altem Vater, aus Liebe zur Tochter zum Lügen gezwungen. Wie oft würden solche Scenen stattfinden, wie vorhin! wie oft würde ich meine Herrin und Meisterin, die Wahrheit, verleugnen müssen! Ein Held bin ich nie gewesen, dem Himmel sei's geklagt! aber doch war mein sonstiges Leben eine Heldenlaufbahn im Vergleich der sybaritischen Trägheit dieser letzten Wochen. Da liegt schon seit acht Tagen der letzte Brief, in welchem mich das Wahlcomité noch einmal dringend – es ist erbärmlich, und Alles das um Hekuba! nein! nicht um Hekuba! um ein süßes, einziges Geschöpf! – um ein Mädchen, das – nun ja, um ein Mädchen, das heißt, um ein Wesen, das lacht und scherzt und schmollt und lieblich ist und uns bei Leib und Leben verbietet, wie Männer zu denken und zu handeln. Fort, fort!« –

Der Graf schlug sich vor die Stirn; er war ganz außer sich; er ging mit großen Schritten in dem Gemache auf und ab, mit den Händen heftig gestikulierend, bald Roses Namen im Ton zärtlichster Liebe flüsternd, bald mit rauhen Worten sich einen Unwürdigen, einen Feigling, einen Schwächling scheltend.

Das Eintreten des Dieners, welcher die Tafel abräumen wollte, brachte ihn endlich so weit wieder zu sich, daß er, äußerlich ruhig, in sein Studierzimmer ging, wo auf dem Schreibtische bereits die Lampe brannte. Er nahm eine Geschichte des Bauernkrieges zur Hand, in welcher er an jenem Morgen, als er Rosen an dem Parkrande unter den Ahornbäumen sah, zuletzt gelesen hatte. Anfangs schwammen ihm die Buchstaben vor den Augen, und was er las, hatte keinen Sinn für ihn; allmählig aber fing der leere Rahmen an, sich zu füllen; Gestalten über Gestalten traten hervor und begannen den brudermörderischen Kampf um Mein und Dein, um Tod und Leben. Das Ritterschwert trieft von Bauernblut, der Bauernspieß zittert in des Ritters Brust, dazwischen leuchten die Flammen brennender Dörfer und Edelsitze den bleichen Weibern und heulenden Kindern, die sich in die Wälder flüchten und von nachsetzenden Reitern niedergemetzelt werden. Tableau an Tableau – eines grausiger, als das andere, und zuletzt, als Schluß, die Tyrannei, die mit höhnischem Lachen ihren Fuß auf den Nacken der in den Staub getretenen geschändeten Menschheit jetzt …

Als der Graf das Buch leise zuklappte, war es schon tief in der Nacht. Er blieb, den Kopf in die linke Hand gestützt, sitzen; dann ergriff er eine Feder, und schrieb auf ein Blatt, das neben einem Buche lag:

»Der sucht umsonst nach dauernder Befriedigung, der nur sich selbst, und wäre es in aller Demuth und Rechtschaffenheit, lebt.

Es giebt kein Glück, als nur in dem Kampf für das, was allen Menschen zugetheilt ist, zugetheilt sein muß, sollen sie menschlich leben.

Siegen wir in diesem Kampf, so haben wir Niemanden verwundet, als, wer keine Schonung verdiente; unterliegen wir, so können wir ruhig sterben, denn andere und stärkere Hände werden die Waffen, die den unsern entfallen, wieder aufnehmen.

Freundschaft, Liebe – das ist wohl schön und gut; aber, wie es in der Schrift heißt: Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches Alles zufallen.

Und fällt es euch nicht zu, nun! in dem Reiche Gottes werden die Armen selig sein!

Ich schäme mich meiner Thatlosigkeit. Was habe ich für meine Brüder gethan? ich habe ihnen nur nichts Böses gethan! aber Gutes? welches Gute? und Gutes nach meinen Kräften? habe ich die Schulter an's Rad gestemmt? oder nicht vielmehr daneben gestanden und die Achseln gezuckt: es rückt ja doch nicht aus der Stelle!

Meine Seele ist tief betrübt. Wie kann der genießen wollen, der nicht gearbeitet hat! er ißt und trinkt sich selber das Gericht.

Wie kann der ruhen wollen, der kein Recht hat, müde zu sein! das Bewußtsein seiner Unwürdigkeit würde ihn selbst aus den Armen der Liebe aufschrecken.

Morgen, morgen! ich wollte es wäre Morgen! –«



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