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13.

Es war ein eigener Seelenzustand, in welchem Rose an der Seite ihres Vaters (der Pastor war vor dem Hofthore der Pfarre abgestiegen) durch den kühlen Herbstabend nach Hause fuhr. Wohl wogte in ihrem Herzen die Seeligkeit, zu wissen, daß sie geliebt werde, daß sie liebe; aber sofort mischte sich in diese Seeligkeit ein dumpfes Gefühl des Schmerzes, eine trübe Ahnung von bevorstehendem Leid – und diese ängstlichen Empfindungen wurden mit jedem Augenblicke stärker und stärker. Sie hätte sich in ihre Ecke zurücklehnen und recht ausweinen mögen. Und wenn sie den trüben Blick seitwärts auf den Vater wandte, der in seinen alten blauen Mantel gehüllt, still und ernst, halb von ihr abgewendet, in die Dämmerung hinausschaute, so wußte sie auch, warum sie in diesem Augenblick nicht glücklich sein konnte. Ihre Liebe zum Grafen war so allmählig und so stetig in ihrem Herzen gewachsen, wie das Frührothlicht allmählig und stetig in Tagesklarheit übergeht. Sie hatte kaum jemals gedacht, daß diese Liebe, in der sie sich so glücklich fühlte, eine Veränderung in ihren Verhältnissen hervorbringen müsse; am wenigsten hatte sie daran gedacht, daß diese neue Liebe die Liebe zum Vater berühren oder gar schädigen könne. War sie in ihrem Glück doch froher gewesen, als sonst! war ihr doch Alles so viel leichter geworden! hatte sie doch mit dem Vater plaudern können, wie noch nie! Wie sollte das jemals anders werden! Und nun! weshalb konnte sie die runzlige Hand nicht ergreifen und an ihre Lippen drücken, wie sie es sonst so oft that? weshalb konnte sie ihren Kopf nicht an die Schulter des alten Mannes lehnen, und ihm das Geheimniß, das ihr fast das Herz sprengte, unter Weinen und Lachen ins Ohr flüstern? Weßhalb war ihr heute die Schweigsamkeit des Vaters so peinlich? war er nicht oft so, tage- wochenlang so, ohne daß sie sich darüber Sorgen gemacht hätte? warum konnte sie heute Abend nicht fragen: ob ihm etwas fehle? ob er seinen alten Kopfschmerz in der linken Schläfe habe?

Und dann kam die Erinnerung des eben Erlebten mit einer Gewalt über sie, vor der jedes andere Gefühl schweigen mußte. Jedes seiner Worte, jeder seiner Blicke, – sie hatte nichts, nichts vergessen. Wie zartfühlend, wie schön und wie gut war er doch! Und wie hatte eine tiefe Stimme gebebt, als er zuletzt sagte: Weil Du es besser weißt, Rose, besser wissen könntest, wissen müßtest – was? daß ich Dich liebe, wie Du mich liebst. – Das »Du« von seinen Lippen – es klang so süß! und wurde ihm so schwer!

Und Rose lächelte in sich hinein, wie ein glücklich spielendes Kind, und wurde dann plötzlich wieder ernst.

Der Vater schaute noch immer mit derselben stillen bekümmerten Miene in die Dämmerung hinaus.

Rosen fing an zu frösteln; sie war froh, als der Wagen kurz vor dem Hofe von dem Feldwege auf die Landstraße bog und sie nach einigen Minuten bei ihrer Wohnung anlangten.

»Laß mir den Thee auf mein Schlafzimmer bringen,« sagte der Vater, als sie ausgestiegen waren; »ich fühle mich doch etwas angegriffen und möchte gleich zu Bette gehen.«

Es war offenbar, daß der Vater allein zu sein wünschte; er hatte sich sonst mit eingestandenem Behagen dergleichen Dienste stets von Rose selbst leisten lassen, die ihn – wie oft schon! – in seinen Krankheiten gepflegt, und stundenlang vor seinem Bett, auf dem Rande seines Bettes gesessen hatte, ihm vorlesend, mit ihm plaudernd, ihm seine Grillen, eine Launen, seine Sorgen wegkosend, wegscherzend. Welche Kluft hatte sich denn nun auf einmal zwischen ihnen aufgethan? Rosen stürzten die Thränen aus den Augen, als der Vater, ohne sie, wie sonst, auf die Stirn zu küssen, mit einem kurzen: gute Nacht! aus dem Zimmer gegangen war und sie nun seinen schweren Schritt auf der knarrenden Treppe hörte. Auf dem ersten Absatz war es ihr, als ob er stehen blieb; sie stürzte nach der Thür und riß sie auf:

»Darf ich Dich nicht hinauf begleiten, Vater?«

»Ich danke; ich möchte allein sein.«

Rose ging wieder in die Wohnstube zurück; sie setzte sich, nachdem sie Wenzel mit dem Thee hinaufgeschickt, an den Flügel, aber es war ihr heute unmöglich zu spielen; sie stützte die Stirn in die Hand und ihre Thränen tropften auf die Tasten. Daß ein so schöner Tag so trübe enden mußte! – Der Wind hatte sich noch stärker aufgemacht und sauste in den Linden vor dem Thore und klapperte mit den Jalousien. So einsam, so verlassen hatte sich Rose noch nie gefühlt. Sie dachte an ihre Mutter, die ihr so früh, so früh gestorben war, und welche Seeligkeit es sein müßte, sein Haupt in den Schooß einer Mutter legen, und in ein Herz, dessen treue Liebe keine Grenzen kennt, die ganze Fluth der Gefühle, die im eigenen Herzen sinnverwirrend wogt, ganz ohne Rückhalt ausschütten und ausweinen zu können.

Endlich schlich sie sich leise, leise, um den Vater nicht zu wecken, die Treppe hinauf in ihr Zimmer, aber es dauerte lange, ehe ihr der Schlaf auf die thränenbenetzten Wimpern sank. Als sie schon halb entschlummert war, fuhr sie noch einmal auf, denn es war ihr, als ob der Vater sie gefragt habe: was hat der Graf Dir gesagt? und dann athmete sie tief und legte beruhigt den Kopf wieder auf das Kissen. Der Graf hatte ja nichts gesagt, was sie nicht anders auslegen konnte, wenn sie wollte; wenn es der Vater wollte, wenn es für die Ruhe des guten alten unglücklichen Mannes nöthig war, daß sie ihm ihre eigene Ruhe, ihr eigenes Glück zum Opfer brachte.

Unterdessen lag Herr von Weißenbach ebenso schlaflos auf dem harten bescheidenen Lager, welches Sommer und Winter seine Ruhestätte war. Heute fand er keine Ruhe, so oft er auch das graue Haupt bald auf diese bald auf jene Seite legte, oder sich im Bette aufsetzte und nach dem Fenster starrte, ob durch das Herz, das in den Laden geschnitten war, der Morgen noch immer nicht hereindämmern wolle. Er zündete Licht an und überzeugte sich, daß, seitdem er zuletzt nach der Uhr gesehen, erst eine halbe Stunde verflossen sei, und er noch immer vier bis fünf Stunden Zeit zum Nachdenken habe. Und doch wollte es trotz alles Nachdenkens nicht klarer in seinem Kopfe werden, und doch wollte das alte leidenschaftliche Herz nicht ruhiger und geduldiger schlagen! So sollte es also sein: er sollte sie verlieren! nein: er hatte sie schon verloren! Sie liebte den fremden Mann, den sie seit vier Wochen kannte, besser, als ihren alten Vater, der sie gehegt und gepflegt und geherzt hatte von Kindesbeinen an. Er hätte nicht so spät heirathen sollen; und dann war es nicht ein Wahnsinn, daß er all' seine Liebe dieser Einen geschenkt? Aber großer Gott: er hatte ja nur diese Eine! In ihr war ihre Mutter, die er so sehr geliebt, wieder aufgeblüht, nur viel schöner und prächtiger. In ihrer Liebe sich zu sonnen – das war das höchste, reinste Glück seines Lebens gewesen in den Tagen, wo er noch reich war und in ungebrochener Kraft stand; und nun, da er arm war, und Armuth und Kummer seine Haare vor der Zeit gebleicht und das Blut in seinen Adern erkältet hatten – jetzt in den Jahren, wo selbst die Reichen und Mächtigen anfangen, eifersüchtig auf ihre Schätze zu werden, deren Besitz jeder Tag in Frage stellt – jetzt sollte er das Beste, das Kostbarste, sollte er verlieren, was in sein altes verwittertes Leben einzig und allein noch Licht und Wärme trug? Freilich, er hatte sich schon seit lange vorbereitet auf diesen Verlust; er hatte sich oft genug gesagt, daß ein so hochbegabtes, schönes, glänzendes Geschöpf nicht geboren sei, ihr Leben in der Oede eines abgeschlossenen ländlichen Aufenthalts an der Seite eines griesgrämigen alten Mannes zu vertrauern; daß er sie für das Opfer ihrer Jugend, das sie ihm brachte, entschädigen müsse, und daß Armuth und ein alter adliger Name, der allen Klang verloren hatte, eine schlechte Entschädigung sei. Was hatte er sich nicht gesagt! er glaubte sich auf Alles gefaßt – und fühlte sich nun so hülflos, so trostlos! Wenn sie doch nur noch die paar Jahre gewartet hätte! vielleicht war es gar nicht mehr so lange; vielleicht überlebte er diesen Winter nicht einmal mehr; er hatte sich noch in keinem Herbst so schwach und krank gefühlt, wie in diesem. Und eine solche Zeit, wo er der Schonung so bedurfte, mußte sie sich wählen, ihn so zu kränken, so auf den Tod zu betrüben. O, es war grausam, grausam!

Aber hatte er sich denn auch nicht getäuscht? war nicht Alles ein Gaukelspiel seiner Phantasie? Unmöglich! er hatte es ja kommen sehen, all' diese Zeit; hatte diese Liebe wachsen und wachsen sehen, wie eine Gewitterwolke, die ihre schwarzen Flügel weiter und weiter und zuletzt über den ganzen Himmel spannt. Es hätte des heutigen Tages gar nicht mehr bedurft, um ihn davon zu überzeugen, daß sein Reich zu Ende und der neue junge König auf den Thron gehoben sei. Ganz so deutlich hätten sie doch ihr Spiel nicht spielen dürfen, wenn sie wünschten, nicht entdeckt zu werden. Glaubte denn der Graf, ein alter Mann habe alles und jedes Verständniß für die stumme Sprache der Blicke verloren? und nun zuletzt dieses kokette Spiel mit dem Vielliebchen und mit dem Du! es war abscheulich!

Der Pastor hatte sich nichts Arges dabei gedacht; er ist ein bescheidener junger Mann, der seine Stellung vollkommen begreift; er hatte es gut gemeint, der arme Mensch; hatte den Beiden Muth machen wollen, in der festen Ueberzeugung, daß ich diese Liebe so gut gesehen habe, wie er, und vollkommen sanctionire. Weshalb soll ich diese Liebe sanctionieren? weshalb? weshalb?

Der alte Mann warf den brennenden Kopf hinüber und herüber auf das zerdrückte Kissen; der unbarmherzige Schlaf wollte nicht kommen.

Und wer ist nun dieser Mann, der ihr Gott geworden ist? Ein Freidenker, ein Atheist, ein Republikaner, einer dieser modernen Phantasten, die sich einbilden, sie können die Welt von Neuem aufbauen, nachdem sie Alles, was ihre Väter ehrten und schätzten, unter die Füße getreten haben. Was er da heute Mittag von dem Fortschrittsrad sagte, das war so recht der Schlüssel zu seinen geheimsten Gedanken. Wie paßt dazu. Alles, was er nach und nach von seinen tollen Ideen zum Besten gegeben hat, doch so vortrefflich! Wo waren meine Augen, daß ich diesen Mann nicht mit dem ersten Blick durchschaute, daß ich diesen Abtrünnigen, diesen Verräther an unserer guten alten Sache jemals als den Sohn seines Vaters in meinem Hause bewillkommnen, als wäre er mein eigener Sohn, an das Herz drücken konnte! Blöder Thor, blinder alter Narr, der ich war!

Und ihn sollte ich meinen Sohn nennen? ihm sollte ich meine Rose geben, damit sie meiner spotte, wie er jedenfalls heimlich sich über mich lustig macht? Ist denn irgend etwas diesen Menschen heilig? warum sollte er Rosen nicht anleiten, mich zu verachten, wie er selbst seinen Vater, seinen Großvater, seine Vorfahren alle, die sämmtlich echte Edelleute gewesen sind, verachten muß? Und von dieses Mannes Gnade sollte ich leben? von ihm sollte ich mir die Gunst erbetteln müssen, mein Kind einmal sehen zu dürfen, in der er selbst, wenn eine blinde Leidenschaft verflogen ist, auch nur eine Bettlerin sehen wird? Wenzel hat mir gesagt, daß seine Leute sich über mein Pferd, meinen Wagen, meinen alten Mantel lustig gemacht haben. Warum auch nicht? wie der Herr, so die Knechte. Lieber, als daß ich meine ehrlichen Beine wieder unter seinen Tisch setze und mir meine Kniee an seinem Kamin wärme – lieber will ich hungern und frieren und draußen auf der Landstraße hinter einem Zaun sterben …

Das Licht, das sich der alte Mann wieder angezündet hatte, war niedergebrannt, das letzte Flämmchen erlosch zischend im Sockel. Durch die Linden sauste der Nachtwind und wirbelte die trockenen Blätter gegen die klappernden Fensterladen. Und der alte Mann schlief ein und träumte: er sei gestorben und läge frierend und hungrig im Sarge, und seine Rose und der Graf säßen an einer reichen Tafel, lachend und kosend und sein nicht achtend.



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