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An Frau Sophie Lundt.

Niemand, liebe Schwester, kann besser wissen, als ich, wie abhold Dein gerader und bescheidener Sinn jeder öffentlichen Demonstration eines herzlichen Verhältnisses ist. Wenn ich Dir nichtsdestoweniger, indem ich Dir dieses Buch widme, vor den Leuten ein Zeichen meiner Liebe gebe, so ist das eine Art von Revanche dafür, daß Du mir in einem Deiner Briefe »im Namen der Frauen« vorgeworfen hat: ich verweile in meinen Romanen mit einer gewissen Vorliebe bei den unliebsamen und oft unliebsamsten Seiten des weiblichen Wesens, ja ich erwecke manchmal den Verdacht, als könne ich mir eine bedeutendere Frau von ungetrübter Reinheit des Charakters und der Sitten gar nicht denken. – Nun erwiderte ich freilich darauf, daß meine Liebe zu Dir der beste Beweis vom Gegentheil sei; ich führte auch das Wort an, welches Goethe, ich glaube, von Eduard in den Wahlverwandtschaften sagte: ich liebe dergleichen Charaktere auch nicht, aber ich brauche sie eben; – vergebens! Du schütteltest noch immer Dein liebes, kluges Haupt, und schriebst mir, daß Du für Dein Theil nie an mir gezweifelt habest, daß Du aber im Interesse der zärtlichen Gewissen, für die Du plaidirtest, mit meiner Vertheidigung nicht zufrieden sein könnest, daß ich der Welt (nämlich dem mikroskopischen Fragment derselben, die mich lese) für die vielen gebrochenen und gemischten weiblichen Charaktere eine »schöne Seele in unserm Sinn«, einen reinen ungebrochenen Charakter schuldig sei.

Diesem Deinem Wunsche nun verdankt diese Novelle ihre Entstehung. Das Thema derselben ist die unendliche Güte, die goldige Reinheit, die sittliche Hoheit und Souveränetät einer edlen Frau; alles Andre ist im Grunde nur Accompagnement, Beiwerk, Relief – so sehr, daß ich fürchte, in Beziehung auf das Ganze, als ein Kunstwerk, vor den Augen unserer erleuchteten, gerechten und milden Kritik schlecht zu bestehen. Sie wird die Erfindung arm nennen, einen beklagenswerthen Mangel an » excitement« entdecken, und eine unverantwortliche Armuth an weltbewegenden Ideen in der Novelle constatieren. Ich höre schon die spitzen Federn schnarren; ich könnte mir beinahe einbilden: ich wäre Opfer und Opferer in einer Person und hätte mich selbst nach allen Regeln der Kunst umzubringen. Doch weg mit diesen selbstmörderischen Gedanken!

Laß mich lieber der einzigen, unvergessenen und unvergeßlichen Tage gedenken, wo ich Dir meine ersten dichterischen und philosophischen Versuche brachte; wo ich, in täglichem trauten Verkehr mit Dir, von Deinen beredten Lippen so manches Wort des Zweifels, des Tadels, der Aufmunterung und des Lobes hörte. Damals dachte ich noch weniger als jetzt an die große Welt; Du warst mir Publikum und Kritik; ich schrieb, weil es mir ein Bedürfniß war, zu schreiben, weil ich mich freute, wenn ich in den frischen Kranz Deines jungen, schönen Lebens auch nur eine bescheidenste Blüthe flechten durfte. Wie erschienen mir meine lieben Dichter und Denker doppelt schön und herrlich, nun, da ich sie mit Dir lesen, da ich sie Dir interpretieren konnte, Dir, die Du ein Verständniß für Alles hattest, Dir, der es so »leicht zu folgen« war! Es waren schöne Tage! sie sind vergangen – auf Nimmerwiederkehr!

Auf Nimmerwiederkehr! Eine tiefe Wehmuth ergreift mich, wenn ich das denken, wenn ich mir sagen muß, wie wenig, wie entsetzlich wenig oft Menschen, die sich sehr lieben, einander sein können! Aber ich will nicht klagen; will mit meinem angebeteten Dichter sagen: ich besaß es doch einmal!

Leb wohl, geliebte Schwester! Gedenke, während Du dies Buch liest, mein, wie ich Dein gedachte, als ich es schrieb.

Berlin, im Mai 1864.

F. S.


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