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8.

Des Grafen italienische Reise schien in diesem Herbst nicht mehr zur Ausführung kommen zu sollen, wenigstens erhielt der Diener Befehl, die schon gepackten Koffer wieder auszupacken, und es war auch sonst nicht weiter von dem Projekte die Rede. Dagegen wurden die Pläne, welche der Graf zu einer wohnlicheren Einrichtung des Schlosses gemacht hatte, noch ernstlicher als zuvor in Angriff genommen; aber die Arbeiter bekamen von dem Morgen des Tages, nachdem der Graf drüben in Weißenbach gewesen war, kein böses Wort mehr zu hören; eben so wenig die Haushälterin, oder die Diener, oder Boncoeur, der in seiner Ueberzeugung von der unberechenbaren Launenhaftigkeit eines Herrn dadurch nur bestärkt wurde. Es war ganz erstaunlich, wie sehr dem Grafen der Zustand seiner Besitzungen plötzlich ans Herz gewachsen war; welche Menge von neuen Einrichtungen aller Art sein Kopf im Verlaufe von einer einzigen Woche ausdachte! und was war am Ende natürlicher, als daß der Graf, welcher bei all' seinen staatsökonomischen und statistischen Kenntnissen und bei all' seinem guten Willen für die Amelioration seiner Güter, denn doch, streng genommen, in der praktischen Landwirthschaft ein Neuling war, von Zeit zu Zeit nach Weißenbach hinüberritt, um seinen älteren Freund, dessen Einsicht in diesen Dingen sehr gerühmt wurde, betreffenden Falls um Rath zu fragen. Da der Graf den Tag über so sehr beschäftigt war, konnte er selten vor Abend sein Pferd satteln lassen, und so geschah es, daß manchmal, während er noch mit Herrn von Weißenbach in der Wohnstube conferierte, nebenan in dem Eßzimmer die Theesachen anfingen zu klappern, was dann zur Folge hatte, daß der Braune ein oder auch zwei Stunden länger in dem Stall auf seinen Herrn warten mußte. Der Graf kannte die Gelegenheiten des Hofes bereits so gut, daß, wenn er bei seiner Ankunft Niemanden zu seinem Empfange fand, er sein Pferd selbst neben dem einzigen Pferde des Herrn von Weißenbach – einem hohen, starkknochigen Rappen, der stets mit hintenübergelegten Ohren nach dem Ankömmling schnappte – an die Krippe band, zur großen Entrüstung des alten Wenzel, der darin einen Eingriff in seine Rechte sah. Der Graf hatte sogar schon einen bestimmten Platz an dem Theetische, und es beunruhigte ihn eines Abends sehr, als Wenzel in der Zerstreuung, in welcher sich der alte Mann bei der großen Menge seiner verschiedenartigen Aemter fast beständig befand, sein Couvert auf die entgegengesetzte Seite des Tisches gelegt hatte, von wo er Rose's Gesicht, wenn sie den Thee eingoß, lange nicht so genau sehen konnte. Las er doch so gern in diesem Gesicht! und gab es doch so vieles darin zu lesen! Welch' sonnige Welt von Schalkheit und Laune, wenn es lachte! welch' unergründliches Meer von Tiefsinn und Schwermuth, wenn es ernst war! Und es war jetzt öfter ernst, wenn der Graf von seinen langen und weiten Reisen erzählte. Er hatte, unabhängig und unbeschäftigt, wie er war, und im Besitze eines sehr großen, gesicherten Vermögens, seine Reisen ganz nach seinem Gefallen einrichten zu können. Er war auf einen orientalischen Wanderungen in Gegenden vorgedrungen, die selten der Fuß eines Europäers betrat; und selbst auf seinen Kreuz- und Querzügen durch die Länder des südlichen Europas hatte er sich oft Wochenlang in tief versteckten Thälern, einsamen Bergdörfern, die von der großen Touristenstraße weit ablagen und in Folge dessen wenig oder gar nicht gekannt waren, aufgehalten, und oft gerade an solchen Orten die interessantesten Beobachtungen gemacht und die reichsten Erfahrungen gesammelt. Daß man nicht zehn Jahre fast ohne Unterbrechung reisen kann, ohne eine und die andere Gefahr zu bestehen, war am Ende natürlich, und der Graf sprach von diesen Gefahren mit der ungeschminkten Einfachheit eines Mannes, dem Tapferkeit angeboren ist, und der in Folge dessen sich nur wundert, wenn er Jemand nicht tapfer sieht. Manchmal wurde er erst durch den Ausdruck von Rose's Gesicht daran erinnert, daß die Lage, in der er sich schilderte, auch wohl einen anderen Ausgang hätte nehmen können. Das junge Mädchen pflegte in solchen Momenten den Kopf in die Hand zu stützen; ihre großen und ausdrucksvollen blauen Augen hefteten sich in ängstlicher Starrheit auf den Erzähler, und er gab sich Mühe, dann so fließend als möglich zu sprechen, weil die kleinste Stockung in der Rede oft hinreichte, Rosen aus ihrer Nachdenklichkeit aufzuschrecken. Sie athmete dann tief auf, richtete sich in die Höhe, warf die kurzen anmuthigen Locken mit einer schnellen Bewegung des schönen Kopfes nach hinten, und bemerkte, daß der Graf gestern, oder vorgestern viel besser erzählt habe, als heute. Rose selbst besaß die Gabe geistreicher Rede in einem ungewöhnlich hohen Grade, und der Graf konnte sich über die glücklichen Wendungen und bezeichnenden Ausdrücke, die ihr in Fülle zu Gebote standen, nicht genug freuen, selbst dann, wenn diese scharfen Waffen sich gegen ihn wandten und er die größte Mühe hatte, seine Behauptungen aufrecht zu erhalten. Bei diesen Wortgefechten strahlte ihr Gesicht von Muthwillen und gelegentlich von Schadenfreude, wenn der Graf zugestehen mußte, daß er die Sache allerdings noch nicht aus dem von dem Fräulein gewählten Gesichtspunkte betrachtet habe.

Aber am schönsten war Rose jedenfalls, wenn sie sich – was sie aber sehr selten und nur auf ganz besonders dringendes Bitten that – nach dem Thee an den Flügel setzte, und ihre schlanken Finger über die Tasten eilten. Ihr Gesicht wurde dann etwas bleicher, als wohl sonst; ihre Augen erschienen größer und waren von einem feuchten glänzenden Schimmer wie verklärt. »Muse, schöne, schöne Muse« murmelte der Graf, während er, um sie nicht zu stören, so weit als möglich von ihr entfernt, am liebsten von dem Nebenzimmer aus durch die offene Thür sie beobachtete. Die Leidenschaft für Musik im Allgemeinen und Klavierspiel im Besonderen gehörte ebenfalls zu den Neigungen, welche sich erst in jüngster Zeit bei dem Grafen eingestellt hatten. Er hatte sich bis dahin das Verständniß dieser Kunst vollkommen abgesprochen, weil er nur am Gesang von Liedern, besonders Volksliedern, zumal dem vierstimmigen, eine reine Freude empfand, Instrumentalmusik dagegen ihn leicht ermüdete, ja melancholisch machte. Jetzt aber war ihm keine Beethoven'sche Sonate zu lang; er hatte, was er bis jetzt so sehr vermißt, die Texte zu allen Andante's, Adagio's und Scherzo's gefunden, und diese Texte waren ihm die wie in Andacht fest geschlossenen Lippen, die sinnige, von den leichten Locken umkränzte Stirn und die in feuchtem Schimmer strahlenden Augen der Künstlerin.

Da Rose in der Unterhaltung öfters ihren geliebten Park erwähnte, der Graf ein lebhaftes Verlangen äußerte, die schönen einsamen Gänge unter den alten Bäumen, die Rose so sehr rühmte, kennen zu lernen, der Park aber in dieser Jahreszeit um die Stunde, wenn der Graf auf dem Hofe vorzusprechen pflegte, meistens schon in Nebelgrau gehüllt war, so blieb nichts übrig, als daß er sich den wichtigen Geschäften, welche ihn in Lengsfeld fesselten, ein und das andere Mal früher entzog, um die Wirkung des Nachmittags- und Abendsonnenscheins in den Kronen der Buchen und Eichen studieren zu können. Weil nun Niemand so gut wie Fräulein von Weißenbach die schönen Stellen des Parks kannte, und der Park mit seinen vielfach verschlungenen, oft halb zugewachsenen Pfaden für den Fremden ein wirkliches Labyrinth war, so mußte sie schon die Güte haben, dem Grafen als Führerin zu dienen, um so mehr, als Herr von Weißenbach sich seiner Gicht wegen vor Erkältungen sehr in Acht zu nehmen hatte, und der alte Wenzel in den Nachmittagsstunden durch seine vielfachen Funktionen in das Haus und auf den Hof gebannt ward. So streiften denn die Beiden hin und her und her und hin im Park, und geriethen auf diesen Streifereien oft so tief in's Gespräch, daß sie an den schönsten Punkten achtlos vorübergingen, und selbst die herrlichste Beleuchtung untergehenden Sonne ihnen kaum mehr als ein flüchtiges Interesse abgewann.

Schönere Tage hatte der Graf noch nicht verlebt; ja, so schön waren diese Tage, daß ihm ein vergangenes Leben bis zu dem Augenblick, wo er Rosen sah, wie ein dunkles, unheimliches Räthsel erschien. Seine Seele war so durchleuchtet von dem Bilde des Mädchens, wie ein Tropfen Thau von dem Sonnenlicht; seine Sehnsucht, sie wieder zu sehen, ihre Stimme wieder zu hören, war grenzenlos. Wenn er von Lengsfeld herübersprengend den Giebel des Hauses zwischen den Bäumen auftauchen sah, schlug ihm das Herz von jauchzender Luft; und wenn er dann endlich nach so langen langen Stunden ihre Hand in der seinen hielt und in ihre Augen schaute, die mit immer gleicher Güte – ja, wie er manchmal glaubte, täglich gütiger – zu ihm aufblickten, dann fühlte er sich so reich, so stolz, und doch wieder so arm, so demüthig, daß er mit keinem Kaiser der Welt hätte tauschen und zugleich jedem Bettler hätte dienen mögen.

Hatte der Graf sich so eigentlich keinen Moment über seine Leidenschaft für Rose getäuscht, so war sich auf der anderen Seite Rose erst allmälig über das Gefühl, das sie für den Grafen empfand, klar geworden. Die Ansprüche, welche Rose an die Männerwelt stellte, waren nicht gering, und sich in einen Mann zu verlieben, weil er, wie der Graf, hoch und schlank gewachsen war, ein ernstes, nicht unschönes, von der südlichen Sonne gebräuntes Gesicht, eine tiefe, freundliche Stimme hatte und sich wie ein gebildeter Mann trug und benahm, wäre ihr nicht in den Sinn gekommen. Sie selbst war zu hoch gebildet und zu idealistisch, als daß sie über den Mangel dieser Eigenschaften bei einem Mann hätte wegsehen können, und der Graf gehörte nicht zu denen, welche ihr Wissen und Können geflissentlich zur Schau trugen. Einen angenehmen Eindruck hatte er wohl von vorn herein auf sie gemacht; sie hatte lebhaft gewünscht, ihn wieder zu sehen und doch auch nicht ohne einige Sorge: er werde das nicht halten, was er durch seine stattliche Erscheinung versprach, und sie so um eine unschuldige Täuschung bringen. Nun aber fand sie, daß das flüchtige gefällige Bild, welches sie sich anfänglich von ihm gemacht, sich mit jedem Tage vertiefte, mit jedem Tage bedeutender und ihr in demselben Maße theurer und theurer wurde. Sie hatte sich anfänglich gefreut, wenn er kam, bald fing sie an, sich darauf zu freuen, daß er kommen werde, und jetzt konnte sie bereits recht ungeduldig werden, wenn er über die Stunde, in welcher sie ihn erwartet hatte, ausblieb. Sie unterhielt sich so gern mit ihm. Manchmal freilich stellte er recht wunderliche Behauptungen auf über Völkerrechte, Menschenwohl, Menschenwürde und ähnliche Dinge, aber in seinen Gedanken und in den Empfindungen, die er äußerte, war nichts Kleinliches und Gemachtes; es war Rosen immer, als ob sie, wenn sie mit ihm sprach, das Haupt höher erheben müßte und erheben könnte. Und dabei blickten seine Augen so viel scheue und doch so herzliche Bewunderung. Sie that Rose so wohl diese Bewunderung, obgleich sie sich oft sagte, daß sie dieselbe doch eigentlich nicht verdiene, aber freilich gern, sehr gern verdienen möchte. Ihre Talente schienen ihr erst jetzt einen Werth zu haben; ihre Kenntnisse der neueren Sprachen, ihre ausgebreitete, wenn auch hie und da lückenhafte Belesenheit, ihr Klavierspiel, ihre Fertigkeit im Skizzieren von Landschaften; was sie sich in vielen Jahren mit emsigem Fleiß angeeignet – es war ihr, als ob sie Alles auf einmal durch himmlische Gnade zum Geschenk erhielte. Ungefähr ebenso dachte sie jetzt über ihre körperlichen Vorzüge. Es freute sie, daß der Graf trotz einer stattlichen Größe nicht eben gar tief auf sie herabzusehen brauchte, und wenn sie sich früher im Tanz auf den Hofbällen, beim Reiten und Gehen der Kraft und Geschmeidigkeit ihrer Glieder wohl bewußt geworden war, kam es ihr jetzt manchmal vor, als wären ihr Flügel gewachsen und als berührte sie kaum den Boden mit den Füßen. Ja, die junge Dame ertappte sich auf Regungen, die sie sich lächelnd als Eitelkeiten eingestand. Sie legte sich ernsthaft die Frage vor, ob sie ein Kleid, in welchem sie der Graf nun vier Tage hintereinander gesehen, am fünften nicht mit einem anderen vertauschen sollte und zog es doch wieder an, weil sie wußte, daß es ihr gut stand. Sie verwandte entschieden mehr Sorgfalt auf ihr Haar, als sie vorher gethan, und bedauerte es zum ersten Male, daß einer ihrer Zähne nicht mehr den Glanz der übrigen hatte. Sie bemerkte plötzlich, daß das Band ihres Strohhuts den Einwirkungen der Sommersonne nicht entgangen war, und es kostete sie einige Ueberwindung, ein gewisses Paar Lederstiefelchen, die sie sich eigens für ihre Parkpromenaden hatte machen lassen, und bei denen der Dorfschuster, der sie fertigte, weniger auf Eleganz als auf Dauerhaftigkeit Rücksicht genommen, im Gebrauch zu behalten. Es gereichte ihr zu einiger Beruhigung, daß der Graf selbst eine entschiedene Neigung für derbe Stiefel mit sehr dicken Sohlen an den Tag legte, und überhaupt nur einen verhältnißmäßig geringen Theil seiner Einkünfte auf seine Toilette zu verwenden schien, die passend und wohlkleidend, aber von der äußersten Einfachheit war. Rosen fiel das um so mehr auf, als sie sich sehr wohl bewußt war, daß sie selbst, wenn ihr die Mittel zu Gebote gestanden hätten, vielleicht einen Luxus mit schönen und prächtigen Kleidern getrieben haben würde; wenigstens behauptete sie, daß in dem Rauschen einer schweren Atlasrobe eine Poesie und eine Musik liege, die freilich, wie alle Poesie und alle Musik, nicht für Jedermann verständlich und vernehmbar sein möge.

Noch manche ähnliche naive Bekenntnisse, die sie bis dahin Niemanden, außer sich selbst, gemacht, legte Rose in den Gesprächen mit dem Grafen ab. Wie ein warmer Frühlingstag die Welt, die nur darauf geharrt hat, mit Knospen und Blüthen überschüttet, so brachte die Gegenwart des Grafen Alles zur Reife, was, Rosen selbst unbewußt, in dem bunten Treiben des Hofes, in der keuschen Einsamkeit der darauf folgenden stillen Jahre langsam, folgerichtig und dabei in reichster Fülle in ihrer großen und edlen Seele sich entwickelt hatte. Ihr war dabei zu Muth, als ob die Himmel sich öffneten und Engelchöre Freude und Friede auf Erden herabsängen. Sie hatte das Leben und die Menschen noch nie so geliebt, als jetzt, besonders ihren guten alten Vater, den sie mit Zärtlichkeiten und Aufmerksamkeiten überschüttete. Hatte der Vater doch die Liebe seines Kindes jetzt doppelt nöthig. Der Prozeß, welcher sich aus dem Bankerut der Kreditbank entwickelt hatte, war in ein neues Stadium getreten. Man war bis zur Verhaftung des Hauptdirektors geschritten und hatte jede Kaution zurückgewiesen. Es war nicht unmöglich, daß Herr von Weißenbach zum Zeugen würde aufgerufen werden. Dieser Gedanke schien ihm sehr peinlich zu sein, obgleich er mit Niemanden darüber sprach, es hätte denn mit dem Pastor sein müssen, der in jüngster Zeit freilich seltener kam, immer aber noch zu oft für Rose, die ihn nicht leiden konnte und die sichtbare Vorliebe, welche der Vater für ihn an den Tag legte, unbegreiflich fand. Dies waren denn aber auch die einzigen Wolken in Rose's Gemüth, in dem es sonst so licht und sonnig war, wie an einem Maienmorgen, wenn die Lerchen singen und die Schmetterlinge sich über blühenden Wiesen und knospenden Wäldern in den blauen Lüften wiegen.



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