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19.

Rose hörte, daß der Pastor zum Hause hinausging. Als die Hofthür hinter ihm zufiel, riß sie das Fenster auf, um eine andere Luft zu athmen, als die, welche durch die Gegenwart und den Mund des Verhaßten verunreinigt war. Die feuchte Kühle draußen that ihrer heißen Stirn so wohl; es erfaßte sie ein unwiderstehlicher Drang ins Freie. Sie mußte den Himmel über sich haben und die Wolken ziehen sehen. Sie nahm ein Tuch, das zur Hand lag, hüllte es sich um die Schultern und eilte über den Hof in den Park.

Sie athmete mit Lust den energischen Duft des modernden Laubes. Das Krächzen der Krähen, die eben von den Feldern zu Walde kamen, klang ihr wie befreundete Stimmen; das dumpfe Rauschen des Windes durch die kahlen Büsche; sein Rascheln in dem trocknen Laub der Eichen; das gelegentliche Knarren der Föhren – es war ihr Alles Musik, wie sie sie eben brauchte; eine rauhe, wilde Musik, die sie verstand, besser verstand, als die falsche, gleißnerische, freche Rede der Menschen.

Was hatte sie gethan, daß dieser Mensch ihr das zu bieten wagte? Warum hatte sie ihm nun doch nicht gesagt, wie sehr sie ihn hasse und verachte, einen Menschen ohne Erziehung, ohne Herz, ohne Geist, einen plumpen Gesellen, der die Stirn hat, um die Hand eines Mädchens anzuhalten, das ihm noch nicht das kleinste Zeichen von Wohlwollen, geschweige denn von Zuneigung, dafür aber tausend und tausend Beweise von Gleichgültigkeit, ja Widerwillen gegeben hatte! Was hatte sie gethan! Wie tief war sie denn gefallen, daß dies möglich war?

Rose blieb stehen und stampfte zornig mit dem Fuß und strich hastig eine Hand über die andere, wie um eine Verunreinigung von sich abzustreifen.

»Aber es ist des Vaters Schuld,« sprach sie bei sich selbst, indem sie weiter schritt; »warum hat er sich mit dem Elenden so weit eingelassen, ihn täglich fast in sein Haus eingeladen, mit ihm sogar über seine Lage gesprochen, über diesen Prozeß – ja, mein Gott, was ist denn das? hat er dem Vater denselben Vorschlag gemacht und hat der Vater ihn angenommen? Nein! nein! Das konnte der Vater nicht? Und wenn er es doch könnte? so hätte ich ihn jetzt der Möglichkeit, vielleicht der einzigen Möglichkeit beraubt, dem Gefängniß zu entgehen, das sein Tod sein würde! Mein Gott, was habe ich denn gethan? Ich habe die Hand fortgestoßen, die den Vater retten konnte, und soll nun den Vater vor meinen Augen versinken sehen? Aber dieselbe Hand ist die Hand, die ich – nein, nein, nein! das kann der Vater nicht wollen! Das Weib dieses Elenden, der mich für dreißig Silberlinge erschachern zu können glaubt – nein, nein! ich will für ihn sterben – aber das, das kann ich nicht.«

In einer Aufregung, die sie gegen Alles, was umher war, gleichgültig machte, schritt das junge Mädchen mit schnellen Schritten dahin, die Allee entlang, denselben Weg, den sie so oft in ganz anderen Stimmungen zurückgelegt. Als sie den Ausgang erreichte, sank die Sonne in dem Augenblick des Untergangs aus den Dunstmassen, die sie den ganzen Tag verhüllt hatten, und schwebte, eine feurige Kugel, am Horizont. Ein paar schwache Strahlen, die alsbald wieder erloschen, zitterten über die Ebene herüber, sonst Alles grau, wie der Himmel. Aus den tieferen Gründen stiegen Nebel heraus, die sich wie Schleier über die Felder breiteten und höher und höher an den Hügeln hinaufwallten.

Und da blitzte es einen Moment wie das Gefunkel eines Diamanten herüber über die Nebel; es waren ein paar Fenster im Schlosse von Lengsfeld, die einer von den zitternden Strahlen getroffen hatte. Und dann war der purpurne Ball versunken und die Erde bereit, die Nacht zu empfangen.

In Rose's Augen schwamm noch das Nachbild der Sonne, als sie sich unwillkürlich von dem Ausgang der Allee rechts an dem Rande des Waldes hin nach dem Platze unter den Ahornbäumen wandte. Sie sah nicht, daß, mit verschränkten Armen, in die Ferne starrend, an den Steintisch Jemand lehnte, der, als er das Rascheln der Blätter unter dem Saum ihres Kleides vernahm, wie aus einen Traum in die Höhe fuhr; aber sie hörte einen Ruf und in dem nächsten Augenblick stand der Graf vor ihr. Roses Herz zuckte, aber nur von der Ueberraschung der Freude; sie hätte sich dem Geliebten in die Arme werfen mögen; aber ihre Füße waren wie an den Boden gefesselt und ihre Hände hingen schlaff und machtlos an ihrem Körper herab.

»Ich muß Sie zum zweiten Male an derselben Stelle erschrecken,« sagte der Graf mit einem halb vorwurfsvollen Ton.

»Nein, nein,« sagte Rose; »nicht – ich bin erschrocken, – weiß ich doch nicht, wie Sie gerade jetzt hierherkommen; aber – es ist mir lieb, sehr lieb, daß ich Sie sehe; ich habe Ihnen sehr viel zu sagen. Sie werden mich, ja Sie müssen mich ganz falsch beurtheilt haben, –«

»Wie Sie mich,« sagte der Graf.

»Nein, nein,« entgegnete Rose eifrig; »ich glaube Sie ganz richtig zu beurtheilen; jetzt wenigstens, wenn ich auch vielleicht an jenem Abend, wo ich Sie zum letzten Male gesehen habe, vielleicht nicht dazu im Stande war. Damals kam mir Ihr Thun – verzeihen Sie mir, wenn ich in der Eile nicht immer den rechten Ausdruck finde, aber ich muß mich Ihnen gegenüber aussprechen – damals kam mir Ihr Thun willkürlich, launisch, rücksichtslos, wenn Sie wollen, vor. Ich war kindisch genug zu glauben, daß ich Ihnen nicht ganz gleichgültig sei. Und nun sagte ich mir: wenn Du Jemand lieb hättest, Du könntest ihm nicht so wehe thun. Aber das war gewiß thöricht; denn ein Mann hat andere Pflichten, andere Ideale, wie ein Weib. Wir wollen nur die, welche wir lieben, glücklich sehen und glücklich machen, und wäre es selbst dadurch, daß wir persönlich uns opfern; der Mann hat seine Philosophie, seinen Glauben, seine Politik, seinen Ehrgeiz; er kann nicht sagen: das behalte ich für mich, und das gebe ich dem Gott, dem ich diene. Dieser Gott ist ein strenger, anspruchsvoller Gott, der vielleicht mit Wenigem nicht zufrieden ist, der zuerst die geistige Kraft des Mannes fordert, seine Zeit, seine Arbeit, sein Denken, und dann etwa hinterher sein Herz, seine liebsten Träume und Wünsche, seine Hoffnungen auf eine freundliche Zukunft. O, es muß groß sein, so Eines nach dem Andern auf die Stufen des Altars legen, sich so ganz, so rückhaltlos, so ungebrochen dem einen Ideal weihen! Wer von uns Frauen sollte Euch Männer nicht beneiden?«

Der Graf lächelte bitter und sagte:

»Ich weiß, daß Sie im Ernst sprechen, und doch ist es mir fast, als wollten Sie meiner spotten. Sie machen uns zu Hohenpriestern, und wir selbst wissen nur zu gut, wie oft die heilige Maske eine Armesündermiene bedeckt. Aber in dem Einen haben Sie allerdings recht: ohne Opfer geht es in dieser Heldenlaufbahn nicht, wenn sie auch lange nicht bis zum Olymp hinaufführt. Ich habe auch mein Opfer gebracht, und der Himmel weiß, wie schwer es mir geworden ist.«

Des Grafen Stimme zitterte; er ging ein paar Minuten schweigend neben Rose her (sie hatten, ohne eine bestimmte Absicht, den Weg die Allee wieder hinauf nach dem Hofe eingeschlagen), dann fuhr er fort:

»Ich habe, glauben Sie mir, in dieser Zeit die Schwere meines Opfers erproben können; es hat mich fast wahnsinnig gemacht und ich muß mich sehr beherrschen, wenn ich mit einiger Ruhe zu Ihnen sprechen will; dennoch, selbst in diesem Augenblick, wo mich Ihre Nähe schier trunken macht, wo ich aufjauchzen möchte vor Lust und weinen möchte wie ein Kind – selbst jetzt kann ich nicht anders sagen, als daß ich selbst für Sie nicht zum Lügner werden durfte. Vielleicht, daß ich mit größerer Klugheit hätte handeln und reden, vielleicht, daß ich Ihnen eine schlimme Stunde hätte ersparen können; aber im Grunde wäre es doch immer dasselbe geblieben. Das sagte ich mir, als Sie an jenem glücklichsten und unglücklichsten Tage meines Lebens von mir schieden – das sage ich noch jetzt, wo ich die Gewißheit habe, daß für mich der letzte Schimmer von Glück und Friede so gewiß aus dem Leben verschwunden ist, wie die Sonne für heute aus dem dunkelnden Wald.«

»Das ist es ja, was ich behauptet habe,« erwiderte Rose; »Ihr könnt nicht glücklich sein und glücklich machen, wenn Ihr dabei ein Titelchen von Eurer Philosophie aufgeben müßt.«

»Und Ihr Frauen«, erwiderte der Graf, »könnt nicht glücklich sein und glücklich machen, wenn Ihr dabei ein Titelchen von Eurer Liebe aufgeben müßt.«

»Und möchtet Ihr Männer uns anders?« erwiderte Rose mit großer Lebhaftigkeit, »oder, wenn Ihr uns auch anders möchtet, würde es, wenn wir anders wären, zu Eurem Glück gereichen? Woher soll denn die Welt, die liebeleere, sich die Liebe nehmen, ohne die Alles verdorren würde, als aus dem Herzen der Frau? Woher soll dem Kinde, dessen anspruchsvolle Unruhe die Geduld des Vaters erschöpft, die Liebe kommen, die ihm so nöthig ist, wie die Milch, die es trinkt, wenn nicht von der Mutter? wer soll die Träume des Jünglings theilen und sich für seine Ideale mit begeistern, wenn nicht die Schwester? Wer soll den Streit der Männer schlichten, ihre Halsstarrigkeit beugen, ihren Trotz brechen, wenn nicht das Weib, die Geliebte, die Tochter? Ich habe mir oft in diesen Tagen das schöne Wort der Antigone wiederholt, mit welchem Sie den Vorwürfen des rauhen Kreon in stolzer Demuth entgegentritt: Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da.«

Ueber des Grafen Gesicht zog eine dunkle Wolke, und es lag viel Bitterkeit in dem Tone seiner Stimme, als er erwiderte:

»Das Wort war gut und reichte aus zu einer Zeit, wo die Stammesliebe für alle individuelle Liebe aufkommen mußte; wo man den Bruder liebte, weil er Bruder, das heißt von unserem Fleisch und Blut war; wo das Blut entschied, aus dem einfachen Grunde, weil der Geist noch in Fesseln lag und nicht wagen durfte, in dem Streite der Menschen untereinander mitzusprechen. Aber der außerweltliche Logos, der Gedanke, der in eisiger Höhe bei den Göttern gethront hatte, wurde Fleisch, wurde Mensch; und von der Zeit an war es der Logos, der in dem Streite entschied; von der Zeit fragte man nicht mehr: hast du in deinen Adern dasselbe Blut wie ich, sondern hast du in deinem Haupte dieselben Gedanken, wie ich; seit der Zeit gilt das Wort von der Nachfolge, die nicht Vater und Mutter, nicht Bruder und Schwester kennt, von der geistigen Ehe, wo das Weib die Ihrigen verläßt, um dem Manne zu folgen, dem sie sich eignet, weil nur, was wir im Geiste besitzen, unser eigen ist und zu sein verdient; weil – doch wozu das Alles! wir werden uns in diesem Punkte wohl nie verstehen.«

»Sie wollen sagen: ich werde Sie wohl nie verstehen,« sagte Rose einfach; »aber vielleicht bin ich auch hier Ihnen näher, als Sie glauben. Ich habe schon vorhin eingeräumt, daß ich für die Männer ein anderes Gesetz anerkenne, wie für uns Frauen; ein strengeres, herberes Gesetz, dessen Paragraphen in Erz gegraben sind. Und vielleicht habe auch ich ein wenig in diesem Gesetz – in Ihrem Gesetz gelesen, und einen und den anderen Satz daraus verstanden. Sie haben mir früher die Ehre angethan, mich begabter zu nennen, als es die größere Menge der Frauen ist; ich weiß nicht, ob dieses Urtheil gerechtfertigt, ob es Ihnen nicht von einer für mich schmeichelhaften Parteilichkeit diktiert war; ich weiß nur, daß ich mich von jeher bemüht habe, klar zu sehen und die Dinge zu begreifen, wenn es irgend in meiner Macht lag. Dasselbe Streben glaubte ich an Ihnen zu bemerken, und ich gestehe, daß gerade dies es war und die freudige Hoffnung, mich an Ihrem reicheren Wissen, an Ihren höheren und kühneren Ideen aufzurichten, weiter zu bilden, was mich zuerst zu Ihnen hinzog. Ich bin in großer Einsamkeit aufgewachsen, bin später in Kreise gekommen, wo der freie Gedanke und das freie Wort nicht leicht eine gute Stätte finden, und daher kam es wohl, daß anfänglich mich manche Ihrer Aeußerungen in Erstaunen und Schrecken setzten, ja verletzten. Aber, wenn ich hernach im Stillen weiter darüber nachsann, fand ich stets, daß es nur die ungewohnte Form, der Ausdruck gewesen war, was mich so stutzig gemacht hatte, – der Geist Ihrer Rede war mir gar nicht so fremd; ich hatte Aehnliches wohl gedacht, gefühlt, nur daß jetzt Alles so viel klarer, deutlicher – ich möchte sagen: greifbarer vor meiner Seele stand. Und ich sonnte mich in dieser Klarheit, die mich immer herrlicher umgab; ich dachte mir es göttlich schön, so weiter und weiter zu streben, Alles, was noch von altem Wahn und alten Vorurtheilen in mir war, abzuthun; was noch dunkel war, aufzuhellen, in Gemeinschaft mit einem Geiste, dem ich diese Werdelust verdankte, in dem ich mein besseres, edleres Ich erkannte und verehrte, dem ich mich beugen durfte, und ach so gern, so willig beugen würde, der mein Freund und mein Bruder, mein Geliebter und mein Gott sein sollte.«

»Das Alles –« sagte der Graf mit einer Stimme, die von Wehmuth fast erstickt war, – »das Alles dachten, träumten Sie, Rose – und dennoch – dennoch –«

»Konnte ich diesem Traum entsagen?« unterbrach ihn Rose sanft; »nein, nicht entsagen! Was wir im Geist besitzen, ist unser eigen – das habe ich ja noch eben aus Ihrem Munde gehört. Was Sie mir gewesen sind, was Sie mir noch sind, in alle Zukunft sein werden, kann mir Niemand rauben, vielleicht nicht einmal Sie selbst. Was wir im Geiste besitzen, das heißt in meiner Sprache: was wir lieben. Warum soll ich nicht aussprechen, was Sie wissen? Aber kann in der Quelle, aus der wir Leben tranken, auch Gift verborgen sein? kann Liebe Liebe tödten? Ich fasse es nicht; meine Seele, mein Innerstes sträubt sich gegen einen so gräßlichen Gedanken. Ist es doch nur das eine Herz, mit dem ich fühle; das eine Herz, das für Sie schlägt und für meinen Vater schlägt. Mein alter Vater! kennten Sie ihn, wie ich ihn kenne! Wüßten Sie, wie voller Treue und Ehre seine Seele ist! wüßten Sie, wie er mich geliebt hat, wie er mich in dem Herzen seines Herzens getragen hat, so lange ich athme! Verdanke ich ihm doch viel mehr, als blos mein Leben! Wenn Sie mich gerade und offen und ehrlich, und aller Heuchelei feind gefunden haben – von wem habe ich das, wenn nicht von ihm! Er hat mich gelehrt, daß unsere Rede Ja, Ja sein soll und Nein, Nein; hat es mich durch sein Beispiel gelehrt. Die Leute nennen ihn einen Aristokraten; ich habe dafür keinen anderen Grund auffinden können, als, weil er zu stolz ist, sich zu einer Lüge zu verstehen. Daß seine Erziehung ihm so manches Hülfsmittel der Bildung versagte, daß er von jeher in Verhältnissen, in einer Umgebung gelebt hat, die ihm das Leben nur immer von der einen Seite zeigten, und so sein von Natur klarer Blick getrübt wurde – ich habe es selbst oft genug schmerzlich empfunden, habe manchmal darunter gelitten, ohne daß es mich je in meiner Liebe hätte wanken machen können. Und so ist er ein alter Mann geworden, ein alter, einsamer, freudloser Mann, der seine Vereinsamung schmerzlich empfindet, der in der Liebe zu mir einen Ersatz für Alles suchte, was ihm das Leben, was ihm das Schicksal versagt hatte. Und jetzt glaubt er zu verlieren, was ihm Halt und Trost war; ja er glaubt es schon verloren zu haben; er glaubt nicht mehr an meine Liebe – in diesem Augenblick, wo ihm die Liebe einer Tochter, einer Freundin mehr als je Noth thut, wo er einzubüßen fürchtet, was er heilig gehalten hat, wie das Andenken seiner Eltern – seinen ehrlichen alten Namen. Ich sehe das, und kann nicht helfen; ich fühle es, und muß es dulden. Es durchbohrt mein Herz, wie ein zweischneidig Schwert. Ich habe Niemand, dem ich mein Leid klagen kann; habe es bis zu dieser Stunde Niemandem so geklagt. Daß ich es Ihnen gegenüber thue – ich weiß nicht, ob ich es darf; ich habe es gethan, weil ich nicht anders konnte.«

Rose's Stimme erstickte in Schluchzen; der Graf ergriff ihre Hand. Er war in der furchtbarsten Aufregung:

»Rose, Rose,« rief er; »ich weiß nicht, ob es Wahnsinn ist, aber ich höre in Allem, was Sie sagen, nur die Weigerung, mich in die Rechnung Ihres Lebens aufzunehmen. Es ist Ihr Vater und immer nur Ihr Vater, um den sich alle Ihre Gedanken drehen, alle Ihre Empfindungen concentrieren. Daß ich Sie liebe, Sie wissen es nicht seit heute; wie sehr ich Sie liebe, ich kann es Ihnen nicht sagen; ich weiß nur, daß, wenn ich Sie verlieren sollte, mir das Leben nicht einen Strohhalm werth ist. Das soll Sie zu nichts bestimmen; ich sage: meine Liebe geht Sie nichts an; aber, Rose, Sie, Sie selbst lieben mich! Was machen Sie aus dieser Ihrer Liebe? Sie bringen sie mit offenen Händen Ihrem Vater dar und opfern sie ihm. Rose, Rose, wenden Sie sich nicht von mir! Ich hasse ja Ihren Vater nicht; ich habe vielleicht in dieser Zeit – doch darüber mit Ihnen zu sprechen, ist mir unmöglich. Das Schwert, das Sie so sehr fürchten, wird entfernt werden, aber zwischen uns wird Alles beim Alten bleiben. Ich kann mein Knie nicht beugen, wo ich nicht verehre; ich kann meine Rede nicht fälschen. Ihr Vater verabscheut in mir den Revolutionair; aber noch viel mehr: den Geliebten seiner Tochter; nicht sowohl den Politiker, den Patrioten habe ich in ihm beleidigt, als den Vater, der auf die Liebe seiner einzigen Tochter eifersüchtig ist. Aber, mein Gott, Rose, habe ich kein Recht eifersüchtig zu sein? liebe ich Sie nicht? besteht nur die Vergangenheit zu Recht und ist die Zukunft nichts? Sie müssen sich entscheiden, Rose! Sprechen Sie es aus: mir ist der Vater Alles, und ich gebe Alles für dies Alles hin!«

Sie waren, dem Hofe gegenüber, von dem sie nur noch durch einen freien Platz getrennt waren, an dem Ende der Allee angelangt. Rose sah durch die Thränen, die ihre Augen füllten, jetzt erst, wo sie sich befanden.

Der Anblick des alten Hauses, dessen Giebel melancholisch über die Dächer der Scheunen herüberragte, gab ihr die Besinnung zurück, die ihr die Leidenschaft des Grafen fast geraubt hatte.

»Sie sind grausam,« sagte sie, »wenn Sie in diesem Augenblicke mehr fordern, als das Einzige, was ich Ihnen geben kann: das Geständniß meiner Liebe. Muß ich mich doch auch damit begnügen! Lieber, Geliebter! kannst Du nicht geduldig sein, wie ich es bin? Es muß einen Ausweg aus diesem Irrsal geben; ich sehe ihn nicht; aber der Gott der Wahrheit, dem ich diene, wird ihn mich finden lassen. Laß uns stark sein, Geliebter, Einer um des Andern willen; laß uns gemeinschaftlich tragen, was dem Einen unerträglich ist. Und nun müssen wir uns trennen, Geliebter! Wann wir uns wiedersehen – wer weiß es? Willst Du mir meinen einzigen Trost rauben, daß es geschehen, bald geschehen wird und glücklicher, als wir es jetzt zu denken wagen?«

Sie hatte seine beiden Hände ergriffen, und schaute ihm in die Augen. Es lag ein so wilder Schmerz in seinen Augen und sein Gesicht erschien in dem letzten grauen Dämmerschein des Abends so bleich und entstellt – Rose schlang ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn auf den Mund. Dann drängte sie ihn mit sanfter Gewalt von sich und eilte auf dem kiesbetreuten Wege dem Hause zu.

Der Graf machte keinen Versuch ihr zu folgen. Er war in Verzweiflung. Seine Liebe zu dem holden Wesen, dessen Stimme noch in einem Ohr tönte, dessen warmen Athem er noch auf seinen Lippen fühlte, war so groß, daß sie ihm zum Schmerz wurde. Er hätte aufschreien mögen, wie ein zum Tode getroffenes Thier. Und was hatte er mit all' seiner Liebe zu Wege gebracht? Er hatte ihr – ihr, für die er Tropfen um Tropfen sein Blut hingegeben, für die er jede Qual erduldet und seiner Henker gespottet haben würde – die Last, die auf ihrer Seele lag, nur noch schwerer gemacht – er, er, der heute Vormittag aus der Stadt gekommen war, der sein Pferd zur tollsten Eile angetrieben hatte, um so bald als möglich in Weißenbach zu sein; er, der seit Stunden nur über ein Mittel gesonnen hatte, in ihre Nähe zu kommen, ihr ein Wort des Trostes zu sagen, das er für sie in Bereitschaft hatte!

Er lehnte an den Stamm eines der alten Bäume, durch dessen Wipfel der Abendwind rauschte, und blickte mit starren Augen, aus denen, ihm selbst unbewußt, heiße Thränen tropften, nach dem Hause hinüber, das die Geliebte umschloß. Endlich raffte er sich auf und tauchte in die Nacht des Parkes zurück.



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