Karl Söhle
Schummerstunde
Karl Söhle

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Amtmanns Insel.

Die südwärts in den Wiethorn vorstoßende Ecke des großen Amtsgartens bildet eine Insel. Wenn auch nur eine künstliche. Durch Abdämmung des Baches, der quer durch den Wiethorn fließt und durch den Amts- und Klostergarten. Auf tiefbraunem Moorgrund, goldschimmernden Sandablagerungen, zwischen üppigen Ufern bewegen traumhaft leise sich seine Wellen; ist er aber glücklich hinaus und hinterm Klosterzaun in die Wiesen gelangt und nimmt er seinen Kurs hier auf die alte Zinsmühle, da wird er munter allmählich, da werden seine Wellen bewegter, heller. Mit schönen alten, efeuumrankten Laubbäumen ist das Inselchen bewachsen, mit balsamisch duftenden Edeltannen, Weymutskiefern, Eiben. Lauschig und still ist's hier, so wonnig grüngolden, wenn die Sonne scheint. Die Lichtlein spielen und haschen sich unter der hohen Buche auf der wunderlich geschweiften, alten Steinbank mit ihren kaum mehr erkennbaren, lachenden Amoretten und auf dem moosüberwachsenen Steintisch davor. Nur Vogelgesang, aus zahlreichen holden Schnäbeln. Fink und Drossel schmettern ihren Schlag, die Amsel flötet, Grasmücken plaudern, jubeln, orgeln. Und dazu der Bäume Rauschen und Raunen. Am Wehr das leise Tröpfeln 186 und Glucksen. Im Schilf, in den Binsen das geheimnisvolle Flüstern, Nicken, Wippen und Winken. Im Paradiese kann's nicht schöner sein!

Bis zum Sturmjahre 1848 war »Amtmanns Insel« jedermann zugängig gewesen, als mit zum Wiethorn gehörig. Dann aber wurde sie eines Tages umzäunt, ganz dicht, übermannshoch und mit zum Amtsgarten geschlagen. Das sollte eine Strafe sein, und war's auch. Hatte man sich doch nicht entblödet damals, vors Amt zu rücken und Revolution zu machen! Der Anstifter aber dazu war Kuhlgatz, der Freischärler. Der war ein Feuergeist und zugereister Buchbindergeselle. Vorher hatte er auf der Wanderschaft in Berlin gearbeitet, just als es da losging und die Schüsse krachten auf den Barrikaden. Er hatte eifrig in den Zeitungen gelesen, die Volksversammlungen besucht, und alle die großen Schlag- und Krachworte, die er da hörte, hatte er sich gemerkt. Er konnte reden wie ein Pastor, wie ein Advokat, und dazu gestikulierte er, dazu rollte er die Augen. Dabei war er nur ein winzig Männlein mit einem kleinen Verdruß, mit einem Ziegenbart und bebrillten Glatzkopf. Eine Menge Freiheitslieder – sogar verbotene – wußte er auswendig, und was seine Worte nicht vermochten, über die man zuerst nur Witze riß, wenn er sie herauskrähte, das erreichte er schließlich 187 mit seinen Liedern. Damit machte er seine Zuhörer warm und politisch, und er riß sie mit sich fort, bald stimmte man mit ein, wenn er sang: »Bums Vallera, wir brauchen keinen König mehr!« Einen Amtmann schon gar nicht! Hinweg mit ihm! Nieder die Tyrannen! Auf, hin aufs Amt! Die Stunde der Abrechnung hat geschlagen! Der deutsche Michel, ha, er ist endlich mündig geworden! Klirrend zu Boden fallen die Ketten der Knechtschaft! Wir wollen eine freie Republik! Die Domäne wollen wir heraus haben und sie aufteilen unter uns! Den Wiethorn wollen wir haben und den Ellernleu, den Börkeloh! Freies Jagd- und Fischrecht! Keine Bevorzugung mehr nach Geburt und Herkommen! Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! Tugend, Wahrheit und Gerechtigkeit sollen hinfort regieren die Welt! Alle die alten Phrasen, woran man sich immer wieder beduselt. Und wirklich, es kam so weit, man zog einmal mit Kuhlgatzen an der Spitze hinaus, mitten in der Nacht, aufs Amt. Ha, stürmen will man! Was sonst eigentlich noch, das weiß keiner genau. Eine frühlingsfrische, mondhelle Aprilnacht ist's. Die Bäume im Wiethorn stehen voller Knospen. Und bald vergeht ihnen im milden Mondlicht der Blutdurst, man beschließt, doch lieber nicht gleich Sturm zu laufen, sondern zunächst Amtmanns Insel zu besetzen, sich dort zu 188 verschanzen, das Amt von hier aus zu belagern. Auch streitet man sich gleich tüchtig. Jeder hat seine eigene Meinung. Man brachte dem Herrn Amtmann zunächst eine Katzenmusik. Lange aber rührte im Amte sich nichts. Nicht einmal draußen im Efeu, im Weinlaub die Spatzen. Als der Herr Amtmann aber endlich Licht machte und aus seinem Eckzimmer zum Fenster herausguckte, da trat Kuhlgatz vor und legte beredt ihm dar, wie man im allgemeinen von Fichtenhagen aus die Welt verbessern wolle. Der Herr Amtmann griff höflich grüßend an sein Käppchen, er hörte ruhig und willig zu, und er versprach ihnen zuletzt sanft und gütig, er wolle alles gleich nach oben vermelden, was sie wünschten und haben möchten, und es würde schon bald alles recht und gut werden. Und zuletzt bat er sie freundlich, aber entschieden, nun möchten sie ruhig nach Hause gehen. Als man das aber nicht gleich wollte und »Garantien« verlangte, als das Wort »Garantien« durch die Nacht gellte und sogar gleich darauf die Katzenmusik wieder einsetzte, wenn auch abgeschwächt, da verlor der Herr Amtmann die Geduld und wurde ernstlich böse. Er sandte ihnen darauf einen Parlamentär hinaus, auf den er sich verlassen konnte: seinen Kutscher Friedrich, und der mußte seine Peitsche mitnehmen. Amtsmann Friedrich, ja, das wußte man, mit 189 dem war nicht zu spaßen. Als nun Kuhlgatz wieder reden wollte, da, wehe, stieß Friedrich ihm einen Zahn aus mit dem Peitschenstiel, und es floß Blut. Es geschah aus Versehen, Friedrich hatte zunächst nur drohen wollen. Und grimmig knallt Friedrich darauf mit seiner Peitsche: »Furns nah Hus nu, Kinners, vorwärts marsch, Herr Amtmann will noch slapen! Makt noch einen Mucks, un ick hau tau!« Das wirkt. Scheu weicht alles vor ihm zurück. Friedrich knallt und knallt und treibt sie herunter von der Insel. Wenn sie ja auch murren und schimpfen und eigentlich nicht wollen, immerhin man tritt den Rückzug an. – Als Kuhlgatz die rebellischen Fichtenhagner im Wiethorn endlich noch mal zum Stehen bringt, und als er sie nun verhöhnt und Vorwürfe auf sie schleudert, da prügelt man ihn auch noch durch.

Etwas geärgert hatte der Herr Amtmann sich aber doch über die Sache, und Strafe muß sein. Und nun wurde die Insel eingefriedet und durfte nicht mehr betreten werden, der Herr Amtmann erhielt sie vom Fiskus zum Geschenk für das Amt, in Anerkennung seiner klugen und erfolgreichen Politik. Schnell wuchs und verdichtete sich die Tannenhecke hinterm Zaun, bald konnte man kaum mehr einen Blick hinein werfen in Amtmanns Insel. Alles Geheimnisvolle aber heckt 190 alsbald Mären und Mythen aus. Nun war's bald nicht mehr geheuer auf Amtmanns Insel. Die verschiedenen, wegen ihrer Sünden lebendig eingemauerten Nonnen im Kloster – jedes Kloster hat ja seine eingemauerten Nonnen –, die gingen da um und auch noch alles, was im Amt ein hochnotpeinliches Halsgericht durch Schwert und Rad vom Leben zum Tode gebracht hatte, das spukte da jetzt auch herum. So erzählte man. Wenn man nun aber mal auf dem Amt zu tun hatte und von hinten deutlich hineinsehen konnte in die Insel, da war man allemal enttäuscht. Denn da sah's ganz natürlich und menschlich aus, unter den Tannen und Weymutskiefern, auf der Stätte, man denke, wo Anno neunundvierzig Blut geflossen war, wo Amtmanns Friedrich mit seiner Peitsche den Staat gerettet hatte. Zuweilen war auch der Herr Amtmann da, in seinen Vatermördern, in seinem Käppchen, und er fütterte die Fischlein, er schmauchte seine Morgenpfeife, er betrachtete die schönen weißen Wasserrosen vorm Wehr, wenn sie gerade blühten, oder er hatte sonst da seine Freuden. Bis er zuletzt immer nach seiner Rosenschule hinüberging. 191

 


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