Karl Söhle
Schummerstunde
Karl Söhle

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Dick- und Querköpfe, Käuze, Schnurrpfeifer und Winkelmusikanten.

Der Ehrentanz

Ein Erntebild.

Auf der Domäne feiern sie Ernteköst. Zuerst hatte man sich den »dicken Reis« schmecken lassen, das landesübliche Erntegericht, und darauf war's mit Juchzern und Gesang ins Herrenhaus gegangen, zur Kranzüberreichung. Die Mäher kamen hemdsmauden, mit den Hosen in den rindsledernen Stiefelkloben, und auch die Binderinnen kamen so, wie sie hantiert hatten auf dem Felde, nacktarmig, in ihren bunten Busentüchern, in ihren grobleinenen Schürzen und mit den luftigen Helgoländern auf dem Kopfe. Alle noch ganz so wie auf dem Felde, und nur die Harken und Seßeln (Sensen) hatte man abgelegt. Jasper, der älteste Pferdeknecht und angestammte würdevolle Vormäher, und Dortjen, die Großmagd, seine Binderin und zugleich sein Weib – ein schmuckes Paar, rotbäckig, sonnengebräunt, von Gesundheit nur so strahlend: beide hatten nach altem Brauch ihren Vers vor der Herrschaft gesprochen, und sehr feierlich war's gewesen. Der neue Erntekranz, ei der prangt da nun auf dem Flur, über der schweren eichenen Flügeltür zum Eßzimmer, frisch, duftig und bunt, und mit Rauschgold und roten und blauen Schleufen ist er geziert.

Im Vorwerk auf der Scheundiele, da tanzen sie nun. 138 Alles nach der Regel, wie man's von Urväter Tagen her gewohnt ist. Braunbier gibt's dazu und Schluck, extra scharfen, worin Pfeffer ausgelaugt worden ist, damit er ordentlich anfasse und nicht zu viel darauf gehe. Rüstemeyer, der Verwalter, hat dafür gesorgt, und der kennt alle Kniffe. Die »Damens« aber bekommen Zuckerwasser und dazu frischbackene Stuten.

Heiße Arbeit hat's beim Austen (Ernten) gesetzt, Schweiß, gesalzenen, manchen Tropfen in der Sonnenglut. Zum Lohn gibt's dafür nun auch eine ordentliche Köst, das gehört sich so.

»Juch! Juhu! Schenk' in! Prost, Pröschen! Deerns, man fix rann! Lieschen, Dortjen, Viechen, 'n Schott'schen, 'n Rutscher, ›Lott is dod‹ –, ›Stiebel mußt sterben‹ –!«

Blitz und die drei Musikanten legen los:

Giww mick irst man noch 'n lütjen Pommeranzensluck,
Tapp in!
Vigelin un Fläute,
Pommeranz smeckt heute,
Tapp in, kluck'n weg, tapp in!
Kuckuck un Kiewitt, Heckster un Schacker,
Los, up de Flünken nu, Gickerdigacker,
Gaus mit Unkel KuhnemannTruthahn.,
De beiden danzt vöran! 139

Die Paare finden und fassen und küseln (drehen) sich linksum, rechtsum, rutsch gradedurch. Der ganze alte Scheunenbau mit seinem lockeren Fachwerk kommt bedenklich ins Wackeln, und das Federvieh im Wiemen wird unruhig. Kriegt doch jeder Musikant einen harten Taler, und so kann man was verlangen, Schwung aber bleibt die Hauptsache.

Das meint auch der alte Tüffelmacher (Pantoffelmacher) Krischan Fehlhaber, jenes schiefschultrige Männlein am Kontrabasse. Weit vorgestreckt hat's den sehnigen Schluckehals, die große Kopfkugel tiefgeneigt, und schlank herüber von Ohr zu Ohr scheint der schönste Vollmond. Die Augen blicken von Natur zwar immer etwas trübe und »melankolschen«, doch in den Mundwinkeln lauert der Schalk. Sieh, die bogenbewaffnete Rechte strengt gewaltig sich an und sägt in die Saiten mit aller Macht, jedoch die Finger der linken Hand, die rutschen gar sänftiglich und behutsam auf dem Griffbrett herum, denn: »Och wat denn,« meint der Alte treuherzig, »Griffe? da kummt't nich up an, och Schett wat, wenn da man ümmer wisse Tritt (Takt) in is!« Griffe – pah, daß sie nur wenigstens so von ungefähr in die Gegend fallen und hoch und tief nach Gutdünken öfter mal wechselt. Mächtig runkst er hinein, der wackere Meister Krischan Fehlhaber – Gottes 140 Barmherzigkeit, horch, regelmäßig nun immer über zwei Saiten zugleich. Man sieht's, der Pfefferschnaps faßt an.

Endlich holt Verwalter Rüstemeyer die Herrschaft zu den Ehrentänzen. Und gehorsam folgt die anmutige, junge Gutsherrin den Mahnungen ihres Gatten und läßt sich von den Mäherfäusten in bester Gutgemeintheit drehen, drücken, heben, schieben, senken, schwenken, stumm ergeben wie ein schneeweißes Lämmlein. Man ja nicht stolz scheinen und die Leute bei der Ernteköst nicht kränken! Doch ein verzärtelt Großstadtkind, eben frisch aus der Pension heraus, hat die Dame leider Nerven – Musiknerven. »Himmel, das entsetzliche Baßgerunkse! Zum Steinerweichen! Horch, jeder Ton jetzt wieder daneben, jeder!« Und die Gutsherrin überlegt: »Wie stellst du's nur an, daß der fürchterliche Baß einmal schweigt? – Halt, hol' dir den Alten zum Tanz, die Klarinette und Violine machen's auch einmal allein!«

Es geschieht, und hochgeehrt fühlt sich der wackere Meister Krischan Fehlhaber; er wirft sich in die Brust und dienert, schmunzelt, sein Gesicht – der ganze kahle Kopf strahlt. Plötzlich aber wird er verlegen: »Du deinen Posten verlassen? Musike ohne Baß – gibt's das? Wär' ja, hm, wie ein Stuhl ohne Beine, wie ein Wagen ohne Räder. Doch der gnädigen Frau einen Korb geben –?« 141

Der Schlauberger aber weiß sich zu helfen. Den nächsten besten Bauernbengel winkt er sich heran, und er schiebt ihm seinen Brummbaß in die Arme: »Da, Willem, du, striek mal äwer vör mick!«

Dieser, verdutzt: »Wat? Nanu, Fehlhaber, du büst woll mall, kann ick denn dat, ick bün doch kein Bassenstrieker nich!«

»Du Schapsdämel, kiek her,« darauf der Alte. »So nimmste 'n bi 'n Kopp, kiek so, un in de anner Hand de Strieke: man feste weg los un striek man ümmer in de Midd!« 142

 


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