Karl Söhle
Schummerstunde
Karl Söhle

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Schummerstunde

Heuduft erfüllt das Dorf, und lebt der ganze Frühling noch mal wieder auf in diesem Duft, alles was da blühte auf den Wiesen. Die verlorenen krausen Halme überall – kam doch ein Fuder Heu hinter dem andern hereingeschwankt bei dem schönen Wetter, und auf dem holperigen Dorfpflaster geht immer viel verloren. Auch die unteren Zweige der Eichen um den Kirchhof, wo alles vorbei muß, haben ganze Kuhmäuler voll sich frech heruntergegrappscht, und sie spielen nun damit.

Ist Freude im Dorfe; nach der Heuernte kann man doch schon freier atmen.

Warm übergoldet sind noch immer die Felder oben am Rande der Heide, wo die Sonne gesunken ist; hell bleibt's noch lange, doch mild ist das Licht, schummrich, weich sind die Schatten, und aller Staub vom Tage hat sich gesetzt. Noch schmettert eine ferne Drossel, Mücken tanzen durch die klare Luft, versprengte Trupps, und einzelne Schwalben flitzen munter noch immer herum; den Kirchturm umflaggelt bereits emsig ein Fledermauspärchen. –

Das Gegröhle der Jugend verstummt endlich auch. Freilich den lautesten Schlingel, Schimmel-Hüsers 12 Wittkopp, den muß sich die Mutter mit Vaters Leibriemen auch heute wieder hereinholen.

Auf den Klöhnbänken genießen die Alten bereits mit Leib und Seele die Schummerstunde, und das Jungvolk kommt nach und nach auch zum Vorschein, und zwar frisch gewaschen, nach dem Staub des Abladens. Und nun sitzt alles da und dehnt sich und klöhnt. Vor Papenschulten kleiner verräucherter Kate mit den vielen Schwalbennestern, wo die alte Günsche mit einwohnt, die Boten- und zugleich Totenfrau. Ferner beim Rademacher, deutlich zeichnen sich die Köpfe ab von der weißgetünchten Wand, und beim Bäcker: da zirpen die Singeltrudchen (Heimchen) im warmen Backofen.

Schummerstunde! Die Blumen duften noch eins so stark nun in den Gärten, fangen doch die Rosen schon an, und Goldlack-, Resedaduft und dazu die Schärfe des Buchses, der Walnußblätter. Fließt schneller darob das Blut in den Adern, erglühen die Wangen der Deerns, der Jungkerls und haschen kühn sich die Blicke, gesellt auch wohl Hand sich zu Hand, Fuß sich zu Fuß, ganz sachte, heimlich. O Wonne des Blühens – Jugend, auch das ärmste Leben treibt da schon einmal eine Knospe!

Bei Großvater Fanehl-Heinemann freilich, dem knorrigen alten Wiesenmacher, in seinem Vorgärtchen, 13 unterm Nußbaum, da ist's abends immer am gemütlichsten, und gern gehen die Nachbarn hinüber. Schon wegen Großvaters Geschichten! Von allem, was passiert ist im Dorfe, weiß er genau Bescheid, und bis an die Franzosenjahre, an den Russenwinter zurück kann er erzählen. Die alte Günsche dagegen mit ihren Neuigkeiten! Die Alte flunkert zu viel. –

Dunkler ist's geworden, kaum daß man's merkte. Im Nußbaum tuschelt's und wispert's, alle Blätter leben und atmen und regen sich. Ein Zaunigel pusselt über die Straße. Große Nachtfalter umschwirren die Ligusterhecke. Auf der hochragenden Spitze des Ziehbrunnens hockt plötzlich ein unheimlicher Vogel, der Totenvogel: »Kumm mit!«

Großvater schweigt, wischt sich die tränigen, alten Augen, und er nimmt zitterig-bedachtsam eine Priese. Und einen frischen Kopf stopft sich derweil von den Knechten noch dieser und jener. Von einem Mädchenmorde in der Gemarkung, am Krünkel, hinter der Kühle, just um die Heuernte, ist flüsternd nun die Rede. Es war ein halbes Kind noch gewesen, doch schon voll und stark im Wuchs und blond und schön. Ungesühnt ist die Untat geblieben.

»Kumm mit! Kumm mit!« Schaurig, es gellt einen durch! 14

Allerhand Späukels jetzt, vom Pastoren ohne Kopf, vom »witten Schimmel«, vom Zaunhasen und vom Nachtraben und von Wärwölfen, und die Deerns kommen aus einer Gänsehaut in die andere. Alles ist wirklich passiert, das kann der bezeugen und der, er müßte sonst schweigen wollen. Den schlimmsten Wärwolf aber, so vor Jahren umgegangen in der Gegend, er selber, erzählt der Großvater, wäre ihm wirklich und wahrhaftig einmal begegnet, auf dem Prachelberg, hinter der Windmühle, zwischen den Zwieselfuhren, in einer sturmdurchwühlten Herbstnacht. Ein schon bejahrter Moorbrenner wäre er gewesen in seiner menschlichen Gestalt, von einer einsamen Brink hinterm Hestenmoor. –

Alle Schatten sind allmählich hart und schwarz geworden. Kühl weht's plötzlich herein, und man riecht die Heide und die Fuhren, die Birken, Wacholder draußen und das Korn, das schon hoch in Ähren steht und blüht, man riecht den ganzen köstlichen Segen der Felder. Und mit einem Male hört man aus dem Moor ganz deutlich die Frösche; sie üben eifrig noch immer an ihrer großen Kantate, zum Preise des Frühlings.

Plötzlich im Kirchturm ein scharfer Knacks. Die Uhr hat angesagt. Und schwer fällt der Klöppel: die alte klirrige Glocke mahnt. Gute Nacht denn, »tau Wiemen, Kinners!« 15

Gute Nacht! –

Das letzte Scheinchen Licht in den Häusern ist verloschen, eine Bettstatt des Friedens jedes schlafende Haus. Im Schulhause jedoch neben der Kirche schimmert noch Licht. Sieh, der junge Lehrer mag noch nicht schlafen; der Schwärmer, er hat noch Gedanken! Ans Klavier setzt er sich gar noch, und aus dem offenen Fenster tönt's ins Dorf, ein Präludieren, leise erst, doch allmählich wird's beherzter. Voller Inbrunst jetzt: »Nun ruhen alle Wälder«. Und rauschen dazu im Abendwind die Kirchhofseichen. Hoch im Blau darüber der Mond, glitzernde Sterne. Hört jedes Sternchen aufmerksam zu, und sogar der vornehme Mond neigt lauschend sich ein wenig herab.



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