Karl Söhle
Schummerstunde
Karl Söhle

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Das alte Spritzenhaus.

Eine Stromergeschichte.

Das alte Spritzenhaus in Runkelfeld ist gewesen, man hat's kalten Herzens abgebrochen, und das schiefe und verwitterte Fachwerkhäuschen, unter lauschigen Linden, von Efeu dicht umrankt, es war der einzige anheimelnde Fleck in dem öden Dorfe. Hier war der Sammelplatz aller Jugendspiele, Kinderjubel erklang hier Sommers und Winters, zu jeder schulfreien Stunde. Ein Kriegerdenkmal will man errichten, da, wo das alte Spritzenhaus gestanden hat, so wie sie in Strulleborn und überall schon lange eins haben; das ist einstimmig von sämtlichen vereinigten Vereinen beschlossen worden. Und aus dem neuesten illustrierten Preiskatalog der privilegierten großen Berliner Aktiengesellschaft für vaterländische Denkmälerindustrie G. m. b. H. hat man sich gleich für eine ganz extra geschmacklose Nummer entschieden. Ein steinerner Obelisk (Nr. 3072) soll's sein, lorbeerumwunden und oben mit der vergoldeten Kaiserkrone, von Gußeisen.

Gewesenes altes Spritzenhaus, du friedlich Stilleben, lieber Gott, hat's doch seit Menschengedenken nicht gebrannt in dem weitläuftig gebauten Dorfe. Die alte Gemeindespritze, hinter den verstaubten Lehmwänden, man hat sie schnöde aus dem Schlafe gerissen! Die 81 vielen Kreuzspinnen können einen auch dauern; hin sind jetzt ihre zierlichen und ertragreichen Netze am Spritzenkasten zwischen Deckel und Pumpenschwengel, und für gut Wetter in Runkelfeld haben sie doch gesorgt manchen lieben Tag – o Undank der Welt!

Abgebrochen, vernichtet, und warum? Weil's im Spritzenhause einmal – gespukt hat. Deswegen war den Bauern das Häuschen verhaßt. Eine fatale Geschichte. Wismer, der Schweinekäufer, der ist mit dabei gewesen und hat's unter die Leute gebracht.

* * *

Nach dem Kriege, in den ersten siebziger Jahren, blühte dem Stromervolke in deutschen Landen überall der Weizen. Kommt's da an einem Abend im Herbst auf Runkelfeld zu die Landstraße heraufgegröhlt, schlurfenden Trittes und Taktes:

»Wenn brave Burschen wandern,
So ist die Arbeit aus.
Da sagen wir: Adje Partie!
Und machen uns nichts draus.«

Die drei Paar maroden Stromerbeine jedoch lassen sich nichts mehr weismachen. Am wenigsten die knickigen Beinichen des wandernden Schneidergesellen, erbärmlich zu schauen! 82

»Schuh' und Strümpfe sind zerrissen,
Durch die Hose pfeift der Wind!«

An drei, vier Pferdelängen ist er zurückgeblieben hinter seinen beiden »Reisekollegen«, dem schwammigen Magdeburger, Weißgerber seines Zeichens, und dem Faßbinder, einem vierschrötigen Hamburger Kinde. Erst vor etlichen Tagen hatte man sich von ungefähr auf der Walze zusammengefunden und brüderlich vereinigt.

O mein Schneiderlein! Stehen bleibt's, und es lehnt sich an eine Wegbirke, hebt die Füße, langsam einen nach dem andern, lupft an den jämmerlich kaputten Trittchen (Stiefel in der Stromersprache) herum und wiegt betrübt den Kopf: »Wären mer derheeme geblieb'n. Kann mich gleich ärgern, ei ja, die Zwee, die hab'n gut feixen. Die sein's Loofen gewohnt und haben ja ooch Beene daderzu –«

»Vorwärts marsch, Sachse, links – rechts, 't helpt allens nicks!«

»Hamburger, ich bleib liegen, uffhängen tu 'ch mich!«

»Bong man jut, 's beste, wat du machen kannst, Spitzmaus,« höhnt der Weißgerber. »Is'n Übergang. Die ersten fünf Minuten sind die schlimmsten.« – Spitzmaus ist des Schneiders natürlicher und selbstverständlicher Spitzname, seines spitzmäusigen Gesichtes wegen. 83

Weiter geht die Wanderung durch die herbstliche Heide. Und der Faßbinder summt und pfeift abwechselnd in gemachter Lustigkeit:

»Es wollt' ein Binder reisen
Wohl in span'sch Niederland;
Er hätte gern gebunden,
Da er zu binden fand.
Lüüterüfüterüluü!«

Dunkel wird's allgemach, Wind macht sich auf, und der Fuchs braut (es nebelt).

Plötzlich lichtet sich die Fuhrenschonung – Gott sei Dank, am Ziel für heute: da liegt's, das »Kaff« – das Dorf Runkelfeld!

Ein Herdfeuer blinkt auf. Appetitlich duftet's herüber mit dem Winde. Ah, immer noch eine Nase voll – und die drei Handwerksburschennasen, die spitzen sich und schnuppern. Nach gebratenem Speck riecht's: Bratkartoffeln, wirklich, und ganz gerührt werden sie, ordentlich wie Weihe und Andacht überkommt's die Stromer. Doch was kann's helfen, nieder zunächst in den Graben und Kriegsrat halten!

Das Kaff (Dorf) kunstgerecht von drei Angriffspunkten her noch mitzunehmen (abzufechten), wird beschlossen und morgen beizeiten, wenn der Deckel (Gendarm) noch in den Federn liegt, aufzubrechen, mit 84 frischem Sauf (Schnaps) in der Pulle, denn besser ist immer besser, wenn die Flebben (Papiere) ja auch leidlich in Ordnung sind. Für das jammernde Schneiderlein gibt's nur den einen Trost, man will ihm die Winden (Häuser) an der Kirche – den Gallach (Pastor) und den Schaller (Lehrer) – großmütig abtreten, wo er am ehesten vielleicht zu Trittchen kommen kann.

Wie beschlossen, so geschehen. Doch o Tücke, beim filzigen Schaller, da gibt's überhaupt nichts und beim Gallach statt abgelegter Trittchen ein mageres Käsebrot, und überdies läßt der Mann Gottes die gestrandete Seele nicht gleich wieder fahren; sie muß ohne Gnade mit in die Leutestube zur Abendandacht. Mit dem Fechten ist's damit für heute vorbei. Und auch noch nicht einmal genügend Draht (Geld) zum Übernachten beim Baas (Herbergsvater) hat der arme Teufel beisammen; die paar Pfennige in der Westentasche, wehe, die langen nicht zu. Hm, zu Mutter Grün oder in die nächste beste Scheune.

Kommt mein Stromer, zwar moralisch frisch beledert, todmüde aber zugleich und gar betrübten Herzens an das alte Spritzenhaus, und er bleibt davor stehen und überlegt: »Hm, 's Sprützenheisel. Die Zwee, freilich, se machen alleene weiter morgen, sowieso –.«

Man kann hinein, das Tor läßt ohne besondere 85 Anstrengung sich öffnen, und im Winkel hinter der Spritze schimmert zum Überfluß sogar noch ein Bund Stroh durch die Dunkelheit; darum kein Besinnen länger, und im Handumdrehen hat der müde Gast sich's drinnen bequem gemacht. So, nun ist auch der Kopf auf dem harten Berliner in der richtigen Liegekerbe, und die Augenlieder fallen zu. Mein Stromer tut einen großen Schlaf.

* * *

Die Sonne lugt ins Dorf. Ein schelmischer Strahl küßt den Schläfer nun gerade auf die Nase. Höher steigt die Sonne, die Stunden verrinnen, es wird Mittag – Kaffee-, Vesperzeit, und endlich erwacht der Stromer. Sein Magen meldet sich. Gott sei Dank, es steckt im Berliner ja noch etwas Preßwurst und Brot und auch noch ein Rest »Sauf«. –

Ihm hat's »über den ganzen Mund geschmeckt«, als er sich nun wieder der Länge nach auf dem Stroh siehlt und verdaut. Seine alten Trittchen – aufzuflicken gibt's daran nichts mehr, keine Möglichkeit, und damit nun wieder auf die Walze? Schweinequieken, Gänsegeschnatter schallt ihm als Antwort von draußen herein; Hähne krähen, dann und wann schlägt ein Hund an, brüllt eine Kuh – alle die Stimmen des dorflichen Werkeltages. Seufzend erhebt er sich, und er 86 wälzt die große Feuertrommel ans Tor, steigt hinauf und schaut durch das Luftloch hinaus in die Welt. Schräg gegenüber ragt der massive Ziegelbau des Dorfkrugs. Ein Mistwagen steht davor. Kinder. Klatschende Dorfweiber.

Der Stromer langweilt sich, und endlich hockt er sich nieder auf die Trommel und macht Pläne. Ein Stück Schlauch liegt da vor ihm, und er langt mechanisch danach; er spielt, schlenkert damit, und unwillkürlich spricht er hinein in das metallne Schraubrohr. Schauerliche Geistertöne erklingen. Erschrocken setzt er ab: Herr Jeses, wenn man ihn hörte!? Zugleich aber blitzt ihm eine Idee durch den Schädel, und seine Augen funkeln. – Doch bald sinkt ihm kleinmütig wieder der Kopf. Nein, so dumm sind die Bauern nicht, auch in Runkelfeld nicht! – Jedoch, hm, 'n Versuch schließlich? Was macht's aus, geht's schief und sperrt man ihn ein, pah, ihm auch egal, da hat er doch eine Zeitlang freie Pension.

* * *

Gegenüber im Kruge wird's lebendig am Abend. Denn einen großen Tag gilt's zu feiern. Dem Orte ist Heil widerfahren. Man hat ihn gewonnen, den großen Prozeß mit einer verhaßten Nachbargemeinde. Nach fast 87 zwanzigjährigem Kampfe. Gewaltig wird deshalb gezecht, natürlich. Immer wüster der Lärm. Durcheinanderschwatzen, Gröhlen, Trampeln, auf den Tisch hauen.

Der Stromer im Spritzenhause, der hört den Spektakel, und er schmunzelt: »So ist's gut. Nu los!«

Gerade erzählt wieder Christoffer Kruse, der Ortsvorsteher, lang und breit die große Prozeßgeschichte – da, um Gottes willen, was gibt's? Der Wirt kommt herein, ganz blaß, und meldet: »Kinners, hier is dat nich richtig buten!«

Langgezogene, dumpfe Klagelaute. Aus dem Spritzenhause. Die Bauern horchen auf. Schnapsselige Gesichter.

Horch, nun gar zusammenhängende Worte:

»Hab' im Grab keene Ru . . . . . . uh:
Pferd und Ku . . . . . . . . uh,
Schwein, Schaf, Hu . . . . . . und
Bleib'n eich gesu . . . . . . . und,
Weil ich mach fo . . . . . . . ort
An'n anderen O . . . . . . . ort,
Schpendiert mir daderzu . . . . . . u
ä Baar neie Schu . . . . . . . uh,
Durch's Luftlechel hie . . . . ier
In der Die . . . . ier!« 88

Die Bauern fassen sich an die Köpfe: »Nanu, wat is düt? – Stah mick bi, nu weit ick, wat dat mit unse kranke Kauh vör 'ne Bewandnis hat,« flüstert Vollkötner Drögemüller. Und man raunt weiter sich noch zu: »Unse Blesse lahmt siet gistern.« – »Nahwer, mick sünd twee Schaape dod blewen.« – »De schöne Preßwost, de mick ut 'n Wiemen weg is, am Enne stickt de Geist ok dorachter?«

Christoffer Kruse, der Vorsteher faßt sich zuerst: »Ick gah henn un hal mick 'ne Forke.«

Ein anderer, Schuster Reese, darauf: »Ich hal mick 'ne Seeßel (Sense), man kann ümmer nich weiten –.«

Horch, und nun wieder dieselbe Litanei:

»Hab' im Grab keene Ru . . . . . . uh: –«

Und Stellmacher Düvers August, der auf der Wanderschaft war und sich so leicht nicht verblüffen läßt, der bemerkt: »Mick dücht, de Geist is nich van hier. Hei stammt ut 'ne annere Gegend.« –

Vorsteher und Schuster kommen nun zurück, mit Forke und Sense bewaffnet. Man berät sich. »Kinners, wat is tau maken? Wat, Schauh will hei hewwen, nanu, 'n Geist –: Schauhe, i dat will mick nich inlüchten, widd 'rann, wer gaht mit?« fragt der tapfere Vorsteher, und er fuchtelt mit seiner Forke. Man berät sich von neuem, man lamentiert, flucht, streitet, man prügelt 89 sich beinahe. Endlich jedoch wird beschlossen, dem wunderlichen Geist ein Paar Schuhe zu opfern, auf Gemeindekosten, um ihn damit gütlich loszuwerden. Und der Schuster holt welche. In die Spitze eines langen Bohnenschachtes wird eine Kerbe geschnitten, und da hinein hängt man die Schuhe, die Stärksten und Tapfersten fassen sodann an, so wie die sieben Schwaben den gemeinsamen Spieß, und man rückt vor. Durchs Luftloch in der Tür stoßen sie die Schuhe hinein, und holterpolter schleunig alles wieder in den Krug zurück. –

Der Mond geht unter, stockfinstere Nacht ist's, und jetzt ist die beste Gelegenheit: husch, macht mein Schneiderlein in den prachtvoll passenden Trittchen sich davon.

Eine Weile danach, und die Bauern im Kruge horchen auf. Ein Geschirr kommt, Schweinekäufer Wismer!

»Wat is hier los noch so lad, wat koppelt jü jück denn hier?« fragt Schweinekäufer Wismer.

Man erzählt ihm die gruselige Begebenheit.

»Wat, jü Schanökers (Mistkäfer), jü Bangeböchsen, ha, den Geist, den will ick jück woll bannen!«

Der Wirt muß die Stallaterne anzünden, und man rückt vor zum Sturm. Der Schweinekäufer reißt das Tor auf, er faßt den Peitschenstiel, und er kommandiert, langsam, schrecklich: »Im Namen des Vaters, 90 des Sohnes und des heiligen Geistes, Geist, komm 'raus, 'rrraus!« Dreimal spricht er's, und jedesmal fallen die Bauern ein, feierlich, im Chor: »Alle guten Geister loben Gott den Herrn!«

Nichts aber rührt sich, nichts ist zu sehen. Hm, unsichtbar macht der Geist sich, natürlich.

Plötzlich aber fällt grell der Schein der Laterne auf die Feuertrommel und bückt sich Wismer, der Geisterbeschwörer, zwei elende Schlarren, ein Stück Wursthaut und einen bleibekritzelten Zettel grappschen seine Fäuste vom Fell, und hohnlachend liest er den Zettel vor:

»Dahier hab ich gesessen
Und Pres Wurst Gegessen
Und bin aber Selbig nacht
Mit heisen Dang noch fortgemacht!«



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