Karl Söhle
Schummerstunde
Karl Söhle

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Die Grube.

Im einsamsten Winkel vom Amte Isenhagen, zwischen der Gosemühle, dem Hesten- und Gagelmoor und dem Prachelberg mit der Günne, einem alten Heidkrug, da senkt die Heide tief sich herab zu einer weitgedehnten Mulde, die Grube genannt. Ein wüster Fahrweg quält sich durch den Bleisand, auf die Stadt Ülzen zu. Nur selten ist ein Wandersmann darauf zu erblicken, noch seltener ein Gespann. Eine Krähe, einen durchreisenden alten Fuchs, dem daheim der Boden zu heiß geworden, einen verirrten Schmetterling sieht man wohl. Doch kreuzt gar zu verschiedenen Malen eine Krähe den Weg, da möchte man sich an den Kopf fassen: hm, wer weiß, ob's nicht immer dieselbe ist.

Öde ist's in der Grube, gottverlassen öde. Nur der Wacholder gedeiht. Hier und da noch spärliche Siedlungen krüppeligter Zwieselfuhren, einzelne Kummerbirken, doch sonst kein grünes Laubblatt und nicht die Spur von Leben weiter; kein Lerchenlied, nicht einmal ein Meisenstimmchen ist zu hören. Immer die gleiche heidegraue Trostlosigkeit, mag der Junihimmel herniederblauen froh und gütig, oder mag's stürmen und regnen. Im Spätsommer freilich, in den paar Wochen der Heideblüte – der Brauttreue, da weht auch durch 62 die Grube ein Hauch Liebe, und die Immen bleiben nun auch nicht aus.

In der Grube spukt es, selbstverständlich, überhaupt da »ist's nicht richtig«, in dem ganzen Winkel. Denn so tot auch die Tage, so voll schauerlichen Lebens sind die Nächte in der Grube.

Wenn der volle Mond bleich und stumm und traurig in die Wacholder starrt, alsbald regt sich's im Schatten hinter den feinen Nadeln, schleicht umher, es hebt die Arme, reckt den Hals, winkt und flüstert: Tiere, vermummte Gestalten, Männer und Weiber, Große und Kleine – jawohl, allerhand Gelichter geht da um, Gott zum Hohn und den Menschen zum Schaden. Seit unvordenklichen Zeiten. Darüber wissen sie in den umliegenden Dörfern, in der Gosemühle zumal und auf der Günne zu erzählen, im Winter, abends am warmen Kachelofen, Geschichten, brrr, eiskalt läuft's einem immer dabei über den Rücken!

Der Förster Schrager aber kann's am besten; gehören doch Grube und Prachelberg zu seinem Revier, und er kommandiert da geradezu über das ganze spukige Gelichter, Förster Schrager, schon von Amts wegen. Ja man sollte meinen, er stünde auf du und du mit ihnen allen. Mit dem Pastoren ohne Kopf, der's auf die Fuhrwerke abgesehen hat. Hintenauf setzt er sich 63 plötzlich, die Rechte fährt hemmend in die Speichen und der Wagen muß halten, und die knöcherne Linke dem Fuhrmann an den Kragen. Ferner mit dem Helljäger im roten Tressenrock, gleichwie ein reitender Förster der alten kurhannöverschen Zeit. Er muß reiten und hetzen bis zum Jüngsten Tage, verfluchter Freikugeln wegen. Und nicht zu vergessen die unglückliche Nonne im schlohweißen Totenhemd. Und ferner treibt da noch sein Wesen der »witte Schimmel«, um Mitternacht herumgaloppierend, auf verkehrten Hufeisen, schnell wie der Wind, und so er den Wanderer erspäht hat, da von hinten heimtückisch auf ihn los – vor die Füße hat er sich ihm geworfen urplötzlich und ihn zu Fall gebracht, und hin ist der Ärmste: langsam knackst das Untier ihm die Rippen. Auch Wärwölfe wechseln zuweilen in der Grube; der Förster will sogar 'mal auf einen geschossen haben. Es kommt aber darauf an, wie man's mit ihm gerade trifft, denn der Förster kann seine Launen haben, und da leugnet er alles ab, kalt und höhnisch, das bringt er fertig. Und so macht er's auch heute, am ersten Adventsonntag, und Ärger beim Kartenspiel ist schuld daran.

Kindstaufe feiern sie bei Christoffer Diercks, dem großen Schweimker Meierbauern. Feiert das Jungvolk und die gesamte Weiblichkeit auf der Scheundiele, bei 64 Zuckerwasser, Braunbier und Korn, und die Alten aber sitzen hinten in der sauberen Kellerstube und trinken einen steifen Grog, der Taufvater, Förster Schrager mit seinem Waldmann; der Schulmeister; Bargmann, der Gutspächter, und Jochen Prüter, der Wiesenmacher.

Vorbei ist die Partie Sechsundsechzig. Schmählich in die Luft gesprengt ist sie. Durch Förster Schrager. Er hatte Pech gehabt und darob natürlich sein Pierken und Stänkern nicht lassen können. Und ein Wort hatte schließlich das andere gegeben. Stumm hocken sie nun da und fressen ihren Ärger in sich hinein, die alten Freunde und getreuen Nachbarn, und sie paffen dazu aus den kurzen Pfeifen, der Schulmeister jedoch aus seiner langen von wohlriechendem Weichsel. Verächtlich wühlen die Augen in den zusammengeschmissenen Kartenblättern. Der Taufvater hatte zwar schon mal versucht, die Kohlen ein bißchen wieder aufzuprökeln, jedoch: Asche, es wurde nichts. Langsam frieren die Brägen (Gehirne) ein, die gekränkten Herzen aber bleiben in Hitze mit den dampfenden Groggläsern, die der gute Taufvater nicht leer stehen sehen kann.

Im Kachelofen prasseln die Buchenscheite. Draußen durch die Hofeichen pfeift der Wind, er stößt von Zeit zu Zeit ungestüm gegen die Fensterläden und Luken und rackert daran mit grimmiger Faust. 65

Dehnt sich endlich Vater Christoffer in seinem strohgeflochtenen Lehnstuhl und hujahnt (gähnt) in die hohle Hand: »Na, wer hüt noch up'n Prachelbarg un dörch de Grauw mudd, de kann sick sicher up wat gefaßt maken. Kein Mahn und kein Stirn buten, da sünd sei bösartig, da is nich mit jüm tau spaßen. Herr Föster, ick mein' man, Sei gaht nahst doch leiwerst Schassee nah Hus, nich?«

»Hä, dat sall woll sien,« nickt hämisch Bargmann, der Gutspächter, und wischt sich in die vorstehenden, tränigen Augen.

»I sollt' mir einfallen, so^n Umweg!« brummt der Förster gereizt.

»Nanu, Herr Föster?« Bargmann wiederum und geheimnisvoll zum Fenster schielend: »Hei hat sick doch letzlich wedder seihn laten, jawoll, de P'stohr ohne Kopp. Handelsmann Kleefaut hat'n seihn, sinen swarten Talohr hat hei an hat, mit witte Bäffkens, un unnern linken Arm hat hei sinen Kopp dragen. De Mahn hat da prick up dahlschient, jawoll, tau Kleefauten sin Glück, denn bi Mahnschien daut se einen ja so licht nicks.«

»Dummes Zeug,« schnauzt der Förster. »Kleefuß hatte woll wieder einen genommen; er mag ja gern einen, ha, und schnackt 'was zusammen. Geht alles mit rechten Dingen zu, hier und überall!« 66

»Aber, Herr Förster,« spricht der Schulmeister darauf in der Sofaecke, langsam und pädagogisch: »erst vorigen Sonntag haben Se doch selber davon erzählt, würklich, den heilen Abend lang haben Se erzählt vom Helljäger, vom Pastoren ohne Kopf, würklich, man mochte sich vor Angst und Bewer kaum rühren.«

»Ach was, hab' nu aber hinter die Kulissen gekuckt: Unsinn, dummes Zeug, alles! Man muß man keine Bange haben. Drauf los, Pottsdeuker und – heidi, allemal, da hatte 'ne Eule gesessen! He, Waldmann, was meinste, wir beide wissen nu Bescheid! Den Deuker, unser Revier, wir haben's doch auch zu verantworten!«

Schweigend guckt man sich an und greift nach den Groggläsern. Man kennt ihn ja. Waldmann aber läßt ein verständiges Knurren hören zur Bestätigung, und er wedelt, aber gemessen, nur mit der äußersten Spitze. Er ist ein gescheiter Dackel und auch gewohnt, daß man ihn respektiert.

»Pure Einbildung, sag' ich, alles, Hühnerglauben! Sapperlot, beweisen wollen wir's euch heute! Nich, Waldmann? Pst, aber nu kusch dich, brauchst dich nich immer gleich so wichtig zu machen! Pah, der Pastor ohne Kopf!«

»Wat – nanu, Herr Förster –? Vertellen!« 67

Der Förster kneift die Augen ein und streicht sich den Bart und die buschigen Brauen; plötzlich aber schurrt er die Beine vor, reißt weit den Mund auf und hebt an:

»Na, paßt auf. Wahre Geschichte. Auf'm Ülzer Markt sind se gewesen, der alte Keppel-Lüssen und Kötje, der lütje Koppschuster (Mützenmacher), so'n Buttjer, so'n Dreikäsehoch, im Wirtshaus ümmer 'n krätiges Lork, aberst draußen –«

»Buten 'n richtigen Schetterhamel,« nickt Bargmann, »ick kenn'n, hä, wenn't losgaht, neiht hei ut.«

»Weiter. ›Keppeln Vader, du fäuerst doch Schassee trügg, nich?‹ fragt er.

›I nee, Kötje, is mick tau veel um, ick fäuer dörch de Grauw,‹ antwortet der Bauer, und mein Musche (Monsieur) Mützenmacher, schon gleich ganz wittschen (blaß) sieht er aus: ›Nanu, Jehann, bi Nacht dörch de Grauw, um Gottes willen, da späukt dat doch in, de P'stohr ohne Kopp löppt jetzt grade wedder 'rum, Kleefaut hat'n –‹

›Weit ick, Sähn,‹ schnaudelt der Alte. ›Na, aewerst giww dick man tau, wi kamt vör Nacht noch dörch, fuddert heww ick all, ick will man sülwer blot noch'n Happen eten un denn ok glieks anspannen. Psch, i wat denn, sedd dick man irst noch'n beten dahl bi mick, sittenden Mors kann veel bedenken, as dat Sprückwurt seggt.‹ 68

Sie fahren endlich los, zum Veerßer Tore 'naus. Keppel-Lüssen is ja nu aber 'n ganzen fidelen alten Bengel, wenn er mal dazwischen 'raus ist, i nu und gute Geschäfte hat er auch gemacht –«

»De Muscheblix,« bemerkt der Taufvater, »de weit sinen Voß tau lei'en (leiten)!«

»Er läßt die Gäule gemütlich Schritt gehen, ganz ötepetöte nach ihrem eigenen Kopp, weil se doch auch'n büschen 'was davon abhaben sollen. Und wenn der kleine Koppschuster ›Jüh‹^ schreit in seiner Angst und antreibt, sagt der Alte: ›Psch, Sähn, man ümmer ruhig Blaud, wie kamt woll sacht noch henn. I wat denn, 't is allens liekeveel (gleichviel), wenn't Unglück sin sall, kannste 'n Finger in de Näs' affbreken.‹

In jedem Dorf wird angekehrt, und der Alte trinkt immer abwechselnd einen Pastoren (Weinglas voll Schnaps) und Generalsupperdenten (Bierglas voll Schnaps), und mit 'nem gehörigen Schwipps im Kopp laden se'n endlich im letzten Dorf vor der Grube wieder auf und geben ihm Leite und Peitsche in die Hand. Bloß noch gelallt hat er da, als der Koppschuster wieder jammert: ›Psch, Sähn, i i wat denn, 't is all ein Gott un ein Pott!‹ Und dann bloß noch: ›Jüh . . . . üh!‹ und eingeschlafen ist er.

So sind se in de Grube 'rein. Düsternis dort, Wind 69 und Visselregen immer in einem hin, kein Stern am Himmel. Und mein Mützenmacher, den ganzen Katissen (Katechismus) hat er hergebetet in seiner Angst. Und immer dunkler wird's und der Wind immer doller, und das arme Worm wimmert: ›Nu kummt hei ganz sicher!‹ Bei kleinen hat der Alte sich aberst vermuntert und's auch mit der Angst gekriegt. Und schärfer hat er nu fahren wollen. Mit einem Male mahlt der Wagen schwer und immer schwerer durch den Sand, und man hatte doch nich gebremst – er kracht zuletzt in allen Fugen. Mein Mützenmacher hockt auf'm Futtersack, im barwten Kopp, halbdod vor Gräsen. Und der Bauer – plötzlich jankt er: ›Pottsdeuker, wat is dat, dat eine Hinnerrad gaht ja nich 'rum? Herrje, ick glöw, hei sitt da all up un höllt de Speiken wiß! Hei grippt tau mit de anner Hand, glieks, hei kriegt uns bi'n Wickel, Kötje, hei dreiht uns den Kragen um, einen nah den annern, erst dick, denn mick!‹

Und nu mit aller Lebensgewalt in die Pferde 'reingewammst, wie rasend. So kommen se endlich an die Gosemühle, mit Mordsspektakel und Ach- und Wehgeschrei. Der Müller und die Knappen und Knechte 'raus aus den Federn, im bloßen Hemd vor's Haus gestürzt, Laterne geholt, Knüppel, Forken: ›Gottes Barmherzigkeit, wer is da, wat is los?‹ Beide auf'm 70 Wagen brüllen zugleich mit vereinten Kräften: ›Alle guten Geister, hei sitt hinnen up, de P'stohr ohne Kopp!‹ Und die Gäule keuchen und dampfen, über und über sind se mit Schaum bedeckt, na und als sie se endlich beim Kopp haben und hinten hinleuchten, was sehen se da?«

Der Förster hält inne, beißt sich die Lippen und blickt um sich. Die Spannung ist groß, der Schulmeister ist ganz blaß geworden. Und die erloschene Pfeife ausklopfend, hohnlacht der Förster: »Haha, man bloß die olle Wagenkette war's gewesen; die hatte sich losgereppelt und war in die Speichen geraten. Das war der Pastor ohne Kopf.«

Als man noch im vollen Wunderwerken und kaum einen Schluck zur Beruhigung genippt hat, schlägt der Förster die langen Beine übereinander; er wirft den Kopf zurück, reißt weit den Mund auf und spottet: »Ha, und der Schimmel, die unglückliche Nonne mit ihrem Büschekind auf den Armen – na, was meinste, Waldmann?«

Waldmann hebt das linke Ohr; er schrumpelt voller Wichtigkeit die Stirn und macht tiefverächtliche Augen.

Sein Glas stürzt darauf der Förster hinunter, hastig, daß Tropfen vorbeifließen, und er wischt sich den Mund und erzählt weiter:

»Der Übrigens-Dreyer und Drechsler Milters 71 Öhmiken (Onkelchen), diese beiden kurigen Käuze aus der alten Welt, 's ist zum Lachen, die wissen davon 'n Lied zu singen, Öhmiken und Übrigens-Dreyer – oder Unkel Wundermir: sein drittes Wort ist ›übrigens‹ oder ›ick wunder mir‹.

›Wir war'n Sie übrigens von Hannower mal auf Urlaub west, bei Muddern, t'ja, Milters Öhmiken un ich,‹ so erzählte er mir's neulich. ›Übrigens bei die Garde-Jägers haben wir Sie da gestannen, Herr Föster, t'ja, Anno dreiunfuffzig. Un wir dunn nachts slank durch die Grube. Blank gezogen, losgestiebelt! Mit einmal: bautz, liegen wir da! Wat Weiches und Weißes vor uns. Jeses Gottes Sohn, der witte Schimmel, un fühlen all alle unse Ribben im Leibe knacken. Un 's tut sich übrigens nich rögen vor uns, un ick wunder mir un sag ick endlich zu Milters Öhmiken: Milter, sag' ick, du, sag' ick, übrigens pierk doch 'mal hin mit dein Käsemest (Säbel). Er tut's aberst nich, der Schetterhamel. Na ick endlich mein Feuerzeug 'raus, pinker an un lücht Sie hin. Übrigens wat war's Sie da, Herr Föster? 'n mächtigen ollen Wollsack, den hatte woll Koopmann Sauske sein Knecht vom Wagen runnerrutschen lassen. Übrigens und wir nu übrigens in unsen Ärger nich faul: dain 'rumstochen un geritzt und geschlitzt mit die Käsemessers, ritsch un ratsch un kreuz un quer, daß's ne Art hatte.‹« 72

»Ha und was 's zum dritten noch mit der unglücklichen Nonne auf sich hat,« fährt der Förster im gleichen Atem fort, »na, paßt auf! Blödsinnig! Drangmeister von Örrel und der junge Riekhoff-Peesel, der jüngste, der Voßkopp, Knecht früher bei Refardt: 'n Kerl, rank un schlank wie 'ne Tanne, sechs Fuß, forsch dabei, bei den Alexandern in Berlin hat er gestanden. Auch vom Ülzer Markt kommen se reduhr nachts. Ha, und der Haber prickt se, 'n büschen aufgezogen hatten sie se woll auch mit der Grube. Und als sie den letzten Pastoren ausgetrunken haben, sagen se: ›Wi hewwt keine Bange nich,‹ sagen se, ›ha, Fläutjepiepe, wi gaht dörch,‹ und man tut mächtig dicke! Und der Mond hat allerdings geschienen, und kaum sind se 'rein, gleich macht Drangmeister lange Augen und flüstert: ›Willem, du, kiek da mal henn, hat sick da nich wat rögt eben, achter de ollen Macholler?‹ Sapperlot!« – der Förster malt dazu mit dem Daumen in die Luft: »'ne Weibsgestalt steht da, schlohweiß – der Kopf, die Schultern, Taille und so weiter. Kurz und gut, beide drauf los, Wetter ja, und blind 'neingedroschen in die Wacholder, mit den Eichheistern. Und was war's gewesen? 'n altes Strohschof! Ha, mußte woll 'n Wagen mit Stroh kurz vorher da durchgefahren und in den Zweigen 'was hängen geblieben sein. Haha, zu dumm, würklich: einmal Stroh, das 73 andere Mal Wolle – Stroh und Wollpuppen, nette Gespenster das, hu, gräsig!«

Nachdenkliches Schweigen darauf. Nur der alten Wanduhr frostig Ticken in der Schappecke hört man, und den schlafenden Waldmann unter des Försters Stuhl, er atmet in tiefen, gleichen Zügen. Trüb flackert das Krüselflämmchen durch den Tabaksqualm.

Draußen ist's inzwischen ein wenig ruhiger geworden; der Wind hat nachgelassen, er hat seinen Zweck erreicht, es regnet. Und nun ist seine Zeit gekommen, Jochen Prüter, der Wiesenmacher, der bewegt plötzlich seine stakigen Gliedmaßen. Im Innersten empört, hatte er des Försters Geschichten mit angehört, doch ohne eine Miene zu verziehen. Nun aber ist das Maß voll. Die versonnenen Augen fassen Blick, der durch einen überstandenen Schlagfluß schiefgewachsene Mund zuckt und verzerrt sich:

»O so welche! Un wissen doch nich mal, wie 'n Barkenblatt wächst. Aberst 'n Maul ümmer! Ich mein', wenn's einer könnt wissen, o so meine Wenigkeit, wo ich doch ümmerzu daüber simmelier, ümmerzu. O die, meinen sich was mit ihre Bäukers (Bücher), wo allens in wär, haben 'n großen Prökel (Stolz), o un lachen hochnäsig, ümmer wo se am wenigsten davon begreifen, in ihre Blindheit, as die lütten Katten! O un der 74 Föster is auch so einer! Mag er mich das krumm nehmen oder nich. Will uns hier den Respekt austreiben, o un die Religion, wo dasselbe is. O Gottesmurd, sag' ich, wo einer nix nich glaubt. Furns soll er's mich doch verklären, der Föster, wenn er kann, was ich nu noch verzählen will. Hatte ihnen auf der Günne 'ne Moorwüsche ausgestochen, un wo nahst mit 'm Bauer noch 'n büschen klöhnte, so zwischen Vesper un Abendbrot, o da kommt die Großmutter 'rein, wo bald ihre neunzig auf'm Puckel hat, o un die fängt an. Is ganz vor diesen in Sprackensehl 'n geizigen großen Maierbauer west, so 'n richtigen ausgemachten Geizkragen, wo de Gördel nich voll genug kriegen kann, as 'n ollen Hecht. O man blos Kartoffeln un Salz is bei'm auf'n Tisch gekommen, un'n büschen angebratenen Speck, zum Riechen. Kein Knecht, keine Magd hat bei ihm bleiben wollen. O un nachts geht er ümmer weg un nimmt sich 'n Gräber (Spaten) mit. Grenzsteine tut er versetten, 'ne ümmer größere Koppel will er haben. O un dabei hat er zuletzt 'was Schreckliches erlebt! Was eigentlich, das weiß man nich genau. O un krank kommt er nach Haus. Der Bostworm (Brustwurm) hat'n die ganze Bost ausgefressen, vollständig ausgehöhlt. Ümmer bei zunehmendem Mond is er bannig zu Gange in de Bost, nahst bei abnehmendem Mond – merkwürdig, da is's nich 75 so doll. O un is der Pastor gekommen, aberst der Bauer hat sich nich wollen trösten lassen, ümmer hat er gejammert: ›Herr P'stohr, de Weihdag (Schmerzen) hal ick ut, aewerst – de Dröme, de Dröme!‹ O un endlich is er dod geblieben un zur Erde gebracht. Aberst keine Ruhe nich unten, 'raus nachts, hin zu de falschen Grenzsteine, da hinauf un de Hänne gerungen un gewimmert: ›Hiehä, hiehä, hie gaht de Snei (Schneuse) hä!‹ O würklich un das hab' ich selber gehört, as ich über die Koppel weg nachts nach Hause ging.«

Der Förster brummt: »Alte Weibergeschichten!« und er schmökt, was seine Lippen nur ziehen können.

Draußen hat's inzwischen wieder nachgesetzt. Frisch erneute Windstöße. Eine Fensterlade lockert sich. Sie zerkracht, und der Regen klatscht zornwütig an die Ruten.

Ist alles darob sehr »verfiehrt« (erschrocken). Auch der Förster. Am meisten aber der Wiesenmacher. Seine ganz blaß gewordenen Lippen schippern: »O Gott, steh' uns bei in Gnaden, der Helljäger kommt! O man furns im Haus allens feste zu!«

Sofort erhebt sich der Taufvater und er befiehlt dem Großknecht, nachzusehen, ob das Katzenloch im Scheunentor auch richtig verschlossen, und schnell solle er ein Brett vors Fenster nageln, wo die Lade zerschellt ist, 76 damit er nicht ins Haus herein kann, der Helljäger, wenn er wirklich kommen sollte.

Als der Bauer wieder hereintritt, da stöhnt der Wiesenmacher tief auf; Schweiß perlt ihm über die Stirn, er jappt nach Luft und fuchtelt mit den großen, schwieligen Händen. Und nun aber spielt er seinen letzten Trumpf aus. Erdröhnen dazu die Hammerschläge des Großknechtes.

»O all die Werke der Finsterms! Stehet geschrieben, Gott läßt sich nicht spotten! O un läßt alle die höllischen Mächte ihren Lauf von wegen unser Sünden und Missetaten, denn Strafe muß sein. O un 's kann auch den Unschuldigen treffen. O da is der alte Bäschan-Neiwöhler, nich ganz bei sich is er, aberst geutlich, er tut keiner Fliege nich 'was. O wovon's so leeg mit'm gekommen is, die Großmutter auf der Günne wußt's, die Olle, die weiß ja rein allens, o un sie kann auch allens, Mensch un Vieh bespricht se wieder gesund. – Wo, i: mein' ich doch, 'n gewissen Herr Föster Schrager, wo se auch geholfen hat, bei seinen Reißmatismus –?«

Der Förster guckt ärgerlich unter den Tisch und macht sich mit dem Waldmann zu schaffen. Waldmann langweilt sich nachgerade, er winselt und möchte heim.

Und der Wiesenmacher fährt fort: »O, von'n großen 77 Hoff tut er stammen, Bäschan-Neiwöhler, o un nu sitzt das arme Worm in der Armenkate. O liebe Zeit, man sagt woll: von'n großen Hoff geht viel ab, aberst man kann doch ümmer nich wissen –«

»Wer wohrt (bewahrt, spart), de hat wat,« bemerkt Bargmann.

»Na, Neiwöhler, der denn auch mal nachts durch die Grube. In seiner Dämelackigkeit! So'n Döskopp: Theisnacht (Walpurgis) is's g'rade. O un da is's doll hergegangen! Die Hexen, Hott un Hüh kommen sie an, auf Besen un Forken, Kopp über, Kopp unner. O un die unglückliche Nonne is auch mit mang, auf'm witten Schimmel, oben auf. Un eine, wo genau as das olle Punter-Mienchen in Kloster Isenhagen ausgesehen hat, na überhaupt: viele, wo Neiwöhlern verdächtig vorgekommen sünd, wo er zu kennen meinte, er hat's man bloß nich weiter verraten wollen. O un 'ne höllische Musike machen se, alle haben se große Blasdinger vor'm Mund, un sie tuten rein, vor Lebensgewalt! Un zuletzt haben se Neiwöhlern auch was gegeben, er soll mittuten. O un er setzt an, er pumpt Wind in die Backen, zum Platzen, kein Ton aberst kommt heraus. O un wo er sich's endlich richtig besieht, was er in der Hand hat, o da is's gar kein Blasding nich, da is's 'n oller toter Kater, in den er von hinten ümmer 'ringeblasen hat. Seitdem 78 wäscht das pütjerige alte Gottesblut sich bis heute noch immerzu den Mund vor Ekel. O würklich, in so dollen Herbstnächten as heute, o da geht's allemal doll zu in der Grube, ganz doll. Der Helljäger is da jetzt die Hauptperson. O un mit ihm die wilde Hatz! Bis in die Wolken sausen se hinauf, o un koppheister wieder reduhr un rinn in die Erde, klaftertief, hui un furns wieder herauf un kreuz un quer durch die Fuhren un Birken un Macholler, daß die Fetzen fliegen! Würklich, viel doller sind sie da jetzt zu Gange in der Grube as Theisnacht. Theisnacht verlustieren sie sich un haben da die Hexen das Kommando, aberst nu im Herbst: der Helljäger, o der versteht keinen Spaß nich!«

Des Försters Augen blicken verstohlen den Sprecher an, starr, nachdenklich, als dieser geendet hat.

Tiefes Schweigen. Keiner rührt sich. Nur heimlich krümmen langsam sich die Augen: einer beobachtet den andern, und am Förster bleiben die Blicke haften zuletzt. Der aber hüllt sich in schier undurchdringlich dichte Rauchwolken. Und zugeplinkt hat man sich endlich: »So, nu haben wir'n wieder 'rum!«

Es ist spät in der Nacht, und man bricht auf. Als sie sich von ihren Lehnstühlen erheben, da stichelt Bargmann und tritt zugleich heimlich den Taufvater auf den 79 Fuß: »Herr Föster, wo, Se wollten ja woll durch die Grube nach Haus, nich?«

Der Förster aber schlenkert verlegen seinen Handstock: »Hm, is – is mir zu schlechtes Wetter. Komm, Waldmann, komm, wir gehen Chaussee!« 80

 


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