Karl Söhle
Schummerstunde
Karl Söhle

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Fichtenhagener Amts- und Klostergeschichten.

Amtsbote Erbe, der große Romantiker.

Am Amt Fichtenhagen sah's recht idyllisch aus just in jenen Tagen, als so jäh das alte Sachsenroß dem »preußischen Kuckuck« Platz machen mußte. Niemand überanstrengte sich, und unterm Schwert der Göttin Themis gedieh da allerhand Romantik. Der damalige gute alte Amtshauptmann, ja der war schwer herauszubringen aus seinem schönen Amtsgarten, allwo er mit Leidenschaft in seiner Rosenschule okulierte. Er verließ sich in allem auf seinen Wachtmeister Riechers. Und das konnte er! Groß, dick und stark wie ein Ochse und mit einer Kommandierstimme wie ein Löwe, verkörperte Wachtmeister Riechers in sich geradezu die Exekutive und wahre Regierung, die ausübende Staatsgewalt, er »fackelte nicht«, das wußte man, und somit vertrat der Herr Amtmann bescheidentlich nur die Legislative. Das eigentliche Genie am Amte aber war der Amtsbote Theobald Adolar Erbe. Man brauchte nur seine Nase anzusehen! Die glühte wie ein Karfunkel, und stets hing daran ein helleuchtender Tropfen. Tieftraurig immerdar der Blick seiner herausstehenden, großen, düsterglühenden Schwärmeraugen, auch wenn er lachte. In seinem langen Halse rutschte wie eine geballte Faust ein mächtiger Adamsapfel immer auf und ab. Der kleine Kopf 180 – man sah eigentlich nur die Nase – war vollständig kahl, nur ganz hinten war noch ein wenig Schraffierung. Ursprünglich Buchbinder und als solcher stark in litteris und belesen, hatte er sich's trotz seiner unmöglichen Nase in den Kopf gesetzt, Schauspieler zu werden. Und es mag ihm übel ergangen sein bei der Schmiere, denn er schwieg darüber. Nur eine Geschichte aus dieser dunklen Zeit erzählte er. Wie er einmal in einer Gastrolle des berühmten Schulze in den Räubern mitgewirkt hätte, Hermann, den Raben habe er gespielt, und Karl Moor – der berühmte Schulze – habe ihn derartig gewürgt, gekniffen und geschüttelt zuletzt, in der entsetzlichen Szene vorm Hungerturm, er hätte laut brüllen müssen. Was das für eine ungeheure Wirkung gemacht hätte, diese seine echten Naturtöne des Schmerzes. Der bunte Rock hatte ihn schließlich gerettet. Lang und dürr wie ein Aktenlineal, war er im Leibregiment gleich Flügelmann geworden, und der alte König Ernst August, der habe bei den Paraden auf dem Waterlooplatz aus seinem einen Auge durch sein Perspektiv immer zuerst nach ihm geschaut.

Er verstand sich auf tausend Künste, Amtsbote Erbe, der große Romantiker, er strich an, er tapezierte, wenn's gerade nichts Besseres zu tun gab, er entwarf Grabdenkmäler und mit den Inschriften dazu, er porträtierte, 181 zeichnete Karikaturen, item malte Landschaften in Öl, in Pastell. Den Wirten malte er die leckersten Stillleben in den Gaststuben an die Wände, unbeschreibliche lukullische Herrlichkeiten, in leuchtenden Farben, Früchte aus allen Erdteilen, alle Spezereien Arabiens, alle Gewürze beider Indien und dazu die feinsten Liköre, die edelsten Weinsorten, es lief einem beim Anblick das Wasser im Munde zusammen. Als Gelegenheitsdichter hielt er sich sonderlich den verehrlichen Liebesleuten bestens empfohlen, item im Bedarfsfalle auch für Geburtstags, Hochzeits- und Jubiläumskarmen. Alles wurde prompt geliefert. Kurzum, das gesamte Musenwesen lag in seinen Händen. Sogar Tanzstunden gab er, mit der Fidel unterm Arm. Dazu musterte er sich – der Wolf im Schafspelz – in der Kirche am Konfirmationstage immer gleich seine Opfer aus. In seinen Tanzstunden kommandierte er in einem fürchterlichen »Tanzfranzösisch«: »An awan! – Turnee! – Schassee! – Balanzee! – Ballotö! – Formee!« So hagelte es nur immer, und flog im Eifer ihm ab von der Nase ein helleuchtender Tropfen nach dem andern.

So hatte er gute Nebeneinnahmen. Niemals aber hatte er einen Pfennig in der Tasche, und wer sich gegen ihn etwas aufknöpfte, konnte sich mit Sicherheit gefaßt machen auf die bescheidentliche Bitte um ein »kleines 182 Darlehn«. Trotzdem war er die Sparsamkeit und Nüchternheit selber, er trank nicht, rauchte nicht, schnupfte nicht und sein Karfunkel war aufrichtige Natur, und das war eben das Merkwürdige daran. Ja, wenn seine »Frauensleute« nicht gewesen wären, seine dicke Frau und drei dicken Töchter, ältliche und sehr häßliche Jungfrauen! Wie Pfauen stolzierten sie einher, Hüte trugen sie, das waren schier ganze Gebirgsstöcke aus Samt und Seide, mit tiefen Abgründen, Schluchten, Zacken, und lange, weiße Straußenfedern hingen wie Gletscher daran herab. Ganz toll und heillos trieben sie's. Amtsbote Erbe litt jedoch darunter nicht so schwer, wie man glauben mochte, er diente den Musen, und das hub hoch ihn empor über die gemeine Wirklichkeit.

Trotz seiner tieftraurigen Augen – immer steckte er voller pudelnärrischer Einfälle, Schnurren, Künste. Da knatterte er seinen Sturm auf Sebastopol, oder er mimte seine anderen Glanznummern, den Brummer an der Wand, den Schweinemarkt, den Hühnerhof, die Hammelherde, die Försterhunde. Wenn er länger Zeit hatte, wünschte man sich den »Freischütz« oder den »Edlen Grafen Don Juan«. In beiden Opern hatte er öfter »mitgewirkt«, als Statist, während seiner Militärzeit. Zunächst blies er auf den Händen schmelzenden, weichen, unendlich rührenden Klanges die 183 Hornmelodie der Freischützenouvertüre. Dann aber wurde es gleich dramatisch. Die Schrecken der Wolfsschlucht! Wie ein Verrückter sprang er dabei herum. Im »Edlen Grafen Don Juan« begann er höchst schauerlich mit dem Zweikampf. Und zuletzt der schmausende und trinkende Don Juan, hei, der bestellt sich die üppigsten Getränke und Gerichte, Krebssuppe, Fasan und Burgunder, Chateau la Rose, getrüffelten Schweinskopf, Rüdesheimer, gebratene Tauben. Bis endlich der Teufel dem edlen Sünder den Hals umdreht. »Lasterglück flieht schnell wie Rauch, wie man lebet, stirbt man auch!« Kindern bessergestellter Eltern machte er unbeschreibliche, wunderbare Drachen. Darauf sprang, auf der Vorderseite, das Sachsenroß, in Rötel gezeichnet. Und darüber die Sonne – die Wahrheit, und die Wahrheit aber, sie muß obsiegen immerdar zuletzt. Dem Sieger die Krone – die hannoversche Königskrone: dicht unter der Sonne prangt sie, in Goldbronze, mit der feierlichen Umschrift »Nec aspera terrent«! Auf der Rückseite hockt finster wie der Teufel der »preußische Kuckuck«. So nannte man den preußischen Adler. Die Wunden des Schmerzensjahres 1866 waren ja noch frisch, wollten nicht gleich vernarben.

Der alte Romantiker aber war ein sehr erbitterter, ein grimmiger Welfe. Wenn er den Amtskasten trug und 184 dazu seine Amtsmiene aufgesetzt hatte, da blieb er, begegnete ihm ein Gesinnungsgenosse, stehen, und er machte sich stramm und grüßte militärisch: »Achtung, präsentiert's Gewehr! Lang lebe der König –: (flüsternd) Seine Majestät, König Georg V.« Was dem Stier das rote Tuch, war ihm das Brückengeländer vorm Amt in den neuen preußischen Farben. Er »schünnte« die Dorfjungen dazu an, das preußische Schwarz mit den Taschenmessern heimlich wegzukratzen, und so kam stellenweise das alte geliebte hannöversche Gelb wieder wehmütig zum Vorschein.

Leider nahm's ein trauriges Ende mit ihm. Seine Frauensleute brachten ihn um allen Kredit. Verschiedene Male mußte er sogar ausgepfändet werden. Und als sich's nach dem Tode seines heimlichen Beschützers, des guten, alten Amtmanns auf dem Amte änderte und die Luft hier nun preußisch wehte, da verlor der alte Romantiker den Kopf: er ging hin und hängte sich auf. Am Geländer der alten Amtsbrücke, allwo er die Dorfjungen dazu angestiftet hatte, das verhaßte preußische Schwarz abzukratzen und dabei das Lied zu singen: »Üb' immer Treu und Redlichkeit bis an dein kühles Grab.« 185

 


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