Karl Söhle
Schummerstunde
Karl Söhle

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Durchschaut.

Christoffer Dralle in Wollersehl, genannt der »große« Dralle, zum Unterschied vom Eck-, Buten-, Schaper-, Schimmel-, Barg- und Humpel-Dralle – es drallt sich da alles –: der große Christoffer Dralle, der hätte gut zum Finanzminister gepaßt. Auf alles Gefrage antwortet er immer gutmütig: »Jau!« Wenn's jedoch irgend auf den Beutel abzielt, da proppt er die Hände in die Hosentaschen, da zieht er das Maul schief und grunzt ungemütlich, mit Entschiedenheit: »Nee!«

Und dennoch, er hat sein sterblich Fleckchen. Seinen berühmten Dünger loben, um den ihn alle Welt beneidet, das kann ihn ziemlich gnädig stimmen, denn auf seine Kunst rationellen Mistmachens tut Christoffer Dralle sich etwas zugute, und sein Hauptkraftspruch lautet: »Wo der Mistwagen nich hinkommt, da Gottes Segen auch nich, Herr P'stohr!« Er hat durchaus nur Sinn für's Praktische, und fürnehmlich alles, was mit Wort und Schrift zusammenhängt, bemißt er äußerst niedrig. Deshalb haben ihn die Wollersehler wohlweislich auch zum Schulvorsteher gewählt. Lieber Gott und der alte Schullehrer in Wollersehl, der ist noch so eine brave Seele aus der alten Welt, genügsam, ein Märtyrer der Kultur. Die 250 Taler Gehalt für »Schulmeisters 153 Vater« hält jeder im Dorfe für ein wahres Sündengeld. Nun aber soll man ihm gar noch 50 Taler zulegen. Man schimpft entrüstet und meint, die Kinder lernten so genug fürs Geld. Und deshalb gar noch extra Schulvorstandssitzung, mit dem Herrn Landrat selber: »ha, lat'n man kamen, hei kann sick up'n Proppen setten!«

Am festgesetzten Tage macht der Herr Landrat sich zeitig auf den Weg, und schon eine volle Stunde vor Beginn der Sitzung hält seine Kutsche beim großen Christoffer Dralle. »Der alte Sappermenter, bleibt's bei seinem ›Nee‹, so ist alle Mühe vergeblich für diesmal,« seufzt der Herr Landrat, indem er aussteigt. »Hm, also der Düngerhaufen.«

Freundlich begrüßt er den Alten und schüttelt ihm die Hand: »Wollte Sie schon immer mal besuchen und mir Ihren schönen Hof ansehen. Na, überhaupt Wollersehl! Der gute Boden! Steht ja ausgezeichnet alles, in der ganzen Feldmark, der Roggen, Hafer, die Kartoffeln – wohin man blickt, und bei Ihnen am besten, Dralle!«

»Jau – nich so flimm.«

Und der Herr Landrat schwögt weiter:

»Wirklich und famos alles imstande bei Ihnen auf dem Hof, Dralle. Die schöne Scheune, sagen Sie, haben Sie wohl erst neugebaut?« 154

»Jau, heww ick!«

Und weiter bei der großen Schweinebucht: »Wetter, Dralle, solche Prachtferken, bester ungar'scher Schlag, kurzbeinig, feinknochig, und wie sie fressen, die setzen Speck an, da machen Sie ein gutes Geschäft mit, Michaelismarkt!«

»Jau – sei gelt man nicks vandag.«

Ein Blick darauf in den Kuhstall: »Was tausend, wie viele Köpfe – 8, 12, 14, 15 und der stattliche Bulle – wohl 'n Holsteiner, was? – das gibt wieder Prämien, Tierschau, Dralle, ich wette!«

Der Bauer schweigt und macht ein Gesicht wie eine Kruke Essig.

Mutter Dralle aber, die auch mit herumgeht, die ärgert sich über ihren unhöflichen Mann, und sie pufft ihm heimlich in den Wanst: »Büst doch 'n ganzen ollen isdranigen Hund, Mann! Dau't Mul up un segg doch endlich ok mal wat, lat Herr Landrat nich ümmer eegal weg alleene snacken!«

»Ich sehe, Dralle,« spricht voller Freundlichkeit der Herr Landrat darauf im Weitergehen: »Wollersehl ist in der Tat eine reiche Gemeinde, doch gut, daß ich mich hier endlich mal genauer umsehe.« Und stracks auf die große Düngerstätte inmitten des Hofes steuert er nun, mit langen Schritten, er setzt eine großartige 155 Kennermiene auf, er räuspert sich und will ausholen zum letzten Streich – da aber tritt Christoffer Dralle ihm in den Weg, seine beiden Fäuste prammst er tief in die Hosentaschen hinein, und das Maul zieht er schief wie eine Kaulquappe: »Herr Landrat, is all gaud, Sei sünd so wiet 'n ganzen gemeinen (umgänglichen) Minsch, äwerst deswegen kriegt unse Schaulmester doch nich mehr! Nee!« 156

 


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