Heinrich Smidt
Seeschlachten und Abenteuer berühmter Seehelden
Heinrich Smidt

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Kurfürstliche Marinebilder.

1.

Auf der Rhede von Peenemünde herrschte am 10. September des Jahres 1678 ein reges Leben. Auf der offenen See lagen in einem Halbkreise zweihundertneunundachtzig Schiffe, Kauffahrer, Fischerbarken und große Holzschlepper, die man aus den pommerschen Häfen zusammengeholt hatte. Diese Fahrzeuge waren dazu bestimmt, die vereinigten brandenburgischen, lüneburgischen und holsteinschen Truppen an Bord zu nehmen und nach Rügen überzuführen, um die Schweden von dieser Insel zu verjagen. Böte aller Art fuhren zwischen diesen Schiffen und dem Lande in ununterbrochener Reihe hin und her; sie brachten Gepäck, Munition und andere Bedürfnisse an Bord. An dem rechten und linken Flügel jener weitausgedehnten Linie lagen fünf Fregatten die je mit dreißig, fünfundzwanzig oder zwanzig Kanonen besetzt waren, und von deren Toppen die kurbrandenburgische Flagge wehte. Eine Anzahl kleiner Galioten und Schnauen,Mit diesem Namen bezeichnet man eigentümlich konstruierte Schiffe von zwei oder drei Masten, welche hinter den eigentlichen Masten noch Spieren für die Schnau- oder Schoner-Segel haben. mit vier bis sechs Geschützen armiert, kreuzten vor und hinter der Front der Transportschiffe, um das Werk der Einschiffung zu regeln. Weitab lagen zwei große Kriegsschiffe unter königlich dänischer Flagge, befehligt von dem berühmten Admiral Nils Juul, der den Brandenburgern zu Hilfe gesandt worden. Ein klarer, blauer Himmel lachte auf die See herab, die von der leichten Brise kaum gekräuselt, den Brandenburgern bei diesem für sie neuen Geschäfte mehr fördernd als hinderlich war.

Während die Truppen von allen Seiten mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen heranzogen, drängte neugieriges Volk in Scharen herbei, um nichts von einem Schauspiel zu verlieren, das an dieser Küste bisher noch nicht gesehen wurde.

Da flog ein mit vier Pferden bespannter Wagen heran, gefolgt von einer Reiterschar, und hielt an einem Punkte still, von welchem aus man die Einschiffung in ihrer ganzen Ausdehnung bequem übersehen konnte. In diesem Wagen saß Ihro Durchlaucht, die Frau Kurfürstin, samt zweien ihrer Damen. Der Kurfürst sprengte an den Schlag des Wagens, und freundlich grüßend fragte er die Kurfürstin, wie sie sich hier am Seestrande fühle?

»Unbeschreiblich wohl, mein Gemahl!« entgegnete die hohe Dame. »Mein Herz schlägt freudig bei diesem Anblick, und da Ihr dies Werk mit so edlem Eifer begonnen, hoffe ich, daß es Wurzel schlagen und kräftig heranwachsen werde.«

»Euer Gnaden sind voll des herrlichsten Vertrauens,« sagte der Kurfürst. »So viel an mir ist, will ich es zu Ehren bringen. Ich meine, der brandenburgische Adler mit den prächtigen, leuchtenden Schwingen sei ebenso gut dazu berufen, seinen Weg von der Ostsee nach dem Ozean zu finden, als seine Nachbarn, der dänische und der schwedische Löwe.«

»Ich werde Euch mit Stolz und Freude an Bord jener Flotte gehen sehen,« sprach die Herrin. »Meine heißesten Wünsche sollen Euch zum Siege leiten.«

»Ich danke Euer Gnaden dafür,« entgegnete der Kurfürst, »und werde auf der blauen See für Gott und meine Dame das angelobte Werk vollbringen. Aber erlaubt, daß Euer Wagen noch eine kurze Strecke weiter fahre, und fürchtet die aufspritzende Brandung nicht. Ich will, daß die ganze Flotte ihre Herrin sehe und ihr den Ehrengruß bringe, der ihr gebührt.«

Auf einen Wink des Kurfürsten ward auf einer unfern von dieser Stelle errichteten Flaggenstange eine große rote Flagge aufgezogen. Kaum war dies Signal gegeben, als sich auf der Rhede alles wie mit einem Zauberschlage verwandelte. Die Böte, welche unterwegs waren, hielten an, und die Ruderer warfen die Ruder gekreuzt in die Höhe. Die sämtlichen Transportschiffe zogen ihre Flaggen auf, und am Bord der Fregatten entfaltete sich von der Spitze des Bramtopps bis zum Deck eine weite Flucht von StannernStanner oder Stander heißen die breiten Wimpel, die am Topp des großen Mastes wehen. und Wimpeln in allen Farben. Die Mannschaften schwenkten sich mit einem lauten Hurra auf die Rahen, die Schiffsmusik fiel mit klingendem Spiele ein. Die Kommandeure der Fregatten erschienen auf den Galerieen und ließen ein weißes Tuch flattern. In demselben Augenblicke fiel auf dem rechten Flügel am Bord des »Kurprinz« der erste Schuß; von dem linken Flügel antwortete »die Stadt Potsdam«, und so ging es weiter von Schiff zu Schiff, bis jedes derselben seine Geschütze abgefeuert hatte.

Während die Landtruppen und das Volk diesen Grüßen der Flotte mit lärmendem Jubel beistimmten, kam der Herr, welcher das Signal zu all diesen Ausbrüchen der Freude gegeben hatte, zu dem Gefolge des Kurfürsten zurück. Er war ein Mann in reiferen Jahren und von etwas gedrungener Figur. Sein breites Gesicht verkündete beim ersten Anblick den niederländischen Seemann; sein dunkles Haupthaar begann zu ergrauen. Er trug einen blauen mit Gold gestickten Rock, darüber eine orangefarbene Binde, und auf dem breitkrempigen Hut wiegte sich eine Feder von gleicher Farbe. Statt aller anderen Waffen trug er einen fußlangen Dolch im Gürtel. Der Kurfürst hatte den Mann nicht sobald erblickt, als er ihm zurief: »Kommt näher, Herr Benjamin Raule! Die Frau Kurfürstin will Euch selbst den Dank für den stattlichen Gruß darbringen, den Ihr derselben gewidmet habt. Ich hätte nicht gedacht, daß ich in so kurzer Zeit ein Werk sich hier würde bereiten sehen, das mir ein kleines Bild von jenen Manövern giebt, die ich einst auf der Rhede des Texel unter dem glorreichen Kommando Michael de Ruiters gesehen habe. Wenn mit dieser Sachkenntnis guter Wille und Einigkeit Hand in Hand gehen, wird es uns nicht fehlen.«

»Das wird es auch nicht, Euer Durchlaucht!« entgegnete Benjamin Raule. »Wenn wir nur erst die Küste von Rügen vor uns sehen, wird sie bald unser sein. Was zur Ausrüstung und Bemannung der Flotte geschehen konnte, ist nach bester Einsicht geschehen. Kriegs- und Transportschiffe sind im trefflichsten Zustande. Admiral Tromp, der sich freiwillig erbot, mit Erlaubniß seines erhabenen Herrn den Oberbefehl zu führen, stammt aus einer ruhmreichen Seemannsfamilie und hat selbst so bewundernswerte Thaten vollbracht, daß er meines Lobes nicht bedarf. Mein Bruder Jakob, der unser Ostseegeschwader befehligt, ist seinem Herrn mit Leib und Seele ergeben. Darum, durchlauchtigste Herrin,« wandte sich der Schifffahrts-Direktor an die Kurfürstin, »könnt Ihr ganz außer Sorgen sein, zumal auch alle ruhmwürdigen Kriegsobersten, mit dem Feldmarschall Derfflinger an ihrer Spitze, Seine Durchlaucht begleiten, dessen Gegenwart allein schon die Bürgschaft des Sieges in sich trägt.«

»Welche Nachrichten habt Ihr aus Kopenhagen erhalten?« fragte der Kurfürst, das Gespräch wendend. »Ist die dänisch-ostindische Gesellschaft geneigt, auf den Vorschlag, den ich ihr gemacht, einzugehen?«

»Nicht völlig, durchlauchtigster Herr! Nicht so, wie Ihr es wünschtet, aber doch auch nicht so, daß man berechtigt wäre, das Anerbieten zurückzuweisen. Die Herren meinen nicht ganz mit Unrecht, es sei für einfache Kaufleute immer gefährlich, sich mit einem regierenden Herrn in ein gemeinsames Handelsgeschäft einzulassen. Dies sei ohne Beziehung gesprochen, und die Wahrheit des Gesagten lasse sich mit hundert Beispielen belegen. Die Gesellschaft ist aber nicht abgeneigt, mit uns einen einträglichen Handel zu treiben, wenn wir selbst uns an jenen Küsten festsetzen wollen, und erbietet sich, bei der Krone von Dänemark dahin zu wirken, daß man Euer Gnaden die ostindischen Besitzungen von Trankebar samt allen Pertinenzien und Privilegien käuflich überlasse. Sie will auch aus ihren Mitteln Schiffe stellen, um die Truppen überzuführen, die zum Schutze der Kolonieen dort verbleiben müssen.«

»Das ist nichts!« entgegnen der Kurfürst lebhaft. »Ich kenne die Pläne dieser dänischen Großhändler. Ginge es nach ihrem Kopfe, so würden wir anfangs habsüchtige Handelsgenossen neben uns und bald nachher launische Herren über uns haben, von deren Belieben es abhinge, ob und wieviel wir gelten sollen. Dann gebe ich eher den Anträgen der ostfriesischen Stände Gehör, die erst kürzlich ein abermaliges, dringendes Schreiben an mich erließen.«

Während dessen hatten einige Kavaliere, die Herren von Ramin, von Borck und andere, die den Niederländer nicht leiden konnten, weil sie seine Pläne fürchteten und mißachteten, sich lebhaft mit einander über den Raule unterhalten und mancherlei Glossen gemacht, was der letztere, der ihre Gesinnungen kannte, wohl bemerkt hatte. Sie waren aber in ihrem Gespräche so laut geworden, daß der Kurfürst es vernahm und sich mit der Frage, was es gäbe, zu ihnen wandte. Betreten schwiegen die jungen Kavaliere still. Benjamin Raule aber, den ihre Verlegenheit ergötzte, und der ihnen für ihre schlimmen Reden einen Possen spielen wollte, nahm das Wort und sagte zu dem Herrn: »Eure kurfürstliche Durchlaucht sehen hier einige junge Kavaliere, die mir und meinen Unternehmungen stets besonders hold gewesen sind. Es soll mich freuen, wenn ich mich für diese Freundlichkeit ihnen dankbar beweisen kann, wozu sich vielleicht Gelegenheit findet, wenn Eure kurfürstliche Gnaden gestatten, daß ich diese Herren während des bevorstehenden Seezuges um die Ehre ihrer Gegenwart am Bord des von mir kommandierten Schiffes bitten darf.«

»Das ist genehmigt,« antwortete der Kurfürst. »Ihr habt Urlaub, Ihr Herren, um Euch zur Disposition des Herrn Raule zu stellen.«

Die jungen Kavaliere kochten vor Wut, doch wagten sie es nicht, in Gegenwart ihres strengen Gebieters das Wort zu nehmen. Der Kurfürst ritt weiter längs dem Ufer. Die letzten Böte stießen soeben ab, um sich an Bord des »Kurprinz« zu begeben, von dessen Gaffel die kurfürstliche Standarte wehte, zum Zeichen, daß Seine Durchlaucht diesem Schiffe die Ehre Seiner Gegenwart schenken werde. Ehe Benjamin Raule dem Gebieter folgte, sagte er zu den Edelleuten: »Ich bin unserm gnädigen Herrn für die neue Gunst, die er mir zu teil werden läßt, dankbar verpflichtet. Ich weiß es sehr zu schätzen, daß es mir verstattet ist, mich während dieses wohl nur kurzen, aber hoffentlich fröhlichen Seezuges der Ehre Eurer Gegenwart in meiner Kajüte und auf meinem Halbdeck zu erfreuen. Die Einschiffung geht sogleich vor sich, denn bevor sich kurfürstliche Durchlaucht in Dero Schaluppe begeben, muß jedermann auf seinem Posten sein. Meine Flagge weht vom Vortopp des »Berlin«. Auf Wiedersehen am Bord jenes Schiffes.«

Benjamin Raule entfernte sich grüßend und folgte seinem Herrn, der neben dem Wagen der Kurfürstin hielt. Die jungen Edelleute hatten, der Notwendigkeit gehorchend, sich in die Schaluppe Benjamin Raules begeben und fuhren auf die Rhede hinaus, innerlich gelobend, für den Streich, den der niederländische Bauer ihnen gespielt, volle Rache zu nehmen.

Der Wind frischte in diesem Augenblicke etwas auf und kräuselte die Wellen, so daß das Spritzwasser in die Böte schlug. Da erblickte man an Bord des »Potsdam« ein blaues Signal, gleich darauf feuerte derselbe eine Kanone ab, und seine Marssegel fielen von den Rahen. Auf der ganzen Linie der Transportfahrzeuge entstand dieselbe Bewegung. Die Mannschaften flogen zur Ankerwinde. Unter hundertstimmigem Gesange, oft durchtönt von dem Sprachrohr der Befehlshaber, stiegen die Anker aus der Tiefe, und die Segel bauschten sich vor dem Winde auf. In langer Reihe segelten die Schiffe paarweise auf die See hinaus, begleitet vom Hurrarufen der Kriegsfahrzeuge, die noch immer unbeweglich lagen. Als das letzte Transportschiff unter Segel war, palmteEinpalmen (von palma, die flache Hand) heißt ein Tau einholen, indem man dabei eine Hand über die andere schlägt. So wird auch »sich aufpalmen« gesagt, wenn man an einem Tau emporklettert, indem man eine Hand über die andere anschlägt. der »Potsdam« schnell sein Ankertau ein, seine Segel stiegen an den Stengen empor, und rasch nahm er die Spitze der leicht beschwingten Kolonne ein.

Kurz vorher war die Staatsschaluppe gelandet; sie war mit Scharlach ausgeschlagen, und von den Vorder- und Hintersteven flatterten bunte Wimpel. Das Steuer führte der Admiral Tromp, und acht junge Kavaliere saßen an den Rudern. Der Admiral stieg ans Land und sagte zu dem Kurfürsten, sich verneigend: »Alles ist bereit, und wir erwarten nur die Gegenwart unseres durchlauchtigsten Gebieters.«

»Lebt wohl, Dorothea!« sprach der Kurfürst zu seiner Gemahlin, ihr die Hand reichend. »Oberst Winterfeld hat meine Befehle empfangen und steht zu Eurer Ordre.«

»Zieht mit Gott, mein teurer Gemahl!« antwortete die Kurfürstin. »Mögen Seine heiligen Engel Euch beschirmen, so werdet Ihr wohl beraten sein.«

Die kurfürstliche Schaluppe flog dem »Kurprinz« zu. Der Befehl zum Ankerlichten ward auf allen Kriegsschiffen gegeben. Zu gleicher Zeit stiegen die Rahen an den Stengen empor und wurden an den Wind gebraßt. Als alle Schiffe unter Segel waren, wurden Abschiedssalven gegeben.

Die Kurfürstin hatte sich in dem Wagen aufgerichtet und sah dem Zuge der Schiffe nach, ein weißes Tüchlein schwenkend. Als aber das letzte Schiff durch das hervorspringende Ufer verdeckt ward, und von dem prächtigen Schauspiel nicht das geringste mehr zu sehen war, lehnte sie sich in die Ecke des Wagens zurück und fuhr landeinwärts.


2.

Das war in Berlin und in jenen glorreichen Tagen, als Herr Friedrich Wilhelm, der große Kurfürst von Brandenburg, im Lande herrschte. Was schon immer seinen großen Sinn bewegt hatte, die Herrschaft am Lande mit der Herrschaft auf der See zu vereinigen, und was in jenen Tagen, da er auf der Flotte des Herrn de Ruiter vor dem Texel gewesen, sich in ihm befestigt hatte, das war endlich zur That geworden. Brandenburgische Fregatten mit dem roten Adler in der Flagge waren schon vorhanden, und der kurbrandenburgische Schiffahrts-Direktor, der aus den Niederlanden berufen war, hielt Haus zu Berlin und hatte mit dem hohen Herrn gar wichtige Dinge besprochen und vorbereitet, die nun gar bald ans Licht kommen sollten.

Das Berlin jener Tage war ein anderes, als das gegenwärtige. Vom Molkenmarkt ab schritt man über den langen Mühlendamm weg nach dem kurfürstlichen Holzhofe. Der lange Mühlendamm aber ist jetzt die Breitestraße, und der kurfürstliche Holzhof ist der Unterwasserstraße gewichen. Dort in der Nähe der jetzigen Alten Leipziger Straße erblickte man ein stattliches Haus, welches von allen Seiten frei stand und weithin gesehen werden konnte. Vor der Thür dieses Hauses war ein lebhaftes Gedränge von Soldaten, Matrosen und Handwerkern, die aus- und eingingen und ihre Gewerbe ausrichteten, oder ihren Bescheid empfangen sollten. In diesem Hause wohnte Herr Benjamin Raule, der Generaldirektor der kurfürstlichen Marine, und leitete von dort aus sein mühevolles Werk.Raules Hof ist heute noch in Berlin zu sehen.

Die Morgenarbeit war gethan. Er nahm einige Schriften zu sich, die er sorgsam einsteckte, erteilte seinem vertrauten Sekretär Cord Wessel seine Befehle und begab sich dann mit umwölkter Stirn und schweren Herzens nach dem Schlosse, denn er wußte, daß viele, die der neuen Ordnung der Dinge gram waren, ihn haßten und ihn um jeden Preis aus dem Wege schaffen wollten. Darum hatten sie gar viele böse Gerüchte ausgesprengt, die in der Leute Mäuler wuchsen und ihm unter dem Volke einen bösen Leumund machten. Das bedrückte ihn, und während er nun dem gnädigen Herrn seinen Vortrag hielt, fühlte er wohl, daß dieser nicht mehr so huldvoll gegen ihn gesonnen sei, als früher. Als er endete und seine Papiere zusammenlegte, richtete der Kurfürst den Blick fest auf ihn und sagte ernst: »Von allen Seiten erheben sich Anklagen gegen Euch, Herr Raule!«

»Das kommt mir nicht unerwartet, durchlauchtigster Fürst!« war die Antwort.

»Die Anklagen tragen den Stempel der Wahrscheinlichkeit. Der Schein ist gegen Euch,« entgegnete der Kurfürst, ihn fest anblickend.

»Dieser Schein wird vor der Wahrheit schwinden, durchlauchtigster Herr!« sagte Benjamin Raule. »Ich bitte kurfürstliche Gnaden um strenge Untersuchung.«

»Ihr seid der einzige, der meine Intentionen begriffen hat, darum mag ich an einen Betrug nicht glauben,« entgegnete der Kurfürst. »Ich will streng prüfen. Aufrichtig, Herr Raule, Ihr habt viele Feinde.«

»Ja, gnädiger Herr! Alle Männer des Stillstandes, alle, die mit den Füßen am Boden festwurzeln und jeden Schritt vorwärts für einen Greuel halten, weil er den Schlendrian über den Haufen zu werfen droht, sind meine Feinde. Sie fürchten, die bisher schwer errungene Beute würde ihren Händen entgleiten, wenn sie sich vorwärts bewegen müßten, darum klammern sie sich an das Alte und Morsche fest, auf die Gefahr hin, jeden Augenblick damit zusammenzustürzen. Durchlauchtigster Herr, darf ich reden, wie es mir um das Herz ist?«

»Redet!« sagte der Kurfürst, und Benjamin Raule fuhr fort: »Der Himmel hat das Können in Euer Durchlaucht Hand gelegt, so möge es Euch auch gefallen, zu wollen. Es ist, als ob die Welt aus einem langen Schlummer erwachte. Ueberall ist Leben und Bewegung; nur hier scheint alles zu schlafen. Es braucht eine starke Stimme, um diesen Schlaf von ihnen zu scheuchen.«

»Unser Zug nach einem fremden Weltteile wird sie aufschrecken,« entgegnete der Kurfürst. »Wenn wir unsere Flagge an der Küste von Afrika aufpflanzen, wollen wir, daß sie das Banner sei, um welches sich die Deutschen scharen, damit das Werk erfüllt werde, zu welchem wir von der Vorsehung berufen sind.«

»Dazu spreche ich Amen, gnädigster Herr!« sagte Benjamin Raule. »Möge unter Gottes befruchtendem Segen dieser neue Frühling sich blühend entfalten! Und nun habe ich Euer Durchlaucht noch Rapport über unsere Fregatten abzustatten. Der »Kurprinz« ist völlig segelfertig. Nach gewissenhafter Untersuchung ist die »Dorothea« zu einer langen Reise nicht tüchtig befunden, daher habe ich an deren Stelle den »Mohrian« eingeschoben.«

»Und eine dritte Fregatte, die auf meiner Werft zu Havelberg gebaut ward, kann mit jedem Tage vom Stapel gelassen werden. Sie mag der neuen Kolonie die ersten Hilfsmittel zuführen und ihre ersten Produkte an einen fremden, überseeischen Markt bringen.«

»Der Gedanke ist Euer würdig, hoher Herr! Wir bedürfen der gefälligen Transito-Händler nicht, sie mögen Dänen, Schweden oder Engländer heißen. Was wir jenseits des Ozeans zu bestellen haben, können wir fortan unter eigener Flagge ausführen. Am Bord ist alles in Ordnung: Mannschaft, Proviant und Munition. Sämtliches Gelieferte ist reichlich und tadellos. Es bleibt nur noch übrig, die Bestallungen der vorgeschlagenen Kapitäne zu vollziehen.«

Dies geschah. Kapitän Blonk, ein zuverlässiger Seemann, von etwas rohen Manieren, aber tapfer, besonnen und klug genug, sein eigenes Interesse dem allgemeinen unterzuordnen, erhielt das Kommando des »Mohrian.« Erik van Voß, bisher erster Steuermann des »Kurprinz,« erhielt das Kommando dieses Schiffes. Er hatte sich stets musterhaft geführt, und man hoffte, er werde der Expedition von besonderem Nutzen sein, da er jene fernen Gewässer mehrfach durchkreuzt hatte.

Der Kurfürst legte die Feder nieder und sagte: »Am Bord des »Kurprinz« wird mein Kommissarius seinen Wimpel aufziehen. Ich habe ihn ermächtigt, mit fremden Völkern Verträge abzuschließen, und habe ihn dafür verantwortlich gemacht, daß er die wichtigeren Interessen nicht an kleinlichen Bedenken scheitern lassen dürfe.«

»Dieser Gedanke ist meines erhabenen Herrn würdig,« fiel Benjamin Raule ein, »und Otto von der Groeben ist der Mann dazu, ihn zu verwirklichen.«

Der Kurfürst stand einen Augenblick nachdenklich und sagte dann: »Wenn es gelingt, was wir sorglich vorbereitet haben, will ich mich glücklich preisen; denn ich weiß dann für mein Brandenburg ein Werk vollendet, dessen segensreiche Folgen erst ein künftiges Jahrhundert ermessen und würdigen wird. Wir haben die Arbeit, jene den Lohn.«

»Euer kurfürstliche Durchlaucht haben das stolze Bewußtsein, dies schöne Werk geschaffen zu haben, das wiegt alles auf!« entgegnete Benjamin Raule und entfernte sich mit einer tiefen Verbeugung.

Der Kammerjunker Otto Friedrich von der Groeben, der alles zur Abreise vorbereitet hatte und Berlin noch im Laufe des Tages zu verlassen dachte, trat bald nach dem Schiffahrts-Direktor ein und bat um die Vergünstigung, sich noch einmal bei seinem gnädigen Gebieter beurlauben zu dürfen.

Der Kurfürst empfing ihn freundlich und sagte: »Segelt unter dem Schutze Gottes, der bei allem redlichen Werke der Anfang und das Ende ist.«

»Ich habe ihm vertraut von Jugend auf,« entgegnete von der Groeben. »Mit Anstrengung aller meiner Kräfte werde ich den Auftrag erfüllen, der mir von Euer kurfürstlichen Durchlaucht geworden ist, und dazu täglich Gottes gnädigen Beistand anrufen.«

»Das thut!« sprach lebhaft der Kurfürst. »Versäumt es keinen Tag, das Gebet öffentlich sprechen zu lassen, denn die rohe Masse muß sichtbar und hörbar an die Gegenwart Gottes erinnert werden.«

»Ich werde es zum strengen Gesetz erheben.«

»Sobald Ihr am Bord Eures Schiffes erscheint, seid Ihr der einzige, unumschränkte Gebieter. Ihr seid dort an meiner Statt, um Recht und Gerechtigkeit zu üben. Die See-Artikel sind streng, aber sie müssen so sein. Unsere Landeskinder sind nicht zum Seedienst erzogen; vielleicht geht noch manches Jahr hin, ehe sie dazu tüchtig sind. Wir müssen unsere Schiffe mit dem Gesindel bemannen, das uns aus aller Herren Länder zuläuft, und solches Volk beugt sich nur der eisernen Disziplin. Aber es giebt einen Mittelweg zwischen tyrannischer Strenge und schädlicher Weichheit.«

»Ich werde mich bemühen, stets nur diesen Weg zu gehen,« sagte Otto von der Groeben.

»Alles andere,« fuhr der Kurfürst fort, »findet sich in Euren Instruktionen. Ihr selbst seid bei den Beratungen gegenwärtig gewesen. Jedes einzelne wurde genau erörtert, und hoffentlich ist nichts vergessen. Dennoch kann ich Euch nur den toten Buchstaben mitgeben; aber nicht nach diesem sollt Ihr handeln, sondern nach dem Geiste, der in ihm lebt.«

»Euer Durchlaucht kann sich auf mich verlassen,« beteuerte Herr von der Groeben.

»Ich pflanze mein Banner an jenen fernen Küsten nicht auf um eitler Gelüste willen, oder um Reichtümer zu sammeln!« sagte der Kurfürst ernst. »Ich will mein Vaterland groß und glücklich wissen und es vor der Vormundschaft fremder Nationen bewahren. Wir können dies Ziel nur erreichen, wenn jenseits des Ozeans eine Bruderhand der unsrigen begegnet. Warum wachsen denn die Eichen in meinen Forsten, und warum ist der deutsche Norden von der Ost- und Westsee viele hundert Meilen umwogt, wenn wir nicht unsern Kiel vom eigenen Strande absegeln lassen sollen?«

»Wir werden es, durchlauchtigster Herr! Dies große Beispiel, welches ihr dem deutschen Volke und seinen Herrschern gebt, kann nicht ohne glänzende Erfolge bleiben.«

»Ich glaube es nicht,« sagte der Kurfürst mit trübem Ernst. »Das ist ein thörichter Gärtner, der am Abende seines Lebens ein Reis in die Erde senkt und meint, es könne über Nacht zu einem Baume heranwachsen. Ich will zufrieden sein, wenn mein Gedanke in einer fernen Zukunft ganz begriffen wird, und meine Urenkel die Früchte von dem Baume genießen, den wir jetzt pflanzen. Eilt Euch, Groeben! Ich kann den Augenblick nicht erwarten, der mir die Nachricht bringt, daß Ihr Euch am Bord befindet und die offene See erreicht habt.«

»Lebt wohl, durchlauchtigster Herr, und erhaltet mir Eure Gunst. Ganz und ungeteilt widme ich mich Eurem Dienste. Ich bin der Träger Eures Willens und will das mir anvertraute Banner an einer Stelle aufpflanzen, von welcher herab man es sehen soll weit über See und Land. Eure Worte sind meinem Gedächtnisse fest eingeprägt, und nichts soll sie verlöschen. Verzeiht der inneren Aufwallung beim Lebewohl, gnädiger Herr.«

Der Kammerjunker von der Groeben sprach diese Worte in tiefer Erregung, drückte die Hand seines Fürsten an die Lippen und entfernte sich eilends.


3.

Die See war ruhig.

Eine leichte Brise, welche über den Spiegel derselben hinhauchte, hatte die obere Fläche kaum gekräuselt. Fernab lag, wie ein mit Gold umsäumter dunkler Streifen, die Küste von Afrika.

Auf der Flut bewegten sich unter der vollen Last ihrer Segel gehend, zwei stattliche Fregatten, an deren großem Topp der kurbrandenburgische Wimpel sich zeigte.

Es waren die beiden Fregatten »Kurprinz« und »Mohrian,« an deren Bord sich die brandenburgische Kolonial-Expedition befand, die hier in einem fremden Weltteile dem deutschen Vaterlande Besitz und Geltung verschaffen sollte.

Am Fallreep der erstern Fregatte lag eine große Schaluppe zum Beweise, daß zwischen den beiden Schiffen ein augenblicklicher, lebhafter Verkehr stattfand, der von der milden Witterung begünstigt ward.

In der Hauptkajüte des »Kurprinz«, auf dessen großem Mast der Kommandant der brandenburgischen Expedition, Herr Kammerjunker von der Groeben, seine Flagge aufgezogen hatte, waren die Offiziere in ernstem Gespräche versammelt.

Unfern von dem Kammerjunker saß der Fähnrich Selbing, dessen Vertrauter und Sekretär, der dazu bestimmt war, über die der neuen Kolonie zugewiesenen brandenburgischen Truppen den Oberbefehl zu führen. Es war ein Mann in den besten Jahren, voll heiterer Fröhlichkeit, aber auch von festem, unbeugsamem Willen, kurz ein Mann, wie man dergleichen zu einem solchen Werke allein gebrauchen kann.

Die Kapitäne der beiden Fregatten hatten an dem Gespräch, welches die nahe Landung betraf, lebhaften Anteil genommen, und Kapitän Voß erhob sich grade, als ein schärferer Wind die oberen Segel füllte, und die Fregatte sich nach Lee neigte. Der Kapitän eilte auf das Verdeck und kehrte sogleich von dort zurück. »Ein schwarzes Gewölk zieht herauf und nötigt uns, die Obersegel zu bergen. Es sieht gerade nicht gefährlich aus, aber man kann nicht wissen, was dahinter steckt.«

»Wenn der Wind dreht, soll jeder auf sein eigenes Steuer achten,« entgegnete Kapitän Blonk. »Macht meine Schaluppe klar. Halte mich Euch empfohlen, Herr von der Groeben!«

Blonk fuhr sofort ab. Die Kühlte war im Wachsen, und vor ihren Marssegeln flogen die Schiffe dem Lande entgegen. Auf beiden Verdecken herrschte vor und hinter dem großen Maste lebhafte Aufregung.

»Da wir mit den schwarzen Schelmen von Accoda uns nicht einigen konnten,« wandte sich von der Groeben an seinen Fähnrich, »so denke ich, wir kehren zu dem ursprünglich gefaßten Plane zurück.«

»Ihr meint den Berg von Mamfro, Herr Kammerjunker?«

»Ja, Selbing!«

»Ihr werdet ihn gleich sehen,« sagte hinzutretend der Kapitän. »Wenn wir noch einige Kabellängen weiter gesegelt sind, tritt er hinter jenen Höhen hervor. Auch mir scheint der Platz zu einer befestigten Anlage geeignet.«

»Mindestens suchen wir vergeblich nach einem besseren,« antwortete von der Groeben. »Das Terrain ist günstig, der Boden gut und reichliches Wasser vorhanden. Die Cabusierneger von – wie heißt doch das große Dorf unterhalb Mamfro?«

»Pokeson, Herr Kammerjunker!«

»Habt Ihr nicht auf Eurer ersten Reise mehrere von den Einwohnern gesehen, Kapitän Voß? Mich dünkt, ihr rühmtet sie uns.«

»Leider wurde ich mit ihnen erst bekannt, nachdem wir mit den falschen Bestien von Accoda ein vorläufiges Abkommen getroffen hatten«, entgegnete der Kapitän.

»So wollen wir denn in Gottes Namen und zur Ehre unsers durchlauchtigsten Herrn unser Werk beginnen. Zunächst habt die Güte, Euch nach einem günstigen Ankerplatze umzusehen,« sagte Otto von der Groeben.

»Der ist gefunden,« entgegnete der Kapitän. »Meine holländische Karte ist ziemlich zuverlässig. Sie ist mit so großem Fleiße angefertigt, daß man sieht, die Herren Holländer sind es gewohnt, auch diesen Teil der Küste als den ihrigen zu betrachten. Gutwillig werden sie unsere Ansiedelung nicht dulden.«

»Widerstand stärkt!« entgegnete Herr von der Groeben. »So lange wir auf der See schwimmen, kann ich nur mit Worten meine Teilnahme bezeugen, nachher rede ich durch die That. Wann ankern wir?«

»In einer Stunde.«

»Haltet dann gleich zwei Böte bereit. Die Sonne steht noch hoch, und kein Augenblick soll ungenützt verstreichen.«

»Die Böte sollen bereit liegen.«

»Ihr, Selbing,« wandte sich der Kammerjunker an den Fähnrich, »werdet Euch sofort ans Land begeben. Seht zu, ob Ihr irgendwo Neger findet, die einen Teil des Berges in Besitz genommen oder sonst ein Recht daran haben.«

»Sehr wohl, Herr Kammerjunker!« entgegnete dieser und ging sogleich, um seine Soldaten zu mustern.

Die beiden Fregatten hatten im stolzen Bogen eine weit in die See vorspringende Landzunge umschifft, über welche die Brandung von allen Seiten hinschäumte und tobte. Sie gelangten in ruhiges Wasser, welches, vor plötzlichen Stürmen durch die umsegelte Landzunge geschützt, einen klippenfreien Strand darbot, der jede Landung ohne die geringsten Schwierigkeiten gestattete.

»Fallen den Anker!« erscholl der Befehl auf beiden Schiffen zugleich, und bald darauf stießen die mit Soldaten und bewaffneten Matrosen bemannten Böte vom Schiffe ab und steuerten dem Ufer zu.

Das Negerdorf Pokeson dehnte sich bis zum Fuße des Berges Mamfro aus. Hier war die Mündung eines wasserreichen Baches, an welchem die Böte anlegten. Der Fähnrich Selbing war der erste am Ufer; ihm folgten die andern. Eine Wache blieb bei jedem Boote zurück, mit allen Signalen, die im Falle der Not zu machen wären, wohl vertraut. Die übrigen gingen in das Dorf und durchstrichen es von einem Ende zum andern. Niemand begegnete ihnen; alle Hütten waren leer. Ein alter Korporal meinte, die Neger hätten die Landung gesehen und wären davongerannt. Der Fähnrich aber sagte, daß ihm die Hütten nicht danach aussähen, als ob noch vor kurzem Menschen darin gehaust hätten; ihm scheine das Dorf schon lange verödet zu sein.

Die Soldaten und Matrosen steckten die Köpfe zusammen. Es murmelte einer etwas von Teufelsspuk und Hexenkram, und die andern fingen es begierig auf. Die Neger könnten sich unsichtbar machen, hieß es; sie drängten sich zwischen die Leute, ohne daß diese sie sehen könnten, und drehten dann allen den Hals um. Der Fähnrich, der es hörte, rief lachend: »Dann können sie sich auch wohl leicht machen wie eine Flaumfeder? Müßten wir nicht ihre Spuren rings um uns sehen, wenn sie hier auch unsichtbar umherliefen? Wer gewahrt nun hier Fußtritte, außer unseren eigenen? Also treibt Ihr albernes Geschwätz. Dafür geht es ohne Ruhestunde weiter, gerade auf den Berg da los. Marsch!«

Die brandenburgische Kolonne rückte schweigend vor. Sie folgte dem Laufe des Baches, der sich zwischen hohen Gräsern, Felsen und Gestrüpp oft verlor. Bald war der Weg so versperrt, daß sie sich durch das dornige Buschwerk eine Bahn hauen mußten; bald wieder war das Terrain so sumpfig, daß man die gefährlichen Stellen mit großer Vorsicht umgehen mußte. Dabei herrschte eine so sengende Hitze, daß die Männer kaum die glühende Luft zu atmen vermochten. Endlich stand die Kolonne ganz still, und es bedurfte aller Ueberredung des wackern Selbing, sie wieder in Bewegung zu bringen.

Noch eine Stunde marschierten die Brandenburger, über Felsen kletternd und durch Sümpfe watend, in grader Richtung dem Berge Mamfro zu. Die Sonne sank immer tiefer und berührte fast mit dem unteren Rande den Horizont. Da wurde Halt gemacht. Ein leises Murmeln drang durch das Gebüsch; es klang den Brandenburgern wie die lieblichste Musik.

Man zog die Säbel und brauchte die Beile; das Buschwerk sank unter den Streichen der Männer. Ein krystallreiner Quell rieselte von der Felswand herab. Die Matrosen und Soldaten umringten ihn jauchzend; der Lebensmut kehrte ihnen zurück.

Da richtete sich plötzlich der alte Korporal auf und deutete mit der Hand in die Ferne. Man sah zwei Neger über eine lange, grasbewachsene Fläche, Feuergewehre in den Händen, in vollem Laufe herankommen. Als sie die Brandenburger erblickten, standen sie still und waren unschlüssig, ob sie bleiben oder umkehren sollten.

Dieser Augenblick war entscheidend; Fähnrich Selbing wußte ihn zu benutzen. Er lief, einen grünen Zweig in der Hand, den Negern entgegen, den Befehl zurücklassend, jeden gewaltsamen Angriff abzuwehren. Als die Neger das Zeichen des Friedens in der Hand des Europäers erblickten, warfen sie die Gewehre weg und eilten zu ihm. Sie fielen vor ihm nieder, berührten mit dem Kopfe dreimal die Erde und riefen aus holländisch: »Welkom.«

Der Fähnrich, der dieser Sprache mächtig war, unterhielt sich mit ihnen. Es waren Einwohner von Pokeson, und noch mehrere der Ihrigen in der Nähe, die sämtlich von einem feindlichen Stamm vertrieben worden waren.

Plötzlich verschwand der sonnenhelle Tag. In den dortigen Gegenden ist das zauberische Dämmerlicht des Nordens unbekannt. Die Sonne sank, und Nacht war ringsumher. Man türmte trockenes Buschwerk aufeinander und warf brennende Zunder hinein. Die Feuersäule stieg in den blauen Himmel auf, ein Gruß für die Gefährten an Bord.

Die in der Ebene zerstreuten Neger sammelten sich nach und nach und verkehrten freundschaftlich mit den Brandenburgern. Der Fähnrich ordnete die Reihenfolge der Wachen an und wies die andern zur Ruhe.

So übernachteten die ersten Brandenburger friedlich auf dem glühenden Boden von Westafrika.


4.

Am Bord des»Kurprinz« fiel der Wachtschuß. Auf dem Verdeck war plötzlich überall Leben. Die Gesichter der Matrosen und Soldaten strahlten von lebhafter Freude wieder, denn es war ein Tag angebrochen, der für alle ein bedeutungsvoller sein sollte. Es war ein inhaltschwerer Tag, an welchem man den Samen in die Erde streuen wollte, der Wurzel schlüge und Stämme triebe, die Jahrhunderte überdauerten.

Es war der 1. Januar des Jahres 1683.

Man hatte einen Vertrag mit den Cabusier-Negern abgeschlossen, den Kauf des Berges Mamfro und der umliegenden Gegend betreffend, und wollte zur feierlichen Besitznahme schreiten. Um acht Uhr morgens landeten die Böte mit den Offizieren, und alle Mannschaften, die an Bord entbehrt werden konnten, folgten nach. Die Neger erwarteten sie mit Singen, Tanzen und Springen.

Otto von der Groeben betrat mit seinen Offizieren das Ufer. Die Trompeter und Schalmeienbläser spielten einen Choral. Ein leichtes Zelt wurde errichtet, und die Brandenburger traten ein. Nach einer Pause erschienen die Anführer der Neger, und Herr von der Groeben sagte zu ihnen, daß er, auf die Ehrlichkeit ihrer Worte trauend, den Strand betreten habe. Bevor er aber weiter gehe, und von dem, was sie ihm zugesprochen, Besitz nehme, sollten sie nochmals erklären, wie es ihr fester Wille sei, den durchlauchtigsten Kurfürsten, Herrn Friedrich Wilhelm von Brandenburg, als ihren Gebieter anzuerkennen und sich unter seinen Schutz zu stellen.

Mit den lebhaftesten Gebärden drückten die Negerhäuptlinge ihre Bereitwilligkeit aus, zu thun, was man von ihnen verlange, um ihre Ergebenheit zu beweisen.

Hierauf trat der Schiffsschreiber vor und verlas die Akte, welche zu diesem Zwecke entworfen war, und durch welche der Kurfürst nicht allein Herr des bezeichneten Bodens wurde, damit zu schalten und zu walten nach seinem Willen, feste Werke darauf anzulegen und das Land von dem regieren zu lassen, den er da dazu verordnen werde, sondern auch die Cabusier sich förmlich in den Schutz des kurbrandenburgischen Banners begaben und gelobten, als dessen treue Untertanen zu leben und zu sterben. Nach der Verlesung dieses Vertrages, und nachdem Herr von der Groeben die Neger nochmals gefragt, ob sie alles wohl verstanden und erwogen hätten stimmten diese mit lautem Rufe bei, indem sie sich in die Kniee warfen und zu wiederholten Malen mit dem Kopfe die Erde berührten.

Als nun die Zeremonie beendet und zuletzt das Bündnis nach dortigem Gebrauche durch einen Umtrunk befestigt worden war, erhob sich Otto von der Groeben und rief mit starker Stimme:

»Reißt die Zeltwände ein! Wir stehen auf brandenburgischem Boden!«

Schon nach einer Stunde hatte alles ein festliches Ansehen angenommen. Von den Schiffen hatte man fünf Kanonen geholt und auf das Plateau des Berges geschafft; dort sollte die brandenburgische Festung erbaut werden. Auf dem höchsten Punkte ward eine Flaggenstange errichtet, und vor derselben wurden die Spielleute aufgestellt. Längst den Bergabhängen lagerten die Eingeborenen in den verschiedensten Gruppen.

Der Zug bewegte sich in gemessener Ordnung. Voran schritt Selbing mit einer Abteilung der brandenburgischen Soldaten, gefolgt von einer Anzahl mit Enterbeilen und Säbeln bewaffneter Matrosen. Dann folgte der Schiffsschreiber mit der beschworenen Urkunde. Er bildete die Spitze der Cabusier-Gruppe, von denen die Brandenburger den Grund und Boden gekauft hatten. Jetzt erschienen die Fahnenträger und hinter diesen Otto von der Groeben als kurfürstlicher Kommissarius, begleitet von den beiden Fregattenkapitänen samt den übrigen Offizieren und den Beamten der neuen Kolonie. Bewaffnete machten den Schluß.

Mit lautem Zuruf und klingendem Spiel begrüßt, betrat Otto von der Groeben das Plateau, stellte sich zunächst der Flaggenstange und sprach mit lauter Stimme:

»Im Namen Seiner Durchlaucht des Herrn Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Markgrafen von Brandenburg, nehme ich Besitz von diesem Berge samt angrenzenden Ländereien, welche ich von den eingebornen Cabusiern mittelst rechtmäßigen Kaufes erstanden habe, und befehle, daß unsere Landesflagge an dieser Stange aufgezogen werde, zum Zeichen, daß wir rechtmäßige Herren dieses Bodens sind und unser Eigentum samt den Völkern, die sich in unsern Schutz begeben haben oder noch begeben, beschirmen wollen mit der Schärfe des Schwertes gegen alle ohne Ansehen des Volkes oder der Farbe, die sich erheben und uns unsere wohlerworbenen Rechte streitig machen wollen. So steige denn an dieser Stange die Flagge empor, der wir alle zugeschworen sind, damit sie geschaut werde weit und breit im Lande!«

Auf seinen Wink ward die Flagge gehißt, und im frisch wehenden Morgenwinde entfaltete sich der rote kurbrandenburgische Adler. Die Musik fiel mit einer rauschenden Fanfare ein, und die Geschütze wurden abgefeuert. Die versammelten Brandenburger stimmten ein lautes Hoch an. Die Schwaben fielen mit wildem Geheul ein, und von der See her donnerten die Kanonen der beiden Fregatten. Die mitgebrachten Vorräte wurden verteilt. Otto von der Groeben nahm den ihm zuerst dargebotenen Becher und rief: »Hoch Brandenburg! Hoch sein erhabner Fürst und diese Kolonie, die auf seinen Willen hier begründet wird und ein neuer Zeuge seines großen Geistes bei Mit- und Nachwelt sein soll!«

Alle jubelten, und Kapitän Voß erwiderte, indem er vortrat: »Hoch auch dem Abgeordneten und Stellvertreter des durchlauchtigsten Herrn, unserem wackeren Führer von der Groeben, der uns bis hierher leitete und die Gedanken unseres Herrn verwirklichte!«

Groeben dankte und sagte: »Mögen stets frohe Menschen unter dem Schutze der Mauern wohnen, die wir selbst errichteten! Und da wir nun auf eigenem Boden stehen, wollen wir ihn auch als den unsrigen behandeln. Nicht mehr Mamfro soll dieser Berg genannt werden. Ich taufe ihn und gebe ihm einen brandenburgischen Namen.«

Er goß den Inhalt seines Bechers auf den Boden und sagte: »Wir taufen mit Wein, dem edelsten Naß, das die Kraft aller Elemente in sich vereinigt. Hört es alle, welchen Namen ich unserm neuen Eigentume gebe: Groß-Friedrichsberg soll es heißen!«

»Groß-Friedrichsberg!« wiederholten die Offiziere jubelnd. Von Mund zu Mund verbreitete sich dieses Wort, das mit lautem Freudenrufe wiederholt wurde. Otto von der Groeben aber fuhr begeistert fort: »Groß-Friedrichsberg bis an das Ende aller Tage! Und wenn sie nicht Wurzel schlüge, die von uns gesäte Saat, wenn der junge Trieb, den wir in diesen Boden senkten, im Keime erstickte, wenn Neid und Mißgunst über das redliche Streben siegt und einst den brandenburgischen Adler von diesem Horste verscheucht: den Namen sollen und müssen sie ihm lassen. Groß-Friedrichsberg für immer, so lange eine Welle gegen diese Ufer rollt, so lange eine Palme ihre reiche Blätterkrone in den blauen Himmel emporstrebt!«

Er hielt erschöpft inne. Seine Freunde und Genossen blickten voll Teilnahme auf ihn. Aber der Jubel dauerte fort; die Trompeten schmetterten, die Trommeln wirbelten, die Geschütze donnerten. In wachsender Lust rollten die Stunden vorüber.

Die Brandenburger siedelten sich an in Westafrika.


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