Heinrich Smidt
Seeschlachten und Abenteuer berühmter Seehelden
Heinrich Smidt

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Deutsche Gäste.

Zahlreiche Gruppen hatten sich am Strande gebildet, um die Flotte zu schauen, die in der Mitte des Mai 1666 auf der Rhede des Texel segelfertig lag. Alle Schiffe glänzten in lichtem Farbenschmuck. Die Geschütze glitzerten im Sonnenschein, die langen roten Wimpel züngelten in blauer Luft. Weiße Zelte breiteten sich über jedes Halbdeck aus. Bis zum höchsten Topp waren die Masten mit bunten Flaggen bedeckt. Auf den Decken der Hauptschiffe erscholl eine lustige Musik, und zahlreiche Böte flogen zwischen der Flotte und dem Lande ununterbrochen hin und her.

In den dichtgedrängten Haufen der Zuschauer am Lande wurden mancherlei Stimmen laut. Ein alter Seeschwalker mit zerschossenen Beinen und lahmer Hand, der noch unter Pieper Hein dabei gewesen war, jubelte laut, daß der Tanz nochmals losginge, und endlich wieder etwas Rechtes geschehen werde. Er schwätzte von einem Flottenreiche zur See, das nach und nach alle Dänen, Schweden und Engländer, und wie sie sonst heißen, vernichten und allein herrschen werde, so weit die Wellen blauen. Andere Leute aber, deren Gewerbe nur in Ruhe und Frieden gedeihen, thaten laut Einsprache und verwiesen ihm sein loses Maul, sowie daß er sich über anderer Leute Unglück freue. Das dauerte fort, bis ein ehrsamer Gewerksmann sich dazwischen legte und sagte: »Ihr schwätzt, wie Ihr es versteht. Die Welt ist nun einmal verkehrt, und da ist es schon recht, wenn sich etliche finden, welche sie wieder in Ordnung bringen wollen. Laßt Ihr in Gottes Namen einen ordentlichen Krieg kommen, um so besser ist der Frieden hinterher. Frankreich geht mit uns gegen die Engländer los. Seine Flotte wird sich mit der unsrigen vereinigen, und der Herzog von Beaufort wird sie kommandieren. Nun, dann sind wir doppelt stark und bekommen um so eher Ruhe und Frieden.«

»Das ist nichts!« schrie der Invalide wieder. »Was sollen wir mit den Franzosen, wenn wir es allein ausfechten können? Was meint Ihr zu einem Königreiche auf der See und de Ruiter König? He! Wie gefällt Euch das?«

»Ganz und gar nicht!« antwortete der Gewerksmann. »Ihr thätet am besten, still zu schweigen, um so mehr, als kein Mensch auf Euch hört in diesem Augenblicke, wo es losgeht. Da fällt der erste Schuß! Und die Musik fängt auch schon an. Ist das ein Leben!«

Eine lange Reihe von Ruderfahrzeugen ward sichtbar. In dem vordersten saßen Musikanten, die hatten Scharlachröcke mit Silberfransen an, und schmetterten aus ihren Trompeten, daß es eine Lust war, sie zu hören. Daraus folgte ein Boot mit Flaggenoffizieren, welche den Dienst bei den hohen Gästen hatten. In der nun folgenden Staatsschaluppe befanden sich die Deputierten der Generalstaaten. Sie ruderten vor einer vergoldeten Barke her, in welcher die vornehmen Gäste Platz genommen hatten. Zwölf Kavaliere ruderten dieselbe und das Steuer führte der Admiral Cornelius van Tromp. In dem Hauptteil der Barke befand sich Herr Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg. Ihm zur Seite saßen die Herren Herzöge von Anhalt und von Holstein, ihnen gegenüber aber die Prinzen von Nassau und Oranien. In den darauffolgenden Böten sah man eine große Anzahl Herren des niederländischen und brandenburgischen Adels.

Während die Böte langsam dahinfuhren, begrüßt von dem Jubelruf des am Lande harrenden Volkes, wendeten die Gäste einzelnen Schiffen ihre freundliche Aufmerksamkeit zu. Aber ein allgemeiner Ruf des Staunens ward vernommen, als jetzt die Böte über die Bucht hinauslegten, und die ganze holländische Flotte im vollen Kriegs- und Festschmuck sich ihren Blicken zeigte. Der das Steuer führende Admiral aber sagte, sich verneigend: »Mit Verlaub, gnädigster Herr Kurfürst und Ihr durchlauchtige Fürsten und Herren, die Flotte der vereinigten Provinzen bittet um die Ehre, den ersten Willkommen darbringen zu dürfen.«

Alsbald sah man am Bord der Schiffe, welche die erste Eskadre bildeten, die Matrosen in die Wanten hinauffliegen und die Rahen bemannen, während von den Decken die Kanonen zu donnern anfingen.

Der Kurfürst sah dem Schauspiel mit wachsendem Interesse zu und sagte, als der letzte Schuß verhallte: »Wessen Geschwader ist dies?« Und als Herr Cornelius van Tromp sich als den Befehlshaber desselben zu erkennen gegeben, setzte der Kurfürst hinzu: »Seid bedankt, Herr Admiral!« Darauf wandte er sich zu dem Herzoge von Anhalt und sprach: »Euer Liebden erkennen auch, das wir uns im Binnenlande einen anderen Begriff von den Seeküsten machen. Wir haben hier die Ueberzeugung von einer Weltherrschaft mit einemmal vor uns.«

»Dafür seid Ihr im Binnenlande mächtig,« entgegnete der Anhalter. »Dort seid Ihr siegreich und könnt alles andere gern entbehren.«

»Meint Ihr das?« fragte der Kurfürst. »Ich nicht; vielmehr glaube ich festiglich, daß deutsche Fürsten, deren Lande mit der See grenzen, ihre Herrschaft erst wahrhaft befestigen, wenn ihre Schiffe auf der See herrschen, wie ihre Heere am Lande.«

»Kurfürstliche Gnaden haben damit einen gesegneten Anfang gemacht,« entgegnete der Anhalter. »Die kurbrandenburgische Flagge wehte bereits siegreich auf der Küste von Afrika, und es liegt nur an Euch, derselben auch im fernen Indien die gebührende Achtung zu verschaffen.«

Während die Fürsten so mitsammen sprachen, neigte sich der Nassauer zu seinem Vetter Oranien und flüsterte ihm zu: »Das ist wieder das alte Lied von einer brandenburgisch-deutschen Flotte. Pah! Deutsche Flotte.«

Der Kurfürst hatte die leise gesprochenen Worte vernommen und sah den Prinzen verweisend an. Darauf sagte er zu dem Herzoge von Holstein: »An Euch, Ihr Herren an der Nordsee, liegt es allein, wenn wir es zu nichts bringen! – Ihr habt die Schlüssel zu der Eider, zu der Elbe, Weser und Ems. Ihr habt . . . . . Aber warum verliere ich unnütze Worte? Ihr wollt nicht sehen, sonst müßtet Ihr gewahren, daß Ihr, von Strömen und Meeren eingezwängt, dazu ausersehen seid, sie zu beherrschen.«

Der Donner der Kanonen begann aufs neue, und Cornelius van Tromp sagte: »Mit Verlaub, kurfürstliche Gnaden! Dort links liegt das Geschwader des Admirals Johannes Meppel, dort jenseits der Linie ankert das Reserve-Geschwader des Admirals Evertson. Das Zentrum aber, vor welchem wir jetzt halten, befehligt Herr Admiral de Ruiter, und da ist das Schiff »die sieben vereinigten Provinzen«, welches jetzt durch Euren und der anderen durchlauchtigen Herren Besuch geehrt werden soll.«

In diesem Augenblicke erschien der Ober-Admiral auf dem Dache der Hütte, umgeben von sämtlichen Kommandeuren der Flotte, und brachte ein lautes Lebehoch aus. Zugleich begannen die Kanonen zu donnern, und die Musikanten spielten, während die Matrosen auf den Rahen paradierten. Herr de Ruiter stieg jetzt das Fallreep herunter. Er beschritt den Prahm, der zum Anlegen der Böte bestimmt war, und reichte dem Kurfürsten die Hand, um ihm beim Aussteigen behilflich zu sein. Der Kurfürst schlug ein und sagte: »Das ist die Hand, welche das Schicksal der Flotten lenkt!« worauf dann der Admiral besonnen entgegnete: »Und Eure kurfürstliche Durchlaucht halten diese Hand gefangen.«

Der Kurfürst fand an dieser Aeußerung ein sonderliches Behagen und stieg froh gelaunt zu Deck, wo die Soldaten in Parade aufgestellt waren, und der Offizier vom Dienst den Rapport überreichte. Danach aber begab man sich in die Staatskajüte.

Die Festtafel, an welcher, außer den fürstlichen Gästen, nur die Deputierten der General-Staaten und die kommandierenden Admirale speisten, war auf dem Halbdeck auf das kostbarste hergerichtet. Alle waren fröhlich, und mancherlei Gesundheiten und Trinksprüche waren schon ausgebracht, als Herr de Ruiter sich erhob und, sich verneigend, sagte: »Mit Eurer Durchlauchtigkeit Erlaubnis wollte ich hier zwei junge Kapitäne aufführen, welche in Deutschland geboren sind und unserer Flagge angehören. Dies ist Kapitän Weiland aus Köln und jener dort Kapitän Bargfeld aus Stettin. Sie befehligen die beiden leichten Fregatten, welche Euer Durchlaucht hier an unserm Backbord erblicken, und bitten um die Ehre, kurfürstliche Gnaden wollen gnädigst einem Scheingefechte zusehen, welches sie auszuführen soeben im Begriffe sind.«

»Das will ich gern, sehr gern,« entgegnete der Kurfürst. »Und deutsche Herren sind es? Ihr sollt bedankt sein, de Ruiter, daß Ihr die Deutschen anlernt zu so edlem Handwerk.«

»O, Herr Kurfürst, das ist ein Geschäft, das sich lohnt,« entgegnete der Admiral. »Die Deutschen lernen vor allen andern rasch, weil sie ein eigentliches Seevolk sind, und Euer Gnaden kann sich darauf verlassen, daß ein Deutscher mehr Strapazen erträgt, als drei Holländer.«

»Hat Euer Liebden diese Worte vernommen?« fragte der Kurfürst den Herzog von Holstein, und wandte sich dann zu den Kapitänen: »Nun, meine Landsleute von der Ostsee und vom Rhein, nach den Lobsprüchen, die der Herr Admiral Euch zu teil werden läßt, bin ich gespannt auf das, was ich sehen soll. Ihr werdet einen aufmerksamen Zuschauer haben.«

Die Kapitäne entfernten sich rasch. Ihre Fregatten lichteten die Anker, umsegelten, die eine am Backbord, die andere am Steuerbord, das Admiralschiff, welchem sie die Honneurs machten, und legten sich dann auf Schußweite aus, worauf das Gefecht begann.

Der Kurfürst wandte kein Auge von den beiden Fahrzeugen, die das ganze Schlachten-Manöver durchmachten, sich bald verfolgten, bald enterten, bald einen Wettkampf im Segeln bestanden und zuletzt die glatte Lage abfeuerten und unter hundertstimmigem Jubelruf von ihrem großen Maste die kurbrandenburgische Flagge abwehen ließen, die mit lautem Trompetenschall begrüßt wurde.

»Das war ein herrlich Spiel, Herr Admiral, für welches ich Euch meinen Dank sage,« sprach der Kurfürst. »Aber es ist spät geworden, darum wird es Zeit, wenn wir noch etwas mehr in Augenschein nehmen wollen; ich hebe also mit Eurer Erlaubnis die Tafel auf.«

Der Kurfürst bestieg die bereit gelegte Schaluppe. Herr de Ruiter begleitete ihn allenthalben hin und ließ von verschiedenen Schiffen, welche dem fürstlichen Herrn besonders auffielen, diejenigen Manöver ausführen, in denen sie sich besonders auszeichneten. Als nach drei Stunden der Kurfürst wieder über das Fallreep der »sieben vereinigten Provinzen« stieg, sagte er, indem er sich mit dem Admiral in dessen Kajüte begab, zu seinen Begleitern: »Ich fürchte, Ihr Herren, es wird lange dauern, bevor ich Euch auf der Rhede zu Pillau ein solches Schauspiel – wenn auch nur im kleinen – werde bieten können.«

Der aufmerksame Wirt und sein hoher Gast hatten sich lange eifrig unterhalten. Als der Abend hereinbrach, stand der Kurfürst rasch auf und sagte mit innerer Bewegung: »Das meinte ich. Ihr wiederholt mir, was ich so oft, aber stets vergebens sagte. Die deutschen Fürsten wollen nicht begreifen, was ihnen frommt. Aber ich lebe der festen Ueberzeugung, daß eine Zeit kommt, wo sich das verwirklicht, was ich allein vergebens auszuführen trachte. Wenn Deutschland das ganz werden soll, was es sein kann, so müssen deutsche Kolonieen jenseits des Meeres entstehen, und deutsche Kriegsschiffe müssen die deutschen Kauffahrer vor jeder Fährlichkeit schirmen können. Aber bis dahin wird wohl noch eine lange Zeit ungenützt verstreichen.«

»Das sollten kurfürstliche Gnaden, soviel nur thunlich ist, verhindern,« sagte der Admiral. »An der Elbe und an der Weser, wie am Pregel müßten stattliche Kriegshäfen entstehen, wie bei uns zu Vlissingen. Ihr habt ja Bäume genug in Deutschland für Kiel und Mast, und in Euren Bergen liegt das Eisen, aus dem Ihr Anker und Ringbolzen schmieden könnt.«

»Genug, Herr Admiral!« entgegnete Friedrich Wilhelm. »Es ist Abend worden und Zeit, daß wir nach dem Lande zurückkehren. Bewahrt es in Eurem Herzen, was wir miteinander sprachen.«

Als der Kurfürst auf das Verdeck zurückkehrte, hatte sich der Schauplatz verändert. See und Küste verschwanden in der Abenddämmerung in eins. Die Zelte waren von den Verdecken entfernt und die Masten von oben bis unten mit farbigen Lampen und Laternen geschmückt. Reiche Erfrischungen wurden aufgetragen, und bunt-phantastisch herausgeputzte Negerknaben bedienten die Gäste. Der Admiral führte den fürstlichen Gast auf einen eigens für ihn bereiteten Sitz und sagte dabei: »Euer Durchlaucht haben unserer Flotte samt allem, was ihr angehört, eine große Aufmerksamkeit geschenkt und unser Streben höchlich belobt. Möge es Euch nun auch gefallen, mit gnädigem Auge auf unsere Ergötzlichkeiten herabzusehen.«

Eine lustige Musik begann, und kräftige Stimmen sangen ein fröhliches Lied, das sich von Bord zu Bord verbreitete. Absonderlich schön war es aber anzuhören, als die Sänger zuerst auf dem Admiralschiffe schwiegen, dann die auf dem zunächst gelegenen Schiffe und weiter auf dem dritten und vierten, so daß der Gesang nun allmählich fernab verhallte, wie ein leichter Abendhauch, der über die plätschernden Wellen hinstreift.

Darauf erschienen Tänzer, welche künstliche Tänze und Kraftsprünge ausführten. Aber alles war lustiger Art und nichts dabei, was so halsbrechend war, daß es Furcht, oder so gemein, daß es hätte Widerwillen einflößen mögen, sondern alles wurde mit solchem Anstande ausgeführt, daß es fast zu verwundern war, wie derbes Seevolk sich dergleichen manierliches Benehmen hatte aneignen können.

»Nun, Ihr Herren,« rief der Kurfürst, als sich die Spiele zu ihrem Ende neigten, »es ist spät geworden, und wir dürfen unsern gastfreien Wirten nicht länger beschwerlich fallen. Rüstet die Böte zur Abfahrt!«

Trompeten und Pauken verkündeten den Aufbruch der hohen Gäste. Als das Boot mit den Fürsten vom Fallreep abstieß, erschien der Admiral mit allen seinen Offizieren auf der Galerie. Das Admiralschiff strahlte in rotem Feuer, und feierlich hallte Schuß auf Schuß von den Batterien der Back und der Schanze. Die Matrosen prangten auf den Rahen, und die Marinesoldaten schulterten das Gewehr.

Eine Stunde später waren sämtliche Lampen erloschen. Nur in den Marsen brannten die Wachtlaternen, und tiefe Stille herrschte ringsumher.


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