Heinrich Smidt
Seeschlachten und Abenteuer berühmter Seehelden
Heinrich Smidt

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Der Ulk bei Hofe.

Die große Seeschlacht vom 8. August 1715 war entschieden und mit derselben die Kraft der Schweden zur See für lange Zeit gebrochen. Unter dem Oberkommando des Admirals Rabe einigte sich eine englische Eskadre mit der dänischen Flotte. Sie hinderten jede Verbindung zwischen dem Königreiche Schweden und dessen deutschen Provinzen. Peter Wessel, der in hundert Kreuzzügen und Scharmützeln zur See seinen Ruhm sich mehren sah, war ein bevorzugter Liebling König Friedrichs IV. und die Wonne alles Seevolkes, das sich scharenweise zu der Ehre drängte, auf dem Deck seines Schiffes und unter seinen Augen zu siegen oder zu fallen. Peter Wessel, der in so jungen Jahren bereits viele ältere Offiziere übersprungen hatte und zum Fregattenkapitän avanciert war, kommandierte den »weißen Adler« und hatte an den letzten Ereignissen thätigen Anteil genommen.

Als der Kampf bereits beendet war und alle, vornehm und gering, die notwendige Ruhe ersehnten, lief Kapitän Wessel zwei schwedische Schmacken auf, die mit Waffen und Munition für die Armee Karls XII. beladen waren, enterte diese und beeilte sich, sie nach Kopenhagen zu führen.

Hier war der Neid wieder einmal thätig gewesen und heftete sich an die Ferse des jungen, strebsamen Seemannes. Es ward eine Anklage gegen ihn erhoben, weil er ohne Not sich öfters in einen Kampf gegen die offenbare Uebermacht eingelassen habe und deshalb mehrmals nahe daran gewesen sei, in den Grund gebohrt zu werden. So habe er während der letzten Feindseligkeiten im Angesicht der schwedischen Flotte einen zu derselben gehörigen Dreidecker angegriffen, obgleich ihm dies ausdrücklich untersagt gewesen.

Peter Wessel, der die gegen ihn erhobene Anklage vernahm, begann seine Rechtfertigung in gewohnter freimütiger Weise und sagte dann am Schlusse: »Und wenn ich mich in Streit mit der Uebermacht einließ, so hat doch der kleine Adler den Riesenvogel so gejagt, daß er alle seine Flügel brauchte, um nur recht schnell davon zu kommen. Aus diesem Grunde glaube ich, daß die errungene Ehre den Schaden ausgleicht, den ich an Segel und Takelwerk erlitt. Der Ausfall der Sache muß das Wort für diese nehmen. Im stolzen Fluge ist der Adler mit reicher Beute zu seinem Horste heimgekehrt, und dem Feinde – darauf dürfen die Herren sich verlassen – wird der Gesang meiner Kugeln noch lange genug in den Ohren gellen.«

Die Rede des jungen Fregattenkapitäns ergriff lebhaft alle Gemüter. Alle jüngeren Offiziere nahmen entschieden Partei für ihn; den endlichen Ausschlag gab Admiral Rabe. Dieser Offizier erklärte, er habe dem Kapitän Wessel versprochen, ihm ein Linienschiff zu Hilfe zu schicken, sei aber daran verhindert worden. Er danke dem Kapitän, daß er dies gar nicht erwähnt habe, obgleich es so sehr zu seinen gunsten spreche. Die ganze Versammlung erhob sich wie ein Mann. Jeder erklärte das Benehmen des Kapitäns Wessel für untadelhaft und nannte ihn den besten Kreuzer in der dänischen Flotte, der es wohl verdient habe, der besonderen Gnade Seiner Majestät des Königs empfohlen zu werden.

Alle Anwesenden verließen ihre Plätze und umringten den jungen Kapitän, ihm ihre Glückwünsche darzubringen. Peter Wessel empfing dieselben mit der ihm eigentümlichen Verlegenheit, die sich stets hinter einem schlauen Lächeln verbarg. Er schüttelte die dargebotenen Hände herzhaft und fügte hinzu, daß er nichts mehr ersehne, als eine Gelegenheit, den Herren zu zeigen, daß er es mit seinen Versicherungen ebenso aufrichtig meine, als er von der Aufrichtigkeit der ihrigen auch ohne jeden Beweis vollkommen überzeugt sei.

Da nahte sich der Admiral-General Gyllenlöwe dem Kreise. Er gab Peter Wessel einen Wink, ihm zu folgen, und sagte mit freundlicher Herablassung: »Man hat soeben ausgesprochen, daß Ihr für Euren Mut, den Ihr jetzt und sonst bewiesen, Seiner königlichen Majestät empfohlen zu werden verdientet. Ich muß Euch nur sagen, daß dies schon geschehen ist. Seine Majestät ward von allem unterrichtet und will Euch selbst sehen.«

»Der König!« rief Peter Wessel überrascht. »Ist er nach Kopenhagen gekommen?«

»Nein, Kapitän Wessel! Seine Majestät verweilt nach wie vor in Schwedisch-Pommern, wo er in der Stadt Stralsund einen glänzenden Hof um sich versammelt hat. Bis zur Mündung der Peene ist, Rügen mit eingerechnet, alles unser Strand, und vor Stralsund weht auf dem Eilande Dänholm die rote Flagge mit dem weißen Kreuz.«

»Die Gott erhalte zu ewigen Tagen!« rief Peter Wessel feurig.

»Amen! Dem geschehe also!« sagte der Admiral-General. »Es scheint, als ob der Aufenthalt in Pommern länger dauerte, als bisher vorauszusehen war. Wismar hat sich uns ergeben, und die Huldigung der Provinzen steht nahe bevor. Es wäre nur zu wünschen . . .«

Herr von Gyllenlöwe unterbrach sich und sagte ablenkend: »Ich vermisse meine Dose. Seid Ihr vielleicht versehen?«

»Zu Befehl, Herr Admiral-General!« sagte Peter Wessel und zog eine mit Brillanten verzierte goldene Dose aus der Tasche.

»Ein schönes Stück!« sprach Gyllenlöwe, sie betrachtend. »Ist das nicht die Dose, die Ihr als ein Zeichen des Wohlwollens von Seiner Majestät dem Könige empfinget?«

»Ganz recht, Euer Exzellenz! Es war nach der köstlichen Affaire im Kalmarsund. Sie ist mir darum auch nicht für eine ganze Provinz feil. Käme sie mir abhanden, ich würde nicht eher ruhen, bis ich sie wieder hätte, müßte ich ihr auch durch Feuer und Wasser nachfolgen.«

»Ihr bleibt der alte Enthusiast, Kapitän!« sagte Gyllenlöwe lächelnd und gab die Dose zurück. »Uebermorgen lichtet der Dreidecker »Holger Dansk« die Anker. Ihr werdet zur rechten Zeit auf der Zollbude sein, um Euch meinem Gefolge anzuschließen.«

»So pünktlich, als ob es zu einem Rendezvous mit einer schwedischen Fregatte wäre!« entgegnete Peter Wessel in seiner fröhlichen Weise. »Haben der Herr Admiral-General mir noch sonst etwas zu befehlen?«

»Auf Wiedersehen also!« sagte Gyllenlöwe, den Kapitän freundlich entlassend, und dieser kehrte zu seinen Freunden zurück, die ihn mit aufrichtiger Herzlichkeit empfingen. Als sie vor die Thür hinaustraten, wurde er von dem Seevolk, das sich dort in großer Anzahl eingefunden hatte, mit lautem Hurrarufen begrüßt.

Drei Tage später warf der Dreidecker »Holger Dansk,« bedeckt mit allen Segeln, mit dem königlichen Wimpel samt der Admiralsflagge am großen Topp, auf der Rhede von Stralsund unter dem Donner seiner hundert Kanonen und begrüßt von den Landbatterien, seine Anker aus. Bald darauf wurde die große Staatsschaluppe mit zwölf Ruderern bemannt, und Admiral-General Gyllenlöwe mit seinem großen Stabe von Vice- und Contre-Admirälen, Kommandeuren und Kapitänen, sämtlich in ihren Gala-Uniformen, nahmen in derselben Platz. Peter Wessel saß mitten unter ihnen. Das Gespräch flog hin und wieder. Es wurden mehrere Fragen aufgeworfen, von denen der Admiral-General bald abzulenken suchte, da er sie nicht weiter erörtert wissen wollte. Peter Wessel, der dies sehr wohl merkte, zog seine Dose und sagte: »Dürfte ich mir erlauben, Euer Exzellenz eine Prise anzubieten?«

»Gern, mein lieber Kapitän,« entgegnete dieser, dem die Unterbrechung sehr erwünscht kam, ließ, um sich den Arm frei zu machen, den Mantel von der Schulter, und schlug, indem er sich rasch zu dem Kapitän wandte, diesem die Dose aus der Hand, so daß sie über Bord flog.

»Holla Ahoi!« rief Peter Wessel erschreckt, faßte sich aber gleich wieder und sprang über den Rand der Schaluppe weg in die mit Eis treibende See.

Ein panischer Schrecken bemächtigte sich aller. Die heitere Unterhaltung war plötzlich verstummt. Die Ruder hielten die Schaluppe an. Alle Herzen schlugen hörbar. Keiner wußte, was zu thun.

Da tauchte der Kopf des wagehalsigen Offiziers aus den Wellen auf. Hoch wie niedrig bemühte sich, ihn wieder an Bord zu bringen. Peter Wessel schüttelte sich, und als er wieder zu Atem gekommen war, sagte er mit dem ihm eigentümlichen Lächeln: »Habe sie nicht wieder gekriegt. Ist so verdammt dunkel dort unten. Muß nur den Herrn Admiral-General um Entschuldigung bitten, daß ich ihm keine Prise bieten kann.«

»Ihr bleibt Eurem Worte sehr treu, Kapitän,« sagte Gyllenlöwe, der sich von dem plötzlichen Schreck noch nicht erholt hatte und an die Worte Peter Wessels dachte, er werde der Dose durch Feuer und Wasser folgen.

Der Kapitän, der ihn wohl verstand, entgegnete rasch: »Wenigstens habe ich mein Wort nach einer Seite hin gehalten; und wenn nur die zweite da wäre . . .«

»Ihr meint das Feuer?« entgegnete der Admiral-General rasch. »Das könnte Euch nötig werden. Jungens, greift aus!«

Und von langen Ruderschlägen getrieben, flog die Staatsschaluppe der Landungsbrücke zu.

Es war am heiligen Weihnachtsabend, als sich eine glänzende Versammlung von Herren aus dem Land- und See-Etat, von fremden Gesandten und adeligen Grundbesitzern in den königlichen Gemächern eingefunden hatte. Noch war Friedrich IV. nicht erschienen, und die Unterhaltung ging ziemlich zwanglos von statten. Peter Wessel stand seitwärts im lebhaften Gespräch mit einigen Kameraden. Der junge Seemann, von dem man sich so viele Geschichten erzählte, die sämtlich Zeugnis von seinem Mute und seiner Entschlossenheit gaben, war der Gegenstand der allgemeinsten Aufmerksamkeit.

Plötzlich trat eine tiefe Stille ein. Die Flügelthüren wurden aufgerissen, und König Friedrich IV. erschien voll herablassender Freundlichkeit, getragen von dem Glücke, das ihn mit seinen reichsten Gaben überhäufte. Er grüßte nach allen Seiten hin auf das verbindlichste, redete mit diesem oder jenem und blieb endlich vor dem Admiral-General Gyllenlöwe stehen, der mit einer tiefen Verbeugung sagte: »Euer königlichen Majestät haben allergnädigst befohlen, daß der Fregattenkapitän Peter Wessel sich Euer Majestät vorzustellen habe. Derselbe ist den Befehlen seines königlichen Herrn nachgekommen, und ich wage es, wiederholt die Huld und Gnade Euer Majestät für diesen Offizier zu erbitten.«

Peter Wessel trat mit ehrfurchtsvollem Gruße vor und blieb dann aufrecht stehen, die Befehle des Königs erwartend.

Friedrich IV. betrachtete den Kapitän einen Augenblick mit sichtbarem Wohlgefallen und sagte dann: »Wir haben viel von Euch gehört, Herr Wessel! Ihr thut redlich dazu, daß man Euch nicht vergessen kann, denn kaum haben Wir Uns eines Eurer Abenteuer gemerkt, so trägt die Fama Uns schon wieder ein anderes zu.«

»Alles nur, um Euer Majestät zu dienen, und zum weitern Ruhm unserer glorreichen Flagge!« entgegnete der Kapitän.

»Es ist nicht mehr als billig, daß Wir für solche Ergebenheit Uns dankbar erweisen,« fuhr der König fort. »Und doch sind Wir in diesem Augenblicke, statt Unsere Schuld abzutragen, durch das Versehen Unsers Kämmerers veranlaßt, Euch um eine weitere Gefälligkeit zu ersuchen. Wollt Ihr Uns nicht eine Prise geben, Herr Kapitän?«

Peter Wessel geriet in eine nicht geringe Verlegenheit. »Euer Majestät verzeihen, – aber – ich habe meine Dose nicht bei mir.«

»Wir haben gehört,« entgegnete der König lachend, »daß Ihr Eure Dose auf dem Grunde der See zu bewahren pflegt und jedesmal untertauchen müßt, wenn Ihr eine Prise nehmen wollt. Das ist zu umständlich. Laßt sie also liegen und nehmt diese dafür.« Er reichte dem Offizier eine weit kostbarere Dose, als die frühere gewesen. Auf dem Deckel derselben befand sich das Brustbild des Königs.

»Dank! Untertänigen Dank, Euer Majestät!« rief Peter Wessel mit großer Lebhaftigkeit. »Sollte ich das Unglück erleben, daß diese Dose auch über Bord ginge, so bringe ich sie wieder herauf oder bleibe bei ihr unten.«

»Das verbieten Wir!« entgegnete der König. »Wir denken Euch noch zu vielen wichtigen Dingen zu gebrauchen und wollen von dergleichen unnützen Kunststücken nichts weiter hören. Und damit Ihr dies mit desto freudigerem Herzen thun könnt, sind Wir gewillt, Euch mehr in Unsere Nähe zu bringen.«

»Wollen Euer Majestät allergnädigst geruhen, mir das Kommando einer Eskadre anzuvertrauen?« fragte der junge Seemann.

»Nein!« entgegnete Friedrich IV. rasch. »Wir haben schon zweimal gegen das Herkommen verstoßen, indem Wir Euch außer der Reihe beförderten, und sind darüber mit Unserer Admiralität in Streit geraten. Doch denken Wir Euch anderweitig schadlos zu halten. Die Thaten, die Ihr verrichtet und die dem Vaterlande zum großen Heile gereichen, sind des edelsten, ritterlichsten Helden würdig. Und da Ihr Uns sogar in der Person des Grafen Wachtmeister einen der besten schwedischen Admirale an Unser Hoflager sandtet, so erheben Wir Euch hiermit in den Adelstand, damit Ihr den Besten im Lande auch von dieser Seite ebenbürtig seid, und legen Euch in Gnaden den Namen Tordenskiold bei.«

Ein lautes Gemurmel lief durch den Saal. Peter Wessel war wie vom Blitz getroffen; sein Gesicht glühte, seine Augen flammten. In einer einzigen Minute hatte er einen Riesenschritt vorwärts auf der Bahn der Ehren gethan. Er atmete tief auf, und die Hand auf das Herz legend, rief er. »Nun Euer Majestät geruht haben, einen Donnerschild aus mir zu machen, so schwöre ich, daß ich nicht nur den Schweden, sondern allen Nationen, die sich zu Feinden unseres Inselreiches erklären, in die Ohren donnern will, bis sie für alle Zeit taub geworden sind.«

»Laßt denn Euren Adelsschild neben den andern hängen. Es soll darauf das Wappen prangen, das Wir Euch hiermit allergnädigst verleihen: Zwei über Kreuz gelegte Kanonen und zwei leuchtende Blitzstrahlen darüber. Donner und Blitz sei Eure Losung. Gehabt Euch wohl, Herr von Tordenskiold!«

Der König entfernte sich, und der junge Ritter der See sah sich von Glückwünschenden umringt, während er selbst zum erstenmal bestürzt war und der Macht der Eindrücke fast erlag.


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