Heinrich Smidt
Seeschlachten und Abenteuer berühmter Seehelden
Heinrich Smidt

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Der Seefuchs.

Es war im Juni des Jahres 1658, als die gute Stadt Dünkirchen von einer englisch-französischen Armee belagert ward. An der Spitze derselben stand der Marschall Turenne und Seine Herrlichkeit Lord Lockhardt. Der Marquis von Ledé, der Prinz von Condé und Don Juan von Oesterreich verteidigten die Stadt für den König von Spanien, dem sie seit 1652 gehörte.

Vor einem kleinen Hause in der Kirchstraße und unweit der Kirche selbst, welches ganz im holländischen Styl erbaut war, sammelte sich eines Abends eine Anzahl von Bürgern und Seeleuten, welche mit vieler Teilnahme auf die Fenster des Hauses deuteten und auf jemand zu warten schienen. Dies Haus war die Wohnung des kühnen Kaper-Kapitäns Cornelius Bart, der während der stattfindenden Belagerung schwer verwundet worden war und hart daniederlag. Die Art und Weise, wie namentlich die umstehenden Matrosen seinen Namen aussprachen, zeigte deutlich, in welcher Gunst dieser Seemann bei ihnen stand.

Bald darauf öffnete sich die Thür. Ein alter Seemann, dessen Haar schon ziemlich ergraut war, trat heraus. Er trug ein Wams von blauer Serge mit glatten zinnernen Knöpfen und weite Flamandshosen; einen breitkrempigen Hut hielt er in der Hand. Bei seinem Erscheinen erhob sich ein Gemurmel; »Wie steht's mit ihm? Wie befindet sich der brave Kapitän?«

Der Alte winkte mit der Hand und sagte, eine sehr wichtige Miene annehmend: »Der Doktor hat gesagt, wenn Meister Cornelius drei Stunden schliefe, würde alles gut werden. Nun hat er aber vier Stunden geschlafen, also wird es noch besser gehen als gut.«

»Meister Saurret,« rief ein junger Fischer, »für den Erlös des ersten Zuges, den ich nächstens draußen mit meinen Netzen mache, das heißt, wenn die Engländer in die Luft gesprengt sind und die Fahrt frei sein wird, will ich für die Wiederherstellung Meister Cornelius Barts eine Messe lesen lassen.«

»Thue das, mein Sohn,« sagte Saurret, der den Beinamen Harran führte, weil er früher auf einer Heringsbüse gedient hatte. »Und da wir gerade von Fischen reden,« wandte er sich an die Versammlung, »so fällt mir da eine sehr denkwürdige Geschichte ein. Wir begegneten einmal mitten im Ocean einem Walfisch von ungeheurer Länge, dem eine große Schar junger Fische von solchem Umfange und in so ununterbrochener Reihe folgte, daß wir den alten für ein mächtiges Vorgebirge und die jungen für die daran hängende Küste hielten.«

Ein lautes Gelächter unterbrach den alten Matrosen, dessen Lust an Aufschneidereien man hinlänglich kannte. Saurret aber ärgerte sich wie gewöhnlich über dies Lachen und sagte. »Was wißt Ihr? Am Bord befand sich ein ehrenwerter Mann, Herr Buguilt von Ostende, der wegen seiner Wahrheitsliebe in jener guten Stadt Geschworener war. Er glaubte so fest an das Vorhandensein einer Küste, daß er nach dem Quadranten griff, um die Höhe der hervorragenden Spitzen zu messen.«

Aber nun wurde das Gelächter so stark, daß Harran Saurret, unwillig, heute mit seinen Erzählungen so ungläubigen Ohren zu begegnen, linksum machte und sich in das Vorgemach seines Herrn zurückzog, wo er sich mit dem Schnitzen einer Rudergaleere beschäftigte. Saurret hatte aus Liebe zu Cornelius Bart das Fischergewerbe aufgegeben und war in den Dienst dieses gefürchteten Kaperführers getreten. Er war auf der See ergraut und galt, abgesehen von seiner Liebe zu fabelhaften Geschichten, für einen zuverlässigen Mann.

Der schrille Ton einer silbernen Bootsmannspfeife rief ihn bald nachher in das Zimmer seines Herrn. Die Wände dieses Zimmers waren mit alten Ledertapeten geziert, an welchen noch hier und da einige Spuren von Vergoldung hafteten. Der große Tisch mit den gewundenen Füßen, sowie die Stühle mit den hohen Lehnen waren von Nußbaumholz, welches das Alter gebräunt hatte. Der Fußboden war mit kleinen blauen und weißen Fliesen bedeckt. Durch ein schmales Fenster, dessen kleine runde Scheiben in Blei gefaßt waren, drang der glutrote Schein der untergehenden Sonne und warf einen breiten Lichtstreifen über den Fußboden des Zimmers hin.

Auf dem Bette, das mit großgeblümten, zu beiden Seiten herabhängenden Gardinen versehen war, lag Meister Cornelius Bart mit dem todesblassen Gesicht. Er stützte das Haupt auf die Schulter einer Frau von vierzig Jahren. Sie trug ein schwarzwollenes Kleid und um den Hals einen gesteiften blendendweißen Kragen; eine schwarzsamtne Haube bedeckte ihren Kopf. Diese Frau, die den Leidenden mit der zärtlichsten Teilnahme betrachtete, war Katharina Janßen, seine Gattin, und der Knabe, der zu den Füßen des Bettes saß, war beider Sohn, Jean Bart.

Es war ein kräftiger Knabe von neun Jahren, nicht groß, aber stark gebaut. Die breite Stirn, die für sein Alter starken Augenbrauen, sowie seine blauen lebhaften Augen drückten eine ungewöhnliche Entschlossenheit aus, während seine vollen Wangen, von Luft und Sonne gebräunt, Kraft und Gesundheit verkündeten.

Als sein Vater sich mit Hilfe des alten Saurret erhob, rollte er dessen Lehnsessel, den der alte Herr, von Frau und Diener gestützt, nur mit Mühe erreicht hatte, an das Fenster. Die feindlichen Musketenkugeln, die des Kapitäns rechte Seite durchbohrten, als er sein letztes kühnes Wagestück unternahm, hatten ihm schweres Leid bereitet.

»Gott ist gütig, mein liebes Weib!« sagte Cornelius Bart. »Ich bete zu ihm, daß er uns noch eine Weile beisammen läßt. Ich möchte unsern Jean vollends erziehen, damit er ein braver Seemann wird. Seine Brüder mögen werden, was sie wollen; aber er soll das Seekriegswerk treiben, wie es sein Vater und sein Großvater thaten.«

Frau Katharina hob die mit Thränen gefüllten Augen zum Himmel. Jean Bart aber stand von seinem Schemel auf und nahm eine Stellung an, als befände er sich schon jetzt am Bord eines Orlogschiffes, dessen ganze Mannschaft seines Befehles gewärtig sei.

Der alte Kaperführer sprach noch einiges von der gegenwärtigen Belagerung, und wie er die Wunde, an der er jetzt leide, empfangen habe. Es war geschehen, als er den Plan machte, ein englisches Schiff zu entern, das sich den Kanonen des Forts von Dünkirchen zu nahe gewagt hatte. Dann zog er den Knaben an sich und sagte, ihn liebkosend: »Woran denkst Du, Jean? Du siehst gar so finster und trübselig darein.«

»Ich denke an den langen John Brish, lieber Vater!« sagte der Knabe mit unterdrücktem Zorne.

»Und wer ist das?«

»Mit Verlaub, Kapitän,« fiel Harran Saurret ein, »John Brish ist der Sohn unseres Nachbars, des alten englischen Hochbootsmanns. Seit Ihr verwundet seid, fällt unser Jean über diesen John Brish her, so oft er ihn zu Gesicht bekommt, und prügelt ihn gehörig durch.«

»Gott im Himmel!« rief Frau Katharina erschreckt. »Warum denn nur?«

»Ich prügele diesen Engländer, weil seine Landsleute meinen Vater verwundet haben.«

»Ja, ja!« fiel Harran Saurret ein, etwas dreister vortretend. »Sowie unser Jean sich auf der Straße blicken läßt, flüstern die Nachbarn: Da kommt des Meister Cornelius Kleiner, nun kriegt der große Lümmel seine Tracht Schläge! Und andere rufen: John Brish, komm heraus! Jean Bart ist da und will Dich prügeln! Ja, meiner Seele, Kapitän, der Junge macht Euch alle Ehre. Man spricht noch immer von dem Abenteuer mit den zwei holländischen Schiffsjungen, ob es gleich schon eine feine Weile her ist.«

»Und was ist das für eine Geschichte?« fragte der alte Kapitän, der es recht gut wußte und lächelnd seine Frau ansah, die mißbilligend den Kopf schüttelte.

»Das war, als unser Jean sich zum Kapitän auf Hans Dolfins Boot machte, das nicht viel größer als eine Nußschale ist. Er preßte zwei holländische Schiffsjungen zu seinem Dienst und ging mit ihnen in See. Es war ein schändliches Wetter. Der Sturm heulte, und die Wellen tanzten nur so über das Boot hin. Die Jungens schrieen Zeter und wollten mit Gewalt binnen laufen. Aber unser Jean, der ihre Sprache nicht verstand und sich auf keine andere Weise deutlich machen konnte, zerbläute ihnen mit der Ruderpinne die breiten Rücken, woraus sie lernen sollten, daß sie sich nicht fürchten dürften, wenn er als Kapitän an Bord wäre.«

»Ihr thut nicht klug, so zu sprechen, Saurret,« sagte die Mutter. »Statt dessen solltet Ihr, wie Euch befohlen worden ist, dem Jean die Buchstaben beibringen, die er kaum kennt, während andere Knaben seines Alters schon fertig lesen.«

»Dafür, meine Teure,« sagte Meister Cornelius mit einem gewissen Stolze, »liest er von den Masten alle Segel herunter, und von der Besansgaffel bis zum Klüverbaum zählt er Dir alles stehende und laufende Gut an den Fingern her. Sage mir, Junge, wie fährt die Fockboleine, und wo sitzen die Toppwanten der großen Rahe?«

»Aber, Cornelius!« sagte die Mutter leise.

»Freilich, Du hast recht, meine Liebe!« sagte beistimmend der Vater und machte scheinbar ein böses Gesicht. »Jean, Du wirst nicht mehr mit holländischen Schiffsjungen in See gehen und keinen Engländer mehr prügeln.«

»Und ich thue es doch!« rief Jean. »Dieser John Brish ist ein schuftiger Junge. Als sie unsern Vater heimtrugen, rief er lachend: Hussa! der hat sein Fett gekriegt! Und darum soll er auch sein Fett von mir kriegen; darauf kann sich die Mutter nur verlassen.«

»Halte den Mund, Junge!« sagte der Vater, »sonst erzähle ich Dir keine Geschichten mehr von dem alten Jacobsen, dem alten Seefuchs, welcher der Kapitän Deines Großvaters war.«

»Ach, erzähle, Väterchen, erzähle!« bat Jean schmeichelnd und kauerte zu den Füßen des Vaters nieder.

Währenddem trat Harran Saurret mit der brennenden Lampe, die er zu holen beordert war, wieder herein, und der Kapitän sagte: »Hole Deine Arbeit, alter Saurret, und setze Dich dahin. Ich will dem Jean die letzte Geschichte von dem Seefuchs erzählen, und Du magst auch zuhören.«

Saurret eilte hinaus und kam bald darauf mit einer halbfertigen Galeere und dem Schnitzmesser zurück. Während dieser friedlichen Zurüstung begann draußen ein neuer Angriff der Belagerer. Die Kanonen donnerten über See und Land hin.

»Das ist gut!« rief Kapitän Cornelius erregt. »Dieser Donner der Geschütze soll die Erzählung von der letzten Waffenthat des Seefuchses begleiten. Das ist eine gute Musik. Merke auf, mein Kind!«

»Meister Michael Jacobsen hieß der Seefuchs bei alt und jung, weil es keiner so gut verstand, als er, mit List seine Beute anzulocken, oder seinen Feinden zu entfliehen, wenn sie ihn schon im Netze zu haben glaubten. Du hast den Seefuchs gesehen, mein Kind; ich meine im Bilde, wie es der große Maler aus Köln, Herr Peter Paul Rubens, gemalt hat, und wie es bei dem Herrn Schöffen Mullewort in der Staatsstube hängt. Es war ein vornehmer Herr, dieser Maler, der mit Kaisern und Königen verkehrte; aber er hielt es doch für eine Ehre, den Seefuchs zu malen, und ging täglich zu ihm in die kleine Kammer, welche er bei dem alten Risban bewohnte, denn der Seefuchs konnte seiner Wunden wegen nicht ausgehen. Als darauf das Bild fertig war, und der Bürgermeister ihm den Lohn reichen wollte, lehnte der Maler jede Bezahlung ab und sagte: »Mir genügt, daß es fortan heißt, der Rubens hat den Seefuchs gemalt.«

»Ich weiß! Ich weiß!« rief Jean. »Es ist ein Mann mit einem langen braunen Gesicht. Die Haare sind schwarz, und der Bart ist es auch. Er trägt einen Stahlpanzer und eine rote Schärpe darüber. In der rechten Hand hat er den Kommandostab, und die linke ruht auf dem Helm. Und hinter ihm ist die stürmische See, und die Schiffe, die darauf kreuzen, liefern sich eine Schlacht.«

»Mit Vergunst, Kapitän,« fiel Saurret mit wichtiger Miene ein, »da fällt mir eine merkwürdige Geschichte ein, die sich begab, als ich noch nicht in Euern Diensten war. Wir befanden uns auf einer langen und gefährlichen Reise an der moskowitischen Küste. Ein Sturm brach aus, so ungeheuer, daß er die Fische aus den Wellen herausriß, und sie in der Luft durcheinanderschwirrten, wie sonst nur Vögel thun.«

»Sollte man es denken!«

»Ja, ja, Herr!« fuhr Saurret, dreist gemacht durch dieses hingeworfene Wort, eifrig fort. »Der wachsende Sturm schleuderte die armen Tiere so hoch hinauf, daß die Haifische so klein erschienen wie Makrelen, und . . . . .«

»Und man die Walfische mit Musketenkugeln herunterschießen konnte!« fuhr Meister Cornelius, ihn unterbrechend, fort. »Daß Du an Deinen ewigen Lügen ersticktest!«

Saurret wurde bis über die Ohren rot und schnitzte an der Galeere weiter. Meister Cornelius aber sagte zu dem ungeduldig mahnenden Knaben: »Um also wieder auf den Seefuchs zu kommen, so höre, was sich vor langen Jahren begab. Die Engländer hielten den Hafen von Dünkirchen blockiert, wie eben jetzt. Seit drei Tagen waren mein Vater und ich glücklich von einem Kreuzzuge zurückgekehrt. Wir hatten die Kreuzer arg betrogen. Unsere Brigg »die Seeschwalbe« lag ruhig im Hafen. Die Mannschaft war am Bord und alles so im stande, daß wir gleich wieder auslaufen konnten. Wir saßen in diesem nämlichen Zimmer. Es war ein naßkalter Winterabend, und der Nordwest heulte in dem Schlot. Das Feuer brannte hell in dem Kamin, der Bierkrug war gefüllt und die Pfeifen waren gestopft. Es sollte hoch hergehen diesen Abend, denn der Kapitän van der Velde war des Großvaters Gast. Plötzlich ging die Thür auf, und wer trat ins Zimmer?«

»Der Seefuchs!« rief Jean.

»Ja, der Seefuchs! Sein Mantel triefte, denn draußen regnete es in Strömen. Unter dem Mantel trug er seine Rüstung.«

»Anton!« sagte er im Eintreten zu dem Großvater. »Ich brauche Dich, Deinen Sohn und Dein Schiff.«

»Und wann?« fragte mein Vater.

»Gleich,« war die Antwort. »Wir müssen sofort auslaufen!«

»Gut!« sagte mein Vater und entschuldigte sich bei seinem Gaste, der sich auch sogleich entfernte, denn er kannte dergleichen Abenteuer schon. Und während ich nun mit dem Vater hinausging, um uns zu dem Seezuge bereit zu machen, setzte sich der Seefuchs mit der Pfeife zum Feuer. Er trug ein altes Kollett von Büffelleder und einen Schuppenharnisch. Als wir, fertig zur Abreise, herunterkamen, fanden wir den Seefuchs in tiefen Gedanken in das Feuer starrend. Die Pfeife war ihm aus der Hand gefallen.

»Nun?« fragte mein Vater heiter. »Sollen die Kanonen das Zeichen zur Abfahrt geben?«

»Ja!« rief er aufspringend. »Gehen wir!« Aber plötzlich stand er still und fragte: »Wie steht es mit Deinem Gewissen, Anton Bart? Bist Du bereit, mit Deinem jungen Sohne jeden Augenblick, wenn es sein muß, vor Gott zu treten?«

»Mein Vater, der nun wohl merkte, daß es ein sehr gefährliches Werk war, bei dem er sich beteiligen sollte, antwortete ebenso ernst: »Hoffe, daß mein Loggbuch so in Ordnung ist, daß der höchste Richter und Herr jede Stunde hineinschauen kann. Doch ist die Thür zu der Kapelle in der Pfarrkirche nicht geschlossen, so wollen wir dort erst unser Gebet verrichten.« Dahin gingen wir nun. Der Wind wehte furchtbar und trieb uns den Hagel ins Gesicht. Als wir wieder aus der Kirche traten und dem Hafen zugingen, schlug es elf Uhr. Es war alles bereit, als wir an Bord kamen, und der Anker konnte sofort gelichtet werden. Der Connetable der Admiralität hatte dem Seefuchs eine Ordre mitgegeben, laut welcher ihm die Hafenkette aufgeschlossen werden durfte. Bald nach Mitternacht waren wir in offener See. Der Vater hatte gleich beim an Bord Kommen dem Seefuchs das Kommando abgetreten. Dieser ließ alle Lichter löschen und befahl westwärts zu steuern. Da der Wind konträr war, mußten wir lavieren. Der Regen strömte unaufhörlich herab; die Nacht war stockfinster. Bisweilen tauchte zwischen den dunkeln Wellen ein Licht auf; das waren die Wachtfeuer auf den Kreuzerschiffen. Der Lotse, den wir an Bord hatten, war ein Schiffer aus Vlissingen. Sein Auge durchdrang die dichteste Finsternis. Mittels der Pfeife wechselte er Signale mit dem Manne am Steuer. Alle Waffen wurden während der Zeit auf das Verdeck gebracht, um in jedem Augenblick bereit zu sein.«

»Aber wo bleiben denn die Engländer, Vater?« fragte der kleine Jean Bart ungeduldig. »Werden sie nicht bald geschlagen?«

»Gedulde Dich nur, mein Kind!« antwortete Meister Cornelius, ihn streichelnd. »Wir fuhren die ganze Nacht hindurch mit dichtgerefften Segeln und hatten bis zum Anbruch des Tages nur eine geringe Distanz aufgekreuzt. Der Seefuchs ging so ungeduldig auf und ab, daß das Halbdeck unter seinen schweren Schritten dröhnte. Dabei spielte er mit der blinkenden Streitaxt, die er in der rechten Hand hielt. Als es Tag geworden war, soweit man an einem so trüben Morgen sagen kann, daß es Tag geworden ist, befahl uns der Seefuchs, die Staatsflagge aufzuziehen und eine der Vordeck-Kanonen blind abzufeuern. Das geschah, und wir wunderten uns in der Stille, daß der Seefuchs auf diese Art die Aufmerksamkeit der Kreuzer erregte. Eine halbe Stunde später rief der Junge, der als Guckaus in der Vormars saß, zu Deck: »Drei Kriegsschiffe in Sicht!« Da jauchzte der Seefuchs laut auf, und die Streitaxt in das Verdeck treibend, daß die Splitter umherflogen, rief er aus: »Nun, endlich sind sie da!« Er rief es mit einer solchen Freudigkeit, als ob er das Staatsschiff des Königs von Spanien erobert hätte. Jetzt erst teilte er uns mit, daß er Ordre habe, die Kreuzer an sich zu locken und von dem Hafen zu entfernen, damit eine Kauffahrteiflotte von einigen zwanzig Segeln ungehindert einlaufen könne. Wir müßten nun sofort diesen Engländern zu Leibe gehen und ihnen tüchtig einheizen.

»Darauf antwortete mein Vater, es sei unser aller Pflicht im Dienste des Königs zu leben und zu sterben, und die gesamte Mannschaft hatte zu dem Seefuchs ein solches Vertrauen, daß sie ihm schwuren, der Engländer solle keinen von ihnen lebendig fangen. Als dies vorüber war, erschien der Geistliche, der uns zu begleiten pflegte. Er las vor dem gesammten Schiffsvolk die Messe und segnete uns ein. Dann aber wurde ein Faß mit Branntwein heraufgeschrotet, und jeder that einen tüchtigen Zug auf die Gesundheit des Königs. Wir bereiteten uns nun auf die eigentliche Schlacht vor, die ungemein furchtbar werden mußte.

Die Kriegsschiffe kamen allmählich heran. Das erste derselben war eine Pinasse, nicht so groß und stark als unsere Brigg. Sie erhielt zweimal die glatte Lage von uns in ihre Backbordseite, die so heftig wirkte, daß sie sich sofort auf die Seite legte. Nun aber begannen die beiden großen Fregatten ein so mörderisches Feuer zu eröffnen, daß unser Takelwerk in kurzer Zeit unbrauchbar wurde, und der größte Teil der Mannschaft verwundet umherlag. Welch ein Leiden, mein armer Kleiner! Aber auch welch ein Ruhm! Drei gegen einen, darunter zwei schwere Fregatten! Und dazu eine Pinasse in den Grund gebohrt! Wir unterhielten ohne Aufhören ein starkes Feuern und schrieen dazwischen: Es lebe der König! Kommt an Bord, Ihr englischen Hunde! Kommt an Bord! Dabei schwangen wir die Aexte um unsere Köpfe und lachten die Feinde höhnend aus!«

Als Kapitän Cornelius Bart dies erzählte, färbte sich sein blasses Antlitz rot, und seine Stimme zitterte.

»Heiliger Gott!« rief Frau Katharina erschreckt. »Da ist der krampfhafte Anfall wieder. Du richtest Dich zu grunde. Halte ein mit der entsetzlichen Erzählung!«

»Laß mich, Frau!« entgegnete Cornelius Bart nach einer Pause der Erholung mit bittendem Tone. »Ich kann nicht anders. Die Erinnerung reißt mich zu mächtig wieder fort; ich lebe nur in ihr wieder auf. Höre mir weiter zu, mein lieber Sohn!«

Jean Bart schmiegte sich dicht an seinen Vater, dessen Hand er an seine Lippen drückte, und dieser erzählte weiter:

»Als wir die Engländer in dieser Weise verhöhnten, enterten sie uns von beiden Seiten zugleich, und es fand ein furchtbares Blutbad statt. Es kämpfte Mann gegen Mann. Aber die beiden Fregatten hatten so viel Volk an Bord, daß, wenn einer gefallen war, gleich ein frischer Streiter dafür eintrat. Wir aber blieben immer dieselben und waren zu einem kleinen Häuflein zusammengeschmolzen. Der Seefuchs hatte einen Schuß durch den Leib und mein Vater drei Lanzenstiche erhalten. Das Verdeck war mit Toten und Verwundeten wie besäet. Als der Seefuchs nun sah, daß kein kampffähiger Mann mehr an Bord und die zerschossene Brigg dem Sinken nahe war, rief er meinem Vater zu: Wirf die Lunte in die Pulverkammer! Heize der heiligen Barbara tüchtig ein. Sie sollen uns nicht lebendig haben!«

»Hussa! Hussa!« rief der kleine Jean Bart und focht mit den Armen um sich, als sei er mitten im Gefecht, während sein Vater immer blässer wurde und die Hände gegen die Brust preßte, als fühle er einen heftigen Schmerz. Aber der alte Seeheld wußte sich zu bezwingen und erzählte nach einer Pause weiter.

»Ich sehe den Seefuchs noch vor mir, der, als er seine Axt nicht mehr schwingen konnte, sich auf einen der englischen Kapitäne warf, den er so fest umklammert hielt, als wolle er ihn mit sich in die andere Welt hinübernehmen Dabei schrie er unaufhörlich: Lunte in die Pulverkammer! Mein Vater, vom Blutverlust ermattet, eilte, so schnell er es vermochte. Aber über alle Leichen hin war der Gang nicht so leicht. Während der Zeit schlug ich mich mit zwei Engländern herum, die mit ihren Spießen nach mir hieben und stachen. Plötzlich fühlte ich eine gewaltige Erschütterung; die Sinne vergingen mir. Erst in dem eiskalten Wasser, das über meinen Kopf hinbrauste, fand ich meine Besinnung wieder. Ich saß auf einem Balken, den ich fest umklammert hielt. Da gewahrte ich englische Matrosen, die uns auffischten und mich in eine der Schaluppen brachten. Ich fragte nach meinem Vater, er war tot; nach dem Seefuchs, er war tot; nach unserer Mannschaft, nur unser zwei waren übrig geblieben. Von der »Seeschwalbe« trieben nur ein paar Bretter und Planken umher. Aber auch von den Fregatten war nur eine, und diese arg zerstört, übrig; die zweite sank, als die Brigg in die Luft flog. Während dieses Gefechtes war die Kauffahrteiflotte in Dünkirchen eingelaufen. Vor allem aber war die Ehre unserer Flagge gewahrt, mein kleiner Jean, was einem Seemanne stets zumeist am Herzen liegen muß. So that Dein Großvater, so Dein Vater, und Du sollst unserm Beispiele folgen, denn . . . .«

Aber diese lebhafte Erzählung hatte die Kraft des Meister Cornelius erschöpft; er sank bleich in den Lehnstuhl zurück und blieb regungslos darin liegen.

»Heilige Jungfrau! Er stirbt!« rief händeringend Frau Katharina.

»Die abscheulichen Engländer haben ihn mir getötet!« rief Jean, sich über den Vater hinwerfend.

Harran Saurret sah mit tiefem Kummer auf seinen Herrn. »Gott sei seiner Seele gnädig! Er stirbt.«

Es war der siebzehnte Juni.

Und an eben diesem siebzehnten, nach der Schlacht auf den Dünen, ergab sich Dünkirchen an den König von Frankreich, der es einen Tag lang in Besitz nahm und es dann, nach dem abgeschlossenen Allianz-Traktat, an Cromwell übergab.


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