Heinrich Smidt
Seeschlachten und Abenteuer berühmter Seehelden
Heinrich Smidt

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Jean Bart zu Hause.

Was der Seefuchs begonnen, was Meister Cornelius fortsetzte, das hat auch Jean Bart mit großem Ruhme weitergeführt. Von allen Kaperführern, die in jener unruhigen, vielbewegten Zeit die nahen und fernen Meere befuhren, war keiner so ausdauernd, so verwegen und tollkühn, aber auch keiner so glücklich, als Jean Bart. Wie er es als Kind getrieben, so trieb er es als Jüngling und als Mann weiter. Unter der Aufsicht des alten Saurret hatte er die englischen Schiffsjungen geprügelt, hatte gelernt, Masten und Stengen zu erklimmen und auf die Rahen hinauszulaufen, wo der kühne, unerschrockene Matrose sitzt, der beim Sturm das Reff in die Marssegel schlagen hilft.

Ihr erinnert Euch noch des Hauses, welches in Dünkirchen und zwar in der Kirchstraße, nahe bei der Kirche stand. Das war im Jahre 1658; jetzt ist es 1680 geworden. Das Haus steht noch an seinem alten Platze und ist äußerlich wenig verändert; aber in seinem Innern sind desto größere Veränderungen vorgegangen. Aus dem kleinen Jean Bart, der mit Staunen und Entzücken auf die Erzählungen seines Vaters hörte und seine arme Mutter durch seine tollkühnen Streiche unaufhörlich in Angst und Schrecken setzte, ist ein stattlicher Seemann geworden, der weit und breit die größte Achtung genießt. Madame Katharina Janßen, die ehrsame Gattin des Meisters Cornelius, ist diesem wackern Seemann bald gefolgt, und an ihrer Statt waltet hierselbst Madame Nicole Gontier, die Frau unseres Kaperkapitäns Jean Bart. Sie hat einen allerliebsten Knaben auf dem Schoße, der erst ein Jahr und wenige Monate alt ist und den Namen seines Großvaters Cornelius führt. Auch der alte Saurret lebt noch, aber mehr um bedient zu werden, als um zu bedienen. Er ist eines der alten Inventarstücke guter Häuser, sozusagen regierende Dienstboten, die vom Vater auf den Sohn vererben und die lebendige Chronik dieser Familien sind.

Es ist in diesem Hause überhaupt alles so geblieben, als es war. Jean Bart hat das ihm überkommene Vaterhaus in pietätvoller Erinnerung ganz so gelassen, wie es war; nur an das Nötigste ward Hand gelegt und das Verfallene, wo es sich thun ließ, genau so hergestellt, wie es gewesen.

In dem gedachten Jahre 1680 hatte der König von Frankreich einen Besuch in Dünkirchen gemacht. Alle Welt freute sich zu diesem Besuche, alle Welt knüpfte daran große Hoffnungen. Nur Jean Bart verhielt sich ruhig. Man hatte mit Erstaunen bemerkt, daß er gar nicht daran gedacht hatte, die Gegenwart des Monarchen dazu zu benutzen, sich Seiner Majestät vorzustellen.

Der wackere Seemann, der gerade damals dreißig Jahre alt war, stand vor seiner Frau, die den kleinen Cornelius eben stattlich geputzt hatte, und beschäftigte sich damit, dem kleinen Burschen den Dampf seiner Pfeife ins Gesicht zu blasen, wogegen dieser schreiend sich mit Händen und Füßen sträubte.

Frau Nicole wehrte ihn ab: »Laß doch! Das Kind wird es nicht aushalten; es bekommt den Husten.«

»Ah bah!« entgegnete Jean Bart lachend. »Sieh nur, welche Gesichter er schneidet. So ein bißchen Rauch ist für junge, angehende Seeleute von großem Nutzen. Meinst Du nicht auch, Saurret?«

Meister Saurret, der in einer Ecke des Zimmers an einem Tische saß und mit dem Ordnen einiger Papiere beschäftigt war, sah zu seinem Herrn auf und sagte beipflichtend: »Ganz gewiß. Man muß den Seemann in seiner Kindheit an den Tabaksdampf gewöhnen, damit er später den Pulverdampf desto besser vertragen kann.«

»Da hörst Du es nun!« sagte Jean Bart lachend zu seiner Frau.

»Gewiß!« beteuerte Saurret. »Wenn sie nicht gelernt haben, den Tabaksdampf, den sie einatmen, wieder auszuatmen, müssen sie später den Dampf des Pulvers, den sie einschlucken, bei sich behalten. Ich habe einen solchen Burschen gekannt, der während einer Kanonade ganz mit Pulverdampf angefüllt wurde, bis er daran erstickte, worauf dann der Dampf von der Dicke eines Armes aus dem Munde aufstieg.«

»Saurret! Saurret! Ich fürchte, Du wirst, statt am Pulverdampfe, an einer Deiner Lügen ersticken,« sagte Jean Bart lachend. »Siehe zu, daß unser Vetter, der Herr Vikar von Drinkham, Dich nicht hört, sonst setzt es wieder eine ernste Ermahnung. Seine Würden kommt soeben die Straße herauf, wie ich sehe. Geh und öffne.«

Der Alte that, wie ihm geheißen wurde, und der Geistliche trat bald darauf ein. Es war ein wackerer, seiner Zeit hochgepriesener Prediger, der in späteren Jahren zu einem hohen geistlichen Amte emporstieg. Er hatte nur einen Fehler, nämlich den, eine gewisse Blödigkeit und Unbeholfenheit nicht überwinden zu können. Dies ging so weit, daß er sich eines Tages in der Wohnung des Gouverneurs, Herrn von Estrades, statt auf einen Stuhl, in eine kupferne Pfanne voll glühender Kohlen gesetzt haben würde, hätte ihn nicht der Gouverneur daran verhindert. Man nannte diese Pfannen, die zur Erwärmung der Zimmer dienten, seit jener Zeit die Sessel des Herrn Pfarrers von Drinkham. Der Geistliche war einige Zeit in Geschäften in der Stadt gewesen und hatte bei seinen Verwandten gewohnt. Jetzt empfahl er sich, da er zu seiner Gemeinde zurückkehren wollte, und lud Jean Bart ein, ihn mit den Seinigen draußen auf dem Lande zu besuchen.

»Ja, ja!« sagte Jean Bart. »Es ist wohl recht schön da. Die herrlichen Bäume, das grüne Feld, und was es sonst Angenehmes dort geben mag. Aber es ist doch auch so still bei Euch, gar zu still. Und nun vollends Euer Strom oder eigentlich Bach. – Und das Fahrzeug darauf.«

»Von einem Fahrzeuge müßt Ihr nicht sprechen, Cousin!« fiel der Geistliche ein. »Es ist nichts, als ein platter Kahn, den Ihr mit einem Segel zu belasten die große Idee hattet, worauf Ihr mich mit an Bord nahmet. Es war ein Wunder, daß wir so davonkamen. Wären wir umgeschlagen, ich hätte ertrinken müssen, da ich nicht schwimmen kann.«

»Ja, das ist wahr. Wer mit dem Jean Bart sich auf die Fahrt begeben will, muß schwimmen können, sonst ist für nichts einzustehen. Aber wie gesagt, es ist sehr schön bei Euch draußen auf dem Lande. Und wenn ich einmal zwanzig Jahre älter bin . . . .«

»Warum aber nicht schon jetzt?« fragte seine Frau. »Wir sind in der Lage, ein angenehmes Leben führen zu können. Die Prisen, die Du aufgebracht hast, machten uns reich.«

»Und was sollte denn aus dem kleinen Seemann werden?« fragte Jean Bart, indem er auf den Knaben deutete, der auf dem Schoße seiner Mutter saß. »Wer, als ich, soll ihn lehren, einen Tallreepsknopf zu flechten oder ein Tau zusammenzusplitzen? Oder die Segel zu reffen und die Steuerpinne zu gebrauchen? Soll er das alles auf dem Flachboote des Vetters lernen?«

»Das muß ich gelten lassen!« sagte der Geistliche. »Man muß nie dem Glücke eines Menschen sich in den Weg stellen. Aber eben darum . . . . Nehmt es mir nicht übel, Vetter, ich muß in der Abschiedsstunde ein offenes Wort zu Euch reden. Meine Absicht war es schon, als ich hierher kam, aber ich wagte es nicht und verschob es von Tag zu Tag. Es will mir nämlich scheinen, daß Ihr nicht genug auf Euer eigenes Wohl bedacht wäret. Jedermann spricht davon, als von einer großen Thorheit, daß Ihr bei der neulichen Anwesenheit Seiner Majestät nicht bei dem Könige um eine Audienz nachsuchtet, oder doch mindestens dem Herrn Minister Eure Aufwartung machtet.«

»Ich? Dem Herrn Minister?«

»Ja, dem Herrn Marquis von Seignelay.«

»Und warum das, wenn es beliebt?«

»Eine Gelegenheit ist bald gefunden. Ihr konntet Euch für die goldene Kette bedanken, die sein Vater, der berühmte Colbert Euch 1676 im Namen des Königs übersandte.«

»Danken? Für die Kette, die ich verdient und um die ich nicht gebeten habe?« sagte Jean Bart. »Ich meinte bis heute, daß man nur für Sachen dankt, die man erbittet, ohne sie verdient zu haben.«

»Nun denn, aber Seiner Majestät.«

»Ich bin der Meinung, wenn Seine Majestät mich sehen wollte, würde er mich haben rufen lassen.«

»Was das für Grundsätze sind!« sagte der Pfarrer, die Hände zusammenschlagend. »Habt Ihr denn gar keine Furcht vor dem Könige?«

»Furcht?« sagte Jean Bart und sah den Mann an, als verstände er ihn nicht, »Warum sollte ich das? Bevor der König nach Dünkirchen kam, hatte er kein Kriegsschiff gesehen, obgleich er deren so viele besitzt. Und nun sollte ich ihn fürchtend

»Ihr versteht mich unrecht, Vetter! Ich meine jene andere Furcht, die der Respekt erzeugt. Der König ist doch unser aller Herr, und der Minister befiehlt.«

»Sie befehlen, und ich gehorche,« sagte Jean Bart. »Das ist ihr Recht und das meinige. Aber wenn ich ihnen auch gehorche, so sehe ich darin noch keinen Grund, daß ich mich nun auch noch vor ihnen fürchten muß.«

»Ihr seid unverbesserlich, Freund Jean!« sagte achselzuckend der Geistliche.

»Ach, lieber Vetter,« fiel Madame Nicole ein, »das ist ja mein geheimer Kummer! Wenn Ihr nur wüßtet, wie hochmütig er noch neulich mit dem Herrn Marschall von Estrades gesprochen hat.«

»Wie Cousine? Mit dem Marschall?« fragte der Geistliche besorgt.

»Ja, mit ihm selbst,« entgegnete Madame Bart und der Kapitän fuhr dazwischen. »Soll ich mich denn vor dem Marschall auch fürchten?«

»Nicht fürchten, Vetter! Aber man muß solche Herren respektvoll behandeln. Er hat ein sehr vornehmes Gesicht dieser Marschall, und einen sehr strengen Blick, lieber Vetter, einen sehr strengen Blick!«

»Nun, ich will Euch erzählen, wie es gekommen ist. Vor einiger Zeit, ich glaube es sind nun beinahe zwei Monate her, schlendere ich den Hafendamm auf und ab. Da kommt mir der Marschall entgegen, der von unserm Hafen-Intendanten umhergeführt wird. Dieser letztere grüßt mich und spricht zu dem Marschall: »Das ist Kapitän Bart.« Der Marschall nickt mit dem Kopfe und sagt: »Guten Morgen, Kapitän Bart! Sagt mir doch gefälligst, wollt Ihr nicht in den Dienst Seiner Majestät Flotte als Lieutenant eintreten?« Er fragte das ganz entschieden, und als ich mit dem Kopfe schüttelte, fuhr er lebhafter fort: »Wie, Ihr verneint das? Und doch hat Euch Seine Majestät das Patent als Lieutenant übersenden lassen.« – Das hat Seine Majestät gethan! entgegnete ich; es ist vom 12. Januar 1679 datiert. Aber wenn ich die Ehre haben soll, Seiner Majestät zu dienen, kann es nur als Kapitän geschehen.«

Der Pfarrer war vor Erstaunen außer sich, daß sein Vetter es sich herausgenommen habe, einem Marschall von Frankreich solche Dinge zu sagen, und wollte ihm deshalb Vorstellungen machen. Der Kapitän hörte aber gar nicht darauf, sondern fuhr fort: »Der Marschall verwunderte sich ebenso sehr, als Ihr, nur auf eine etwas andere Weise; ich aber gab ihm zum Bescheide, daß, wenn ich etwas Rechtes vollbringen wolle, ich auch die Ellbogen frei haben müsse. Auf einem Schiffe, mit dem ich in See stechen solle, dürfe kein anderer Befehl herrschen, als der meinige, sonst richte ich nichts aus und könnte für nichts verantwortlich sein. Der Marschall meinte darauf, dem Lieutenants-Patent werde seiner Zeit das Patent als Kapitän folgen, worauf ich wieder antwortete, daß ich nicht nötig hätte, bis zu späterer Zeit auf das zu warten, was ich jetzt schon wäre, nämlich Kaper-Kapitän von Dünkirchen. Ein Kapitän, fuhr ich fort, unter dessen Kommando sich jederzeit die Kaper-Kapitäne der ganzen Küste stellen, wenn ich sie dazu auffordere, da sie wohl wissen, daß sie nicht übel dabei fahren. – »Wie nun aber, Herr Bart,« entgegnete der Marschall und nahm eine äußerst vornehme Miene an, »wenn der Herr Marine-Minister Euch zwänge, in den königlichen Dienst zu treten?« – Das muß ich erwarten und werde dann meine Maßregeln nehmen! entgegnete ich. –»Gut, mein Herr!« sagte der Marschall. »Und den Fall angenommen, daß der König selbst sich dazu herbeiließe, Euch diesen Befehl zu erteilen, was würdet Ihr dann sagen?« – »Ich würde ihm dasselbe sagen, was ich dem Herrn Marschall gesagt habe; ja, ich würde hinzufügen, daß seine Majestät mir und sich selbst mit einem solchen Befehl unrecht thäte. Ich bin Kaper-Kapitän, würde ich sagen. Alle meine Unternehmungen kosten Euer Majestät nicht einen Sou. Aber Sie erhalten den dritten Teil aller Prisengelder; ich nehme dem Feinde seine Kanonenschiffe ab, die für den königlichen Dienst gewonnen werden; ich schlage bald die Holländer, bald die Engländer, und thue so den Feinden Abbruch, ohne daß dieses Land davon die geringste Mühe hat. Darum bitte ich, mich bei meinem Gewerbe ungestört zu belassen oder mir das Kommando einer Fregatte anzuvertrauen. In dieser Stellung kann ich nützlich sein, aber nicht als Lieutenant. Und nun das abgemacht ist, bitte ich Euer Majestät, diese Sache fortan auf sich beruhen zu lassen.«

Jean Bart hatte dies alles mit lachendem Munde erzählt und sich dabei an der Erregtheit seines Vetters ergötzt. Nun schloß er mit den Worten: »Ich beschreibe Euch nicht, welches Gesicht der Marschall zu meiner Erklärung machte; aber ich sehe ihn noch vor mir, wie er fast einen Fuß länger wurde, indem er sagte. »Der Kapitän irrt sich! Der König zwingt niemand, ihm zu dienen; es ist dies eine Ehre, die man nur dem Bittenden gewährt, wenn er deren würdig befunden wird!« Und nach diesen mit Heftigkeit ausgestoßenen Worten drehte mir der Marschall den Rücken, worauf ich meinen Spaziergang fortsetzte und die Angelegenheit ein Ende hatte.«

»Es ist gut,« sagte der Geistliche, »daß Herr von Seignelay diese Worte nicht hörte. Er, der Minister, der Sohn eines Ministers!«

»Und ich, der Jean Bart, der Sohn des Cornelius Bart! Es kommt auf eins heraus, und die einzige rechte Art ist, daß jeder nach Möglichkeit seine Pflicht thue.«

»Aber bedenkt doch, Vetter, seine Macht! Wenn, was Gott verhüten wolle, wieder ein Krieg ausbräche, so bedarf es nur eines Winks seiner Hand, und es sammelt sich eine Flotte.«

»Gut,« sagte Jean Bart. »Und ich lasse dann an den ersten besten Pfahl im Hafen einen Zettel anschlagen, des Inhalts: Kapitän Bart fordert alle diejenigen Schiffsführer, die gesonnen sind, mit ihm einen Kreuzzug zu unternehmen, auf, sich deshalb bei ihm einzufinden. Wenn ich einen solchen Zettel aushängen lasse, und wäre er auch nur mit den unleserlichen Krähenfüßen meines alten Saurret geschrieben, so stehen vierundzwanzig Stunden später ein Dutzend wohlbewaffneter und mit tüchtigem Seevolk bemannter Schiffe zu meiner Verfügung. Seht, mein lieber Vetter, das ist meine Meinung, und nun wollen wir von dieser Angelegenheit nicht weiter reden.«

»Ja, ich gebe es auf, Euch zu bekehren, Ihr Starrkopf!« sagte der Geistliche, ihm zum Abschiede die Hand reichend. »Ich verstehe zwar vom Seewesen nichts, aber soviel begreife ich, daß dies nicht der Weg ist, Admiral zu werden.«

Jean Bart gab seinem Vetter das Geleite bis zum Wagen, reichte ihm zum Abschiede nochmals die Hand, und in die Stube zurückkehrend, sagte er: »Nun wollen wir uns damit beschäftigen, dem Willen der Admiralitäts-Kammer nachzukommen, die ein Verzeichnis der Prisen zu haben wünscht, welche seit 1674 von mir aufgebracht worden sind. Wie steht es damit, alter Saurret? Hast Du das Verzeichnis so angefertigt, wie ich es Dir geheißen habe?«

»Hier ist es!« sagte Saurret, indem er seinem Herrn ein geschriebenes Heft überreichte. Auf seinem Gesichte malte sich schon im voraus ein Abglanz der Freude, die, seiner Meinung nach, der Kapitän bei dem Anblicke des von ihm geschaffenen Meisterwerkes empfinden mußte, das mit folgenden pomphaften Worten begann: »Verzeichnis der höchst wertvollen und ausgezeichneten Prisenschiffe, sowie Geschichte von deren glorreicher Wegnahme, die mit der größten Geschwindigkeit von der Welt auf dem Ozean geschah, trotzdem daß die Ueberwundenen sich auf das wütendste verteidigten. Geschehen dies alles durch den tapfersten, unvergleichlichsten und furchtbarsten Kaper-Kapitän, Herrn Jean Bart, Sohn des nicht minder berühmten Kapitäns Cornelius Bart, und Enkel des gleichfalls hochberühmten Kapitäns Antonius Bart, des Gefährten und zuverlässigsten Offiziers des großen Jacobsen, genannt der Seefuchs.«

»Was sind das für Dummheiten?« brach der Kapitän los, als er diesen pomphaften Titel zu der Geschichte seiner Großthaten gehört. »Ich werde dies saubere Machwerk in tausend Stücke zerreißen!«

»Ach nein, mein lieber, bester Herr, das werdet Ihr nicht!« rief Saurret erschreckt und riß das Heft wieder an sich. »Es ist das einzige Buch, das ich besitze. Ich kann nicht mehr mit an Bord gehen, darum lese ich jeden Tag darin und rufe mir die Vergangenheit zurück. Warum wollt Ihr mir mißgönnen, eine Sache so zu beschreiben, wie ich sie angesehen habe? Ich glaube doch wohl, dazu ein Recht zu haben.«

»Schon gut. Wir wollen nicht mehr davon reden. Du magst so viele Albernheiten niederschreiben, als Du Lust hast. Aber die Admiralitäts-Kammer darf von Deinen Schriftstellerkünsten nichts erfahren, nicht eine Silbe. Darum nenne meiner Frau den Namen jedes Prisenschiffes, sowie das Datum, an welchem es genommen ist, und sie wird es niederschreiben. Weiter ist nichts nötig; höchstens kannst Du noch die Zahl der Geschütze und der Mannschaften hinzufügen, die am Bord jedes Schiffes gewesen sind. Aber keine Lügen, alter Saurret!«

»Lügen? Aus meinem Munde? Oder gar aus meiner Feder? Wer mir so etwas nachsagen kann!«

»Ich kann es. Hast Du nicht in eine frühere Liste geschrieben, daß ich mit meiner Galiote »König David« ein feindliches Schiff von sechzig Kanonen genommen habe, während es doch nur deren sechs an Bord hatte? Was weißt Du darauf zu erwidern?«

»Das ist in der That ein Versehen,« sagte Saurret mit verlegenem Lächeln. »Aber doch nur ein kleines, ein ganz unerhebliches. Eine Null, die nichts bedeuten will, hat sich dahin verirrt.«

»Es ist schon gut, Du alter Narr. Fange also endlich an, wenn es Dir gefällig ist.«

Und Saurret begann.

»Anno 1674 am 2. April nahm Kapitän Jean Bart, Galiote »König David«, in Gemeinschaft mit dem Kapitän de Keyser, Galiote »Alexander«, den »wilden Mann«, ein großes mit Steinkohlen beladenes Schiff unter holländischer Flagge, welches sie vor der Mündung der Maas aufliefen. Der König und sein hoher Gerichtshof haben das Schiff für eine gute Prise erklärt und dieselbe dem Kapitän Bart zugesprochen.«

»Ja!« rief Jean Bart aus, »das war die erste Prise, die ich mit dem braven de Keyser nahm. Ich habe manchmal an jenen Tag gedacht. Es war ein eigentümliches Gefühl, als wir, den »wilden Mann« im Schlepptau, binnen liefen, und unsere Freunde, die auf dem Hafendamm versammelt waren, uns mit Hurrarufen und Händeklatschen empfingen. Ich habe hinterher manche Prise genommen, zum Teil mit einer reichen Ladung, aber keine hat mir so viele Freude gemacht, als diese holländische Steinkohlenschute.«

»Ich weiß es,« sagte Madame Bart. »Als Du den Fuß auf den Hafendamm setztest, und Deine Freunde Dich glückwünschend umringten, riefst Du ihnen zu: »Das Beste hat mein Freund de Keyser gethan, und darum gebührt ihm die größere Hälfte Eures Dankes.«

Saurret wollte auch sein Wort dazu geben, aber der Kapitän, der es merkte, schnitt ihm mit dem kurzen Befehl: »Fortfahren!« jede Gelegenheit dazu ab.

Es ging nun ununterbrochen von den Prisen des Jahres 1674 zu denen des Jahres 1675. Saurret las, Madame Nicole Bart schrieb, und der Kapitän hörte mit steigender Ungeduld zu, denn es war ihm sehr langweilig, sich seine Heldenthaten, wenn auch nur in der größten Kürze vorlesen zu lassen.

»Ferner, am 7. Februar,« las Saurret und sah von dem Papier weg zu seinem Herrn: »Das war eine Eurer glorreichsten Thaten zur See, diese Wegnahme der Fregatte »Neptun«, auf welche Ihr ein so heftiges Feuer eröffnetet.«

»Ueber den Schwätzer! Du sollst bei der Sache bleiben, sogleich! Also . . . .«

»Am 7. Februar nahm Kapitän Bart, der die Fregatte »Palme« kommandierte, auf der Höhe von Ostende nach einem langen und heftigen Gefechte die Fregatte »Neptun« von sechzig Kanonen . . .«

»Sechzig Kanonen? Saurret!«

»Dreißig! Ich bitte um Verzeihung, aber meine alten Augen sehen mitunter doppelt. Es waren nur dreißig Kanonen.«

»Das war ein merkwürdiges Gefecht,« sagte Jean Bart, in der Erinnerung schwelgend, zu seiner Frau. »Beim Entern sprang ich in das Takelwerk und gewahrte den holländischen Kapitän, der mich mit hochgeschwungenem Beil hindern wollte, sein Verdeck zu betreten. Aber mit einer Wendung, die ich mir für solche Fälle angelernt habe, warf ich ihm die Axt aus der Hand und schickte ihm aus meiner Pistole ein Lot Blei in die Brust, daß er mir gerade vor die Füße fiel und nichts dagegen hatte, daß ich ihn zu meinem Schemel brauchte.«

»O höre doch auf, um des Himmels willen!« sagte Frau Nicole erbleichend.

»Närrchen, wer wird sich denn fürchten? Nichts, als eine glorreiche Erinnerung an eine halbvergessene Geschichte. Aber lesen wir weiter.«

Man fuhr fort, die Liste zu vervollständigen, und es war schon eine ansehnliche Zahl vorhanden, als das Jahr 1678 darankam. Ein Jahr, in welchem, wie Kapitän Bart bemerkte, der Seezug erst am 18. Juni begann.

»O Himmel!« rief Frau Nicole. »Das war der Tag, mein lieber Freund, als Du an beiden Beinen schwer verwundet wurdest und Dir Gesicht und Hände grausam verbranntest. Ich glaubte zu sterben, als man Dich so zu mir brachte.«

»Aber Du hast mich bald wieder gesund gemacht. Und während ich mich draußen mit der Besatzung des »Scherdam« herumschlug, wurde mein kleine Cornelius geboren. Du siehst ein, Frau, daß der Junge schon darum, weil er geboren ward, während ich im Feuer stand, ein Seemann werden muß. Aber um jenes Ereignisses willen, Saurret, magst Du uns den ganzen Verlauf der Sache vortragen. Lies das ganze Protokoll, Alter!«

Saurret ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern las mit erhobener Stimme:

»Der Lieutenant der Admiralität zu Dünkirchen entwirft das Protokoll nach den Berichten der Kapitäne Kaspar de Keyser, Jean Bart und Jean Soutenay, Befehlshaber der Kaperschiffe »Empereur,« »Dauphin« und »Notre Dame de Lombardie.« Am 14. Juni, auf der ungefähren Höhe vom Texel, entdeckten diese Segler ein Kriegsschiff, auf welches sie sogleich Jagd machten. Kapitän Jean Bart war der erste, der dasselbe enterte; er ward dabei vom Kapitän Soutenay unterstützt, der sich beeilte, seine Mannschaften an Bord zu werfen, um auf diese Weise die feindliche Fregatte nehmen zu können. Zur selbigen Zeit enterte de Keyser die Fregatte vom Spiegel aus, und nach einem Gefecht von anderthalb Stunde strich das Schiff seine Flagge. In diesem Gefecht ließen die Angreifenden sechs Tote auf dem Platze, dreißig wurden mehr oder weniger schwer verwundet. Kapitän Bart verbrannte sich Gesicht und Hände, eine Kanonenkugel fuhr ihm durch die Schenkel. Die Fregatte wurde nach Dünkirchen aufgebracht; sie führte den Namen »Scherdam.« Ihr Befehlshaber war der Kapitän Wilhelm Rank, gebürtig aus Noort. Sie war das Eigentum der Admiralität von Rotterdam und hinausgesandt worden, um die Fischer, welche von dem Fischfange aus dem Norden heimkehrten, sicher binnen zu lotsen. Die Fregatte hatte vierundzwanzig Kanonen und vierundachtzig Mann Besatzung an Bord. Sie segelte unter der Flagge des Prinzen von Oranien, im Auftrage der Generalstaaten und ward von holländischen Offizieren befehligt. Die Fregatte wurde, nachdem sie von den drei obengenannten Kapitänen angegriffen war, tüchtig verteidigt; in einer Stunde wurden von ihrer Besatzung mehr als fünfzig Mann getötet oder verwundet. Ihr Rumpf war so zerschossen und alles am Bord von den enternden Feinden so übel zugerichtet, daß nichts anders übrig blieb, als die Flagge zu streichen. – Laut Protokoll von demselben Tage hat Herr Sebastian van der Croke, gebürtig aus Ziericks, wohnhaft zu Rotterdam und Lieutenant am Bord besagter Fregatte, genau dieselbe Aussage gemacht. Er fügte hinzu, man habe zuerst den voraussegelnden Kapitän Soutenay erblickt, und da man gesehen, daß er nur ein verhältnismäßig kleines Schiff führe, so sei sofort auf dasselbe Jagd gemacht worden. Der Wind sei aber ungünstig gewesen; die beiden anderen Kaper wären unterdessen auch heraufgekommen, alle drei hätten geentert, und sie wären genötigt gewesen, sich nach anderthalbstündiger Gegenwehr zu ergeben. Das Verhör vom selben Tage, angestellt mit dem zu Rotterdam geborenen Lodeweck, zweiten Steuermann auf der Fregatte »Scherdam,« und zehn andern Leuten von demselben Schiffe, teils Deckoffiziere, teils Matrosen, ist mit dem vorstehenden übereinstimmend.

»Der König und sein Staatsrat erklären besagtes Kriegsschiff, genannt »Scherdam,« sein Takelwerk, seine Segel, seine Waffen und seine Munition, und was sich sonst irgendwie am Bord befinden möge, für gute Prise und sprechen dieselbe den Kapitänen de Keyser, Bart und Soutenay zu, mit Ausnahme des zehnten Teils dieser Prise, welche dem Admiral von Frankreich, Grafen von Vermandais, anheimfällt. Gegeben Saint Germain 18. August 1678.«

Der alte Saurret hatte das Protokoll mit der Miene eines Triumphators gelesen. Madame Nicole hatte es zitternd angehört, und Jean Bart fragte sie freundlich: «Hast Du alles geschrieben?«

»Ja, mein Freund!«

»Aber ich hoffe, nicht alle die Ausrufungen und Zusätze jenes großen Wahrheitsfreundes?«

Er zeigte dabei auf Saurret, und dieser sagte mit einer Verbeugung: »Mein verehrter Kapitän, ich lese die Berichte Ihrer glorreichen Siege mit eben der Freude, mit welcher ich so oft in Ihr Gesicht sehe, und das ist hoffentlich kein Verbrechen.«

»Nein, Du alte Seeschwalbe! Lies nur, so lange und so oft Du willst, aber nicht laut und in meiner Gegenwart. Und nun trage diese oft verlangte Liste nach der Admiralität.«

Saurret ging. Madame Nicole sah nach dem Bettchen, auf welchem Cornelius eingeschlafen war, und Jean Bart ging, um einen Spaziergang längs des Hafendammes zu machen, auf die Gefahr hin, dort wieder dem Marschall oder dem Intendanten zu begegnen und mit ihnen einige höfliche Redensarten zu wechseln, die denen vor zwei Monaten ähnelten.


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