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Siebentes Kapitel.

Ein Arzt, geschickt im Heilen böser Wunden,
Wird nützlicher als je ein Heer befunden.

Pope.

Als Middlemas wieder zu sich kam, fühlte er, daß sein Blut ruhiger umlief, daß sein fieberhafter Pulsschlag sich vermindert habe, daß die Zwangsjacke ihm abgenommen war, und daß seine Lungen freier athmeten. Ein Hülfsarzt verband eine Ader, aus welcher eine beträchtliche Masse Blut genommen war; ein Anderer, welcher gerade das Gesicht des Patienten gewaschen hatte, hielt eine starkriechende Essenz an seine Nase. Als er die Augen aufschlug, sagte die Person, welche den Verband soeben angelegt hatte, in lateinischer Sprache, aber in sehr leisem Ton und ohne den Kopf zu erheben: » Annon sis Ricardus ille Middlemas ex civitate Middlemassiense? Responde in lingua latina. – Sum ille miserrimus,« Bist du jener Middlemas aus der Stadt Middlemas? Antworte in lateinischer Sprache? – Ich bin jener Unglücklichste. erwiderte Richard, indem er wieder die Augen schloß; so sonderbar aber es scheinen mag, erweckte die Stimme seines ehemaligen Kameraden Adam Hartley, obgleich dessen Gegenwart ihm in seiner Noth so wichtig war, einen Schmerz seinem verwundeten Stolze. Er war sich bewußt, ein unfreundliches, wenn nicht feindliches Gefühl gegen seinen alten Gefährten zu hegen; er erinnerte sich des Tones der Ueberlegenheit, den er gegen denselben anzunehmen pflegte; jetzt erschwerte der Umstand, daß er zu seinen Füßen ausgestreckt lag und gewissermaßen seiner Gnade heimgegeben war, sein Elend durch das Gefühl des sterbenden Häuptlings: »Graf Percy blickt auf meinen Fall!« Diese Regung war jedoch zu unvernünftig, um länger als eine Minute zu dauern. In der nächsten benutzte er seine Kenntnisse der lateinischen Sprache, mit welcher Beide vertraut waren (denn zu jener Zeit wurden die medizinischen Studien auf der berühmten Universität Edinburg größtentheils lateinisch betrieben), um in wenig Worten seine eigene Thorheit und die Schändlichkeit Hillary's zu schildern.

»Ich muß sogleich gehen,« sagte Hartley – »faßt Muth – ich glaube Euch helfen zu können. Mittlerweile nehmet Nahrung und Arznei von Niemanden als meinem Diener, den Ihr dort den Schwamm in der Hand halten seht. Ihr befindet Euch an einem Orte, wo ein Mann wegen seiner goldenen Hemdknöpfe kürzlich ermordet wurde.«

»Bleibt einen Augenblick,« sagte Middlemas, »laßt mich diese gefährliche Versuchung von meinen Nachbarn entfernen.« Er zog aus seiner Unterjacke ein kleines Paket hervor und gab es Hartley mit den Worten: »Wenn ich sterbe, seid mein Erbe. Ihr verdient sie besser als ich.«

Jede Antwort wurde durch die rauhe Stimme Seelencooper's verhindert.

»Wohlan, Doctor, könnt Ihr Euren Patienten durchbringen?«

»Die Symptome sind noch zweifelhaft,« erwiderte der Doctor; »dieß war eine bedenkliche Ohnmacht, Ihr müßt ihn in das bessere Krankenzimmer bringen lassen; mein Gehülfe soll dort sein Wärter sein.«

»Wohlan, denn, wenn Ihr es befehlt, Doctor, so muß es sein – ich kann Euch aber sagen, es gibt einen Mann, den wir Beide kennen, der wenigstens tausend Gründe hat, daß derselbe in dem öffentlichen Krankenzimmer bleibt.«

»Ich weiß nichts von Euren tausend Gründen,« sagte Hartley, »ich kann Euch nur sagen, daß dieser junge Mann ein so gesunder und hübscher Bursche ist, als die Compagnie kaum einen Andern unter ihren Rekruten hat. Es ist mein Geschäft, ihn für ihren Dienst zu retten, und wenn er durch Eure Vernachlässigung meiner Anweisungen stirbt, so verlaßt Euch darauf, daß ich die Schuld nicht an meiner Thüre liegen lassen will; ich werde dem General Bericht über den Auftrag erstatten, den ich Euch gegeben habe«

»Dem General?« fragte Seelencooper mit großer Verlegenheit; Ihr wollt dem General Bericht erstatten? – Ja, über seine Gesundheit. Ihr werdet ihm aber nichts von dem sagen, was er in seinen verrückten Anfällen vielleicht gesprochen hat? Bei meinen Augen! wenn Ihr auf Alles horcht, was Fieberkranke in der Hitze ihres Zornes sagen, wird Euer Rücken bald durch das Weitertragen ihrer Geschichten brechen, denn ich gebe Euch mein Wort, es wird Euch eine Masse von ihnen aufgebürdet werden.«

»Kapitän Seelencooper,« sagte der Doctor, »ich mische mich nicht in Eure Angelegenheiten hier in dem Hospital, und gebe Euch den Rath, bekümmert Euch nicht um die meinigen. Da ich ein Patent für den Dienst und außerdem ein Diplom als Doctor der Medizin besitze, so weiß ich nach meiner Meinung am besten selbst, ob mein Patient verrückt ist oder nicht; drum laßt den jungen Mann sorgfältig behandeln auf Eure Gefahr.« Mit den Worten verließ er das Lazareth, jedoch nicht eher, als bis er unter dem Vorwand, den Puls zu fühlen, die Hand seines Patienten gedrückt hatte, als wolle er demselben noch einmal die Versicherung seiner Bemühungen zu dessen Befreiung geben.

»Bei meinen Augen!« murmelte Seelencooper, »dieser junge Hahn krähet laut genug für einen solchen, der von einer schottischen Hühnerstange gekommen ist; ich wäre jedoch der Mann, um den Gelbschnabel von der Hühnersteige herunter zu holen, hätte er nicht die kleinen Kröten des Generals kurirt.«

Genug Worte dieses Gesprächs gelangten zu Richards Ohren, um bei ihm Hoffnungen auf Befreiung zu erwecken; dieselben wurden noch gesteigert, als man ihn bald darauf in ein besonderes Krankenzimmer brachte, einen Ort, der ein besseres Aussehen hatte, und nur von zwei Patienten bewohnt wurde, welche Unteroffiziere zu sein schienen. Obgleich er sehr wohl wußte, daß er an keiner andern Krankheit als der Schwäche litt, welche nach heftiger Aufregung einzutreten pflegt, so hielt er es für das klügste Verfahren, sich als Patient behandeln zu lassen, weil er so unter der Oberaufsicht seines Gefährten bleiben konnte. Während er sich jedoch vorbereitete, Hartley's gute Dienste zu benutzen, war die vorherrschende seiner geheimen Empfindungen das undankbare Gefühl: »konnte mich der Himmel durch keine anderen Mittel als durch die Hände desjenigen retten, den ich auf der ganzen Erde am allerwenigsten leiden kann?«

Mittlerweile begann Hartley, welcher das undankbare Gefühl seines Kameraden nicht kannte, und dem es überhaupt gleichgültig war, welche Empfindungen derselbe gegen ihn hegte, ihm alle diejenigen Dienste zu erweisen, die in seiner Macht lagen, ohne einen andern Zweck dabei zu haben, als daß er seine eigene Pflicht als Mensch und Christ erfülle. Die Weise, wie er so zur Hülfleistung in Bezug auf seinen Kameraden befähigt wurde, erheischt einige weitere Darlegung.

Unsere Geschichte fällt in eine Zeit, worin die Direktoren der ostindischen Gesellschaft mit jener kühnen und beharrlichen Politik, welche das brittische Reich im Osten zu solcher Höhe emporgeschwungen hat, den Entschluß faßten, bedeutende Verstärkungen europäischer Truppen zur Erhaltung ihrer Macht nach Indien zu senden, welche damals durch das Königreich Mysore bedroht wurde, dessen Regierung der berühmte Hyder Ali nach Entthronung seines Herrn an sich gerissen hatte. Nur mit beträchtlicher Schwierigkeit ließen sich Rekruten für diesen Dienst erlangen. Diejenigen, welche sonst geneigt waren, sich als Soldaten anwerben zu lassen, scheuten das Klima und die Art Verbannung, welche eine nothwendige Folge ihrer Anwerbung war; sie bezweifelten ferner, daß die Versprechungen der Compagnie ihnen gehalten würden, wenn sie dem Schutze der brittischen Gesetze entrückt wären. Aus diesen und andern Gründen zogen solche Leute den Militärdienst des Königs vor, und die Compagnie konnte sich nur die allerschlechtesten Rekruten verschaffen, obgleich ihre eifrigen Agenten kein Bedenken trugen, die allerschlimmsten Mittel zur Anwendung zu bringen. Wirklich war das Verfahren der Seelenverkäuferei oder des Menschenfangens, wie man es zu nennen pflegte, zu jener Zeit allgemein, und zwar nicht allein für die Kolonien, sondern sogar für die königlichen Truppen; da nun die bei solchem Verfahren gebrauchten Agenten natürlich sehr gewissenlos sein mußten, so wurden nicht allein viele Schlechtigkeiten in der Betreibung eines solchen Geschäftes begangen, sondern dasselbe veranlaßte auch gelegentlich merkwürdige Fälle von Raub, und sogar von Mord.

Solche Scheußlichkeiten wurden natürlich von den höheren Staatsgewalten geheim gehalten, für welche die Anwerbungen geschahen, und Leute, deren Benehmen sonst kein Vorwurf gemacht werden konnte, blickten wegen der Nothwendigkeit, Soldaten zu erhalten, auch bei näherer Untersuchung mit Kälte auf die Verfahrungsweise, womit der Rekrutendienst für sie ausgeführt wurde.

Das hauptsächlichste Depot der so versammelten Truppen lag auf der Insel Wight; da die Jahreszeit ungesund und die Leute selbst sehr häufig von verdorbenem Körper waren, so brach unter denselben ein bösartiges Fieber aus und füllte schnell mit Patienten das Militärhospital, dessen Oberaufsicht Herr Seelencooper, ein alter und erfahrener Werboffizier, erlangt hatte. Unregelmäßiges Leben begann unter den Soldaten einzureißen, welche gesund geblieben waren, und die Nothwendigkeit, dieselben einiger Disciplin vor der Ueberfahrt zu unterwerfen, wurde so augenscheinlich, daß mehrere Offiziere im Seedienst der Compagnie ihre Ueberzeugung aussprachen, im entgegengesetzten Falle würden gefährliche Meutereien während der Seereise ausbrechen.

Um dem ersten dieser Uebel entgegenzuwirken, sandten die Direktoren nach der Insel mehrere ihrer ärztlichen Beamten. Unter diesen befand sich Hartley, dessen Befähigung durch eine Prüfung von Seiten einer medizinischen Commission erwiesen war, und der ohnedem ein Doctordiplom der Universität Edinburg besaß.

Um Disciplin unter den Soldaten herzustellen, übertrug die höchste Behörde der Direktoren ausgedehnte Vollmacht einem ihrer Mitglieder, dem General Witherington. Der General war ein Offizier, welcher sich im Dienste der Compagnie bedeutend ausgezeichnet hatte. Er war aus Indien vor fünf oder sechs Jahren mit einem großen Vermögen zurückgekehrt und hatte dasselbe durch eine vortheilhafte Heirath mit einer reichen Erbin noch vermehrt. Der General und seine Gemahlin kamen wenig in Gesellschaft, sondern schienen gänzlich für ihre Kinder, zwei Knaben und ein Mädchen, zu leben. Obgleich er sich vom Dienst zurückgezogen hatte, übernahm er gern den ihm übertragenen vorübergehenden Auftrag; er schlug seine Wohnung in beträchtlicher Entfernung von der Stadt Ryde auf, bildete die Truppen zu verschiedenen Körpern, setzte fähige Offiziere ein und suchte sie durch regelmäßigen Unterricht und Disciplin in gute Ordnung zu bringen. Er hörte ihre Klagen über Mißhandlung in Bezug auf Vorräthe und Sold sorgfältig an und erwies ihnen bei jeder Gelegenheit die strengste Gerechtigkeit mit Ausnahme des Umstandes, daß er niemals einen Rekruten frei gab, wie spitzbübisch oder sogar ungesetzlich dessen Unterschrift bei der Anwerbung auch erlangt sein mochte.

»Es ist nicht mein Geschäft, zu untersuchen,« sagte General Witherington, »wie ihr Soldaten wurdet – als Soldaten habe ich euch gefunden, und als Soldaten will ich euch verlassen. Ich werde jedoch sorgfältig darauf sehen, daß ihr als Soldaten Alles, worauf ihr gerechten Anspruch habt, bis auf einen Pfennig oder Nadelknopf erhaltet.« Er ging an's Werk ohne Furcht oder Gunstbezeugung, berichtete viele Mißbräuche den Directoren, ließ mehrere Offiziere, Civilbeamte u. s. w. absetzen, und machte seinen Namen zum ebenso großen Schrecken der Betrüger an öffentlichen Geldern in England, wie derselbe früher den Feinden Großbritanniens in Hindostan furchtbar gewesen war.

Kapitän Seelencooper und seine Collegen im Hospital-Departement hörten von ihm mit Zittern, denn sie besorgten, daß jetzt die Reihe an sie kommen werde; der General jedoch, der sonst Alles mit eigenen Augen untersuchte, zeigte Widerwillen, das Hospital in Person zu besichtigen; der öffentliche Bericht schrieb dieß der Furcht vor Ansteckung zu; dieß war auch sicherlich der Beweggrund; jedoch nicht Besorgniß wegen seiner eigenen Sicherheit bestimmte die Handlungsweise des General Witherington, sondern er fürchtete, daß er die Ansteckung nach Haus in seine Kinderstube bringen werde, in welcher er täglich mit der größten Zärtlichkeit verweilte. Die Furcht seiner Gemahlin war noch unvernünftiger; sie erlaubte kaum ihren Kindern aus dem Hause zu gehen, wenn der Wind aus der Gegend blies, worin das Hospital lag. Die Vorsehung vereitelt jedoch die Vorsicht der Sterblichen. Auf einem Spaziergang in einer Gegend, welche als die am meisten geschützte und entlegenste gewählt war, begegneten die Kinder mit ihrem Gefolge von orientalischer und europäischer Dienerschaft einem Weibe, welches ein Kind auf dem Arme trug, das in der Genesung von den Pocken begriffen war. Die Aengstlichkeit des Vaters hatte nebst religiösen Bedenklichkeiten von Seiten der Mutter die Einimpfung verschoben, welche damals kaum allgemein geworden war. Die Ansteckung hatte sich wie das Feuer auf einer Zündschnur verbreitet und ergriff alle Mitglieder der Familie, welche die Krankheit nicht vorher gehabt hatten. Ein Kind des Generals, der zweite Knabe, erlag derselben und zwei Aya's oder farbige Bediente hatten dasselbe Schicksal. Die Herzen des Vaters und der Mutter würden wegen des verlornen Kindes gebrochen sein, wäre nicht ihr Gram durch die Angst um das Schicksal der zwei lebenden unterbrochen worden, welche sich in drohender Gefahr befanden. Die Eltern glichen wahnsinnigen Personen, als die Krankheitssymptome der armen Patienten allmälig denen des verlorenen Kindes gleich zu kommen schienen.

Während die Eltern den Seelenschmerz der äußersten Furcht empfanden, berichtete dem General sein hauptsächlichster Diener, der wie er selbst aus Northumberland stammte, es finde sich unter den Hospital-Doktoren ein junger Mann derselben Grafschaft, welcher öffentlich die Behandlungsweise, welche gegen die Kranken bisher beobachtet war, getadelt und von einer andern geredet habe, die nach seiner eigenen Erfahrung mit ausgezeichnetem Erfolg ausgeübt worden sei.

»Es wird ein unverschämter Quacksalber sein,« sagte der General, »der sich Kundschaft durch kühne Behauptungen verschaffen will. Doktor Tourniquet und Doktor Lancelot sind Männer von hohem Ruf.«

»Erwähnt nicht ihren Ruf,« erwiderte seine Gemahlin mit der Heftigkeit einer Mutter, »haben sie nicht meinen theuern Reuben sterben lassen? was hilft der Ruf eines Arztes, wenn der Patient stirbt?«

»Wenn Euer Gnaden nur den Doktor Hartley sehen wollten,« sagte Winter, indem er sich zur Hälfte gegen die Dame und dann zu seinem Herrn wandte, »er ist ein sehr anständiger junger Mann, welcher, wie ich überzeugt bin, niemals erwartete, daß dasjenige was er sagte, zu den Ohren Euer Gnaden gelangen würde; ohnedem ist er in Northumberland geboren.«

»Sendet einen Bedienten mit einem Handpferd ab,« sagte der General, »und laßt den jungen Mann sogleich hieher kommen«

Es ist wohl bekannt, daß die alte Behandlungsweise der Pocken darauf hinauskam, daß man dem Kranken alles verweigerte, was zu verlangen die Natur ihn drängte; sie bestand hauptsächlich darin, daß man den Patienten in erhitzte Zimmer einschloß, ihr Bett mit wollenen Decken belud und ihnen gewürzten Wein als Getränk reichte, während die Natur kaltes Wasser und frische Luft verlangte. Eine verschiedene Behandlungsweise war seit einigen Jahren von Praktikern versucht worden, welche die Vernunft der hergebrachten Regel vorzogen, und Gideon Gray hatte mehrere Jahre lang diese Methode mit außerordentlichem Erfolg angewandt.

Als General Witherington Hartley sah, ward er wegen seiner Jugend stutzig. AIs er ihm jedoch zuhörte, wie er mit Bescheidenheit aber mit Selbstvertrauen den Unterschied zwischen den beiden Behandlungsweisen und die Gründe seines Verfahrens darlegte, horchte er auf ihn mit dem aufmerksamsten Ernste. Dasselbe geschah von seiner Gemahlin, die ihre von Thränen überströmenden Augen von Hartley auf ihren Gatten wandte, als wolle sie den Eindruck überwachen, welchen die Darlegung des Ersteren auf den letzteren hervorbrachte. General Witherington schwieg einige Minuten, nachdem Hartley seine Darlegung beendet hatte und schien in tiefes Nachdenken versunken, dann sagte er: »behandelt man ein Fieber auf solche Weise, daß eines dadurch hervorgebracht werden muß, so scheint dieß mir in der That, als werfe man Feuerung auf ein loderndes Feuer.«

»So ist es der Fall,« sagte die Dame, »vertrauen wir dem jungen Mann, General Witherington. Wir werden wenigstens unseren theuren Kindern den Genuß der frischen Luft und des kalten Wassers gewähren, nach dem sie schmachten.«

Allein der General blieb unentschlossen. »Eure Begründung,« sagte er zu Hartley, »scheint annehmbar; sie beruht jedoch immer nur auf einer Vermuthung. Was könnt Ihr vorbringen, um Eure Theorie zu unterstützen, welche dem allgemeinen Verfahren widerstrebt?«

»Meine eigenen Beobachtungen,« erwiderte der junge Mann. »Hier ist ein Memoire von Krankheitsfällen, bei deren Behandlung ich Zeuge war, es enthält zwanzig Fälle von Pocken, von denen achtzehn geheilt wurden.«

»Und die zwei andern?« fragte der General.

»Endeten tödtlich,« erwiderte Hartley; »wir können bis jetzt nur theilweise diese Geißel des Menschengeschlechts entwaffnen.«

»Junger Mann,« fuhr der General fort, »wenn ich Euch sagen würde, daß 1000 portugiesische Dukaten Euer Eigenthum sein sollen, im Fall meine Kinder unter Eurer Behandlung am Leben bleiben, was könnt Ihr mir alsdann als Austausch anbieten?«

»Meinen Ruf,« erwiderte Hartley mit Festigkeit.

»Und könnt Ihr Euren Ruf für die Herstellung Eurer Patienten verbürgen.«

»Gott behüte, daß ich so anmaßend sein sollte! ich glaube jedoch, daß ich die Anwendung derjenigen Mittel verbürgen kann, welche mit Gottes Segen die beste Aussicht auf ein günstiges Resultat darbieten.«

»Genug, Ihr seid bescheiden und vernünftig ebenso wie kühn, und ich will Euch vertrauen.«

Die Dame, auf welche Hartley's Worte und Wesen einen großen Eindruck gemacht hatten, und welche eifrig wünschte, eine Behandlungsweise zu unterbrechen, wodurch die Patienten der größten Pein und Entbehrung ausgesetzt wurden, und welche sich bereits als unglücklich erwiesen hatte, nahm bereitwillig die Entscheidung ihres Mannes an und Hartley erhielt vollkommene Gewalt im Krankenzimmer. Die Fenster wurden geöffnet, die Feuer vermindert oder ausgelöscht, die schwere Last der Bettdecken fortgeschafft, kühlende Getränke ersetzten den Glühwein und die gewürzten Mischungen. Die Krankenwärterin schrie Mord, die Doktoren Tourniquet und Lancelot entfernten sich zornig und drohten mit etwas wie allgemeiner Pestilenz, als Rache gegen ein Verfahren, das sie als Vernachlässigung der Aphorismen des Hippokrates bezeichneten. Hartley ging ruhig und beharrlich seinen Weg, und die Patienten befanden sich bald auf dem besten Wege zur Besserung.

Der junge Northumbrier war weder eingebildet noch listig; bei aller Einfachheit seines Charakters mußte er aber den Einfluß kennen, welchen ein glücklicher Arzt über die Eltern der Kinder, die er vom Grabe gerettet hat, und besonders vor der wirklichen Beendigung der Heilung erlangt. Er beschloß seinen Einfluß für seinen alten Gefährten zu verwenden, indem er sich darauf verließ, daß die militärische Hartnäckigkeit des General Witherington in Betracht des kürzlich ihm erwiesenen Dienstes sich erweichen lasse. Auf seinem Wege zum Hause des Generals, gegenwärtig seinem fortwährenden Wohnort, untersuchte er das Packet, welches Middlemas ihm überreicht hatte. Es enthielt ein einfach eingefaßtes Miniaturbild der Menie Gray und den Brillantring, welchen Doktor Gray Richard als die letzte Gabe seiner Mutter eingehändigt hatte. Das erste dieser Andenken entlockte Hartley einen Seufzer, vielleicht eine Thräne und eine traurige Erinnerung.

»Ich besorge,« dachte Hartley, »daß sie keine würdige Wahl getroffen hat, allein sie soll glücklich sein, wenn es in meiner Macht liegt, sie glücklich zu machen.«

Im Hause des General Witherington angelangt, begab sich der Doktor in's Krankenzimmer und brachte dann den Eltern die erfreuliche Kunde, daß die Wiederherstellung der Kinder sich als gewiß betrachten lasse.

»Möge der Gott Israels Euch sagen,« sagte die Dame, indem sie aus Erregung zitterte, »du hast die Thräne aus dem Auge der verzweifelnden Mutter gewischt und dennoch, ach, sie muß noch fließen, wenn ich an meinen Cherub Reuben denke – ach, Herr Hartley, warum haben wir Euch nicht eine Woche früher gekannt – mein Liebling wäre alsdann nicht gestorben.«

»Gott gibt und nimmt, Mylady,« erwiderte Hartley; »Ihr müßt bedenken, daß zwei von dreien Euch wieder gegeben sind. Die Vermuthung, daß dieselbe Behandlung, die ich bei den jetzt Genesenden anwandte, auch die Heilung ihres Bruders bewirkt haben würde, ist von jeder Gewißheit weit entfernt; denn die Krankheit war, wie mir berichtet wurde, sehr eingewurzelt und bösartig.«

»Doktor,« sagte Witherington, indem seine Stimme eine größere Erregung zeigte, als er sonst gewöhnlich oder gern zu äußern pflegte, »Ihr könnt sowohl den Kranken am Geiste wie den Kranken am Körper Hülfe leisten, allein es ist Zeit, daß wir unsere Wette in's Reine bringen. Ihr setztet Euren Ruf, welcher durch die Ehre Eures ausgezeichneten Erfolges vermehrt Euch verbleibt, gegen 1000 portugiesische Dukaten ein; den Betrag derselben werdet Ihr in diesem Taschenbuch finden.«

»General Witherington,« sagte Hartley, »Ihr seid reich und besitzt ein Recht Großmuth zu üben, – ich bin arm und nicht zu Ablehnung einer Belohnung für die Leistungen meiner Kunst berechtigt, wie freigebig dieselbe auch sein mag, allein dem Uebermaß der Gaben sowohl wie der Annahme ist eine Grenze gesteckt; ich darf nicht den neu erworbenen Ruf, womit Ihr mir schmeichelt, dadurch auf's Spiel setzen, daß ich ein Gerede veranlasse, ich habe die Eltern beraubt, als deren Gefühl durch Angst für das Wohl ihrer Kinder heftig erregt war – erlaubt mir diese große Summe zu theilen; die eine Hälfte werde ich als die freigebigste Belohnung meiner Mühe dankbar behalten, und wenn Ihr mir noch etwas schuldig zu sein glaubt, so ertheilt mir dieß durch den Vortheil Eurer guten Meinung und Gunst.«

»Wenn ich mich bei Eurem Vorschlag beruhige, Doktor Hartley,« sagte der General, indem er mit Widerstreben einen Theil der im Taschenbuche enthaltenen Geldsumme zurücknahm, »so geschieht dieß nur, weil ich Euch mit meinem Einfluß sogar noch besser als mit meiner Börse zu helfen hoffe.«

»Und wirklich, Herr,« sagte Hartley, »wollte ich gerade einen kleinen Anspruch auf Euren Einfluß erheben.«

Der General und seine Gemahlin sprachen beide in demselben Athemzuge die Versicherung aus, seine Bitte sei gewährt, bevor er sie nur ausgesprochen habe.

»Ich weiß das nicht so gewiß,« sagte Hartley, »denn mein Gesuch betrifft einen Punkt, hinsichtlich dessen Euer Excellenz ziemlich unbeugsam ist – die Entlassung eines Rekruten.«

»Meine Pflicht erheischt dieß,« erwiderte der General, »Ihr kennt die Art Kerle, mit denen wir uns begnügen müssen; sie betrinken sich, werden tapfer im Rausche, lassen sich am Abend anwerben und fühlen Reue am nächsten Morgen; sollte ich alle entlassen, die überlistet zu sein vorgeben, so würden wir wenig Freiwillige übrig behalten. Ein jeder der Kerle hat eine eigene Geschichte von den Versprechungen eines prahlenden Sergeanten; es ist unmöglich daraus zu achten; laßt mich jedoch Eure Geschichte hören.«

»Mein Fall ist ein sehr eigenthümlicher; die betheiligte Person ist um tausend Pfund beraubt worden.«

»Ein Rekrut in diesem Dienst im Besitz von tausend Pfund! mein theurer Doktor verlaßt Euch darauf, der Kerl hat Euch belogen; wie wird jemals ein Mann, der tausend Pfund besitzt, daran denken, sich als gemeiner Soldat anwerben zu lassen?«

»Er dachte auch nicht daran,« erwiderte Hartley. »Der Schelm, dem er vertraute, hatte ihm eingeredet, daß er eine Offizierstelle bekommen solle.«

»Alsdann muß sein Freund Tom Hillary oder der Teufel gewesen sein, denn sonst Niemand konnte so viel List und Unverschämtheit besitzen; der Kerl findet sicherlich zuletzt noch den Weg zum Galgen. Diese Geschichte von den tausend Pfund scheint jedoch ein Streich der noch über Tom Hillary's Fähigkeiten geht; was habt Ihr für einen Grund zu glauben, daß jener Gesell wirklich jene Summe besaß?«

»Ich habe den besten Grund dieß als bestimmt zu wissen,« erwiderte Hartley; »er und ich dienten unsere Lehrzeit unter demselben ausgezeichneten Lehrer; als er großjährig wurde, mißfiel ihm der Beruf, für welchen er studirt hatte; er erlangte den Besitz seines kleinen Vermögens und wurde durch die Versprechungen jenes Hillary betrogen.«

»Der ihn in unser gut eingerichtetes Spital eingesperrt hat?« sagte der General.

»So ist es Excellenz,« erwiderte Hartley, »nicht wie ich glaube, ihn von einer Krankheit zu heilen, sondern ihm Gelegenheit zu geben, damit er eine bekäme, welche jeder Untersuchung zuvorkommen würde.«

»Die Sache soll genau untersucht werden. Wie erbärmlich sorglos müssen aber die Verwandten dieses jungen Mannes gewesen sein, daß sie einen unreifen Burschen in die Welt mit solch einem Gefährten und Führer wie Tom Hillary und solch einer Summe von tausend Pfund in seiner Tasche gehen ließen! Seine Eltern hätten besser gethan, ihn auf den Kopf zu schlagen. Es war sicherlich nicht so gehandelt, wie man im schlauen Northumberland nach der Meinung meines Dieners Winter zu verfahren pflegt.«

»Der junge Mann muß wirklich hartherzige oder sorglose Eltern gehabt haben,« sagte Frau Witherington mit dem Ausdruck des Mitleids.

»Er kannte sie nie, Madame,« erwiderte Hartley, »es herrschte ein Geheimniß hinsichtlich seiner Geburt; eine kalte, unwissende, und beinahe unbekannte Hand ertheilte ihm sein Erbtheil als er das gesetzliche Alter erreichte, und er ward in die Welt wie ein Fahrzeug ohne Ruder, Compaß oder Steuermann vom Ufer gestoßen.«

Bei diesen Worten blickte General Witherington unwillkührlich auf seine Gemahlin, während dieselbe durch einen ähnlichen inneren Antrieb geleitet, ihre Augen auf ihn wandte. Sie tauschten einen schnellen Blick von tiefer und besonderer Bedeutung aus und hefteten dann beide ihre Augen auf den Boden.

»Wurdet Ihr in Schottland erzogen,« fragte die Dame, indem sie sich mit stotternder Stimme an Hartley wandte, »und was war der Name Eures Lehrherrn?«

»Ich war Lehrling bei Herrn Gideon Gray in der Stadt Middlemas,« erwiderte Hartley.

»Middlemas, Gray,« widerholte die Dame und fiel in Ohnmacht.

Hartley bot seinen ärztlichen Beistand an; der Gemahl stürzte herbei um ihren Kopf zu halten und flüsterte ihr im Augenblick, wo Frau Witherington wieder sich kam, in einem halb drohenden halb warnenden Tone die Worte zu: »Zilia, hüte dich.«

Einige unvollkommene Töne, die sie in Worte zu bilden begonnen hatte, erstarben auf ihrer Zunge.

»Laßt mich Euch Beistand leisten, um Euch in Euer Zimmer zu führen, meine Theure,« sagte der offenbar ängstliche Ehemann.

Sie stand auf wie ein Automat, welches sich bei der Berührung einer Springfeder bewegt, und hatte beinahe halb auf ihrem Gemahl hängend, halb sich durch eigene Anstrengung selbst fortschleppend, die Thüre des Zimmers erreicht, als Hartley folgte und die Frage that, ob er ihr einigen Dienst leisten könne.

»Nein Herr,« sagte der General mit finsterem Ausdruck, »dieser Fall eignet sich nicht für die Einmischung eines Fremden; wenn man Eurer bedarf, will ich Euch rufen lassen.«

Hartley schritt zurück, als er diesen Verweis in einem ganz andern Tone erhielt, als General Witherington im früheren Verkehr gegen ihn gebraucht hatte; er fühlte zum Erstenmal einige Neigung, dem öffentlichen Berichte Glauben zu schenken, welcher diesem Herrn nebst vielen guten Eigenschaften den Charakter eines sehr stolzen und hochmüthigen Mannes ertheilt hatte; »bis dahin glaube ich ihn durch Kummer und Angst gebeugt gesehen zu haben; jetzt erlangt seine Seele wieder ihre Spannkraft. Er muß sich jedoch schon des Anstandes wegen für den unglücklichen Middlemas interessiren.«

Der General kehrte ein oder zwei Minuten nachher in's Zimmer zurück und redete Hartley in seinem gewöhnlichen höflichen Tone an, obgleich er sich noch in großer Verwirrung befand, die er vergeblich zu verbergen suchte.

»Frau Witherington befindet sich besser,« sagte er, »und wird Euch mit Vergnügen vor dem Mittagessen sehen. Ich hoffe Ihr speiset mit uns.«

Hartley verbeugte sich.

»Frau Witherington ist bisweilen dieser Art von Nerven-Anfällen ausgesetzt und kürzlich durch Gram und Besorgniß sehr gequält worden; wenn sie sich davon erholt, spricht sie einige Minuten, bevor sie ihre Vorstellungen sammeln kann, ebenso wie während solcher Anfälle – ich mache Euch, mein theurer Doktor, diese Mittheilung im Vertrauen – bisweilen über eingebildete Ereignisse, die niemals sich zutrugen und bisweilen über traurige Begebenheiten aus einer früheren Zeit ihres Lebens. Ich sehe deßhalb nicht gern, daß Jemand sonst außer mir und ihrer alten Dienerin, Frau Lopez, bei solchen Gelegenheiten sich in ihrer Gegenwart befindet.«

Hartley gestand ein, daß ein gewisser Grad von Geistes-Verwirrung oft die Folge solcher Nervenzufälle sei. Der General fuhr fort: »Was diesen jungen Mann betrifft – diesen Freund von Euch – diesen Richard Middlemas – nanntet Ihr ihn nicht so?«

»Ich erinnere mich dessen nicht,« erwiderte Hartlev, »Eure Excellenz hat jedoch seinen Namen getroffen.«

»Das ist sonderbar genug, gewiß habt Ihr aber Etwas über Middlemas gesagt?« bemerkte General Witherington.

»Ich erwähnte den Namen der Stadt,« sagte Hartley.

»Ja, und ich habe den Namen des Rekruten aufgegriffen – mein Kopf war in dem Augenblick von der Angst über meine Frau eingenommen. Nun, dieser Middlemas, da er so heißt, ist wohl ein wilder junger Bursch?«

»Ich würde ihm Unrecht erweisen, dieß Eurer Excellenz zu sagen. Er mag wie andere junge Leute seine Thorheiten haben, allein sein Benehmen ist achtbar gewesen, so viel ich weiß; in Betracht jedoch, daß wir in demselben Hause wohnten, waren wir nicht sehr genaue Freunde.«

»Das ist schlimm – ich würde ihn geliebt haben – d. h. er wäre sehr glücklich gewesen, einen Freund wie Euch zu besitzen; ich glaube jedoch, daß Ihr zu viel für ihn studirt habt. So, er möchte Soldat sein? Hat er ein gutes Aeußere?«

»Er ist auffallend schön,« erwiderte Hartley, »und hat ein sehr einnehmendes Wesen.«

»Ist seine Gesichtsfarbe dunkel oder hell?« fragte der General.

»Ziemlich dunkel,« erwiderte Hartley, »dunkler als die Eurer Excellenz, wenn ich mir die Freiheit des Vergleiches nehmen darf.«

»Wahrlich, dann muß er so schwarz wie eine Amsel sein. Versteht er fremde Sprachen?«

»Lateinisch und französisch ziemlich gut.«

»Natürlich kann er nicht fechten oder tanzen?«

»Verzeiht mir, Herr, ich bin kein besonderer Richter, allein Richard wird für einen Meister in beiden Geschicklichkeiten gehalten.«

»Wirklich, man rechne dieß Alles zusammen und es klingt nicht übel – hübsch, in Körper-Uebungen ausgezeichnet, ziemlich gelehrt, nicht unvernünftig wild – Alles das ist zu hoch für die Stellung eines gemeinen Soldaten. Er muß eine Offizierstelle haben, Doktor, gänzlich um Eurer willen.«

»Eure Excellenz ist großmüthig.«

»So soll es sein, ich werde Mittel finden, daß Tom Hillary seinen Raub wieder von sich gibt, wenn er nicht vorzieht an den Galgen zu kommen, ein Schicksal, das er schon lange verdient hat. Ihr könnt heute nicht wieder in's Hospital zurückkehren, denn Ihr speiset bei uns und kennet die Furcht meiner Frau vor Ansteckung; morgen aber sucht Euren Freund auf. Winter soll dafür sorgen, daß er mit Allem ausgerüstet wird. Tom Hillary soll die Vorschüsse dazu hergeben und er muß mit der ersten Abtheilung Rekruten im Ostindienfahrer Middlesex fort, der nächsten Montag in vierzehn Tagen aus den Downs absegelt, d. h. wenn Ihr ihn für die Reise geeignet haltet. Sicherlich ist dem armen Burschen die Insel Wight zuwider geworden.«

»Eure Excellenz wird dem jungen Mann erlauben, Euch seine Achtung vor seiner Abreise zu bezeigen?«

»Das kann zu nichts dienen,« sagte der General hastig und bestimmt; er fügte jedoch gleich hinzu: »Ihr habt recht, ich möchte ihn gerne sehen. Winter wird ihm die Zeit sagen und ihn zu Pferde hieher bringen. Er muß jedoch außerhalb des Hospitals ein oder zwei Tage gewesen sein. Je eher Ihr ihn in Freiheit setzt, desto besser. Mittlerweile bringt ihn in eine eigene Wohnung, Doktor; laßt ihn aber keine Verbindungen mit Offizieren oder sonst Jemand eingehen; er könnte sonst einen andern Hillary treffen.«

Wäre Hartley mit den Umständen der Geburt des jungen Middlemas bekannt gewesen, wie der Leser, so hätte er entscheidende Schlüsse aus dem Benehmen des Generals Witherington ziehen können, während sein Kamerad den Gegenstand des Gesprächs bildete. Da jedoch Herr Gray und Middlemas selbst über den Gegenstand schwiegen, so wußte er davon wenig anderes als nach dem allgemeinen Berichte, zu dessen näherer Erforschung er durch Neugier nicht verleitet wurde. Nichtsdestoweniger empfand er solche Theilnahme an demjenigen, was er begriff, daß er sich zu einem kleinen Versuche entschloß, hinsichtlich dessen er glaubte, daß er nicht besonders schädlich sein könne. Er steckte an seinen Finger den bemerkenswerthen Ring, welchen Middlemas seiner Sorgfalt anvertraut hatte, und bemühte sich, daß derselbe der Frau Witherington, wenn er sich ihr nähere, in die Augen falle; er trug jedoch Sorge, daß dieß während der Abwesenheit ihres Gemahls geschah. Ihre Augen hatten nicht sobald den Edelstein erblickt, als sie auf denselben fest geheftet blieben, ja sie bat um eine nähere Ansicht desselben, weil er sehr einem Ringe gleiche, den sie einem Freunde geschenkt habe. Hartley nahm den Ring vom Finger, legte ihn in ihre abgemagerte Hand und erklärte ihr, er sei das Eigenthum seines Freundes, für den er den General zu interessiren sich so eben bemüht habe.

Frau Witherington zog sich in großer Aufregung zurück, und ließ am nächsten Tage Hartley zu einer Privatunterredung kommen, deren Einzelnheiten, so weit sie gekannt werden müssen, später berichtet werden sollen.

Am nächsten Tage nach diesen wichtigen Entdeckungen wurde Middlemas zu seinem großen Entzücken aus seiner Haft im Hospital entlassen und zur Wohnung seines Kameraden in der Stadt Ryde gebracht, wo Hartley selbst sich nur selten aufzuhalten pflegte. Die Aengstlichkeit der Frau Witherington nämlich hielt ihn noch in dem Hause des Generals zurück, als seine ärztlichen Dienste schon lange Zeit nicht mehr nothwendig waren. In zwei oder drei Tagen langte für Richard Middlemas ein Patent als Oberlieutnant im Dienste der ostindischen Compagnie an. Winter brachte auf Befehl seines Herrn die Garderobe des jungen Offiziers in passendem Zustande, indessen Middlemas darüber entzückt, daß er zugleich aus seiner furchtbaren Lage errettet und unter den Schutz eines so bedeutenden Mannes wie der General gestellt war, den Winken unbedingt gehorchte, die ihm Hartley gab, und deren Befolgung Winter erzwang; er unterließ es deßhalb sich öffentlich zu zeigen oder Bekanntschaften mit irgend Jemanden anzuknüpfen. Er sah sogar Hartley nur sehr selten; und wie groß auch die Dienste sein mochten, die derselbe ihm erwiesen hatte, bedauerte er vielleicht die Abwesenheit einer Person nicht sonderlich, deren Gegenwart bei ihm immer das Gefühl der Demüthigung und der Erniedrigung hervorrief.



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