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Die Tochter des Wundarztes.


Einleitung.

Das Hauptereigniß zu vorliegender Erzählung wurde dem Verfasser durch Herrn Train von Castle Douglas einstens beim Frühstücke mitgetheilt. Er bat denselben, ihm die Erzählung schriftlich zu übersenden, und zwar wo möglich in der Form, wie er sie mündlich gegeben hatte. Herr Train hat diesen Wunsch erfüllt; sein schriftlicher Bericht gelangte jedoch nach Abbotsford erst im Juli 1832, nachdem die vorliegende Erzählung 1827 schon im Druck herausgegeben war; der Verfasser konnte sie also in seiner ersten Ausgabe nicht mittheilen. Wir geben sie hier als die wirkliche Begebenheit, worauf die Erzählung Sir Walter Scotts beruht.

»In dem alten Städtchen Stock of Fife fand sich vielleicht kein Einwohner, dessen Thätigkeit so bemerkenswerthe Folgen hatte, als diejenige von Davie Duff, gewöhnlich der Thane von Fife genannt – ein Mann, welcher von sehr niedriger Geburt sich zu der Würde eines Rathsherrn seiner Vaterstadt emporschwang; durch Fleiß und Sparsamkeit in seiner Jugend erlangte er die Mittel, um ganz allein auf eigene Rechnung eine jener Fabriken zu gründen, wegen deren trefflicher Einrichtung Fifeshire mit Recht berühmt ist. Von dem Tage an, an welchem dieser fleißige Fabrikant zuerst seinen Sitz am Rathstische einnahm, vertrat er die Interessen des kleinen Städtchens in solcher Weise, daß bürgerliche Ehren so schnell ihm übertragen wurden, als die Verfassung desselben gestattete.

»Das Recht, sich bei Festtagen in die Kirche zu begeben, während ihm eine Ehrenwache von Hellebardirern in der Kleidung früherer Zeiten voranging, erscheint in den Augen mancher Zunftgenossen als eine beneidenswerthe Höhe weltlicher Größe. Wenige Personen waren jemals stolzer auf bürgerliche Ehren, als der Thane von Fife; er verstand es aber auch, seinen politischen Einfluß zum Vortheil der Gemeinde anzuwenden. Da die Versammlungen des Stadtrathes und andere Geschäfte des Städtchens viel Zeit in Anspruch nahmen, ward er veranlaßt, die Führung seiner Fabrik einem nahen Verwandten Namens D…, einem jungen Manne von lockeren Sitten, zu übertragen; als aber der Thane zuletzt sah, daß er wahrscheinlich banquerott werde, wenn er diesen Verschwender in jener Stellung lasse, wandte er sich an das Parlamentsglied des Distriktes, um für seinen Verwandten ein Amt in der Staatsverwaltung zu erlangen. Das Parlamentsglied, dessen Namen zu nennen unnöthig ist, wußte sehr wohl, daß der Thane das Städtchen trefflich regiere; er wandte sich somit an die Regierung und erhielt auch wirklich für D… eine Anstellung im Civildienst der ostindischen Compagnie.

»Ein achtbarer Wundarzt in einem benachbarten Dorfe besaß eine schöne Tochter, Namens Emma, um welche D… sich lange Zeit beworben hatte. Unmittelbar vor dessen Abreise nach Indien tauschten die Liebenden ihre Miniaturbilder aus, die von einem ausgezeichneten Künstler in Fife gemalt, und in eine Kapsel eingefaßt wurden, so daß Beide den Gegenstand ihrer Neigung stets vor Augen haben konnten.

»Die Blicke des alten Thane's wandten sich jetzt ängstlich nach Hindostan; sein Verwandter war aber noch nicht lange Zeit in jenem entfernten Theile der Erdkugel gewesen, als er einen Brief von ihm mit der willkommenen Kunde erhielt, daß er sein neues Amt in einer großen Grenzstadt des Gebietes der Compagnie angetreten habe, und daß ein beträchtliches Einkommen mit dem Amte verbunden sei.

»Diese Angaben wurden durch mehrere nachfolgende Mittheilungen der befriedigendsten Art dem alten Thane bestätigt, welcher mit großem Vergnügen die Nachricht von der Besserung und dem Glück seines zukünftigen Erben verbreitete. Niemand von allen früheren Bekannten desselben hörte mit solcher Freude den günstigen Bericht über den im Osten glücklichen Abenteurer, als die schöne und trefflich erzogene Tochter des Wundarztes im erwähnten Dorfe. Der frühere Ruf desselben hatte jedoch zur Folge, daß sie ihren Briefwechsel mit ihm vor ihren Eltern geheim hielt. Letzteren war sogar der Umstand, daß D… in irgend einem Verhältniß mit ihr stand, gänzlich unbekannt, bis ihr Vater einen Brief von D… erhielt, worin derselbe ihm die Versicherung gab, daß er Emma lange Zeit vor seiner Abreise von Fife gekannt habe; da er so glücklich gewesen sei, ihre Liebe zu gewinnen, würde er sich mit ihr vor seiner Abreise vermählt haben, wenn er schon damals die Mittel besessen hätte, ihr die geeignete Stellung im Leben zu verschaffen; nun er Dieses vermöge, so erwarte er nur die Einwilligung ihrer Eltern, um sein früheres Gelübde zu erfüllen.

»Da der Doctor eine große Familie und nur ein sehr beschränktes Einkommen zum Unterhalt derselben besaß, da er ferner vernahm, daß D… endlich die Gewohnheiten der Mäßigkeit und des Fleißes angenommen habe, so gab er seine Einwilligung, der sich auch Emma's Mutter vollkommen anschloß.

»Weil D… mit den beschränkten Vermögensverhältnissen des Doctors bekannt war, übersandte er eine Geldsumme, damit Emma in Edinburg ihre Erziehung für den Orient vervollständigen und sich für ihre Reise nach Indien ausrüsten könne. Sie sollte sich in Sheerneß an Bord eines Fahrzeugs der Compagnie nach einem indischen Hafen einschiffen, an welchem Orte, wie er schrieb, er ihre Ankunft mit einem Gefolge erwarten wolle, welches sich für eine Person seines Ranges in der Gesellschaft eigne.

»Emma reiste von ihres Vaters Hause noch zu rechter Zeit ab, um sich die von ihrem künftigen Gemahle vorgeschlagene Ueberfahrt zu sichern. Sie war von ihrem einzigen Bruder begleitet, welcher bei ihrer Ankunft in Sheerneß einen gewissen C… antraf; derselbe war ein alter Schulkamerad von ihm und jetzt der Kapitän des Schiffes, auf welchem Emma die Reise nach Indien zurücklegen sollte.

»Der Doctor sprach den besonderen Wunsch aus, daß seine Tochter der Sorgfalt dieses Herrn von dem Augenblick an anvertraut würde, wo sie die Ufer von Großbritannien verlasse, bis die beabsichtigte Vermählungs-Ceremonie bei ihrer Ankunft in Indien nach Gebühr vollbracht sei – ein Auftrag, welchen der großmüthige Schiffskapitän ohne Bedenken annahm.

»Bei der Ankunft des Schiffes im bestimmten Hafen befand sich dort D… mit einem großen Gefolge berittener Pindaries, wie erwartet war, in Bereitschaft, um Emma bei ihrer Landung zu begrüßen, und sie alsbald in das Innere des Landes zu führen. C…, welcher schon mehrere Reisen nach den Küsten von Hindostan gemacht hatte und mit den Sitten und Gebräuchen des Landes etwas bekannt war, wurde dadurch überrascht, daß ein bloßer Beamter der ostindischen Compagnie ein solches Gefolge habe; als nun D… sich weigerte, die Vermählungs-Ceremonie nach den Gebräuchen der Kirche, ehe er nach Hause zurückgekehrt sei, vornehmen zu lassen, wurde C… immer mehr und mehr in seinem Verdachte bestärkt, daß nicht Alles in Ordnung sei; er beschloß deßhalb, sich von Emma nicht eher zu trennen, als bis er auf die befriedigendste Weise sein vor der Abreise aus England gegebenes Versprechen gelöst haben würde, sie allein nach geschlossener Ehe abzuliefern. Als Emma es nicht vermogte, den Entschluß von D… durch ihre Bitten zu verändern, bat sie ihren Beschützer C…, sie zum Orte ihrer Bestimmung zu geleiten; auch gab derselbe sehr bereitwillig seine Einwilligung, und nahm von seiner Mannschaft so viele Leute mit, als zur sicheren Bewachung seines unschuldigen Schützlings zu genügen schienen, im Fall der Versuch gemacht werden sollte, sie mit Gewalt fortzuführen.

»Beide Theile reisten bis zu einer Grenzstadt, wo ein Rajah oder indischer Fürst die Ankunft des schönen Mädchens von Fife erwartete. Derselbe hatte sich nämlich in letzteres nach dem Miniaturbilde, welches D… besaß, stark verliebt; er hatte demselben eine große Geldsumme für das Original bezahlt, und ihm allein den Auftrag ertheilt, sie in aller Pracht nach seiner Residenz zu geleiten.

Sobald C… mit dieser schändlichen Handlung D… s bekannt wurde, meldete er alle Umstände dem commandirenden Offizier eines Regiments schottischer Hochländer, welches damals gerade in diesem Theile Indiens aufgestellt war. Er bat ihn zugleich bei der Ehre Schottlands um Schutz für die leidende Unschuld, damit er alle ihm möglichen Mittel anwende, um jedem Versuche des Rajahs Widerstand zu leisten, wenn derselbe seinen Händen die tugendhafte Dame entreißen wolle, welche in so schmachvoller Weise aus ihrem Vaterlande durch den bösartigsten Menschen verlockt sei. Die Ehre nimmt einen zu großen Raum im Herzen des Galen ein, als daß diese Berufung auf Menschlichkeit zurückgewiesen worden wäre.

»Als der indische Fürst erkannte, daß seine Forderungen nicht erfüllt würden, war er entschlossen, dieselben mit Gewalt zu erzwingen, sammelte seine Truppen und griff mit großer Wuth den Platz an, wohin die erschreckte Emma einige Zeit lang von ihren Landsleuten in Sicherheit gebracht war. Dieselben fochten zu ihrer Vertheidigung mit aller Tapferkeit ihres Vaterlandes, welche zuletzt die Angreifenden so überwältigte, daß dieselben nach jeder Richtung zu fliehen gezwungen wurden. Sie ließen viele ihrer Erschlagenen zurück, unter denen auch der zerfleischte Leichnam des treulosen D… gefunden wurde.

»C… vermählte sich bald darauf mit Emma, und mein Berichterstatter gab mir die Versicherung, daß er Beide viele Jahre nachher gesehen habe, wie sie glücklich in der Grafschaft Kent mit dem Vermögen zusammenlebten, welches der Thane von Fife ihnen hinterlassen hatte.«



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