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Sechstes Kapitel.

Ein Lazareth schien's, Kranke jeder Art
D'rin aufgestapelt.

Milton.

Nachdem der Kapitän seine Geschäfte beendet hatte, worunter er auch nicht die Einschreibung seines Rekruten als eines Candidaten des Ruhmes im Dienste der ehrenwerthen ostindischen Compagnie vergaß, verließen die beiden Freunde die Hauptstadt Schottlands. Von dort nahmen sie die Ueberfahrt zur See nach Newcastle, wo Hillary einige Dienstgeschäfte abzumachen hatte, bevor er sich zu seinem Regiment begab. In Newcastle hatte der Kapitän das Glück, eine von einem alten Bekannten und Schulkameraden befehligte Brig anzutreffen, welche im Begriff stand, nach der Insel Wight abzusegeln. »Ich bin schon hinsichtlich Eurer Ueberfahrt mit ihm übereingekommen,« sagte er zu Middlemas; »seid Ihr in dem Depot, so könnt Ihr etwas vom Dienst lernen, was auf einem Schiffe nicht wohl möglich ist, und alsdann könnt Ihr leicht vorrücken.«

»Wollt Ihr damit sagen,« entgegnete Richard, »daß ich die ganze Zeit auf der Insel Wight bleiben soll, während Ihr in London Euren Vergnügungen nachgeht?«

»Allerdings,« sagte sein Kamerad; »es ist ohnedem zu Eurem Besten; welche Geschäfte Ihr auch in London haben mögt, so kann ich dieselben ebensowohl als Ihr oder noch etwas besser abmachen.«

»Ich will aber meine Geschäfte selbst verrichten, Kapitän Hillary,« sagte Richard.

»Alsdann hättet Ihr Euer eigener Herr bleiben müssen, Herr Cadett Middlemas. Gegenwärtig seid Ihr als Rekrut der ehrenwerthen ostindischen Compagnie eingeschrieben; ich bin Euer Offizier, und solltet Ihr Bedenken tragen, mir nach dem Schiffe hin zu folgen, alberner Bursch, so könnte ich Euch in Handschellen an Bord schicken lassen.«

Dieß wurde wie im Scherz gesagt; es lag jedoch etwas in dem Tone, was den Stolz von Middlemas verletzte und seine Furcht erregte. Er hatte seit Kurzem bemerkt, daß sein Freund, besonders in der Gesellschaft von Anderen, mit einem Ausdruck des Befehls oder der Ueberlegenheit ihn anredete, welcher nur schwer ertragen werden konnte und doch den Freiheiten, welche sich zwei genaue Freunde gegen einander herausnehmen, so angemessen zu sein schien, daß er keine passende Weise finden konnte, dieß Benehmen zurückzuweisen oder sich darüber zu ärgern. Auf solche Aeußerungen des Oberbefehls folgte gewöhnlich eine augenblickliche Erneuerung ihrer Freundschaft; im gegenwärtigen Fall trat dieß jedoch nicht so schnell ein.

Middlemas gab wirklich seine Einwilligung, sich mit seinem Gefährten nach der Insel Wight zu begeben, vielleicht weil sein ganzer Plan der indischen Reise und alle darauf gebauten Hoffnungen durch einen Zank mit demselben vereitelt worden wären. Er änderte jedoch seine Absicht, seinem Kameraden sein kleines Vermögen zu vertrauen, damit er dasselbe nach erforderlicher Gelegenheit anlege, und beschloß selbst die Verwendung seines Geldes zu beaufsichtigen, welches in der Form von Banknoten in seinem Reisekoffer sicher geborgen wurde. Als Kapitän Hillary fand, daß einige darüber von ihm gegebene Winke mißachtet wurden, schien er nicht weiter daran zu denken.

Die Reise wurde sicher und schnell zurückgelegt; das Schiff warf bald die Anker beim Städtchen Ryde aus, nachdem es an den Küsten jener schönen Insel vorbeigefahren war, welche Niemand vergißt, der sie einmal gesehen hat, nach welchem Theile der Welt ihn auch sein zukünftiger Pfad führen mag. Da die Wellen ungemein ruhig waren, empfand Richard die Verminderung der Seekrankheit, welche auf einem beträchtlichen Theil der Ueberfahrt seine Aufmerksamkeit mehr als alles Andere in Anspruch genommen hatte.

Der Kapitän der Brig hatte zu Ehren seiner Passagiere und aus Neigung zu seinem alten Schulkameraden ein Zelt auf dem Verdeck aufschlagen lassen und lud sie zu einem kleinen Mahle ein, bevor sie das Schiff verlassen würden. Seekrebse, Fischpasteten und andere Leckereien des Seelebens waren in unverhältnißmäßiger Masse zur Zahl der Gäste aufgetischt; der darauf folgende Punsch war ausgezeichnet und merkwürdig stark. Kapitän Hillary ließ die Gläser kreisen und bestand darauf, daß sein Freund seinen vollen Antheil an dem munteren Gelage nehme, um so mehr da einige Trockenheit, wie er witzig sagte, kürzlich zwischen ihnen stattgefunden habe, zu deren Beseitigung gute Getränke sich ausgezeichnet eigneten. Er erneuete mit gesteigertem Glanz seine Beschreibungen indischer Gegenden und indischer Abenteuer, welche den Ehrgeiz von Middlemas zuerst erregt hatten, und gab ihm die Versicherung, wenn er ihm auch nicht sogleich eine Offizierstelle verschaffen könne, so werde dennoch ein kurzer Verzug allein dazu dienen, daß er sich mit seinen militärischen Pflichten besser bekannt mache. Middlemas war durch den von ihm getrunkenen Punsch zu sehr begeistert, um irgend eine Schwierigkeit zu sehen, die sich seinem Glücke darbieten könnte. Mochten nun diejenigen, welche an dem Gelage Theil nahmen, abgehärtetere Trinker sein – mochte Middlemas mehr wie die Andern getrunken haben – oder mochte sein Becher, wie er später argwöhnte, gleich demjenigen der Leibwache des Königs Duncan, mit betäubenden Mitteln vermischt sein, so ist es wenigstens gewiß, daß er bei dieser Gelegenheit durch alle verschiedenen Grade eines achtbaren Zustandes der Trunkenheit ungemein schnell hindurch ging – er lachte, sang, schrie, brüllte, war ungemein zärtlich, wüthend in seinem Grimm und versank zuletzt in tiefen unzerstörbaren Schlaf.

Die Wirkung des Rausches zeigte sich wie gewöhnlich in hundert wilden Träumen von verbrannten Wüsten, von Schlangen, deren Biß unerträglichen Durst erweckte – von den Leiden des Indiers am Todespfahle – von den Qualen der Hölle selbst; als er zuletzt erwachte, schien es, daß sein letzteres Traumgesicht sich wirklich erfüllt habe. Die Töne, welche zuerst auf seine Träume Einfluß übten und zuletzt seinen Schlummer störten, waren von der furchtbarsten so wie traurigsten Art. Sie kamen aus Reihen von Strohbetten, welche in einer Art militärischen Spitals dicht neben einander gestellt waren, wo ein hitziges Fieber die am meisten vorherrschende Krankheit war. Viele der Kranken befanden sich im Fieberwahnsinn, während dessen sie schrieen, kreischten, lachten, fluchten und die furchtbarsten Verwünschungen ausstießen. Andere, welche sich ihres Zustandes bewußt waren, gaben dieß durch leises Gestöhn und einige Versuche zur Andacht zu erkennen, welche ihre Unwissenheit hinsichtlich der Grundsätze und sogar der Form der Religion erwiesen. Diejenigen, welche sich im Zustand der Wiedergenesung befanden, schwatzten laut von Zoten oder flüsterten mit einander über Entwürfe, welche, so weit eine aus dem Zusammenhang gerissene Phrase von einem Neuling verstanden werden konnte, sich auf gewaltthätige und verbrecherische Thaten bezogen.

Das Erstaunen von Richard Middlemas kam seinem Schrecken gleich. Er hatte vor den armen Unglücklichen, mit denen er jetzt zusammen untergebracht war, nur Einen Vortheil voraus, daß er nämlich den Luxus eines Strohsacks ganz allein genoß; die andern Strohsäcke waren nämlich immer von zwei Unglücklichen eingenommen. Er sah Niemanden, welcher auf die Bedürfnisse der ihn umgebenden Unglücklichen zu achten oder auf deren Klagen zu hören schien, oder bei dem er gegen seine gegenwärtige Lage Einspruch einlegen konnte; er sah sich nach seinen Kleidern um, damit er aufstehen und sich aus dieser Höhle der Schrecken retten könne, allein seine Kleider waren nirgends zu sehen, eben so wenig wie sein Mantelsack oder seine Schiffskiste. Es war sehr zu besorgen, daß er dieselbe niemals wieder sehen würde.

Alsdann erinnerte er sich zu spät der Gerüchte, welche über seinen Freund, den Kapitän, im Umlauf gewesen waren; man hatte nämlich gesagt, er sei von Herrn Lawford entlassen worden, weil er sich eine Veruntreuung in dessen Diensten habe zu Schulden kommen lassen. Daß er aber den Freund, welcher all sein Vertrauen in ihn gesetzt, in eine Schlinge gelockt, ihn seines Vermögens beraubt und in dieß Pesthaus gebracht haben sollte, damit der Tod seine Zunge zum Schweigen bringe – dieß waren Schändlichkeiten, welche nicht vorher gesehen werden konnten, sogar wenn das schlimmste jener Gerüchte wahr gewesen wäre. Middlemas jedoch beschloß, es an nichts zu seiner Rettung fehlen zu lassen. Der Ort mußte doch von einem Offizier, Beamten, einem militärischen oder ärztlichen, besucht werden, bei dem er Einsprache einlegen und wenigstens dessen Furcht erregen wollte, wenn er auch dessen Gewissen nicht aufwecken könnte. Während er diesen quälenden Gedanken im Kopfe umher trieb und zugleich von brennendem Durst gefoltert wurde, zu dessen Befriedigung er keine Mittel besaß, bemühte er sich zu entdecken, ob er unter seinen nächsten Nachbarn auf den Strohbetten nicht Jemanden entdecken könne, mit welchem sich ein Gespräch anknüpfen lasse, damit er von der Natur und Gewohnheiten dieses furchtbaren Ortes einige Kunde erlange.

Das ihm zunächst stehende Bett war aber von zwei Kerlen eingenommen, die zwar nach ihren dürren Wangen, hohlen Augen und gräßlichen Blicken zu urtheilen, sich offenbar in Genesung befanden, und so eben erst aus dem Rachen des Todes errettet waren, allein dennoch sich tief in die Bestrebungen versenkt hatten, einander um wenige halbe Pfennige beim Kartenspiel zu betrügen, indem sie mit den Kunstausdrücken des Spiels, Flüche, in nicht lauter aber tiefer Stimme mischten; eine jede Wendung des Glückes ward nämlich vom Gewinnenden wie Verlierenden mit Verwünschungen begrüßt, die sowohl auf das Verderbniß des Körpers wie der Seele zielten, und bald als die Sprache des Triumphes, bald als Vorwürfe gegen das Glück gebraucht wurden.

Zunächst den Spielern war ein von zwei Körpern gefülltes Strohlager, von denen jedoch nur Einer noch lebte; der andere Leidende war von seinem Todeskampf kürzlich erlöst worden.

»Er ist todt – er ist todt –« rief der unglückliche Ueberlebende.

»So krepirt auch und seid verdammt,« erwiderte einer der Spielenden, »dann werdet ihr Beide ein Paar ausmachen, wie der Hanswurst sagt.«

»Ich sage Euch, er wird steif und kalt,« sagte der arme Unglückliche; »der Todte ist kein Bettgenoß für den Lebendigen; um Gottes willen erlöset mich von diesem Leichnam.«

»Nicht wahr, um im Geruch zu stehen, ihn abgethan zu haben – wie es vielleicht, Freund, der Fall sein kann, denn er hatte noch zwei oder drei Silberstücke an seinem Leibe.«

»Ihr wißt ja, daß Ihr die letzte Münze aus seiner Hosentasche vor einer Stunde genommen habt,« stellte ihm der arme Genesende vor. »Aber helft mir den Leichnam aus dem Bette nehmen, dann will ich nichts dem Leichenputzer davon sagen, daß Ihr vor ihm die Vorhand gehabt habt.«

»Ihr wollt dem Leichenputzer berichten!« erwiderte der Kartenspieler. »Noch ein solches Wort, und ich drehe Euch den Kopf um, bis Eure Augen des Trommelschlägers Handschrift auf Eurem Rücken sehen Der Trommelschläger ertheilt die Peitschenhiebe bei den militärischen Exekutionen.; haltet das Maul und stört nicht unser Spiel mit Euren Possen, oder ich mache Euch so stumm wie Euren Bettkameraden.«

Der Unglückliche sank erschöpft an die Seite seines scheußlichen Schlafgefährten zurück, und das gewöhnliche Spielgeschwätz mit Flüchen vermischt hatte wie früher seinen Fortgang.

Nach dieser Probe der verhärtetsten Gleichgültigkeit im Gegensatz zum letzten Uebermaß des Elends überzeugte sich Middlemas, wie wenig er von der Menschlichkeit seiner Leidensgefährten zu hoffen hatte; sein Herz sank, und Gedanken an die glückliche und friedliche Heimath, die er sein Eigenthum hätte nennen können, erhoben sich vor seiner erhitzten Phantasie mit einer Lebhaftigkeit der Auffassung, welche an Wahnsinn grenzte. Er sah vor sich den Bach, welcher sich durch das Gemeinde-Moor von Middlemas schlängelte, wo er so oft kleine Mühlen zum Vergnügen der Menie aufgestellt hatte, so lange sie noch ein Kind war. Ein Trank daraus wäre alle Diamanten des Ostens werth gewesen, die er kürzlich mit so vieler Andacht verehrt hatte; allein dieser Trank wurde ihm wie dem Tantalus verweigert.

Indem er seine Gedanken von dieser vorübergehenden Täuschung wieder sammelte, begriff er durch seine Kenntniß der Medizin die Nothwendigkeit, womöglich seine Vorstellungen von Phantasiegebilden fern zu halten. Er bemühte sich zu bedenken, daß er ja selbst ein Wundarzt sei und deßhalb nicht die äußerste Furcht vor dem Inneren eines Militärhospitals hegen dürfe, die dessen Schrecknisse denjenigen einflößen, welche der medizinischen Kenntniß fremd sind; obgleich er sich aber durch solche Erinnerungen anstrengte, wiederum Muth zu fassen, erkannte er nicht weniger den Unterschied zwischen dem Zustande eines Wundarztes, welcher einen solchen Ort in Erfüllung seiner Pflicht besucht, und eines armen Einwohners, welcher zugleich ein Kranker und Gefangener ist.

Ein Fußtritt wurde jetzt in dem Raume gehört, welcher alle die verschiedenen Töne des Elends, die ihn anzufüllen schienen, zum Schweigen brachte. Die Spieler versteckten ihre Karten und hörten auf zu fluchen; andere Elende, deren Klagen bis zur Raserei gesteigert waren, unterließen ihre wilden Ausrufungen und Bitten um Beistand. Der Todeskrampf milderte sein Kreischen, der Wahnsinn unterdrückte sein sinnloses Geschrei, und sogar der Sterbende schien sich zu bemühen, sein letztes Aechzen in Gegenwart des Kapitäns Seelencooper zu ersticken. Dieser Beamte war der Oberaufseher, oder wie die unglücklichen Einwohner ihn nannten, der Gouverneur des Spitals. Er sah aus, als sei er ursprünglich ein Gefangenwärter in irgend einem schlecht verwalteten Gefängniß gewesen – ein derber, kurzer, krummbeiniger Mann mit einem Auge, und dem Ausdruck einer verdoppelten Wildheit in dem noch übrigen. Er trug eine alte verblichene Uniform, die nicht für ihn gemacht zu sein schien; die Stimme, womit dieser Diener der Menschlichkeit die Kranken anredete, war die eines Hochbootsmannes, der in der Mitte eines Sturmes seine Befehle brüllte. Im Gurt trug er Pistolen und einen Hirschfänger, denn da seine Verwaltungsweise solcher Art war, daß sogar die Hospitalkranken zur Meuterei gereizt wurden, so war sein Leben mehr als einmal unter ihnen in Gefahr gekommen. Ihm folgten zwei Gehülfen, welche Handschellen und Zwangsjacken trugen.

Als Seelencooper seine Runde machte, schwieg die Klage und der Schrei der Pein. Der Schall des Bambusrohres, das er in der Hand hielt, schien gewaltig wie ein Zauberstab, um Klagen und Einwendungen zum Schweigen zu bringen.

»Ich sage Euch, das Fleisch riecht so gut wie ein Blumenstrauß, und was das Brod betrifft, so ist es gut genug und zu gut für ein Pack Faullenzer, die hier liegen, um Abraham zu prellen und der sehr ehrenwerthen Compagnie Lebensmittel zu fressen – ich spreche nicht von denen, die wirklich krank sind, denn Gott weiß, ich bin immer für Menschlichkeit.«

»Ist das der Fall, Herr,« sagte Richard Middlemas, an dessen Lager der Kapitän trat, als er so die leisen und demüthigen Klagen derer beantwortete, an deren Betten er vorbeikam, »wenn das der Fall ist, Herr, so wird Eure Menschlichkeit, wie ich hoffe, Euch bewegen, auf dasjenige, was ich sage, zu achten.«

»Wer zum Teufel seid Ihr?« sagte der Gouverneur, indem er auf ihn sein einziges feuriges Auge wandte, während der Ausdruck des Hohnes in seinen rauhen Zügen lag, die für denselben trefflich geeignet waren.

»Mein Name ist Middlemas, ich komme von Schottland und bin durch irgend ein sonderbares Versehen hieher gesandt worden, ich bin weder gemeiner Soldat, noch krank, oder letzteres nur durch die Hitze dieses verfluchten Platzes.«

»Wohlan denn, Freund, ich habe Euch bloß zu fragen, ob Ihr als Rekrut eingeschrieben seid oder nicht.«

»Ich wurde in Edinburg eingeschrieben, aber« –

»Aber was zum Teufel wollt Ihr denn – Ihr seid eingeschrieben – der Kapitän und der Doctor haben Euch hieher geschickt; die wissen sicherlich am besten, ob Ihr Soldat oder Offizier, krank oder gesund seid.«

»Ich erhielt aber Versprechungen,« sagte Middlemas, »Versprechungen von Tom Hillary« –

»So, Ihr erhieltet Versprechungen? Hier ist Niemand, dem nicht von dem Einen oder dem Andern etwas versprochen wäre, oder der sich nicht vielleicht selbst etwas versprochen hat. Dieß ist das Land der Versprechungen, mein munterer Kerl, aber Ihr wißt sicherlich, daß Indien das Land der Erfüllung derselben sein muß. Somit guten Morgen. Der Doctor wird sogleich seine Runde halten und euch Alle kuriren.«

»Bleibt nur noch einen Augenblick – ich bin beraubt worden.«

»Beraubt! seht einmal an,« sagte der Gouverneur, Jedermann, der hieher kömmt, ist beraubt worden – bei Gott, ich bin der glücklichste Kerl in Europa – andere Leute meines Standes haben nur Diebe und Spitzbuben unter ihrer Aufsicht, in meinen Stall aber kommen nur ehrliche, anständige, unglückliche Herren, die beraubt wurden.«

»Nehmt Euch in Acht, dieß so leicht zu behandeln,« sagte Middlemas, »ich bin um 1000 Pfd. beraubt worden.«

Hier wurde der Ernst von Seelencooper überwältigt, und sein Gelächter fand Widerhall bei mehreren Patienten, entweder weil sie wünschten, sich beim Oberaufseher einzuschmeicheln, oder aus dem Gefühl, welches auf bösartige Menschen Einfluß übt, sich über die Qualen derer zu freuen, die ihr Elend zu theilen genöthigt sind.

»1000 Pfd.!« rief der Kapitän aus, als er wieder zu Athem kam; »Ihr seid ein rechter Gesell, ich liebe keinen Kerl, der ein Knicker ist – in dem ganzen Stall findet sich kein Schlingel, der mehr als ein paar Goldstücke verloren zu haben vorgibt, und hier ist ein Rekrut der ehrenwerthen Compagnie, dem 1000 Pfd. gestohlen sind! Schön gesagt, Herr Tom von 10,000 Pfd. – Ihr macht dem Hause und dem Dienst Ehre, und somit guten Morgen.«

Er ging weiter, und Richard, der im heftigsten Sturm von Zorn und Verzweiflung auffuhr, erkannte, als er ihm nachrufen wollte, daß seine Stimme aus Durst und Aufregung ihm versagte. »Wasser, Wasser,« stöhnte er, indem er einen der Gehülfen Seelencoopers am Aermel packte. Der Kerl sah sich sorglos um; neben den Kartenspielern stand ein Humpen, den er Richard mit den Worten reichte: »Trinkt, und seid verdammt!«

Der Mann hatte nicht sobald den Rücken gedreht, als der Spieler von seinem eigenen Bett in das von Middlemas stürzte, den Arm Richards, ehe er das Geschirr an den Mund bringen konnte, packte und schwur, er solle seine Herzstärkung nicht bekommen. Man kann sich denken, daß der so ängstlich und verzweifelt zurückgeforderte Becher etwas Besseres, als das reine Element enthielt. Ein großer Theil des Getränkes war wirklich Branntwein. Das Geschirr zerbrach bei dem jetzt folgenden Kampfe, und das Getränk wurde verschüttet. Middlemas ertheilte seinem Gegner einen Schlag, welcher in vollem Maße und herzlich zurückgegeben wurde; eine Schlägerei hätte erfolgen müssen, wäre nicht der Oberaufseher mit seinen Gehülfen eingeschritten; Letztere legten jedem der Kämpfenden eine Zwangsjacke mit einer Geschicklichkeit an, welche erwies, daß sie mit solchen Vorkommnissen sehr vertraut waren. Richards Bemühungen, Vorstellungen dagegen einzulegen, trugen ihm nur einen Schlag vom Bambusrohre des Kapitäns Seelencooper und eine zärtliche Ermahnung, sein Maul zu halten, ein, wenn er eine heile Haut zu behalten wünsche.

Durch diese Leiden der Seele und des Körpers gereizt, von wüthendem Durst gefoltert, und vom Bewußtsein seiner furchtbaren Lage gequält, schien Richard Middlemas auf dem Punkte, den Verstand zu verlieren. Er empfand ein wahnsinniges Verlangen, das Stöhnen, Fluchen und Zotenreißen nachzuahmen und zu beantworten, als dasselbe rings um ihn wieder erschallte, sobald der Oberaufseher das Hospital verlassen hatte. Obgleich er gegen den inneren Antrieb anzukämpfen suchte, bemühte er sich mit den Flüchen der Verworfenen und dem Gekreisch der Verrückten zu wetteifern, allein seine Zunge klebte ihm am Gaumen, sein Mund schien durch Asche erstickt; ihn überkam eine Schwäche des Gesichtes, und ein klingender Ton in seinen Ohren; die Vermögen des Lebens schienen einen Augenblick unterbrochen.



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