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Fünftes Kapitel.

Der Freund, welchen Middlemas im Schwanen anzutreffen erwartete, war eine in der Geschichte mit dem Namen Tom Hillary schon erwähnte Person, welche als Schreiber eines Sachwalters in der alten Stadt Novum Castrum (New-Castle) erzogen war – Doctus utriusque juris, soweit ihn einige Monate im Dienste Herrn Lawfords, Stadtschreibers in Middlemas, dazu machen konnten. Zum letzten Mal haben wir diesen Herrn erwähnt, als sein Hut mit goldenen Tressen seinen Glanz vor den mit Bändern eingefaßten Biberhüten der Lehrlinge von Doctor Gray enthüllte. Fünf Jahre waren seitdem vergangen, und in den letzten sechs Monaten war er in Middlemas in einer Rolle aufgetreten, welche von derjenigen, die er bei seiner Abreise spielte, gänzlich verschieden war.

Man nannte ihn jetzt Kapitän; seine Kleidung war eine Uniform, und seine Sprache kriegerischer Art. Er schien viel Geld zu haben, denn er bezahlte nicht allein zur großen Ueberraschung der Betheiligten gewisse alte zurückgelassene Schulden, obgleich er Verjährung hätte in Anspruch nehmen können, wie er aus seiner früheren Praxis wußte, sondern er schickte sogar dem Pfarrer eine Guinee zur Unterstützung der Armen des Kirchspiels. Diese Handlungen der Gerechtigkeit und des Wohlwollens wurden sehr zu Ehren eines jungen Mannes ausposaunt, welcher, ungeachtet seiner langen Abwesenheit, weder seine gerechten Schulden vergessen, noch sein Herz gegen die Noth der Armen verhärtet hatte.

Seine Verdienste wurden um so höher geachtet, da man erfuhr, er habe der sehr ehrenwerthen Ostindischen Gesellschaft gedient – jener wunderbaren Gesellschaft von Kaufleuten, die man mit dem passendsten Ausdruck als Fürsten bezeichnen kann.

Um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts legten die Direktoren in Leadenhall-Street ganz in der Stille den Grund zu jenem ungeheuern Reiche, welches nachher wie eine Flammensäule sich erhob und jetzt Europa und Asien durch seine furchtbare Ausdehnung und seine riesenhafte Macht in Erstaunen setzt. Großbritannien hatte jetzt mit Bewunderung die Berichte von gewonnenen Schlachten und eroberten Städten des Ostens zu vernehmen begonnen, und wurde durch die Heimkehr von Personen überrascht, die ihre Heimath als Abenteurer verlassen hatten, aber jetzt von orientalischem Reichthum und Luxus umgeben wieder erschienen, wodurch sogar der Glanz des reichsten brittischen Adels verdunkelt wurde.

In diesem neugefundenen Eldorado war Hillary ein Arbeiter gewesen, und zwar, wie es schien, mit einigem Erfolg, wenn er die Wahrheit sagte, obgleich er bei Weitem noch nicht die von ihm beabsichtigte Ernte vollständig heimgebracht haben wollte. Er sprach wirklich davon, als wolle er sein Geld anlegen, und fragte, als hege er den augenblicklichen Einfall eines Ankaufes zum bloßen Vergnügen, seinen alten Herrn, den Stadtschreiber Lawford, hinsichtlich des Ankaufs eines sumpfigen Landgutes von 3000 Acres um Rath, wofür er etwa 3 oder 4000 Guineen geben wollte, vorausgesetzt, Wild sei reichlich vorhanden, und der Forellenfang im Bache solcher Art, wie in der öffentlichen Ankündigung erklärt worden sei. Er wünschte jedoch gegenwärtig noch keinen ausgedehnten Landkauf zu machen. Er mußte seinen Einfluß in Leadenhall-Street unterhalten; zu dem Zweck würde es unklug sein, sein indisches Kapital und seine indischen Actien zu veräußern. Kurzum, es sei thöricht, sich mit 1000 oder 1200 Pfund jährlichen Einkommens zurückzuziehen, wenn man sich in der Blüthe des Lebens befinde und an keiner Leberkrankheit leide; somit war er entschlossen, noch einmal das Cap zu umschiffen, bevor er sich an ein ruhiges Kamin zurückziehe. Er wünsche nur einige geschickte Bursche für sein Regiment, oder vielmehr für seine eigene Compagnie mitzunehmen, und da er auf allen seinen Reisen niemals schönere Leute gesehen hatte, als bei Middlemas, so war er Willens, in der Vervollständigung seiner Aushebung denselben den Vorzug zu geben. Dadurch ließen sich wirklich Alle auf einmal zu ganzen Leuten machen, denn ein paar weiße Gesichter verfehlten niemals, die schwarzen Schelme mit Schrecken zu erfüllen; man brauche nicht einmal die guten Dinge zu erwähnen, welche bei der Erstürmung einer Veste oder bei der Plünderung einer Pagode erworben würden; die meisten dieser braungelben Hunde trügen an ihrem Leibe so viele Schätze, daß eine gewonnene Schlacht einer Goldmine für die Sieger gleichkomme.

Die Einwohner von Middlemas horchten auf die Wunder des edlen Kapitäns mit verschiedenem Gefühle, je nachdem ihr Temperament kälter oder lebhafter war. Niemand aber konnte läugnen, daß solche Vorfälle wirklich eingetreten waren; da man nun den Erzähler als einen kecken und dareinschlagenden Burschen kannte, welcher einige Fähigkeiten besitze, und nach der allgemeinen Meinung sich durch Bedenklichkeiten des Gewissens nirgends zurückhalten lasse, so konnte man keinen genügenden Grund angeben, weßhalb Hillary nicht ebenso glücklich als Andere in den Feldzügen gewesen sein sollte, welche Indien, damals von inneren Zwistigkeiten zerrissen, jedem unternehmenden Abenteurer darzubieten schien. Er wurde deßhalb von seinen alten Bekannten in Middlemas eher mit der Achtung, welche seinem angeblichen Reichthum gebührte, als in einer Weise empfangen, welche seinen früheren demüthigen Ansprüchen gemäß war.

Einige angesehene Leute des Dorfes jedoch hielten sich entfernt von ihm. Unter diesen war der Hauptsächlichste der Doctor Gray, ein Feind von Allem, was an Prahlerei streifte, welcher ohnedem die Welt genug kannte, um die allgemeine Regel zu beachten, daß derjenige, welcher viel vom Fechten spricht, selten ein braver Soldat ist, ebensowenig als derjenige, welcher stets den Reichthum im Munde führt, wirklich viel Eigenthum besitzt. Der Stadtschreiber hielt sich auch zurück, ungeachtet seines Verkehrs mit Hillary über dessen beabsichtigten Ankauf. Die Kälte des alten Brodherrn des Kapitäns gegen denselben beruhte, wie Einige glaubten, auf gewissen Umständen hinsichtlich der beiderseitigen früheren Verbindungen; da der Stadtschreiber jedoch niemals davon sprach, welcher Art dieselben waren, so ist es unnöthig, hierüber eine Untersuchung anzustellen.

Richard Middlemas erneute natürlich seinen Umgang mit seinem früheren Kameraden, und hatte aus Hillary's Gespräch jene Begeisterung für Indien erlangt, die wir ihn aussprechen hörten. Es war wirklich unmöglich, daß ein junger Mann ohne Erfahrung in der Welt und von lebhaftem Charakter die glühenden Beschreibungen Hillary's ohne Mitgefühl anhören konnte, welcher, obgleich nur ein Werbe-Kapitän, alle Beredtsamkeit eines Werbe-Sergeanten besaß. Paläste erhoben sich in seiner Beschreibung wie Pilze; Wälder hoher Bäume und duftendes Gesträuch, dem kalten Boden Europa's unbekannt, beherbergten alles jagdbare Wild, vom Königstiger bis zum Schakal. Der Luxus eines Palastes und die besondere orientalische Schönheit der Zaubrerinnen, welche ihre üppigen orientalischen Kuppeln mit Wolken von Weihrauch zum Vergnügen der stolzen englischen Sieger erfüllten, waren nicht weniger anziehend als die Schlachten und Belagerungen, von denen sonst der Kapitän weitläufig redete. Er erwähnte keinen Strom, der nicht über Goldsand rollte, keinen Palast, der denjenigen der Fata Morgana untergeordnet war. Seine Beschreibungen schienen in Düfte getaucht und jede seiner Phrasen von Rosenessenz durchdrungen. Die Unterredungen, in welchen diese Beschreibungen gegeben wurden, endeten oft mit einer Flasche feineren Weines als das Gasthaus zum Schwanen liefern konnte; der Kapitän nämlich, welcher ein Bonvivant war, hatte sich denselben mit einigen anderen Zuthaten der Tafel von Edinburg kommen lassen. Von diesem guten Leben weg war Middlemas verurtheilt, sich zur Hausmannskost seines Herrn zurückzuziehen, wo alle einfachen Schönheiten Menie's nicht seinen Widerwillen gegen die grobe Kost, oder sein Widerstreben überwinden konnten, die Fragen über die Krankheiten der armen Bauern zu beantworten, die seiner Aufsicht zugewiesen waren.

Richard's Hoffnungen, von seinem Vater anerkannt zu werden, waren schon lange verschwunden, und die rauhe Zurückweisung, sowie die spätere Vernachlässigung von Seiten Monçada's, hatten bei ihm die Ueberzeugung erweckt, sein Großvater sei unerbittlich, und er werde weder jetzt, noch zu einer zukünftigen Zeit die Traumgesichte verwirklichen können, zu welchen die Erdichtungen seiner Kindsmagd ihn ermuthigt hatten. Sein Ehrgeiz war jedoch noch nicht schlafen gegangen, obgleich er nicht länger von den Hoffnungen, die ihn zuerst erweckt hatten, genährt wurde. Die verschwenderische Beredtsamkeit des indischen Kapitäns gab ihm jetzt den Stoff, welcher zuerst aus den Mährchen der Kinderstube hergenommen war; die Thaten eines Lawrence und Clive, sowie die prächtigen Gelegenheiten, Reichthum zu erwerben, wozu diese Waffenthaten den Weg bahnten, störten den Schlummer des jungen Abenteurers. Diesem wirkte nichts entgegen als seine Liebe zu Menie Gray und die Verpflichtungen, die er dadurch eingegangen war. Er hatte jedoch seine Huldigungen an Menie ebensowohl zur Befriedigung seiner Eitelkeit, als aus entschiedener Leidenschaft zu dieser arglosen und unschuldigen Person gerichtet. Er wünschte den Preis davon zu tragen, um welchen Hartley, den er niemals leiden konnte, mit ihm zu kämpfen den Muth hatte. Ferner war Menie Grey von Leuten, welche ihm an Rang und Vermögen überlegen waren, mit Bewunderung betrachtet worden; sein Ehrgeiz reizte ihn, auch diesen den Preis des Wettstreits streitig zu machen. Ohne Zweifel machte die Offenheit und Bescheidenheit, womit seine Bewerbung angenommen wurde, einen natürlichen Eindruck auf sein Herz, obgleich er eher aus Eitelkeit, als aus anderen Beweggründen die Rolle eines Galans zuerst übernommen hatte. Er war dankbar gegen das schöne Geschöpf, welches die Ueberlegenheit seiner Person und seiner Talente anerkannte, und bildete sich ein, er selbst habe zu ihr soviel innige Anhänglichkeit, als ihre persönlichen Reize und geistigen Verdienste bei irgend Jemanden erwecken konnten, welcher weniger eitel oder selbstsüchtig als ihr Liebhaber war. Seine Leidenschaft für die Tochter des Wundarztes durfte jedoch, wie er klugerweise sich entschloß, nicht mehr als einen gebührenden Einfluß in einem so wichtigen Fall, wie die Bestimmung seiner Laufbahn, üben; diese Absicht machte er seinem Gewissen dadurch annehmbar, daß er sich selbst wiederholte, Menie's Interesse sei an der Verschiebung ihrer Vermählung bis zur Begründung seines Glückes ebenso wesentlich betheiligt, als sein eigenes. Wie viel junge Ehepaare wurden schon durch eine voreilige Verheirathung zu Grunde gerichtet! Die Verachtung, welche Hartley bei der letzten Unterredung seinem Kameraden erwies, hatte dessen Vertrauen in die Wahrheit dieser Art Schlußfolgerungen etwas erschüttert und bei ihm den Argwohn erweckt, daß er eine sehr schmutzige und unmännliche Rolle spiele, wenn er das Schicksal dieser liebenswürdigen und unglücklichen Dame als unbedeutende Nebensache behandle. In dieser zweifelhaften Stimmung begab er sich zum Schwanen, wo ihn sein Freund, der Kapitän, ängstlich erwartete.

Als sie behaglich bei einer Flasche spanischen Weins saßen, begann Middlemas mit charakteristischer Vorsicht seinen Freund über die Leichtigkeit oder Schwierigkeit auszufragen, womit Jemand, welcher in die Dienste der Compagnie treten wolle, Gelegenheit eine Offiziersstelle zu erlangen erhalten könne. Hätte Hillary der Wahrheit gemäß geantwortet, so würde er erwidert haben, dieß sei außerordentlich leicht, denn zu jener Zeit bot der Dienst der ostindischen Compagnie noch keinen Reiz den höheren Ständen, welche seitdem die Zulassung unter ihre Fahnen eifrig erstrebt haben; der würdige Kapitän erwiderte jedoch, es sei zwar im Allgemeinen schwierig für einen jungen Mann, eine Offiziersstelle zu erlangen, ohne vorher einige Jahre als Kadett gedient zu haben, unter seinem Schutze könne jedoch ein solcher, welcher in sein Regiment trete und sich für eine solche Stelle eigne, auf die Erhaltung eines Patentes als Unterlieutenant, wo nicht als Oberlieutenant sich verlassen, sobald er den Fuß auf indischen Boden gesetzt haben würde. »Wenn Ihr, mein theurer Freund,« fuhr er fort, indem er Middlemas die Hand reichte, »die Absicht hegt, Hammelsbrühe und zerhacktes Hammelsfleisch mit feinen gewürzten Suppen und Pasteten zu vertauschen, so kann ich nur sagen, daß Ihr zwar zuerst als bloßer Kadett Dienst nehmen müßt, daß Ihr aber, beim Teufel, auf der Ueberfahrt mit mir wie ein Bruder leben sollt; sobald wir durch die Brandung von Madras hindurchgekommen sind, werde ich Euch auf den richtigen Weg bringen, um sowohl Reichthum als Ruhm zu erwerben. Ihr habt, wie ich glaube, einige Kleinigkeit an Geld, ein paar Tausend oder so etwas?«

»Ungefähr 1000 oder 1200 Pfd.,« sagte Richard, indem er die Gleichgültigkeit seines Gefährten affectirte, im Geheimen sich aber des kärglichen Betrags seiner Hülfsmittel schämte.

»Dieß ist soviel, als Ihr für Ausrüstung und Ueberfahrt braucht,« sagte sein Rathgeber; »und wirklich, wenn Ihr keinen Heller besäßet, so wäre das ganz einerlei; wenn ich nämlich einmal einem Freunde sage, ich will Euch helfen, so ist Tom Hillary nicht der Mann, der aus Furcht vor Geld wieder zurückstehet; es ist jedoch gut, daß Ihr etwas Kapital besitzt, um damit den Anfang zu machen.«

»Ja,« erwiderte der Proselyte, »ich mag Niemand zur Last fallen. Um Euch die Wahrheit zu sagen, so gehe ich damit um, mich vor der Abreise aus Großbritannien zu verheirathen; in dem Fall, wie Ihr wißt, ist Geld nothwendig, mag meine Frau mit mir gehen oder zurückbleiben, bis sie vernimmt, wie es mit meinem Glücke geht. Sonach würde ich denn von Euch noch einige 100 Pfd. borgen müssen.«

»Was zum Teufel sagt Ihr, Richard, über Heirathen?« erwiderte sein Freund. »Wie kann ein hübscher, junger Kerl, wie Ihr, von 21 Jahren, der 6 Fuß von seinen Strumpfsohlen an mißt, es sich einfallen lassen, sich zum Sclaven auf Lebenszeit zu machen? Nein, nein, das geht nicht. Gedenkt des alten Liedes:

Herr Junggesell, Herr Junggesell,
Ihr braucht kein Weib von zartem Fell.«

»Das klingt sehr gut,« antwortete Middlemas, »alsdann muß man aber alte Erinnerungen abschütteln.«

»Je eher, je besser; alte Erinnerungen sind wie alte Kleider, und müssen alle auf einmal verkauft und fortgeschafft werden; sie nehmen einen Platz in der Garderobe ein und sind zu altmodisch, als daß man sie selbst tragen sollte. Aber Ihr seht ja ernsthaft aus. Wer hat zum Teufel die Bresche in Eurem Herzen gemacht?«

»Bah,« erwiderte Middlemas; »Ihr werdet Euch gewiß erinnern – an Menie, die Tochter meines Lehrherrn?«

»Was, Miß Green, die Tochter des alten Salbentopfkrämers?«

»Mein Lehrherr ist ein Arzt und kein Apotheker, und sein Name ist Gray.«

»Ja, ja, Green oder Gray – was hat das zu bedeuten? er verkauft ja, wie ich glaube, seine eigenen Arzneien, nun das nennen wir in England einen Salbentopfkrämer. Das Mädchen ist annehmbar genug für einen schottischen Ballsaal. Ist sie aber zu etwas zu gebrauchen? Hat sie eine feine Nase?«

»Nun, sie ist ein verständiges Mädchen, mit Ausnahme des Umstandes, daß sie mich liebt,« erwiderte Richard, »und das ist, wie Benedikt sagt, kein Beweis für ihre Weisheit, und kein großer Beweisgrund für ihre Thorheit.«

»Hat sie aber Muth – Feuer – Angriff – den Teufel im Leib?«

»Nicht im Geringsten; sie ist das sanfteste, einfachste und lenksamste aller menschlichen Wesen,« erwiderte der Liebhaber.

»Alsdann taugt sie nichts,« sagte sein Ermahner in entscheidendem Tone. »Es thut mir leid, Richard, alsdann ist sie nicht zu brauchen. Es gibt Weiber in der Welt, die ihre Rolle in dem geräuschvollen Leben, das wir in Indien führen, spielen können – ich habe einige von ihnen gekannt, welche ihre Gatten vorwärts schleppten, die sonst im Dreck bis zum jüngsten Tage hätten stecken müssen. Der Himmel weiß, wie sie das Chausseegeld für die Straßen bezahlten, auf welchen sie ihre Herren Gatten mit Stößen durchbrachten! allein diese waren keine einfältigen Susannen, welche glauben, daß ihre Augen für nichts gut sind, als um ihre Gatten anzublicken, oder daß ihre Finger nur zum Flicken der Kindswäsche taugen. Verlaßt Euch darauf, Ihr müßt Eure Ehe, oder Eure Aussichten aufgeben. Wenn Ihr freiwillig einen Klotz an Euren Hals hängt, so dürft Ihr nicht daran denken, einen Wettlauf zu halten; glaubt aber nicht, daß Euer Bruch mit dem Mädchen eine erschreckliche Katastrophe herbeiführt. Beim Scheiden gibt es vielleicht einen Auftritt; Ihr werdet sie jedoch bald unter den indischen Mädchen vergessen, und sie wird sich in den Vikar und Nachfolger des Pfarrers verlieben. Sie ist keine Waare für den indischen Markt, die Versicherung kann ich Euch geben.«

Unter den launenhaften Schwächen der Menschen ist diejenige besonders auffallend, welche uns geneigt macht, Personen und Dinge nicht nach ihrem wirklichen Werthe oder sogar nach unserem eigenen Urtheil so sehr, als nach der Meinung Anderer zu schätzen, welche oft sehr unfähige Richter sind.

Richard Middlemas war bei seiner Bewerbung um Menie Gray durch die Beobachtung angetrieben worden, daß ihr Tänzer, ein einfältiger Landjunker, von ihr entzückt war; sie sank jetzt in seiner Achtung, weil ein unverschämter und gemeiner Geck von ihr mit Herabsetzung zu reden sich herausnahm. Ein jeder dieser zwei würdigen Herren wäre ebensowenig fähig gewesen, die Schönheiten Homers zu genießen, als über das Verdienst der Menie Gray zu urtheilen.

Das Uebergewicht, welches dieser prahlende und vielversprechende Soldat über Richard Middlemas erlangt hatte, war despotischer Art, so eigensinnig Letzterer auch sein mochte; weil der Kapitän, obgleich in Kenntniß und Talent dem jungen Manne, dessen Meinungen er beherrschte, durchaus untergeordnet, die Gewandtheit besaß, die verführerischen Aussichten von Rang und Reichthum ihm vorzuhalten, denen Richards Einbildungskraft von Kindheit an am meisten zugänglich gewesen war. Ein Versprechen nahm er nur Middlemas als Bedingung der Dienste ab, welche er ihm leisten würde. Dieß war unbedingtes Schweigen über die Bestimmung nach Indien, und die Absichten, weßhalb Richard sich dafür entschieden hatte. »Meine Rekruten,« sagte der Kapitän, »sind sämmtlich nach dem Depot auf der Insel Whigt abmarschirt; ich muß Schottland, und besonders diesen kleinen Flecken, verlassen, ohne zu Tode gehetzt zu werden. Daran müßte ich verzweifeln, wenn es bekannt würde, daß ich junge Greife, wie wir sie nennen, mit Offiziersstellen versehen kann. Bei Gott, ich würde alle Erstgebornen von Middlemas als Cadetten fortführen sollen, und Niemand ist so bedenklich in Ertheilung von Versprechen als ich. Darin bin ich so zuverlässig als ein Trojaner, und Ihr könnt Euch denken, daß ich nicht für Jedermann dasjenige zu thun vermag, was ich für einen alten Freund, wie Richard Middlemas, thun werde.«

Richard versprach Geheimhaltung, und die beiden Freunde trafen sogar die Verabredung, den Flecken nicht einmal in Gesellschaft zu verlassen; der Kapitän solle zuerst abreisen und sein Freund in Edinburg sich ihm anschließen, wo seine Anwerbung geschehen werde; alsdann wollten sie Beide nach London reisen und die Angelegenheiten für die Ueberfahrt nach Indien in Ordnung bringen.

Ungeachtet dieses bestimmten Uebereinkommens hinsichtlich der Abreise, dachte Middlemas von Zeit zu Zeit mit Kummer und Angst an die Trennung von Menie Gray, der Verabredung gemäß, die Beide getroffen hatten. Der Entschluß war jedoch gefaßt; der Schlag mußte geführt werden und ihr undankbarer Liebhaber, welcher sich längst gegen ein Leben häuslichen Glückes entschieden hatte, welches er hätte genießen können, im Fall seine Denkungsweise eine bessere Richtung erlangt hätte, beschäftigte sich jetzt mit den Mitteln, nicht mit ihr gänzlich zu brechen, sondern alle Gedanken ihrer Bereinigung bis zum Erfolge seiner Expedition nach Indien zu verschieben.

Er hätte sich alle Besorgnisse über letzteren Gegenstand ersparen können. Der Reichthum von ganz Indien hätte niemals Menie Gray verleiten können, das Haus ihres Vaters dem Befehle desselben entgegen zu verlassen; dieß war jetzt um so weniger möglich, da der alte Mann, seiner zwei Hülfsärzte beraubt, am Abend seines Lebens zu fortgesetzter Thätigkeit genöthigt war, und sich für gänzlich verlassen halten mußte, wenn sich auch seine Tochter zu derselben Zeit von ihm getrennt hätte. Obgleich sie jedoch den unwandelbaren Entschluß hätte fassen können, keinen Vorschlag einer unmittelbaren Verbindung mit Richard einzugehen, so vermogte sie sich doch, ungeachtet des Selbstbetruges der Liebe, nicht dahin zu überwinden, daß sie mit Richards Betragen gegen sie zufrieden gewesen wäre. Bescheidenheit und geziemender Stolz verhinderte, daß sie den Umstand zu beachten schien, ihr Liebhaber ziehe den Bestrebungen des Ehrgeizes das demüthige Loos vor, welches er mit ihr theilen konnte, und welches wenigstens Zufriedenheit, wenn auch keinen Reichthum verhieß; allein sie konnte ein Gefühl nicht unterdrücken, womit sie dieß Verfahren ihres Liebhabers bitter empfand.

»Wenn er mich liebte, wie er vorgab (solcher Art war die Ueberzeugung, die sich wider ihren Willen ihr aufdrängte), so würde mein Vater sicherlich ihm zuletzt nicht dieselben Bedingungen verweigert haben, die er Hartley anbot; seine Einwürfe würden der Rücksicht auf mein Glück und sogar den Bitten Richards gewichen sein, die seinen Argwohn über die ungewisse Richtung seines Charakters hätten entfernen müssen. Ich besorge jedoch, Richard würde kaum geglaubt haben, daß die ihm vorgeschlagenen Bedingungen seiner Annahme würdig wären. Wäre es nicht natürlich gewesen, daß er mich, da wir einander verlobt sind, um die Vermählung vor seiner Abreise aus Europa gebeten hätte? Alsdann hätte ich bei meinem Vater bleiben oder ihn nach Indien begleiten können, um jenes Glück zu suchen, welches er so eifrig verfolgen will. Ich würde unrecht gehandelt haben – sehr unrecht – wenn ich zu einem solchen Vorschlag meine Einwilligung gegeben hätte, im Fall nicht mein Vater mir die Erlaubniß ertheilte, allein sicherlich wäre es doch natürlich gewesen, daß Richard mir einen solchen Antrag machte. Ach, die Männer wissen nicht, wie Frauen, zu lieben. Ihre Anhänglichkeit ist nur Eine von tausend Leidenschaften und Neigungen – sie lassen sich täglich in Vergnügungen, die ihr Gefühl abstumpfen, und in Geschäfte ein, wodurch sie sich zerstreuen; wir sitzen zu Haus, um zu weinen und zu bedenken, wie kalt unsere Neigung erwidert wird!«

Die Zeit war jetzt gekommen, wo Richard Middlemas ein Recht besaß, das Eigenthum zu verlangen, welches dem Stadtschreiber und Doctor Gray als seinen Vormündern zur Verwaltung übertragen war. Er verlangte dessen Einhändigung und erhielt somit auch die Summe. Sein Pflegvater erkundigte sich natürlich nach den Absichten, die er jetzt beim Beginn seiner Laufbahn hege. Die Einbildungskraft des ehrgeizigen Träumers sah in dieser einfachen Frage einen Wunsch von Seiten des würdigen Mannes, ihm dasselbe Anerbieten, das er Hartley gemacht hatte, anzutragen oder vielleicht aufzudrängen. Er gab deßhalb die trockene Antwort, daß ihm einige Hoffnungen dargeboten seien, die er nicht mittheilen dürfe; sobald er aber London erreiche, werde er seinem Pflegvater schreiben, und ihn mit seinen Aussichten bekannt machen, hinsichtlich derer er mit Vergnügen sagen könne, daß sie sehr angenehmer Art seien.

Gideon vermuthete, daß der Vater oder Großvater des jungen Mannes bei dieser entscheidenden Periode seines Lebens vielleicht die Neigung gezeigt hätten, einigen Verkehr mit demselben zu eröffnen. Er erwiderte deßhalb: »Richard, Ihr seid das Kind des Geheimnisses; wie Ihr zu mir kommt, so verlaßt Ihr mich; ich wußte nicht woher Ihr kommt, und jetzt weiß ich nicht, wohin Ihr geht. Vielleicht ist es nicht ein sehr günstiger Umstand Eures Schicksals, daß Alles, was sich auf Euch bezieht, ein Geheimniß bleibt. Da ich aber stets mit Freundlichkeit an denjenigen denken werde, den ich so lange Zeit kannte, so müßt auch Ihr nicht vergessen, wenn Ihr Euch an den alten Mann erinnert, daß er gegen Euch seine Pflicht erfüllte, so weit seine Mittel und seine Macht reichten, und daß er Euch jenen edlen Beruf lehrte, durch welchen Ihr, wie immer Euer Loos ausfallen mag, Euer Brod erwerben, und zugleich das Elend Eurer Mitgeschöpfe lindern könnt.« Middlemas wurde durch die einfache Güte seines Herrn gerührt, und sprach seinen Dank mit um so größerer Lebhaftigkeit aus, da er vom Schrecken eines sinnbildlichen Halsbandes und einer Kette befreit war, die einen Augenblick zuvor in der Hand seines Pflegvaters zu glänzen und geöffnet zu sein schienen, um seinen Hals zu umschließen.

»Noch ein Wort,« sagte Herr Gray, indem er ein kleines Juwelenkästchen hervorzog. »Dieser werthvolle Ring wurde mir von Eurer unglücklichen Mutter aufgedrungen; ich besitze darauf kein Recht, denn mir wurden meine Dienste reichlich bezahlt; ich nahm ihn nur in der Absicht an, ihn für Euch zu bewahren, bis der Augenblick kommen würde. Er ist Euch vielleicht von Nutzen, wenn eine Frage hinsichtlich Eurer Persönlichkeit vorkommen sollte«

»Ich danke Euch noch einmal, der Ihr mir mehr als ein Vater waret, daß Ihr mir diese kostbare Reliquie übergebt, welche mir vielleicht wirklich von großem Nutzen ist. Es soll Euch vergolten werden, wenn es noch Diamanten in Indien gibt.«

»Indien und Diamanten!« rief Gray aus; »Kind, ist dir der Kopf verdreht?«

»Ich wollte sagen,« stammelte Middlemas, »wenn es in London noch indische Diamanten gibt.«

»Bah! alberner Bursch!« erwiderte Gray, »wie könnt Ihr Diamanten kaufen, oder was kann ich damit anfangen, wenn Ihr mir noch so viel schenktet? Geht fort, so lange ich ärgerlich bin.« – Die Thränen glänzten in den Augen des alten Mannes – »wenn ich wieder mit Euch zufrieden wäre, so würde ich nicht wissen, wie ich von Euch scheiden sollte.«

Der Abschied, den Middlemas von der armen Menie nahm, war noch rührender. Ihr Kummer rief in seiner Seele wieder die Lebhaftigkeit der ersten Liebe hervor; er befreite seinen Charakter vom Vorwurfe einer unaufrichtigen Anhänglichkeit, indem er nicht allein um augenblickliche Verheirathung flehte, sondern sogar so weit ging, den Vorschlag zu machen, daß er auf seine glänzenderen Aussichten verzichten und Herrn Gray's demüthigen Beruf theilen wolle, wenn er dadurch die Hand seiner Tochter sich erwerbe. Obgleich aber Menie Gray durch dieß Zeugniß von der Treue ihres Liebhabers getröstet wurde, war sie nicht so unklug, ein Opfer anzunehmen, das er nachher hätte bereuen können.

»Nein, Richard,« sagte sie, »es nimmt selten ein glückliches Ende, wenn man, im Augenblick erregter Gefühle, Pläne ändert, welche mit reiflicher Ueberlegung gefaßt wurden. Ich habe lange bemerkt, daß Eure Absichten weit über eine so demüthige Stellung hinaus gingen, als dieser Ort sie Euch verheißt. Geht also fort, um Reichthum und Rang zu suchen, vielleicht ändert sich Euer Herz bei der Verfolgung dieses Zieles. In diesem Fall denkt nicht mehr an Menie Gray. Wenn es aber anders ist, so können wir uns wieder sehen und glaubt, daß Menie Gray's Gefühle gegen Euch sich keinen Augenblick verändern werden.«

Bei dieser Unterredung wurde mehr gesagt, als hier zu wiederholen nothwendig ist, und noch mehr gedacht, als wirklich gesagt.

Die Kindsmagd Jamieson, in deren Zimmer sie stattfand, umschloß ihre Kinder, wie sie dieselben nannte, mit ihren Armen und erklärte, der Himmel habe sie für einander geschaffen; sie wolle den Himmel bitten, nur so lange zu leben, bis sie Beide als Bräutigam und Braut gesehen habe.

Zuletzt mußte die Trennungsscene enden; Richard Middlemas bestieg ein Pferd, welches er für die Reise gemiethet hatte, und schlug die Straße nach Edinburg ein, wohin schon sein Gepäck voraus geschickt war. Unterweges kam ihm öfter als Einmal der Gedanke in den Sinn, er thue besser nach Middlemas zurückzukehren und sein Glück dadurch zu sichern, daß er sich mit Menie Gray vereine und mit seinem bescheidenen Einkommen zufrieden sei. Vom Augenblicke an, daß er sich seinem Freunde Hillary am festgesetzten Platze der Zusammenkunft anschloß, schämte er sich jedoch sogar nur einen Wink von der Veränderung seiner Absichten zu geben; seine kürzliche Gefühlsaufregung wurde vergessen, nachdem sie ihn in seinem Entschlusse bestärkt hatte, er werde Reichthum und Stellung in der Gesellschaft mit Menie Gray theilen, sobald er diese Güter erworben habe. Es schien jedoch seine Dankbarkeit gegen ihren Vater nicht eingeschlafen zu sein, darf man nach dem Geschenke eines hübschen Petschaftes mit einem Karneol schließen, welcher in Gold gefaßt, einen springenden Löwen in goldenem Felde eingegraben enthielt und mit einem geeigneten Briefe nach Stevenlaw's Land, Middlemas, sorgfältig abgeschickt wurde. Menie kannte die Handschrift und überwachte die Züge ihres Vaters, als derselbe den Brief las, vielleicht in der Meinung, daß der letztere über einen verschiedenen Gegenstand handle. Ihr Vater stieß manches Bah! aus, als er das Schreiben gelesen hatte; dann betrachtete er das Petschaft und sagte:

»Richard Middlemas ist und bleibt ein Narr, Menie; ich werde ihn sicherlich nicht vergessen, so daß er mir kein Andenken zu schicken brauchte; wollte er aber so abgeschmackt sein, so hätte er mir den verbesserten Apparat für den Steinschnitt schicken können. Was habe ich, Gideon Gray, mit dem Wappen des Lord Gray zu schaffen? Nein, Menie – mein altes silbernes Siegel mit dem doppelten G. ist genug für mich – bewahre aber das nette Spielzeug, Menie, meine Liebe – er hat es jedenfalls gut gemeint« – Der Leser kann sich vorstellen, daß jenes Petschaft sorgfältig aufbewahrt wurde.



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