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Drittes Kapitel.
Herr Croftangry besucht wieder Glentanner.

Sing' doch von Postkutschen,
Und willst du mit rutschen,
Sei dir's nicht verwehrt:
Laß Stoßen und Prallen
Dir täglich gefallen,
Mit Pfeifen und Knallen
Der Kutscher dich führt.

Farquhar.

Vermummt in einen grauen Ueberrock, welcher seine Feldzüge mitgemacht hatte, mit einem weißen Biberhut auf dem Kopfe und einem derben spanischen Rohre in der Hand, saß ich in der nächsten Woche auf dem Deckel der Postkutsche, die westwärts fuhr.

Ich fahre gerne in Postkutschen, sie sind mir aber auch widerlich. Ich fahre gern in denselben wegen ihrer Bequemlichkeit, ich verabscheue sie aber auch, weil sie die ganze Welt zur Pilgerschaft verleiten, anstatt daß die Leute ruhig zu Hause sitzen, ihr Geschäft betreiben, und den Stempel der Originalität des Charakters bewahren sollten, welchen Natur oder Erziehung ihnen ertheilt hat; die Leute fahren fort, indem sie gegeneinander in dem rasselnden Wagen so lange gestoßen werden, bis sie nicht mehr Mannigfaltigkeit des Stempels, wie glatte durch den Verkehr abgeschliffene Schillinge, zeigen – sie sitzen dort alle in ihren Reisemützen und langen Ueberröcken, mit eben so wenig besonderer Persönlichkeit, wie ein Theilhaber der Gesellschaft, welche die Kutscherverbindung auf Actien übernommen hat.

»Würdiger Herr Piper, trefflichster Mann unter Allen, welche kontraktmäßig jemals vier magere Mähren für den öffentlichen Gebrauch hergaben, ich segne Euch, so oft ich selbst eine Reise antrete; die niedlichen Kutschen, die Ihr kontraktmäßig geliefert habt, machen den Verkehr von Johnny Groat's House nach Ladykirk und Cornhill Bridge sicher, angenehm und wohlfeil. Allein Herr Piper, ist es Euch, da Ihr doch ein sehr scharfsinniger Rechner seid, niemals in den Sinn gekommen, zu berechnen, wie viel Dummköpfe, welche in aller Ruhe gelassen, eine oder zwei Ideen jährlich erzeugen könnten, durch das Hin- und Herschütteln in Euren fliegenden Karossen vollkommen ausgeleert werden? wie viel anständige Landleute, als dünkelhafte Tölpel nach einem Mittagessen in der Hauptstadt, bei Gelegenheit einer Preisvertheilung für Rindviehzucht, bei welcher sie sonst ohne Eure Verkehrsmittel nicht hätten gegenwärtig sein können, nach Hause kehren? Wie viele anständige Landpfarrer zu Kritikern und Krittlern werden, wenn sie den neuesten Geschmack aus Edinburg mit zu Hause bringen? Wie könnt Ihr es eines Tages vor Eurem Gewissen verantworten, daß Ihr so viele hübsche Mädchen in die Hauptstadt bringt, um ihre Bescheidenheit gegen Dünkel und Leichtsinn auf dem dortigen Markte der Eitelkeit auszutauschen?«

»Bedenkt auch, auf welchen niedrigen Grad Ihr den menschlichen Verstand herabsetzt. Ich glaube nicht, daß Eure stehenden Kunden einen Ideenkreis von größerer Weite, als Eure Postpferde haben. Sie kennen den Weg wie der englische Postillion und wissen nichts außerdem. Ihre Zeitrechnung ist wie die der Fuhrleute bei Gadshill in Sheakspeare's Heinrich IV., d. h. sie datirt sich vom Tode des Stallknechtes Hans. Die Aufeinanderfolge von Conducteuren ist in ihren Augen eine Dynastie; Kutscher sind ihre Staatsminister, und das Umwerfen einer Kutsche ein wichtigerer Vorfall als ein Ministerwechsel. Ihr einiges Interesse unterweges betrifft die Zeitersparniß und die genaue Nachrechnung, daß der Kutscher die Stunde einhält. Dieß ist sicherlich eine elende Entwürdigung des menschlichen Geistes. Befolgt meinen Rath, mein guter Herr, und trefft die uneigennützige Einrichtung, daß Euer geschicktester Kutscher ein- oder zweimal vierteljährlich eine Kutsche mit diesen überflüssigen Reisenden umwirft, und zwar zum Schrecken derjenigen, welche wie Horaz sagt: am Staube Entzücken finden, den ihre Räder erheben.«

Die stehende Figur eines Postkutschenpassagiers wird ohnedem auf abscheuliche Weise selbstsüchtig; er entwirft erfolgreiche Pläne um den besten Platz, das frischeste Ei, das vorzüglichste Stück des Rinderbratens zu erhalten. Die Reiseart ist der Tod aller Höflichkeiten und Rücksichten der Artigkeit im Leben; sie führt sogar zur Demoralisirung des Charakters und zum Rückschritt in die Barbarei. Ihr gestattet uns ausgezeichnete Mittagessen, aber nur zwanzig Minuten, um sie zu verzehren; was ist die Folge?

Die blöde Schönheit sitzt bei uns auf einer Seite, die furchtsame Kindheit auf der andern; das achtbare aber etwas schwache Alter hat uns gegenüber einen Platz eingenommen; alle diese verlangen die Handlungen der Höflichkeit, welche jeden Stand an der Tafel des Mittagmahles gleichstellen. Haben wir auch Zeit – wir, die Starken und Thätigen in der Gesellschaft – die Pflichten der Tafel den mehr sich Zurückhaltenden und den Blöderen zu erweisen, gegen welche wir zu diesen kleinen Aufmerksamkeiten verpflichtet sind? Der Dame müßte man zum Huhne, dem alten Herrn zum mürben Stück Rinderbraten, dem Kinde zum Kuchen verhelfen. Allein keinen Bruchtheil einer Minute können wir Jemand sonst, als uns selbst widmen; des Conducteurs unharmonisches Blasen auf der Trompete beruft uns wieder zur Postkutsche, während der schwächere Theil, ohne zu Mittag gegessen zu haben, sich von der Tafel erhebt, und der Kräftige und Thätige mit Unverdaulichkeit bedroht ist, weil er die Lebensmittel wie ein Tölpel aus Leicestershire verschlungen hat, welcher einen Schinken in Sicherheit zu bringen sich bemüht. Bei der bemerkenswerthen Gelegenheit, von der ich rede, verlor ich mein Frühstück, bloß weil ich den Befehlen einer achtbar aussehenden alten Dame gehorchte, welche mich einmal bat die Schelle zu ziehen, und ein anderesmal ihr den Theekessel einzuhändigen. Ich habe einige Ursache zum Glauben, daß sie ein alter Kunde der Postkutsche war, welche über meine Gefälligkeit in's Fäustchen lachte; deßhalb schwur ich insgeheim Rache ihrem Geschlechte und allen reisenden Damen, jeden Alters und Standes, denen ich in Zukunft auf meinen Reisen begegnen würde-

Ich hege dabei nicht die geringste Bosheit gegen meinen Freund, den Unternehmer der Postkutschen, welcher nach meiner Meinung, so nahe wie sonst Niemand der Erfüllung des bescheidenen Wunsches von Amatus und Amata gekommen ist, wie ihn der berühmte Martinus Scriblerus in Swift's Bathous ausspricht:

Ihr Götter, ach, vernichtet Zeit und Raum,
Den Liebenden ein ewig Glück zu schaffen!

Ich beabsichtige Herrn P. vollkommene Genugthuung zu geben, wenn ich auf die noch neuere Ungeheuerlichkeit der Dampfboote komme, mittlerweile sage ich euren beiden Transportweisen:

Man kann mit ihnen nicht und ohne sie nicht leben.

Ich bin bei dieser Gelegenheit vielleicht krittlicher auf die Postkutschen, weil mir von der ehrenwerthen Gesellschaft in Sr. Majestät Fuhrwerk nicht alle die Achtung erwiesen wurde, worauf ich Anspruch machen zu können glaube. Ich muß für mich selbst sprechen, indem ich behaupte, daß ich wenigstens nach meiner Meinung kein gemeines Aussehen habe. Mein Gesicht hat Feldzüge mitgemacht, hat aber noch eine Anzahl guter Zähne, eine Adlernase und ein schnelles blaues, nur etwas zu tief unter den Augenbrauen befindliches Auge; ein Zopf nach der alten militärischen Mode, erweist, daß meine bürgerlichen Geschäfte mit denen des Krieges bisweilen gemischt waren. Nichtsdestoweniger fanden zwei rüstige junge Leute im Wagen oder vielmehr auf dem Deckel desselben zu viel Vergnügen an der Bedächtigkeit, womit ich den erhabenen Platz bestieg, so daß ich beinahe glaubte, ich hätte sie ein wenig schütteln müssen; auch befand ich mich in schlechter Laune bei einem nicht unterdrückten Gelächter, als ich abstieg und an einem Winkel mich niederließ, wo ein Kreuzweg der Hauptstraße mich nach Glentanner führte, wovon ich nur noch fünf Meilen entfernt war.

Es war eine altmodische Straße, welche Ansteigungen den Schluchten vorzog, und in gerader Linie über eine Höhe und eine Absenkung durch Sumpf und Thal führte. Jeder Gegenstand meiner Umgebung erinnerte mich, als ich vorbeikam, an vergangene Zeiten und bot zugleich mit denselben einen möglichst starken Gegensatz; unbegleitet, zu Fuß mit einem kleinen Bündel in der Hand, war ich kaum für eine genügend gute Gesellschaft von den zwei schäbigen Gentlemen gehalten worden, mit denen ich mich vor Kurzem auf dem Deckel der Postkutsche niedergelassen hatte; so schien ich nicht mehr dieselbe Person mit dem jungen Verschwender zu sein, der einst mit den Edelleuten höchsten Standes und den muntersten Herren des Landes vor dreißig Jahren gelebt hatte, welcher damals nur auf einem Pferde ritt, das ein Silbergeschirr im Wettrennen gewonnen hatte, oder sich behaglich in einem vierspännigen Reisewagen dehnte. Meine Empfindungen waren nicht weniger verändert als mein Zustand. Ich konnte mich noch sehr wohl erinnern, daß mein vorherrschendes Gefühl in den Tagen heißer Jugend, in dem bloßen Eifer eines Schulknaben bestand, so weit wie möglich in dem begonnenen Rennen zu kommen; so viele Flaschen wie A zu trinken; für einen so guten Pferdekenner wie B zu gelten; eine Jacke vom trefflichen Schnitte C's zu tragen u. s. w. Dieß waren deine Götter, o Israel! Jetzt war ich ein bloßer Zuschauer, selten ein unbewegter und bisweilen ein zorniger Zuschauer, allein immer doch nur ein Zuschauer bei dem Treiben der Menschen. Ich wußte wohl, wie wenig meine Meinung von denjenigen geschätzt wurde, die sich in dem geschäftigen Tumult umtrieben, übte sie jedoch mit der Verschwendung eines alten Rechtsgelehrten, der sich von der Praxis zurückgezogen hat, sich um die Angelegenheiten seiner Nachbarn bekümmert und Rath ertheilt, wo man denselben nicht braucht, und Alles dieß nur unter dem Vorwande, daß er noch gern das Klatschen der Peitsche hört.

Unter diesen Gedanken kam ich zum Gipfel eines Hügels, von welchem ich Glentanner zu sehen erwartete – ein bescheiden aber bequem aussehendes Haus, die Mauern von den ergiebigsten Fruchtbäumen des Landes bedeckt, und vor den stürmischen Regionen des Horizontes durch einen dichten und alten Wald geschützt, welcher den benachbarten Hügel beschattete. Das Haus war verschwunden; ein großer Theil des Waldes ausgehauen; und auf der Baustelle des anständigen, von ererbten Bäumen beschützten und beschatteten Hauses stand Castle Treddles, ein großer klumpenartiger, viereckiger Bau von Bruchsteinen, so nackt wie mein Nagel, mit Ausnahme einer unbedeutenden Einfassung von verwelkenden und ersterbenden fremden Gewächsen und eines elenden Rasenplatzes, welcher statt eines grünen, mit Maßliebchen, Hahnenfuß und Schlüsselblumen geschmückten Teppichs, eine zwar gehackte und geebnete aber beinahe nackte Fläche darbot, auf welcher die eingesäeten Gräser durch Dürre verkümmert waren, und die Erde ihre natürliche Farbe beibehaltend, beinahe ebenso braun und nackt erschien, als wäre sie eben erst umgehackt worden. Das Haus war ein großer Bau, welcher auf den Namen Schloß nur wegen drei der vordern Fenstern mit gothischen Spitzbögen (beiläufig gesagt, durchaus das Gegentheil des Baustyles von alten Schlössern), und wegen eines Thürmchens, von der Größe eines Pfefferbüchschens, in jeder Ecke Anspruch machte. In jeder andern Hinsicht glich es einem großen Stadthause, welches wie ein fetter Bürger an einem Feiertage, einen Spaziergang auf's Land gemacht und den Gipfel einer Höhe, um sich umzusehen, bestiegen hat. Die helle rothe Farbe des Sandsteines, der Umfang des Gebäudes, die Steifheit der Gestalt, die unbehülfliche Stellung, stimmte so wenig mit dem rauschenden Clyde an der Vorderseite, und dem sprudelnden Bach, welcher rechts hinab eilte, wie die fette bürgerliche Gestalt mit buschiger Perrücke, spanischem Rohr nebst dessen goldenem Knopf, kastanienbraunem Rock und buntscheckigen seidenen Strümpfen mit der wilden und prächtigen Gegend von Corehouse Linn übereingestimmt haben würde.

Ich ging zum Hause; es befand sich in jenem Zustand der Oede, dessen Anblick vielleicht den unangenehmsten Eindruck hervorruft; denn der Platz gerieth in Verfall, ohne daß er bewohnt war. An dem Wohnhause fanden sich, obgleich dasselbe verlassen war, keine Spuren langsamer Verwitterung, welche Gebäuden, ebenso wie menschlichen Körpern, eine Art ehrwürdigen Aussehens ertheilt, während sie denselben Schönheit und Kraft benimmt. Die vereitelten Entwürfe des Gutsherrn von Castle Treddles, waren der Frucht zu vergleichen, welche verfault ehe sie gereift ist. Einige Fenster waren zerbrochen, andere mit Papier bekleistert, andere mit Brettern verrammelt, so daß die ganze Umgebung ein trostloses Aussehen darbot und zu sagen schien: »dort hatte die Eitelkeit ihren Sitz aufzuschlagen beschlossen, allein die Armuth kam ihr zuvor.«

In's Innere wurde ich zuletzt, nach manchem vergeblichen Anklopfen von einem alten Arbeiter eingelassen. Das Haus enthielt jede Einrichtung für Luxus und Bequemlichkeit; die Küche war ein Musterbau, und von dort führte eine heizbare bedeckte Treppe nach dem Speisesaal, damit die Gerichte, nach der schottischen Phrase, zwischen der Küche und der Halle nicht kalt würden. Anstatt jedoch des angenehmen Duftes guter Mahlzeiten, entsandte der Tempel des Comus allein den dumpfen Geruch der Grabgewölbe, und die großen Schränke von Gußeisen sahen aus wie die eisernen Käfige eines mittelalterlichen Gefängnisses. Der Speisesaal und das Wohnzimmer, nebst einem Gemach für Damen, waren prächtig eingerichtet, die Decken mit Ciselirarbeit und Stukkatur geschmückt, welche an einigen Stellen schon zerbröckelt war, und an andern feucht und verwittert aussah. Das Getäfel von Holz war zusammengeschrumpft, hatte sich geworfen und Risse bekommen. Die Thüren, welche erst seit zwei Jahren eingesetzt waren, hingen dennoch schon lose in den Angeln. Kurz, es herrschte Verödung, wo niemals Leben geblüht hatte, und der Mangel aller gewöhnlichen Mittel der Erhaltung vollbrachte schnell das Werk des Verfalles. Die Geschichte war eine gewöhnliche und läßt sich in wenigen Worten berichten. Herr Treddle, sen., welcher das Gut gekauft hatte, war ein vorsichtiger, geldmachender Mann gewesen; sein Sohn hatte Handelsspekulationen fortgesetzt und wünschte seinen Reichthum zugleich zu genießen und zu vermehren. Er machte fortwährend große Ausgaben, zu denen auch die Errichtung dieses Baues gehörte; um Geld dafür herbeizuschaffen, ließ er sich in gewagte Spekulationen ein, hatte Unglück und damit ist zugleich die Geschichte erzählt, die ebenfalls auf viele andere Landgüter wie auf Glentanner paßt.

Sonderbare Gefühle wechselten in meiner Brust, als ich durch die verlassenen Gemächer schlenderte, und kaum vernahm, was mein Führer mir über die Größe und Bestimmung jedes Raumes sagte. Zu meiner Beschämung muß ich gestehen, daß mein erstes Gefühl in befriedigtem Uebelwollen bestand. Meinem Adelsstolze war durch den Umstand geschmeichelt, daß der Gewerbsmann, welcher sich einfallen ließ, das Haus der Croftangry's sei nicht gut genug für ihn, jetzt seinerseits gestürzt war. Mein nächster Gedanke war ebenso niedrig, obgleich nicht so boshaft: »es ist mir besser gegangen, wie diesem Kerl,« dachte ich; »habe ich das Gut verloren, so habe ich wenigstens den Werth durchgebracht; Herr Treddles aber hat es in elenden Handelsunternehmungen vergeudet.«

»Elender,« sagte eine geheime Stimme in mir, »wagst du dich deiner Schande zu rühmen? Erinnere dich, wie deine Jugend und dein Vermögen in jenen Jahren verschleudert wurde, und triumphire nicht in dem Genuß eines Daseins, welches auf gleicher Linie mit dem unvernünftigen Thiere steht. Bedenke wie dieses armen Mannes Eitelkeit wenigstens Brod dem Arbeiter, Bauer und Bürger gab, wie seine Verschwendung dem auf die Erde verschütteten Wasser glich, welches die niedrig wachsenden Kräuter und Blumen, wohin es fällt, erfrischt. Aber du! Wen hast du während deiner verschwenderischen Laufbahn bereichert? Nur die Mackler des Teufels, Weinwirthe, Kuppler, Spieler und Pferdeknechte!«

Die durch diesen Selbstvorwurf hervorgebrachte Angst war so stark, daß ich plötzlich die Hand an die Stirne legte, und einen Anfall von Kopfschmerz zur Entschuldigung meiner Handlung vorschützen, sowie dieselbe mit einem leisen Gestöhn begleiten mußte.

Alsdann bemühte ich mich meinen Gedanken eine mehr philosophische Richtung zu ertheilen und murmelte halblaut, um peinlichere Gedanken zu beschwichtigen:

» Nunc ager Umbreni sub nomine, nuper Ofelli
Dictus, erit nulli proprius; sed cedit in usum
Nunc mihi, nunc alii. Quocirca vivite fortes,
Fortiaque adversis opponite pectora rebus. Jener Acker, der zuletzt nach Umbrenus Namen benannt ist,
Kürzlich das Land des Ofellus, wird keinem als eigen gehören;
Bald ja ist er mir eigen, bald dir auch. Also bewahre
Muthigen Sinn und biete dem Unglück tapfer die Brust dar.
Hor. Sat. II. 2.
«

In meiner Angst, die philosophische Vorschrift mir einzuprägen, deklamirte ich laut den letzten Vers, ein Umstand, welcher, wie ich nachher erfuhr, nebst meiner vorhergehenden Aufregung, ein Gerücht veranlaßte, nach welchem ein verrückter Schulmeister aus Edinburg mit dem Gedanken in seinem Kopfe gekommen wäre, Castle Treddles zu kaufen.

Als ich bemerkte, daß mein Begleiter mich los zu werden wünschte, erkundigte ich mich nach der Person, in deren Händen die Karte des Gutes nebst anderen Angaben niedergelegt war. Der Agent, welcher dieß, wie ich hörte, im Besitz hatte, wohnte in der Stadt –; diese lag, wie mir gesagt wurde, und wie ich selbst sehr wohl wußte, fünf Meilen und noch etwas weiter entfernt, eine Strecke, zu welcher man in einer Gegend, worin man mit dem Lande weniger verschwenderisch ist, noch zwei oder drei Meilen hinzufügen kann. Da ich nicht gern mehr so weit gehen wollte, erkundigte ich mich, ob ich ein Pferd oder einen Wagen bekommen könne, welche Frage verneint wurde.

»Aber,« sagte mein Cicerone, »Ihr könnt bis nächsten Morgen im »Treddles-Wappen« einkehren, einem sehr anständigen, kaum eine Meile entfernt liegenden Gasthof.«

»Wahrscheinlich ein neues Haus?« fragte ich.

»Nun, es ist ein neuer Gasthof, aber ein altes Haus, zur Zeit der Croftangry's war es ein Wittwensitz; Herr Treddles hat es aber zur Bequemlichkeit der Gegend eingerichtet. Der arme Mann, er hatte viel Gemeingeist, wenn er die Mittel dazu besaß.«

»Duntarkin ein Gasthof!« rief ich aus.

»Was?« sagte der Kerl, durch die Nennung des Ortes nach dem früheren Namen überrascht, »Ihr seid wohl schon früher im Lande gewesen?«

»Vor langer Zeit,« erwiderte ich; »hat man aber auch seine Bequemlichkeit im Wappen, nun, wie nanntet Ihr es doch? Ist der Wirth höflich?« Dieß sagte ich, um irgend etwas zu sagen, denn der Kerl blickte mir starr in's Gesicht.

»Ihr findet dort eine sehr anständige Bewirthung. Wein könnt Ihr nicht haben, wie ich glaube, aber genug Porter, Ale, und einen Tropfen guten Branntweins,« in leiserem Tone fügte er hinzu, »wenn Ihr Euch der Wirthin angenehm macht, denn ein Wirth ist nicht da, man nennt sie Christie Steele.«

Ich gerieth fast außer mir bei diesem Namen. Christie Steele! Christie Steele war die Magd meiner Mutter und unter uns gesagt, beinahe eine unumschränkte Herrscherin über sie gewesen. Ich erinnerte mich ihrer vollkommen. Obgleich ich sie in früheren Zeiten nicht hatte leiden können, klang jetzt ihr Name in meinen Ohren wie der einer Freundin; er war das erste Wort, das sich mit meinen Gedanken über die Umgebung verknüpfte. Ich verließ Castle Treddles mit dem Entschluß, den Weg nach Duntarkin einzuschlagen; mein Führer begleitete mich eine kleine Strecke, indem er sich seiner Liebhaberei zum Schwatzen hingab – eine Gelegenheit, die bei seiner Lage als Seneschal eines verfallenen Schlosses, wahrscheinlich nicht häufig eintrat.

»Einige Leute glauben,« sagte mein Gefährte, »daß Herr Treddles meine Frau statt der Christie Steele in das Treddleswappen hätte setzen können, denn Christie war nur eine Magd und nie in einem Wirthshause gewesen, und jetzt geht es ihr auch schlecht in der Welt, wie ich höre, jetzt da meine Frau einen Laden mit dem Verkauf von Lebensmitteln hält.«

»Das wäre sicherlich ein Vortheil gewesen,« erwiederte ich.

»Ich weiß jedoch nicht, ob ich meiner Frau erlaubt hätte, die Wirthschaft anzunehmen, wäre sie ihr angeboten worden.«

»Das ist etwas Anderes.«

»Ich hätte nicht gern dem Herrn Treddles Anstoß geben mögen; er war ein wenig wunderlich, wenn man ihm etwas zuwider that, sonst aber ein gütiger und wohlwollender Mann.«

Ich wünschte diese Art Geschwätz mir vom Halse zu schaffen, und da ich mich am Beginn eines Fußweges befand, der den Weg nach Duntarkin etwas abkürzte, drückte ich meinem Führer eine halbe Krone in die Hand, wünschte ihm einen guten Abend und ging hastig in den Wald.

»Halt, Herr, von Leuten wie Euch nehme ich nichts; bleibt Herr, in dieser Weise findet Ihr nicht den Weg – Gottes Gnade, er muß den Weg so gut kennen, wie ich selbst; ich möchte gern wissen, was das für ein Menschenkind ist.«

Dieß waren die letzten Worte der schläfrigen und langweiligen Stimme meines Führers; erfreut ihn los zu sein, ging ich in schnellem Schritte weiter, ungeachtet der großen Steine, des Dorngebüsches und der schlechten Stellen, welche auf dem von mir gewählten Pfade in Menge vorhanden waren. Mittlerweile versuchte ich so gut wie möglich mit Versen aus Horaz und Prior und allen Dichtern, welche die Mischung des literarischen und ländlichen Lebens gepriesen haben, die Traumgesichte der letzten Nacht und dieses Morgens zurückzurufen, indem ich mir einbildete, mich auf irgend einem entlegenen, abgesonderten Pachthofe des Gutes Glentanner niedergelassen zu haben.

Von sanftem Abhang rings umschlossen,
Wo grün und dicht ein Wald entsprossen.

Ich dachte mir dort, wie ich eine Hütte mit einer kleinen Bibliothek, einem kleinen Keller und ein zweites Bett für einen Freund besäße und glücklicher, so wie geehrter leben würde, als wenn ich über die ganze Baronie verfügte. Die Ansicht von Castle Treddles hatte jedoch alle meine Luftschlösser zerstört. Die Wirklichkeit hatte, gleich einem in die ruhige Wasserfläche eines hellen Teiches geworfenen Stein, die Zurückweisung der Bilder von den umgebenden Gegenständen gestört, welche auf der krystallenen Oberfläche bis zu dieser Gewaltthätigkeit schlummernd lagen. Ich versuchte vergeblich das Gemälde wieder herzustellen. Wohlan denn, die Sache ließ sich in einer andern Weise versuchen; ob Christie Steele aus ihrer Gastwirthschaft sich herausbringen lasse, in welcher sie ja doch kein Glück hatte, und ob sie, die frühere Haushälterin meiner Mutter, die meinige werden wollte? Ich kannte alle ihre Fehler und ließ ihre Geschichte an meinen Augen vorübergehen.

Sie war, wie ich glaube, die Enkelin oder wenigstens die Verwandte des berühmten Covenanters dieses Namens, welchen der Freund Swift's zur Zeit der Verfolgung in dessen eigenem Hause erschoß Dieß geschah im Jahre 1686. David Steele war einer der bedeutendsten Häuptlinge, welche das aufgestandene Landvolk im kleinen Kriege führten. Swift erzählt, er sei von einem Dragoner-Hauptmann in seinem Hause überfallen worden, und nach einem lebhaften Widerstande, worin er mehrere Dragoner tödtete und noch mehr verwundete, erschossen worden; nach anderen Berichten jedoch hatte er sich als Gefangener überliefert und wurde wehrlos auf höchst barbarische Weise von dem kommandirenden Offiziere umgebracht., und hatte vielleicht gute, so wie böse Eigenschaften aus ihrer Familie ererbt. Niemand konnte sagen, sie sei das Leben und der Geist der Familie, obgleich sie zur Zeit meiner Mutter alle Familienangelegenheiten leitete; ihr Blick war streng und finster, und man konnte allein an ihrem Schweigen erkennen, daß sie nicht unzufrieden war; hatte sie Ursache zur Klage, wirkliche oder eingebildete, so war sie laut genug. Sie liebte meine Mutter mit der aufopfernden Anhänglichkeit einer jüngeren Schwester, war aber eben so eifersüchtig auf ihre Gunst gegen Jedermann, als sei sie der alte Ehemann einer gefallsüchtigen Frau gewesen. In ihrem Tadel war sie eben so streng wie eine Aebtissin gegen ihre Nonnen. Die Herrschaft, welche sie über meine Mutter übte, war wie ich besorge, die eines starken und entschlossenen Charakters über eine schwache und an den Nerven leidende Person; obgleich Christie Steele dieselbe mit Kraft übte, so leitete sie nach ihrer Meinung wenigstens ihre Gebieterin auf die beste und geeignetste Bahn; auch wäre sie lieber gestorben, als daß sie eine andere Verfahrungsweise ihr anempfohlen hätte. Die Anhänglichkeit dieses Weibes war auf die Familie Croftangry beschränkt, denn sie hatte nur wenig Verwandte, und ein liederlicher Vetter, mit dem sie sich schon ältlich verheirathet hatte, war schon vor langer Zeit gestorben.

Gegen mich hegte sie stets einen starken Widerwillen. Sogar von frühester Kindheit an war sie, so sonderbar es auch scheinen mag, eifersüchtig auf meinen Antheil an der Liebe meiner Mutter; sie betrachtete meine Schwächen und Laster mit Abscheu und ohne ein einziges Gran Nachsicht; sie verzieh mir nie die Schwächen mütterlicher Liebe, sogar als ich durch den Tod zweier Brüder das einzige Kind einer Wittwe wurde. Zur Zeit als mein unordentlicher Lebenswandel meine Mutter Glentanner zu verlassen und sich auf ihren Wittwensitz zurückzuziehen bewog, tadelte ich immer Christie Steele, daß sie auf deren Zorn Einfluß geübt und verhindert habe, meine Versprechungen der Besserung zu beachten, welche damals aufrichtig und ernstlich gemeint waren, und vielleicht die Charakterveränderung beschleunigt haben würden, welche seitdem, wie ich überzeugt bin, stattgefunden hat. Christie betrachtete mich jedoch als ein von der Vorsehung zum Untergange bestimmtes Kind, welches seine Laufbahn des Bösen einhalten und jeglichen mit sich fortreißen müßte, der ihm eine Stütze zu reichen versuchen würde.

Obgleich ich jedoch wußte, daß Christie's Vorurtheile gegen mich in andern Tagen von der erwähnten Art gewesen waren, so dachte ich dennoch, es sei genug Zeit verflossen, um sie sämmtlich zu zerstören. Ich wußte, daß Christie, als meine Mutter bei der Unordnung meiner Angelegenheiten in augenblicklicher Geldverlegenheit sich befand, sehr pflichtgetreu für den Riß einstand, ein kleines ihr zugefallenes Erbtheil verkaufte, und den Kaufschilling ihrer Herrin mit einem so tiefen Gefühl der Hingebung brachte, wie jenes war, welches die Christen der ersten Zeit beseelte, als sie alle ihr Eigenthum verkauften und den Aposteln der Kirche folgten. Ich dachte deßhalb, man könne alte Dinge der Vergessenheit übergeben und auf neue Rechnung von vorne wieder anfangen. Wie ein geschickter General beschloß ich jedoch vorher ein wenig zu rekognosziren, bevor ich einen bestimmten Plan meines Verfahrens entwürfe, und mittlerweile mein Incognito zu bewahren.



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