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Bedford.

R–r–r! ein ander Bild!« sagt der längst altmodisch gewordene Guckkastenmann.

Marilis Abschiedstränen, die sie der geliebten Cottage nachweinte, wollten immer noch nicht trocknen, trotzdem sie und die Mutter ihre zwei Stunden im Londoner Straßengewirr schon hinter sich hatten und auf Bedford zujagten mit dem schnellsten Schnellzuge. In Bedford wohnte die zweite englische Jugendfreundin der Mutter, Witwe wie sie, und oft und oft war den Kindern daheim von »Maggies« wunderbarem Liebreiz erzählt worden und von dem Entzücken, das dieser Liebreiz erregt hatte, als besagte Maggie einst, vor langen, langen Jahren, mit weißseidenem Schleppkleide, in den Locken die Brillanten irgend einer steifleinenen, schwerreichen Tante, das holde Dornröschen vorgestellt, während ihres zweimonatlichen Besuches in Deutschland.

Alles ging dem guten Marili heute quer. Bedford war nicht die geliebte Insel Wight, »Aunt Maggie« hieß weder Louisa noch Janet Dormer, Maggies Söhne und ihre zwölfjährige Kathleen konnten unmöglich an sweet little Clemence heranreichen. Zu all diesem Jammer noch ein trübseliger Regentag. Der einzige Lichtpunkt, die Aussicht auf Freyenthal, verschmolzen mit der Befriedigung über einen heute angekommenen, dankbar erstaunten Brief Bruder Karls. Er war höchst vernünftig, der beste Junge. Ohne Umstände und sehr vergnügt hatte er das großartige Geschenk seines Schwesterchens angenommen und auch nicht eine Silbe von Vergeltung und »viel zu viel« und dergleichen geschrieben. »Die famose Ausspannung nach einer ganz gewaltigen Archivbüffelei wird eine urfamose Aufmöbelung sein, geliebtes Mädel; Millionen Dank.« – Einfach und zweckentsprechend ausgedrückt.

»Kind, laß den Himmel jetzt allein regnen,« sagte die Mutter, weil das Tränentüchlein, zum Klumpen geballt, immer noch einmal heimlicherweise hervorgeholt und frisch befeuchtet wurde. »Sieh, du hast in allen Dingen so nette Fortschritte gemacht, weshalb nun immer wieder die Energielosigkeit?

›Nimm, wie's kommt, jedes Ding,
Und achte den Frohsinn nicht gering.‹

Das ist ein solch praktischer, alter Spruch. Behalte deine Cottage lieb, und freue dich auf Bedford.«

»Das möchte ich am liebsten ganz überspringen,« gestand Marili und wischte an ihren Augen herum. Leider noch immer ein ziemlich fruchtloses Beginnen.

»Weshalb überspringen? Das ist doch alberner Unsinn, gutes Herz. Du weißt, wie sehr ich mich auch auf Tante Maggie freue, und aus einfacher Selbstsucht willst du mir meine Freude trüben?«

»O Mutter, nein! So meine ich es ja nicht!«

»Das glaube ich dir wohl, aber du gibst dir den Anschein davon. Kind, meinst du denn, deine Mutter versteht nicht in deinem Herzen zu lesen? und weiß nicht ganz genau, weswegen du die egoistischen Wünsche hast? Du brauchst wahrhaftig kein Wort darüber zu verlieren. Ich will dir auch nur meinen innigen mütterlichen Rat geben. Was du dir auch einbildest und hoffst und wünschest, Kind, suche gelassen zu bleiben und immer ruhiger und liebenswürdiger zu werden. Leg dich in Gottes Hand; darin werde wieder Kind, und in allem, was abseits von deinen Hoffnungen auf dem Arbeitsfelde steht, vervollkommne dich und wachse.«

Wie immer nahm sich das junge Herz die ernsten Worte aus dem mütterlichen Munde sehr nahe. »Du hast recht, Geliebte, ich bin eine Törin und mache Rückschritte. Gleich morgen gehe ich wieder an meine lieben Uebersetzungen.«

»Bewahre; morgen und die nächsten acht Tage studierst du Bedford und hältst die Augen gehörig offen, und dann schreibst du einmal deine Reiseeindrücke nieder, recht hübsch und flott. Die Erinnerungen an deine Insel der Seligen im Kanal und alles, was dir in der englischen Schulstadt auffällt. Das kann ein ganz netter Artikel werden, und daran lernst du allerhand. Für deine kleinen Einnahmen legst du dir zu Hause dann gleich ein Sparkassenbuch an. Wenn dir deine Wünsche und Hoffnungen nach Gottes Willen nicht erfüllt werden, sollst du nicht mit leeren Händen dastehen, soweit es in meiner Kraft liegt, dir dazu zu verhelfen.«

»Liebe, einzigste Mutter – alles weißt du – und ich kann mich doch niemals aussprechen.«

»Das sollst du auch nicht. Du sollst nur fühlen, daß deine Mutter euch geliebten Kindern gegenüber den Herzensschlüssel hat, und daß du immer weißt, wo deine irdische Zuflucht ist, wenn dir die himmlische vielleicht einmal zu hoch hinauf und zu ferne scheint. Mütter müssen des lieben Gottes treue Helferinnen sein.«

»Ich wollte – –!«

Marili stockte, preßte ihr Gesicht gegen den Arm der Mutter und küßte ihn inbrünstig. Ihren Satz sprach sie nicht zu Ende; wozu auch? Das Herz war ihr schwer, und sie kämpfte mit allem Willen, den sie zusammenraffen konnte, gegen die fremde, bange Unruhe in ihrer Brust. Die Mutter schwieg auch und streichelte die weichen Haare an ihrer Schulter, während der Zug durch den grauen Nachmittag und das reiche, fruchtbare Land brauste, vorüber an Palästen und idyllischen Gutshäusern, zwischen Parkalleen, an traulichen Dörfern, malerischen Kirchen und emsigen Städten. Immer matter trommelte der Regen wider die Coupéfenster, und siehe da, als sie Luton erreichten, die letzte Haltstation vor ihrem Ziele, stand die Abendsonne rotgolden wie ein großer Ball hinter schwarzen Fabrikschlöten und herbstlich bunten Baumgruppen. In den Straßen noch reges Arbeitstreiben. Wohl erfüllte dieser Anblick das junge, sehnsüchtige Herz mit Heimweh nach den weißen, grünumbuschten Klippen und den rauschenden Wogen, die der Abend mit Gold und Rosen bestreute, aber es gab sich doch zufrieden, weil es auch heute, zum Beschluß des tränenreichen Tages, seinen himmlischen Sonnengruß empfangen hatte.

Allgemach sank die Dunkelheit herab. Ein paar bleiche Sternchen hätten gern hervor mögen und auf die einschlummernde Erde niederblinzeln, aber sie brachten's nicht fertig. Die Regenwolken, die der starke Wind von Westen nach Osten wälzte, waren noch viel zu übermächtig. Immer von neuem jagten und warfen sie ihre stürmischen Güsse gegen die blinden Scheiben der Coupéfenster, und dazu tickten die rasch rollenden Räder immer eiliger durch die wachsende Finsternis.

Endlich liefen abermals Lichter neben den Schienensträngen hin und dahinter tauchten mehr von ihnen auf, ein fröhliches Gewimmel, und dann hieß es wirklich einmal: »Bedford!«

So reizend wie damals die Ankunft auf der »seligen Insel« war diese in der braven, englischen Provinzialstadt allerdings nicht. Wahrhaftig: Marili hatte die praktische Gewohnheit verlernt, ihre Röcke zu schürzen, wenn's durch Kot und Wasserpfützen ging; dergleichen war während der sonnigen Inseltage kaum vorgekommen. Was half's? Nun hieß es mit Macht wieder hinein in die Gepflogenheiten des Alltagslebens und sogar dem Straßenschmutz ein freundliches Gesicht machen, und sieh, da erschien ein zweites Gesicht, das strahlte von Freude und Freundlichkeit, und war, trotz der unleugbaren Aeltlichkeit, sehr hübsch und lieb, nun es den Kommenden entgegenlachte und nickte. Dann wurden die Mutter und die Tochter in eine große Umarmung genommen und gegen ein tropfendnasses Plüschcape gedrückt, und dann rief eine sehr lebhafte Stimme in impulsivem Englisch und tadelfreiem Deutsch durcheinander gemischt: » Dear, dear Ettie!« (Nein, was für merkwürdige Namen doch die Mutter in England gehabt hatte, zuerst das hochtönende »Henrietta«, und jetzt das kinderhafte »Ettie«!) – »willkommen bei uns, tausendmal! O, was für ein schlimmes Wetter bringst du uns mit, dear! – – und dies ist deine Tochter? o, you darling, komm, küsse mich auch; ich bin Tante Minnie. Sie weiß es doch, Ettie? Aber dein zweites Bild ist dieses Kind, Ettie – o, wenn wir noch jung wären, Liebe!«

So sprudelte es hervor und klang so herzerquickend warm, daß Marili sich gleich fest an Tante Minnies Arm hängen mußte und »ja, ja! mit Wonne!« rief, ganz wie ein beseligter Backfisch, als die neue Tante gebot: »Ich will, daß ich für dich ›Du‹ bin, sowie für meine teure Ettie, wenn wir die deutsche Sprache reden. Do you understand, you darling?«

Regnete es denn oder schien die Sonne? Marilis Herzenskämmerchen war urplötzlich hell geworden und, o Wunder, es gab noch einen großen Liebesplatz für Bedford, trotz Freyenthal und der seligen Insel und dem Gartenstraßenheim mit Bruder Karls gemütlicher Person und Schwester Kittys geliebtem Bilde in jedem Raume desselben.

»Ihr fahrt – ich gehe – unterwegs muß ich noch ein paar Besorgungen machen,« entschied Tante Minnie, schürzte das dicke Cheviotkleid unter dem Plüschcape noch bedeutend höher, rief in den Wagen hinein, daß der Kutscher nicht mehr als zwei Schilling bekommen dürfe, und trabte mit Siebenmeilenschritten davon ins Regendunkel hinaus.

»Zu reizend finde ich sie – nun freue ich mich ja grenzenlos auf alles,« sagte Marili und küßte die Hand der Mutter, »nur – verzeih, Mutter – ich hätte sie mir nach deiner und Miß Louisas Beschreibung doch noch etwas schöner vorgestellt, weil –«

»Weil du überhaupt vorbeigehört hast und ›Minnie‹ mit ›Maggie‹ verwechselst. Die beiden sind ein paar treue Schwestern; Minnie ist die Aelteste und die Helferin für Maggie und ihre Kinder. Ich bin selbst neugierig, die Kleinen kenne ich nicht.«

Die Kleinen, jawohl! Als der knarrende Kutschwagen nach langer Fahrt in der stillen Vorstadt hielt, stand die Haustür in »Beacon-Road« schon gastlich offen und durch den verregneten Vorgarten kam eine lustige Rotte Korah herbeigestürzt: Johnie und Charlie, Dickie und Kathleen hinterdrein, einen großen, persischen Kater in beiden Armen, dessen grüne Augen funkelten. Hinten im Flur stand die kleine Mama, schön wie ein Bild, und lachte dazu mit ihrer hellen, noch ganz mädchenhaften Stimme: »Nein, dies Tohuwabohu vor dem Wagen!«

»Mir den großen Koffer – Hand weg, Kutscher!«

»Das geht nicht, Master John – o, meine Pferde! Los, Master John!«

»Fest; sag' ich; Hand weg. Hier, pack mit an, Charlie, hallo, jetzt haben wir ihn!«

»Nimm den kleinen Koffer, Dick, und hörst du? Den dritten hol' ich nach.«

»Bum, da steht er wenigstens unten.«

»Laß Sinkiewicz laufen, Kattie, bring das Handgepäck. O, dies ist › Cousin Mary, I say –! come along, cousin Mary.‹«

»John, John! Wie kannst du den großen Koffer allein schleppen! boy, Junge!«

»Ich kann, kleine Mama – natürlich können wir. Geh voraus, Dickie, ich muß 'n bißchen vorsichtig tragen. Hallo! halb bin ich schon oben.«

»O Ettie, Mary, ihr Lieben – Lieben, nun ist es wahr geworden, nun seid ihr wirklich bei uns!«

»Krach!« schmetterte Miß Kathleen die schwere Haustüre ins Schloß, setzte das Handgepäck nieder und jagte hinter Sinkiewicz, dem grauen Kater, drein, um ihn sich wieder einzufangen. Als sie ihn hatte, kam eine sanftmütige, schneeweiße Angorakatze auf Sammetpfötchen dazu herangeschlichen, rieb sich an Marilis nassem Kleide und wurde ihr in aller Geschwindigkeit als »Sinkies Freundin Araselia« vorgestellt.

In Bedford Sinkiewicz Nummer zwei: Marili mußte herzhaft auflachen, und das war ein vorzüglicher Anfang für Bedford und seine wilde Horde von Beacon-Road. Wenn der Freyenthaler Polenheld seinen Katervetter doch gesehen hätte!

Nachgerade hatten die Mutter und die » little mother« (» Mothie dear,« sagte Kathleen) sich fertig geküßt, und nun kam die Reihe an Marili.

Deren letzte Scheu schmolz dahin wie Schnee vor der Sonne; die Zärtlichkeit, die nun einmal tief in ihrer Natur wurzelte, umfing diese entzückende »Aunt Maggie« so innig, wie sie nur konnte. Die Mutter freute sich gerührt, als sie sah, wie ihr eigenes Jugendideal in weiblicher Gestalt das töchterliche Herz auch im Sturm einnahm. Zwar war's nicht mehr das holdselige »Mädchen aus der Fremde«, goldlockig, rosig und strahlend, das über jung und alt mit silbernem Lachen und leuchtenden Blauaugen geherrscht hatte wie eine kleine Königin, aber vielleicht war sie, die mädchenhaft Gebliebene mit ihrem siebzehnjährigen Gesichte zu silbernem Haar jetzt noch holdseliger als damals. Arm in Arm stieg sie mit ihrer neuen Wahlnichte die Treppe zum Fremdenstübchen im Dachstock hinauf, und die Mutter folgte mit Kathleen im Arm. Meister Sinkie, den Kater, mußte sie wohl oder übel mit in den Kauf nehmen und die Katzenschönheit Araselia folgte zierlich als echte Mamsell Leiseschlich.

»Cousine Mary, liebst du Sinkiewicz?« fragte John und warf ihr den großen Kater in den Schoß.

»Er liebt mich nicht, weil er weiß, daß ich seinen Bruder in Freyenthal gar nicht leiden konnte.« Marili zog sich ein bißchen ängstlich vor den grünfunkelnden Kateraugen zurück und legte beide Hände hinter sich. Notabene brannte auf der einen bereits ein langer, feuerroter Kratzer.

»O, Cousine Mary, war dein Sinkie auch aus Persien und grau und schwarz geringelt und hatte solch wunderschöne Augen wie unser Sinkie?«

Marili lachte und wagte den schönen Sinkie noch einmal zu streicheln, weil John ihm die Kratzpfoten festhielt: »Mein Sinkie war aus Polen und ließ sich alle Tage die Locken brennen und hatte ganz schauderhafte Augen, genau wie Schuhknöpfe, und machte zuweilen schauderhafte Gedichte.«

»O, Cousine Mary, also war er ein Mensch?«

»Natürlich, Cousin John!«

» Little mother – hör!«

»Ja, John?«

»Hat unser Sinkie nicht einen Dichter zum Paten?«

»Ja, John; wir haben ihn nach dem Manne genannt, von dem wir gerade das Buch lasen, als wir Sinkie geschenkt bekamen.«

» Mothie dear!« – Kathleen war in höchster Aufregung – » Mothie; Cousine Mary kennt Sinkies Paten, denke!«

»Nein, seinen Bruder, Kattie, du Dummes!«

»Du sollst mich nicht necken, John!«

»Ich muß aber, damit du dir das Weinen abgewöhnst,« war die schnelle Erwiderung.

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»Mein Sinkie war aus Polen und ließ sich alle Tage die Locken brennen.«

»Kathleen, es ist Schlafenszeit – sage Gutnacht.«

»O, Tante Minnie, noch nicht! Cousine Mary soll uns noch mehr von Sinkies Bruder erzählen!«

»Siehst du! siehst du! siehst du – O mothie dear, ist Kattie nun nicht wirklich dumm? Jetzt glaubt sie's wieder, daß Katzen und Menschen –«

»Sei still, John, augenblicklich!«

»Hoho, du kleines, gelungenes Minnietantchen! Wart nur, jetzt krieg' ich dich – warte!«

»John! Johnie!«

Die kleine Mama in ihrem gemütlichen, blausammeten Kaminsessel lachte und drohte und rührte sich nicht vom Platze, während die wilde Bubenjagd davonstob, Kathleen mitten dazwischen und Cousine Mary, von Dick geschleift, hinterdrein. Die beiden Katzen in fliegenden Sätzen allen voraus. Sie kannten den herrlichen Witz schon, wenn der große, stämmige Schlingel John, der das Abbild seiner schönen Mutter war, sein Minnietantchen, alles Sträubens ungeachtet, auf den Arm nahm und treppauf in ihr Dachkämmerchen neben dem Fremdenstübchen schleppte. Da mußte sie sich dann mit Küssen und Süßigkeiten aus ihrem Schubfach loskaufen und es gab ein Geschrei und Gelache, Jubeln und Schelten ohne Ende.

»Ihr Vergnügen kostet uns ja nichts – ich muß meine Schillings sehr zusammenhalten, Ettie, dear,« sagte drunten die kleine Mama zur Mutter, fächerte sich anmutig und schmiegte den reizenden Kopf, der aussah, als sei er mit Silberstaub gepudert, noch ein wenig behaglicher in ihr blaues Polster. »Mein teurer Fred hat mich sehr, sehr verwöhnt, ehe er starb; sieh, das schöne Haus ist mir geblieben, aber die große Pension kommt nicht mehr seit Freds Tode und nun heißt es klug sein und rechnen. O, das macht mir nichts, Ettie. Minnie hilft mir und wir leben beide für die Kinder. Horch, wie sie sich oben belustigen, es macht ordentlich Lärm im ganzen Hause. Wenn sie nur glücklich sind und recht vergnügt, das ist mein Glück, das mir geblieben ist.«

Die Mutter horchte und schüttelte den Kopf.

»Daß du diesen Lärm so gut verträgst, liebste Maggie! Fällt dir das niemals auf die Nerven?«

»O, Fred erlaubte keine Nerven, und ich erlaube sie den Kindern auch nicht. Laß sie ihre Kräfte und ihre Lungen üben. Das dient ihnen für jeden Beruf. Deine Tochter wird auch ihren Nutzen davon haben, das sollst du sehen. Nun, mach kein bedenkliches Gesicht, Ettie.«

»Ich habe Marili so sehr schonen müssen in Freyenthal, und dann haben Louisa und Janie Dormer das fortgesetzt,« sagte die Mutter zweifelnd, und die reizende Freundin lächelte sie mit ihrem süßesten Lächeln an: »Dann darfst du lieber nicht bei mir bleiben, Ettie, dear. Bei mir muß mit dem vollen Strome schwimmen, was jung ist, und wir Alten folgen am Ufer hin und freuen uns mit. – Ist dir mein System unsympathisch? Es käme doch auf einen Versuch an?«

»Wen hättest du nicht überredet, so lange ich dich nun kenne,« sagte die Mutter, erhob sich, nahm das schelmische, jugendschöne Gesicht im weißen Haar zwischen beide Hände und küßte die schmalen, dunklen Brauen über den lichtblauen Augen.

* * *

»Ich habe gar nicht gedacht, daß Mütter noch schwärmen können,« meinte Marili abends, als sie wieder einmal im gemeinsamen, englischen Bette nebeneinander lagen, dies jedoch war viel schmaler als das geräumige in der Cottage und statt wallender Seidenvorhänge hatte man die schräge Dachwand halb auf der Nase. »Schwärmst du so wie ich für aunt Maggie?«

» Aunt Maggie ist wie ein Jungbrunnen für mich,« antwortete die Mutter, schon halb im Schlaf, »bei ihr hat die Zeit stillgestanden.«

»In Bedford finde ich es einfach himmlisch, Mutter, und die Jungens und Kathleen sind wirklich ganz kostbar. Ich gewöhne mich auch schon an Sinkie und Selia. – Aber du bist müde, mein Mutting? ich keine Spur!«


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