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Auf und ab.

Die ganze Nacht träumte Marili von Karl und Kitty, und gleich am nächsten Morgen, sowie nur die Haushaltsfragen und kleinen Küchensorgen erledigt waren, schrieb sie, ihrem Vorhaben getreu, einen drei Bogen langen Brief an den Bruder, Vizefeldwebel der Reserve, nach Straßburg. Sie mußte sogar noch einen halben Bogen zugeben, weil sie gar zu viel von ihrer Kitty zu erzählen wußte. Die Feder ging ihr ganz und gar mit dem Gedanken durch; eine entsetzliche Kritzelei wurde es und die Interpunktion beschränkte sich auf Ausrufungszeichen. Auch zwei bedenkliche Kleckse hatten das Radiermesser beansprucht, und obwohl Marili um jeden Klecks herum »Verzeihung« schrieb, machte sich's nicht gerade anmutig, besonders nicht für »soldatische« Augen, wie die Karls waren, der seit beinahe acht Wochen im Dienste des Heeres stand.

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Am nächsten Morgen schrieb Marili einen drei Bogen langen Brief an den Bruder.

Er antwortete ihr umgehend mit einem längeren Schriftstücke. Die gute Absicht, ihn zu erfreuen, belobte er in einem gewissen Vatertone, der das zartbesaitete Mariligemüt schwer kränkte. Namentlich, da ihr eigener Brief, auf Orthographie und Interpunktion verbessert, wieder mit zurückfolgte. Ein paar himmelschreiende Flüchtigkeitsfehler waren in der Satzbildung blau unterstrichen.

»Vor allen Dingen, mein liebes Kind, rate ich Dir, Mutter um einen Kursus Schreibstunde zu bitten; dann werden Deine Briefe mir erst wirklich Freude machen und des Aufbewahrens wert sein.« So lautete der etwas gönnerhafte Schluß.

Marili saß und brütete stundenlang unter bitteren Tränen über dem brüderlichen Briefe. Endlich verschloß sie ihn in ihren Geheimkasten, kaufte sich zwei Schreibhefte mit Doppellinien, nebst etlichen Blättern kalligraphischer Vorschriften und übte und malte in der Stille mit Feder und Tinte: »Aller Anfang ist schwer«, und »Rom ist nicht in einem Tag erbaut«.

Eine Woche betrieb sie's heimlich. Dann konnte sie's nicht mehr aushalten und beichtete der Mutter.

»Ich wollte doch, mein Marili, daß ich die Mittel gehabt hätte, dich auch zum Erwachsenwerden in eine Pension zu schicken; mit meinem Hausmauerpflänzchen habe ich mich wohl getäuscht,« sagte die Mutter ernst. »Was hast du Karl geantwortet?«

»Gar nichts.«

»Gar nichts? – Ich hätte ihm an deiner Stelle lieber für seine Offenheit gedankt.«

Marili schüttelte den Kopf und bohrte und stach in ihre Handarbeit hinein und zog lange Fäden. Ihren Mund kniff sie fest zusammen. Die Mutter brach das Gespräch ab und fing ein andres an, und so ging es noch öfter im Laufe des Sommers. Wo sie es unauffällig konnte, suchte sie des Kindes tiefgesunkenes und ohnehin nur schwaches Selbstvertrauen zu heben, aber das war keine leichte Sache.

Solche Pflänzchen, zu denen die Sonne nur selten einmal hereinscheint, mußten, ihrer Meinung nach, äußerst zart und liebevoll behandelt und gepflegt werden, weil sie sonst gar zu leicht in ihrem Winkel verkümmern. – Sie sorgte sich überhaupt manchmal sehr um das Kind. Es konnte tagelang etwas krankhaft Müdes und Sehnsüchtiges im Ausdrucke des farblosen Gesichtes liegen, und es war, als täte Marili alle die kleinen Hauspflichten nur so genau und peinlich wie eine aufgezogene Maschine und nicht aus Freudigkeit. – Jegliches verletzte sie auch. Daß Kitty in ihrem anstrengenden Berufe nur selten Zeit fand, die langen Briefe des Schwesterchens eingehend zu beantworten; daß die Freundinnen nur immer von sich selber und dem Pensionsleben erzählten und fast nie nach Marilis kleinen Leiden und Freuden fragten – und daß Karl abermals zu schreiben wagte: »Strenge Dich lieber für jetzt mit Deiner Schreiberei an mich etwas weniger an, und übe dafür täglich eine halbe Stunde länger im Heft, daß Du reellen Profit davon hast.« – Nichts traute der Junge ihr zu – immer die Krittelei! schrecklich! – Die Mutter arbeitete sich ab, sonntags und alltags und brachte es weit und sie, Marili? Unnütz – das fünfte Rad am Wagen. – Gute Handschrift – so etwas Dummes, Nebensächliches – das war alles, was Karl von ihr verlangte.

»Ich bin den Menschen ja doch zu viel; – niemand hat mich richtig lieb, außer Mutter, und für gar keinen Beruf passe ich. Häßlich bin ich auch – – was soll ich denn überhaupt in der Welt? Ich wollte, daß ich tot wäre!«

Nichts ist trauriger, als wenn eine sanfte Natur so in sich selber hineingräbt, still und tief, bis die Bitterkeit emporquillt und die ganze, bescheidene Daseinsfreude vergällt und verdirbt. – Kräftige Naturen fackeln nicht lange. Die machen sich energisch daran, den Bitterquell wieder zuzuschaufeln, oder setzen ihm Dämme und fördern mit tüchtigen Spatenstößen irgend ein neues, reines Wasser zu Tage. Marili vermochte es nicht. Sie nährte sich von den herben Tropfen ihres eigenen Innern und glaubte nicht einmal daran, daß es je anders werden könne. Immer nur an die glücklichen Kindertage von Bodenau, als der liebe Vater noch gelebt hatte, mußte sie jetzt zurückdenken und sie mit der Gegenwart vergleichen. Es war wie ein böser Zwang in ihrer Brust. Vor der Mutter nahm sie sich zusammen, arbeitete mit ihr und las ihr vor und sagte sich innerlich dabei: »Ich lüge ja und werde immer schlechter. Mutter meint, daß ich gut und rücksichtsvoll bin, und so ist es gar nicht. – Zu niemanden kann ich mehr ordentlich Vertrauen fassen. Aenne ist auch anders geworden wie früher. Sonst hat Aenne nur für Kitty geschwärmt und jetzt in der Pension für ihre Mademoiselle Favart. Ewig schreibt sie von der. Was geht mich Mademoiselle Favart an? – Alle – alle sind falsch, und Karl ist grob; kein bißchen Bruderliebe hat er für mich.«

»Aber wieso ist Karl grob?« fragten ihre eigenen Gedanken. »Neulich erst hat er dir das reizend hübsche Briefpapier geschickt und hat es noch extra linieren lassen, damit dir das Schreiben an ihn leichter werden sollte. Nennst du das Grobheit?«

Wenn ihr unbefriedigtes junges Ich das andre gute dergestalt in der Zwickmühle hatte, wußte sie sich schließlich keinen besseren Trost mehr als die Musik. Die allein war's, die dann nach und nach jene quälerischen Stimmen still machte, und, so unvollkommen es auch klang, die Mutter hatte es gern, wenn Marili spielte, während sie selbst am Schreibtisch arbeitete, oder beim Nähkorbe ihre Gedanken zu den fernen Kindern spazieren führte und sich nebenbei die Restverwendung für den Speisezettel des nächsten Tages überlegte. Denn es ist ganz sonderbar: sogar Schriftstellerinnen machen sich zuweilen etwas aus gut gekochten Gerichten und Sparsamkeit und sorgen auch manchmal ganz prosaisch für lebendige Menschenkinder und nicht nur poetisch für ihre edlen Romanhelden und überirdisch schönen Heldinnen in den Grafenschlössern oder in idyllischen Waldmühlen am Murmelbächlein.

Trotzdem aber hörte sie jeden kleinen Fehler, den Marilis Finger auf den Tasten machten. Sie und Karl hatten die Musikohren in der Familie.

»Merkwürdig viel Gefühl und merkwürdig wenig Griff hat das liebe Persönchen,« dachte sie im stillen. »Ich muß doch wirklich einmal ausrechnen, ob ich nicht guten Musikunterricht für sie erschwingen kann. Wenn das neue Buch gelingt, dann wäre es am Ende möglich trotz Karls Doktorexamen.«

Das neue Buch sollte eine sehr mühsame, geschichtliche Arbeit aus den Jahren der Freiheitskriege werden, und die Mutter mußte schon jetzt oft genug bis in die Nacht hinein alte Landkarten und Broschüren und große Pakete vergilbter Briefe studieren und entziffern. In fünf bis sechs Monaten, zum Frühling, sollte es hoffentlich vollendet sein, gerade wenn Karl seinen Doktor zu machen hoffte.

* * *

»Mutter, weißt du: ich schwärme für Mendelssohns Lieder ohne Worte,« sagte Marili eines Herbstnachmittags nach solch einer halbleisen Musikschwelgerei, schloß das Klavier und setzte sich mit ihrer Stickerei hinaus auf die Veranda zur Mutter. Schon wieder neigte sich das Jahr zum Ende. Der wilde Wein hatte flammendrote Blätterguirlanden mit blauschwarzen Fruchtträubchen, und im Blumengitter wucherten die Reseden und Sommergeranien mächtig. Die Reseden dufteten jetzt, zum Abschied, noch viel süßer als im Juli, und die Geranien trieben wahre Feuerbälle, aus lauter feingestielten Purpursternen zusammengesetzt. In den Nachbargärten rechts und links prunkten die Stockrosen und Sonnenblumen an hohen Stauden und es gab lila und weiße Astern und sammetne Georginen. Die Mutter hatte auch einen großen Strauß im Glase vor sich und Marili steckte ihre kleine Nase hinein, ehe sie ihre Bemerkung über Mendelssohns Meisterwerke wiederholte.

»Mein allerhöchster Wunsch wäre jetzt, daß ich mich in der Musik ausbilden dürfte,« fügte sie hinzu. »Findest du das sehr vermessen von mir, mein Mütterchen?«

»Gar nicht, Herzlieb. – Komm, halte mir meine Stopfwolle zum Abwickeln. – Warte nur noch, bis Karl hier ist; dann können wir's gleich in der ersten ruhigen Stunde mit ihm überlegen. Karl ist der Mann in der Familie, und wir wollen froh sein, daß wir einen Familienmann haben, der uns an den lieben guten Vater erinnert, nicht? Spiel du einstweilen fleißig für dich und hilf mir recht hingebend beim Zwetscheneinkochen. Das ist heute und morgen unsre hauptsächlichste Pflicht.«

»O Mutter! wenn du vom Schreibtisch weg bist, sprichst du eigentlich am allerliebsten vom Kochen und Reinmachen.« Marili lachte und griff, unter ihre gespannten Wollsträhne durch, nach der rasch wickelnden Hand. »Gott sei Dank, da sitzt noch ein Fleckchen Tinte am Mittelfinger! Aber du solltest doch ein bißchen Arbeitspause machen, Mütterchen. Was hat Doktor Willmanns dir auf die Seele gebunden?«

»Es ist nur an Kitty geschrieben worden, du kleine Polizei,« verteidigte sich die Mutter und fädelte den frischen Faden vom fertigen Knäuel in die Stopfnadel. »Es wäre zwar dein Schreibtag gewesen, von Rechts wegen, aber deinem Mendelssohn zuliebe bin ich gern für dich eingetreten.«

»O Mutter, Musikunterricht! Ich hoffe – ich hoffe glühend! Glaubst du wohl, daß ich Talent genug habe? Glaubst du, daß es dir möglich sein wird, und daß unser Familienmann ja sagt?«

So sprach sie, angeregt und aufgelebt, ihre Wünsche und Pläne durch, eifrig dazu stickend, und mit wahrer Wonne hörte die Mutter sie, eine halbe Stunde später, nachdem der Tee gemütlich auf der Veranda getrunken war, unten in der Küche beim Zwetschenaussteinen singen und plaudern. Minnas ungebildetes Gelächter schmetterte dazwischen hinein; aber was tat das? Wenn das Kind nur einmal wieder glücklich war.

Ehe die Mutter zum Helfen selbst hinuntergehen wollte, klingelte der Geldbriefträger und brachte ihr ein gewichtiges rotgesiegeltes Couvert von ihrem Verleger. Darin lagen zwei Hundertmarkscheine mehr als sie erwartet hatte, und diese Zweihundert beschloß sie gleich für Marilis Musikstudien auf die Sparkasse zu geben.

Allein sie fand es richtig, daß sie sich erst einmal darüber mit Doktor Willmanns, dem Hausarzte, bespräche. Allwöchentlich pflegte er zu ihr hereinzuschauen und nach Feuer und Licht zu sehen, wie er sich ausdrückte. Dann und wann nahm sich auch die Mutter ein Viertelstündchen Zeit gegen Abend und suchte ihn heim. Heute wußte sie Marili so gut in der Küche versorgt, deshalb ging sie lieber gleich jetzt und unbemerkt, damit die Musikangelegenheit wenigstens halb in Ordnung gebracht wäre, bevor Karl wieder auf längere Zeit ins mütterliche Haus einziehen würde, um zu »büffeln, daß ihm der Kopf rauchte«. Er studierte Philosophie und Kunstgeschichte und wollte sich aus der reichhaltigen Stadtbibliothek das Material zur Doktorarbeit zusammensuchen. »Bei Muttern gibt's für solche Strapazen die beste Verpflegung,« meinte der materielle Sohn.

* * *

Doktor Willmanns war nach der Sprechstunde gerade in seinem hübschen Garten und freute sich an seinen Spalierbäumchen, deren riesengroße Birnen und rotwangige Prachtäpfel ihm abends nach vollendetem Tagewerk beinahe ebensoviel Vergnügen machten wie sein lustiges Kindervolk.

Eine ganze Weile wanderte er mit der Mutter auf dem festen Kieswege zwischen dem Spalierobst und den breiten Pyramidenstämmchen auf und ab. Zuweilen blieben sie stehen, bewunderten eine besonders wohlgeratene Frucht, und der Doktor schnitt im Gehen ein paar La-France- und Gloire-de-Dijon-Rosen ab. Die sollte Marili zum Trost bekommen, nebst der größten reifen Napoleonsbutterbirne, bei deren Anblick einem vor Lust das Wasser im Munde zusammenlief. Selbstverständlich würde ja die gute, kleine Seele »ans Wasser bauen«, weil Mamachen ihr die erhoffte Aussicht auf die Künstlerlaufbahn nicht mit heimbringen durfte. Der gestrenge Doktor war ganz und gar dagegen.

»Nein, glauben Sie mir, liebe Verehrte, es geht nicht,« sagte er und schnitt immer noch eine Rose mit seinem krummen Gartenmesser vom Stock im Vorüberwandeln. »Das Kind ist viel zu zart für solche Versuche; blutarm und sieht gleich so matt wie eine Fliege aus. Wir wollen doch gelegentlich einmal das Herz behorchen. Wir müssen mindestens noch ein Jahr oder zwei mit regelrechtem Klavierunterricht warten, bis wir die richtige ausgewachsene, junge Dame vor uns haben, mit Farbe in der Haut und Festigkeit in den Muskeln. Das ist alles noch nicht viel wert, verehrte Frau. – Lassen Sie das Kind gemächlich hinleben, ein bißchen Hausarbeit, wenig Gestichel, wenig Schmökerei in den Büchern, meinetwegen gern ab und zu etwas Geklimper, damit die liebe Seele ihr Kunstgenüge hat. Vor allem frische Luft, gute Nahrung, reichlich Schlaf: Sie wissen ja! – – Was? der Wagen schon da, Junge? – Sehen Sie nur um Gottes willen, wie meine Bengels in die Höhe schießen! Ich muß nämlich gleich zur Bahn und aufs Land: Notsache; den Kollegen Schirmer nehme ich mit. Aha, da kommt er! – Nicht wahr, Sie entschuldigen mich? Wilhelm, Junge, hol dir Bast und binde die Rosen nett für Fräulein Marili zusammen. – 'n Abend, Kollege; ich bin schon da – sofort. – Gute Nacht, Verehrteste; – Gruß an Fräulein Kitty – Pardon: ›Schwester Katharine‹ wollt' ich sagen. Geht's gut? –«

Die Antwort wartete er nicht einmal mehr ab, sondern rannte ins Haus nach Hut und Paletot, und ehe die Mutter den Garten verlassen hatte, hörte sie den Doktorwagen schon im Schnelltrabe von dannen rollen.

Langsam und niedergedrückt in der Seele ihres Sorgenkindes machte sich die Mutter auf den kurzen Heimgang, in der Hand den köstlich duftenden Strauß. Herbstrosen duften so stark und wehmütig nach dem geschiedenen Sommer. – Sehr selten fand die Mutter Zeit, sich mit ihren Gefühlen gehen zu lassen, aber heute abend mußte sie dennoch einem beklemmenden Kummer im Herzen Raum geben, wenn sie an Marilis Enttäuschung dachte. Ja, der Anblick der strahlend frohen und gesunden Mädchenschar, die von einem Botanisierausfluge zurückkehrte und an ihr vorüberkam, hätte ihr ums Haar Tränen in die Augen getrieben.

Natürlich bezwang sie sich sofort wieder und trat noch geschwind in die nette Vorstadtkonditorei. Dort ließ sie sich ein Stück Apfelkuchen einwickeln, auch für Marili, und holte gegenüber beim Krämer ein Dutzend Briefmarken, damit das Kind sein Monatsgeld nicht gleich für die Korrespondenz anzubrechen brauchte. So kam sie mit vollen Händen heim.

Marili klopfte unten ans vergitterte Küchenfenster, nickte und lächelte und zeigte auf die vollen Schüsseln vor ihr auf dem Tische. Dann war sie wie der Wind droben im Hausflur und öffnete.

»Wir haben den Zucker schon auf dem Feuer; Minna holt eben Zucker herüber – riechst du die Gewürze, Mutter?« rief sie der Eintretenden entgegen; gar nicht als dasselbe Kind erschien sie so im Eifer. Darauf küßte sie die Mutter, zog ihr die Nadel aus dem Hute, damit sie nur recht geschwind zur Begutachtung der töchterlichen Taten in die Küche kommen sollte, nahm die mitgebrachten Schätze selig in Empfang und fragte im Treppuntergehen: »Wohin warst du denn verschwunden, mein Mütterchen? Natürlich in den wonnigen Doktorsgarten, ich wittere den Rosenduft! Und bist du wohl ein Engel gewesen und hast wegen meiner Musik angefragt, ob ich darf? Ich darf; ja, süße Mutter? Bekomme ich Stunden?«

»Nachher will ich dir alles in Gemütlichkeit erzählen, Marili; beim Abendbrot, nicht? Komme; jetzt muß der Zucker gut ausgeschäumt werden und das Gewürzbeutelchen heraus. Da ist Minna mit dem Essig. Wieviel Pfund Zwetschen habt ihr?«

»Acht Pfund und dreihundertsiebzig Gramm ohne die Steine, Mutter.«

Das war wieder die alte Marili, die mit ihrer kleinen, verzagten Stimme Antwort gab.

Ach! – sie erriet – »nein« sie wußte ja.

Mochte die Mutter noch so freundlich sein und liebevoll ihren Fleiß loben und ihr alle die hübschen und guten Dinge auf den Küchentisch bauen; was half's? Das Glück war wieder einmal eine unerfüllbare Hoffnung geworden. – Schweigend legte Marili den Apfelkuchen und die Riesenbirne auf die beiden Porzellantellerchen mit dem Streublumenmuster, anstatt tapfer zu schmausen; schweigend ordnete sie den duftenden Rosenstrauß ins hohe, grüne Glas. Sie steckte noch ein paar rote Weinranken von der Gartenplanke dazu und stellte das Ganze auf der Mutter Schreibtisch hinter die schöne Bronze und nicht auf ihren eigenen schräg vom buntverglasten Eßstubenfenster. – Die Briefmarken wollte sie überhaupt nicht annehmen.

»Danke, Mutter – behalt sie nur. Was soll ich schreiben? Ich bin viel zu traurig und dann werde ich gleich ungerecht auf dem Papier. – Kitty kann das in der Ferne nicht aushalten, und Karl schilt.«

Dabei blieb sie und ließ sich nicht von ihrer Ansicht abbringen. Stumm kochte sie die Zwetschen fertig, füllte sie heiß in die geschwefelten Gläser und band das Pergamentpapier peinlich genau darüber. – Das Abendessen, obwohl rote Grütze einer ihrer »Schwärmpunkte« war, berührte sie kaum: »Vorhin hatte ich Hunger – jetzt nicht mehr. Bitte, zwing mich nicht, Mutter!«

Sehr lange saß die Mutter an diesem stillen, milden Herbstabende noch mit ihrem Kinde auf der Veranda, hatte den Arm um sie gelegt und hielt das betrübte Gesicht an ihrer Schulter: »Mein Marili, sprich dich doch aus.«

»Ich kann nicht, Mutter, und wozu hilft es auch? Es geht wohl wieder vorüber. Gerade das, was man am meisten wünscht, darf man nicht haben, und dann wünscht man sich's erst recht.«

»Wozu immer wünschen, was nicht sein kann, Herzlieb?« tröstete die Mutter. »Sieh, der eine muß schwer kämpfen zum Entsagen, den andern zwingt die Natur dazu. So oder so müssen wir alle es lernen, wenn wir nicht schon als kleine Kinder zu Gott zurückgehen, und glaub du nur nicht, daß die sogenannten Glückspilze auch immer die Glücklichsten sind, wenn man's in der Nähe betrachtet. – Sieh mich an, Marili, denk einmal nach.«

»Du hast recht – ich weiß –« flüsterte Marili, und die Mutter küßte sie.

»Nun fasse dich und gedulde dich, Kind, und laß uns fleißig und selbstlos sein. Wir haben sehr viel in den nächsten Tagen zu tun; da, lies Karls Brief. Vorhin hat Minna ihn erst hereingebracht. Lies, wie er sich freut, der liebe, alte Junge. – Sonnabend kommt er schon; er besucht Kitty unterwegs, und den ganzen Winter bleibt er gemütlich bei uns. Was sind das für herrliche schöne Aussichten.

»Und nicht wahr, du zeigst unserm ›Familienmann‹, wenn er kommt und ein lustiges Schwesterchen zu finden hofft, nicht diese krause Stirn?« Damit küßte Mama ihrem Marili nochmals die vergrämten Augen.


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