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»Ueber die See und weiter.«

Das nämliche Lied, dessen Anfangsstrophen Marili in jener einsamen Freyenthaler Kampfesnacht beim bläulichen Dämmerschein unterstrichen hatte, spielte die Schiffskapelle des prächtigen Lloyddampfers genau vierzehn Tage später zum Sonntagsanfange.

Die Insel Wight lag vor ihnen. Eine weich gewellte, sammetgrüne Küste, große Massen dunkler Parkbäume, Durchblicke in liebliche Täler und groß und stattlich das Schloß der Königin: Osborne-House. Der kleine Hafen voll weißer Segelchen: der Yachtklub hielt wohl irgend eine frühe Festlichkeit ab. Die Sonne leuchtete und lachte, und an Bord der »Sachsen« lehnten die Passagiere, die meist weit hinaus nach Indien wollten, an der Reling hin, winkten dem smaragdenen Eilande zu und fütterten nebenbei die gierig heranschießenden und wieder davonfliegenden Möwen mit den Brocken des Vorfrühstücks oben an Deck. Das richtige und großartige Frühstück kam erst in einer guten Viertelstunde.

Marili und die Mutter standen eng umschlungen und genossen den schönen Anblick. Durch das Fenster ihrer gemeinsamen Kabine hatten sie schon den prächtigsten Sonnenaufgang bewundert und gestern war's ein ganz unvergeßlicher Abend in Antwerpen gewesen, ehe sie an Bord gemußt. Zwar den Kölner Dom meinte Marili mit nichts in der Welt vergleichen zu können; den hatte sie erst vorgestern in duftiger Morgenfrühe zum erstenmal betreten, als die Beter darin knieten und Weihrauchwolken zwischen den himmelanstrebenden Säulenbündeln schwebten und das junge Sonnenlicht durch die leuchtend bunten Spitzbogenfenster hereinbrach. – Nach dem schweren Abschied von der Anstalt am Abende vorher war ihr das Herz sehr weich, sehr wehmütig gewesen, so daß die riesenmächtige Größe des deutschen Domes sie fast zu Boden drückte. Dann aber das viele Neue auf der Eisenbahn. Erste Klasse, allein mit der Mutter, vornehm auf Sammetpolstern, Doktor Klenaus freundlich geliehenen Baedeker auf dem Schoße, Doktor Lievens Rosensträußchen und die Bonbonnieren, Blumen und Photographien neben sich, die von den Patienten stammten; das hatte dieser Reise den Anstrich von etwas Wundersamen und Allzuguten gegeben. Dazu die wechselnde Landschaft und die selbsterlebte Geographie in Wandelbildern. Ein Stück Deutschland: Aachen, Karls des Großen Kaiserstadt, ein Stück Holland mit sauberen Stationshäuschen, Hecken und Gärten, und zuletzt Belgien, stattliche Städte, blühende Dörfer und anmutsvolle Landsitze. Endlich Antwerpen, bevölkert und emsig wie ein wimmelnder Ameisenhaufen, um den Bahnhof herum und nach dem Hafen zu, und am Quai der weite, freie Blick die Schelde hinunter, die breit und majestätisch zwischen fruchtbaren Geländen dahinfloß. Ueber alle Häuser und Schiffsmasten hinwegragend der schlanke, abgestumpfte Turm der herrlichen Kathedrale.

Die stand mitten im Labyrinth enger und krummer Sträßchen mit altmodischen Giebelhäusern und wundervollen Fensterauslagen. Die Kirche ganz still und leer, keine Menschenseele darin außer der Mutter und Marili. Durch die allzeit offene Tür waren sie hineingeschlüpft, und drinnen brach kein sieghafter Morgenglanz durch die hohen Fenster, sondern düstere Abendglut. Das ganze Gewölbe des Langhauses wie mit Rosen bestreut; die geheimnisvollen Altäre von feurigen Lichtnebeln umsponnen. Plötzlich hatten unsichtbare Hände droben auf der Empore begonnen, Orgel zu spielen. Irgend ein Musiker oder ein Priester übte wohl nur, denn es blieb ein Stammeln in vollen Tönen, wie eine stürmische Frage an den Schöpfer aus bangem Herzen, ehe die Nacht kam. Unvermittelt waren dann die brausenden Töne in die ferne, zarte »Himmelsstimme« des Orgelregisters übergegangen – als ob von droben eine Antwort für den stürmischen Frager herniederkäme. »Ich kann nicht mehr, Mutter!« Kaum hatte Marili es zu stammeln vermocht, so überwältigend war der Eindruck gewesen. – Und dann trat sie hinaus aus diesem Tempel der Andacht, in dem Gottes Geist und der Menschengeist, der arme, kleine, scheinbar gerungen hatten in Tönen und sterbendem Sonnenlicht, in die linde Sommerabendluft und die sinkende Dämmerung. Die Mutter hatte ihr Kind sehr prosaisch und vernünftig unter den Arm gefaßt und hinüber in die hübsche, einladende »Crêmerie« geführt. Da gab's die frischeste Milch und die leckersten Brötchen, die man sich nur vorstellen konnte, dazu fetten, süßen Sahnekäse und eine freundliche Wirtin mit scharfem Wallonengesichte und lebhafter Stimme. Ein ganz wunderliches Französisch plauderte sie, aber die vielgereiste Mutter war doch ganz prachtvoll mit ihr zurechtgekommen, und als sie endlich » bonne nuit, Madame!« gesagt und sich verabschiedet hatte, um endlich hinüber an Bord ihrer »Sachsen« zu wandern, meinte Marili: »Die Crêmerie mußt du wirklich in einer Geschichte anbringen, einziges Mutterchen.«

Ehe sie den Satz zu Ende gesprochen, hatte es »Neun« von der Kathedrale geschlagen, und dann sang und klingelte das reizende, poetische Glockenspiel hoch vom Turme seine fromme Melodie. Darüber glitzerten am Himmel schon die ersten Sterne und hinter dem steilen Dache war die volle Mondscheibe goldklar emporgeschwebt. – Zum Lachen und zum Weinen schön.

Der Mond hatte ihnen auch als allersicherste Laterne zum Quai hin geleuchtet. Der war besser als die trüben Straßenlaternen und die roten Lichter an Eisenarmen, die vor den Türen der Hafenschenken im Winde schwankten, und die vielen Schiffslichtchen, die bis weit, weit hinunter den Lauf der Schelde besternten. Durch ein Gittertor waren sie gegangen – die Mutter kannte Weg und Steg von früheren Reisen her – vorüber am Zollhäuschen und Zollwachtposten, die ihnen höflich Rede standen, zwischen zusammengekoppelten Wagen, über Schienenstränge unter weiten, vollgestapelten Schuppen hin. Kisten und Fässer, Berge goldenen Korns, das würzig duftete, Kohlensäcke, Oeltonnen und fellumnähte Ballen. Auf der »Sachsen« hatte der Kran noch geächzt und Ladung über Ladung in den unersättlichen Schiffsbauch befördern helfen, und die Nacht war entsetzlich unruhig gewesen mit Krachen, Poltern und Kettenklirren. Trotzdem – wer reist, ist müde – solch eine böse Nacht geht auch vorüber und ist die schlimmste noch lange nicht, wenn man sich wieder gesund und tapfer fürs Weiterleben fühlt, seine Mutter sich gegenüber auf dem Sofachen unter dem runden, wohlverhängten Lukenfenster weiß und in einem reinlichen Bette liegt. Dazu in jeder Angstminute ein milder Strahl des elektrischen Lichtes und gegen Morgen, bei steigender Flut, so ganz allmählich hinter der düstern Quaimauer hervor aufwärts getragen bis zu gleicher Höhe mit der Menschheit in den Straßen.

Die Seefahrt – Marilis allererste – nun noch der allergrößte Genuß. Die Schelde hinunter mit Pauken und Trompeten – patriotische Lieder natürlich – o, dann entschwindet der Hafen und die große Stadt, der Wind bläst mit salzigem Atem, die Wogen werden breit und schaumig und rollen in langer Kette heran, überstürzen sich und zerprallen und zerstieben am Plankenwerk des guten Schiffes. Möwen kommen geflattert, Tümmler tauchen springend auf, andre Schiffe fahren vorbei und grüßen: Segler, Dampfer und Dampferchen, gemütliche Schaluppen, schnelle Fischersmacks. Das ist ein ewiger Wechsel, ein ganz neues Leben – Wunder über Wunder für die jungen Landratten, wie Marili Ringhardt eine war. Die große Nordsee und der begrenzte Bodensee, o, das ist doch ein gewaltiger Unterschied. Die Alpenberge fehlen zwar und die reizenden Städte und Städtchen: Friedrichshafen mit dem Schloß am Wasser, Lindau und das alte Konstanz mit dem gotischen Münsterturme und den ehrwürdigen Toren, Meersburg am Hange und Staad in der Bucht, aber dafür berührt rings und rund der Himmel das wogende Salzwasser, sobald nur Vlissingen dahinten liegt und Dünen und rote Häuser untergetaucht sind.

Mit den Passagieren hatten Mutter und Tochter sich nicht weiter angefreundet. Der Kapitän mit den lebhaften Schwarzaugen, zu langem weißem Vollbarte war ihr einziger Freund geworden. Die Mutter kannte ihn schon von früher her, und nun hatte er sie und Marili rechts und links an seine Seite genommen bei »Lunch« und »Dinner« und hatte das zarte, kleine Fräulein so sehr verwöhnt, daß es eigentlich ganz unverantwortlich gewesen war vom erziehlichen Standpunkte aus. Aber solch ein Menschenkind, das eben mit Mühe und Not dem Tode entronnen ist, das verwöhnen liebenswürdige Mitmenschen schon ganz von selber, und Marili nahm es sehr dankbar und bescheiden hin. Ja, sie sagte sich sogar zwei- oder dreimal vor: »Bin ich denn wohl wirklich nur Unterfutter?« weil der Kapitän so gern mit ihr sprach und dann zur Mutter sagte: »Das ist eine ganz scharfe kleine Hexe, die müßte mal 'ne große Reise mit mir machen, damit ihr rote Backen anwehten; den richtigen Seemannsverstand, den hat sie.«

* * *

Nun also dampften sie mittlerweile vor die Mündung des Solentflusses und da machten sie »Stopp«. Während sie frühstückten, wurde alles vorbereitet für die neu hinzukommenden englischen Passagiere, und der Tender mußte bald in Sicht sein. Dann noch die Flußfahrt hinauf nach Southampton und von dort in einem andern Dampfer gerade hinunter nach Cowes auf der Insel Wight.

Marili war ganz verwirrt, als sie schließlich auf dem Tender stand und die Kapelle der »Preußen« ihr und der Mutter zu Ehren in den schönsten Tönen blies:

»Morgen muß ich fort von hier
Und muß Abschied nehmen;
Ach, du allerschönste Zier,
Scheiden, das bringt Grämen!
Hab' ich dich so treu geliebt,
Ueber alle Maßen –
Muß ich dich – denn – las–sen?«

Und als der Kapitän ihr noch ganz speziell und augenfällig zuwinkte und selbst der dicke, englische Lotsengentleman auf der Brücke die fleischige Rechte an seine Schirmmütze legte, eigens für sie, da bekämpften sich Verlegenheit und Wonne in ihrem anspruchslosen jungen Herzen. »O Mutter – sieh hin – mich grüßen sie, denk bloß: mich! – und der Kapitän hat wirklich mein Lieblingslied spielen lassen. Ist er nicht reizend? Sind sie nicht alle viel zu gut gegen mich? Mutter – was Karl wohl sagen würde, daß ich verzogen werde, wie Kitty, als sie jung war –. Weißt du, Mutter – –«

» Your keys 'm, please!«

Sie fuhr vor Schreck zusammen, als der Zollbeamte sie in seiner englischen Muttersprache anredete und ihr die Kofferschlüssel abverlangte. Hilflos starrte sie ihm ins Gesicht und stammelte, da die Mutter ihr absichtlich nicht sofort beisprang: »Ich – I – I – – cannot – liebe Mutter – ich weiß kein Wort Englisch.«

»Das kommt wieder; sei nur tapfer, mein Herzchen. Besinne dich; gib hier die Schlüssel und öffne. Da stehn unsre beiden Koffer. Es ist nichts Zollpflichtiges darin, also ganz ruhig sein. Versuche dein Heil; wie wird das sonst in Rushbrook-House?« (Rushbrook-House hieß die Besitzung der fünf alten Freundinnen der Mutter nahe bei Ventnor im Süden der Insel.)

Marili faßte Mut mit Gewalt. »Nein, ich will wirklich nicht immer das langweilige, wattierte Unterfutter bleiben, ich will ordentlich Farbe bekommen und auch ›Oberstoff‹ werden wie Mutter und Kitty und Carry,« dachte sie und grub in ihrem Hirne nach Vokabeln aus der Schulzeit und dem Verkehr mit der guten alten Miß Cheltenham, während sie mit dem Schlüsselbund in den Händen auf den schaukelnden Dielenplanken des Tenders zu ihren Koffern hinspazierte und der höfliche Zöllner zwei Schritte hinter ihr folgte.

Nein, dies Weltwunder! Sie konnte wahrhaftig wieder englisch reden und wie! Kaum ein Wort fehlte; – das Unterfutter fing schon an, sich in charaktervollen Oberstoff zu verwandeln.

Sehr stolz und froh auf ihre große Leistung trug sie die Schlüssel zur Mutter zurück, setzte sich so nahe neben sie gegen den warmen Schornstein, wie es nur irgend ging, und fing an, ihr die Hände zu drücken und zu küssen: »Ich will, Mutter – ganz gewiß. Das Trübsalblasen soll aufhören. England ist der große Abschnitt. Glaubst du an mich, Mutter – sage? Daran, daß du an mir auch noch ein bißchen Freude erleben kannst? Das ist vielleicht die Absicht vom lieben Gott gewesen, weil er's nicht gewollt hat, daß ich in Freyenthal sterbe. Ich weiß, daß ich um ein Haar gestorben wäre und daß Doktor Klenau mich aufgegeben hatte. Doktor Lieven hat mir's gesagt, als ich mit ihm darüber sprach.«

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»Ich will, Mutter – ganz gewiß, das Trübsalblasen soll aufhören.«

»Das hätte Doktor Lieven besser nicht getan, mein liebes Herz.«

»Warum nicht? Es ist doch immer gut, wenn man die volle Wahrheit weiß, Mutter.«

Die Mutter küßte ihr Kind. »Gottlob, es ist nicht Wahrheit geworden! Das Geschick ist manchmal gütiger, als wir's ihm zutrauen. Gleichviel, halte du dich an deine Vorsätze, Herzlieb. Du hast ganz recht: Gottes Absichten mit uns erkennen wir in jeder Schickung; wir müssen nur die Augen klar und das Herz rein halten und erkennen wollen. Ich freue mich so innig, daß dir die schöne Erkenntnis aufgegangen ist, ja, gewiß ist sie schön und beglückt dich und mich. Nun nutze die Zeit aus, lerne und genieße.«

»Liebe, liebe Mutter – wenn du so alles wüßtest – wie schwer mir vieles geworden ist –«

»Ich weiß wohl, geliebtes Kind. Wir verstehen einander ohne große Geständnisse, nicht wahr? Wer sich ein gutes Ziel gesetzt hat, der soll nicht unnütz zurückblicken. Es ist nicht alles Glück für uns, was wir in leidenschaftlichen Zeiten unser Glück nennen. Daß du das aus dir selber heraus und mit Gottes Hilfe begriffen hast, das macht mich sehr glücklich und nimmt mir viel Sorge vom Herzen.«

Marili legte der Mutter Hand gegen ihre Wange und schmiegte den Kopf an die mütterliche Schulter: »Die Welt ist doch schön, Mutter – sieh, wie malerisch Southampton vor uns liegt. Ganz wie in blauem Duft. Gleich heute abend oder morgen will ich doch an beide schreiben, an Kitty und an Karl – recht lange Briefe. – Mutter, seit ich mich mit dir ausgesprochen habe, ist mir's wohl – so wohl wie nie, Mutter.«

»O, das kommt noch viel besser. Warte ab, bis wir erst bei den lieben Dormers sind.«

»Brauche ich mich wirklich kein bißchen vor den Damen zu fürchten? Fünf alte Damen!«

Die Mutter lachte. »Fünfmal Liebe und fünfmal Freundschaft für dich und mich: so ist die rechte Lesart, Marili. Es könnte mir übrigens ebensogut vor Rushbrook-House grauen wie dir; seit zweiunddreißig Jahren habe ich meine Freundinnen nicht mehr mit Augen gesehen und alle Jahr nur einen Brief mit ihnen gewechselt, höchstens zwei.«

»Das stärkt mir den Mut, mein Mutterchen – ich habe mit einemmal Löwenmut.«

»Nicht so aufgeregt, Schatz. Jetzt müssen wir unsre fünf Sinne zusammenhalten; da sind wir.«

* * *

Mit Schiffen und Zügen hinüber nach der grünen Insel klappte es nicht ganz, wie sie sich's ausgedacht hatten. Sie mußten sich entschließen, erst noch ins Hotel am Hafen zu gehen, ein sehr vornehmes Hotel, von den Dormers empfohlen.

Die ehrfurchtgebietenden Herren Kellner schüchterten die löwenmutige Marili zwar vorläufig wieder ein und ebenso der umständlich gedeckte Zweitfrühstückstisch. Dann aber schrieb sie mit fliegender Feder ihre ersten Zeilen aus dem wirklichen »Auslande« an die Geschwister, kaufte Briefpapier, Postmarken und zwei Ansichten von Southampton aus eigenen Mitteln und schrieb auch noch einen Gruß unter der Mutter Zeilen für Doktor Klenau: die Meldung, daß die Reise bis dahin über Hoffen und Erwarten gut verlaufen sei, ohne Seekrankheit und ohne Uebermüdung.

»Dazu gehört nun auch etwas mindestens Fünffaches – an Löwenmut nämlich, Mutter –« sagte Marili, nachdem sie ihr: »Dankbare Grüße Ihnen und Herrn Doktor Lieven von der jüngsten Patientin,« so sorgsam hingemalt hatte, daß es ein bißchen nach dem Schultintefaß und der Schreibstundenfeder aussah und nicht nach der Briefschrift einer demnächst achtzehnjährigen Jungfrau.

Endlich, endlich war die letzte Reiserast überstanden und die Abfahrtsstunde für Cowes da.

Klopfenden Herzens saß Marili an Deck des schmucken, vollbesetzten Trajektdampfers und sah, als er aus der Flußmündung in den breiten Seekanal überging, nicht rechts und nicht links. Immer nur gerade vor sich auf den hügeligen Inselumriß, der sich deutlicher und deutlicher am Horizonte emporschob. Sie zitterte und bebte innerlich doch ganz bedenklich und ihre Hände waren kalt wie Eis, trotz der hochsommerlichen Wärme. Ja, ihre Zähne schlugen auf den Rand der Tasse mit starkem, heißem Tee, den die Mutter sie kurz vor Cowes noch geschwind unten im kleinen Speisesalon trinken ließ. Der alte Servierkellner bevaterte sie und hielt eine große Scheibe des saftigen kalten Roastbeef auf der silberplattierten Schüssel für unbedingt notwendig. Die Mutter stimmte bei, und das zitternde Opferlamm aß und trank gehorsam, und dann ging's sofort nach der Landung im idyllischen Cowes im Sturmschritt zum Bahnhof. Gott Lob und Dank, der Zug für St. Albans stand fertig zur Abfahrt in der Halle; – Gepäck besorgt, eingestiegen und fort. –

* * *

» Dies ist es nun, das Paradies?« fragte Marili, Enttäuschung im Ton, als es durch eine ganz gewöhnliche Wiesen- und Holzungslandschaft mit artig aussehenden Dörfern und Städten, flachen Hügeln und bescheidenen kleinen Gewässern langsam und mit viel unnötigem Aufenthalt an reizlosen Stationen zuerst nach Newport ging und von Newport nach Merston-Junction, von Merston-Junction nach Godshill. Die nächste Station sollte nun St. Albans sein.

» Dies ist das Paradies?« fragte Marili noch einmal.

»Kind, so wart es doch ab,« antwortete die Mutter, und es machte dem bösen Kinde wahrlich beinahe Freude, daß seine liebe Mutter auch enttäuschte Augen machte.

Hui! – da sausten sie in den Tunnel: schwarze Nacht.


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